Miho museum in Japan

Japan: Anbetung der Teeschale – das Kunstmuseum Miho

About: Miho Art Museum, one of my favourite places in Japan
Pri: Arta muzeo en Miho, Japanujo
Sponsor, Sponsoro:
Krupp-Stiftung
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 07.06.2002


Durch Schönheit zur Harmonie: Der Kunsttempel von Miho will die Welt verbessern

Was gelten Propheten im eigenen Land? Das Museum von Miho, weltberühmtes Alterswerk des Star-Architekten Ieoh Ming Pei, Pilgerstätte von Giorgio Armani und anderen Design-Gurus, in zahlreichen Büchern als gelungene Verbindung von traditioneller asiatischer Baukunst und moderner Architektur gepriesen, ist den meisten Japanern vollkommen unbekannt. Ungläubig schütteln Bildungsbürger in Kyoto die Köpfe: In der Nähe des Biwa-Sees soll ein Kunstmuseum sein? Auf einem Berggipfel?!?

Trotzdem ist Miho leicht zu finden: In der S-Bahnstation Ishiyama, eine Viertelstunde von Kyoto, folge man einfach den Rudeln ausländischer Touristen. Mit dem Bus geht es dann durch die japanische Einheitslandschaft aus lieblos hingepfuschten Neubauten, zubetonierten Flussufern, Zementwerken, wilden Müllhalden und hässlichen Stromleitungen in Richtung der Shigaraki-Berge. Nach einer Weile nimmt das Grau vor den Fenstern ab, dafür taucht Grün in allen Schattierungen auf. Langsam kurvt der Bus durch ein zerklüftetes Tal eine enge Bergstraße hinauf. Nach ungefähr einer Stunde ist das Ziel erreicht: eine Haltestelle mitten im Wald.

Japanische Berge sind seit alten Zeiten heilig. Nur Schreine, Tempel und Strommasten dürfen dort gebaut werden, sonst nichts. Das 1997 eröffnete Miho-Museum steht im Shigaraki-Naturschutzgebiet an einer Stelle, die ursprünglich für einen Tempel vorgesehen war. Daher hätte Pei es für unangebracht gehalten, wenn die Besucher einfach mit dem Auto vorfahren könnten. Der Weg zu einem asiatischen Heiligtum verlangt Anstrengung, zumindest Treppensteigen.

Deshalb hat Pei den Parkplatz und das Empfangsgebäude vom Museum getrennt. Hinter der Kasse und dem Restaurant „Pfirsichblüten“ führt ein geschwungener Weg durch eine Allee von Kirschbäumen, anschließend ein 200 Meter langer Fußgängertunnel durch einen Bergkamm. Nach einer Kurve ist im Tunnelausgang plötzlich das Hauptgebäude des Museums zu sehen, das auf einem benachbarten Bergrücken steht und über eine Hängebrücke zu erreichen ist. Inspiriert wurde Pei zu diesem langen Zugang von der im 14. Jahrhundert von dem Dichter Tao Yuanming verfassten Erzählung „Pfirsichblüten-Tal“: Ein Fischer fährt einen Fluss in den Bergen hinauf, durchquert einen Pfirsichhain – und landet im Paradies.

Von weitem sieht Miho wie ein kleiner Schrein aus, der neben Kiefern und Lampen auf dem üblichen Treppenpodest steht. Beim Näherkommen wird das Gebäude immer größer, entfaltet sich das enorme, aus Dreiecken aufgebaute Glas- und Stahl-Dach, dessen Konstruktion an Bauernhäuser aus der Edo-Zeit erinnern soll. An das Mondtor am Eingang schließt sich eine hohe, lichtdurchflutete Halle an. Für den angenehmen, warmen Farbton ließ Pei eigens aus Frankreich beigefarbene Magny-Dori-Kalksteine herankarren, ein Material, das er auch für den Eingang des Louvre in Paris verwendet hatte.

Von den großen Panoramafenstern des Atriums aus schweift der Blick über die bewaldeten Täler von Shigaraki, einer für ihre Töpferkunst bekannten Kulturlandschaft. Die Augen bleiben an einem riesigen, geschwungenen Dach hängen, das in etwa ein Kilometer Entfernung hinter einer Hügelkette hervorschaut. Es handelt sich um ein Heiligtum, das Minoru Yamasaki, der Architekt des New Yorker World Trade Center, für Shinji Shumeikai erbaut hat. Diese „Shumei Familie“, zu der weltweit etwa 300 000 handverlesene Mitglieder zählen, wird von japanischen Medien mal als „Religionsgemeinschaft“, mal als „obskure, aber harmlose Sekte“ bezeichnet.

Sie ließ sich 1990 neben ihrem Tempel von Pei einen 60 Meter hohen Glockenturm errichten. Dieser Glockenturm wiederum begeisterte die Shumeikai-Oberfrau Mihoko Koyama, als Erbin des Toyobo-Textilkonzerns eine der reichsten Japanerinnen, derart, dass sie Pei mit dem Bau eines nach ihr benannten Museums beauftragte. „Kunst erleuchtet das Leben“ ist schließlich das Credo von Shumeikai. Wer aber nichts Näheres über die „Beseitigung geistiger Blockaden durch Jyorei“ und Glück verheißende „spirituelle Vibrationen“ wissen will, wird im Miho-Museum nicht weiter damit behelligt. Die meisten der rund 100 000 Besucher, die jedes Jahr nach Miho finden, dürften gar nicht mitbekommen, dass sie in einer religiösen Einrichtung landen, die zu „Harmonie zwischen Natur und Menschheit“ bekehren will.

Die im Filmraum gezeigten Streifen zur Geschichte des Museums halten sich auch nicht lange mit den Shinto-Zeremonien auf, mit denen die in ihrer Ruhe gestörten Berggötter besänftigt wurden, sondern kommen gleich zu den spektakulären Bauarbeiten, deren Kosten mit rund 200 Millionen US-Dollar angegeben werden. Der gesamte Berggipfel wurde abgetragen und nach Fertigstellung der Ausstellungsräume zwei Jahre später wieder zurückgebracht. Wo sonst gibt es ein Gebäude, das so sorgfältig in die Landschaft eingepasst wurde? 85 Prozent des Museums liegen unter der Erde. Die strengen Bauvorschriften im Naturschutzgebiet hätten „sehr zum Vorteil des Museums“ gewirkt, meint Pei. Die meisten Exponate würden in künstlichem Licht ohnehin besser aussehen; für verschiedene Skulpturen wurden eigene Lichtschächte eingerichtet.

Erschwert wurde der Bau des Museums dadurch, dass die Sammlung während der Arbeiten vergrößert wurde und folglich die Baupläne mehrfach geändert werden mussten. Ursprünglich hatten die Koyamas beabsichtigt, lediglich ihre in vierzig Jahren zusammengetragene Kollektion kostbarer Objekte für Teezeremonien auszustellen. Pei jedoch überzeugte die Damen, dass sich mit Teeschalen, wie selten und prächtig allein sie auch sein mögen, kein Museum von Weltrang aufbauen lasse. Wie ein Taifun stürmten daraufhin Shumeikai-Einkäufer über den Weltkunstmarkt. 1994 ersteigerten sie bei Christie’s in London für den Rekordpreis von zwölf Millionen Dollar ein assyrisches Kultrelief aus dem 9. Jahrhundert, das zuvor von englischen Studenten als Dart-Brett benutzt worden war. Die Koyamas gaben in sechs Jahren rund 300 Millionen Dollar für antike Kunstwerke aus; das Beste war gerade gut genug.

Nun gehören über 1000 Objekte aus vier Jahrtausenden zur Sammlung. Sie werden in Miho nicht alle ständig gezeigt, sondern wie die Bildrollen in einem japanischen Teezimmer passend zur Jahreszeit ausgewechselt. Die um einen Steingarten herum angeordneten Räume des Nordflügels präsentieren traditionelle japanische Kunst: Bildrollen, Fächer, Buddha-Statuen, elegante Vasen, Lackkästchen. Als herausragendstes Objekt gilt eine Yohen-Tenmoku-Teeschale aus dem 11. Jahrhundert, eine von vier, die es weltweit noch gibt. Die unterirdischen Ausstellungssäle sind stockdunkel. Wer die angestrahlten Exponate abschreitet, fühlt sich wie bei einer Entdeckungstour durch eine Schatzkammer oder einen alten Tempel.

Im Südflügel sind „Schätze der Alten Welt“ zu sehen, oft aus Gold oder Silber, meist für religiöse oder rituelle Zwecke hergestellt. Die wertvollen Stücke, die vor der Eröffnung von Miho auf Welttournee geschickt worden und in Europa in Wien und Leiden zu sehen waren, sollen den Austausch der antiken Kulturen entlang der Seidenstraße belegen: chinesische Tonfiguren und Weingefäße, Buddha-Köpfe aus Afghanistan, baktrische Goldbecher, Silberschmuck aus Persien, ägyptische Götterstatuen, ein Fresko aus Pompej, griechische Bronzen, ein römisches Bodenmosaik aus Syrien.

Nach der Besichtigung können die Besucher in einem der drei Museumsshops stöbern oder sich zwischen Bambushain und Kieferngarten im Teeraum „Kiefernblick“ Naturprodukten von Shomeikai-eigenen Biobauernhöfen widmen. Um fünf Uhr jedoch erscheinen Museumswärterinnen. Unerbittlich lächelnd vertreiben sie die Gäste aus dem Kunstparadies. Der Bus fährt wieder zurück, hinab in die Betonwüste des Flachlands. Eine Autobahnbaustelle frisst sich dort in den Wald, im Straßengraben liegen kaputte Fernsehapparate, rosten Kühlschränke vor sich hin. Die Prediger der Schönheit haben noch viel Arbeit vor sich.

Martin Ebner

Link (last update: 27.04.2014):
Miho Museum: www.miho.or.jp


 


Foto: Entry to the Miho Museum. Eniro al Miho muzeo. Eingang des Miho Museums

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Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.