Kunashir island seen from Japan

Japan und der Westen – eine Beziehungs- geschichte in vier Klischees

About: Short history of the relations between Japan and the „West“
Pri: Historieto de la rilatoj inter Japanujo kaj „Okcidento“
Published, Aperis: Stuttgarter Nachrichten (†), 09.03.2002


Schöne Geishas, böse Schlitzaugen

Was wollen wir von Japan wissen? Eigentlich nichts, meinte im Jahr 1624 das Pfarrkirchenamt Ulm. Der Donauflößer Michael Hohreiter war in holländischen Diensten als erster Deutscher in Japan gelandet. Nach der Rückkehr wollte er ein „Reisebuch“ herausbringen. Vergeblich, denn die Behörden fanden Exotik „gar in keiner Ordnung“.

Als Japan noch nicht von Fußballfans heimgesucht wurde, verirrten sich nur wenige Abenteurer dorthin. Ihre Berichte führten im Westen zu vier Grundannahmen, die immer wieder aufgewärmt wurden: Japan sei ein absurdes Märchenland; unter dem Fujiyama hausen verführerischen Geishas; Nippons unfaire Kaufleute würden alles nachmachen; und zusammen mit den Chinesen würden die Japaner zur „Gelben Gefahr“.

Jesuiten waren die ersten, die das Land bekannt machten. Von Shogunen, die Ärger mit Buddhisten hatten, wurde ihre Mission unterstützt. Entsprechend begeistert waren ihre Briefe: Japan sei eine „weiße“ Hochkultur, den wißbegierigen Einwohnern fehle nur noch das Evangelium – man möge doch für diesen vielversprechenden Fall spenden.

Halsstarrig weigerten sich jedoch viele Japaner, an die unbefleckte Empfängnis zu glauben. Die Jesuiten entdeckten immer mehr Unterschiede: warme Erfrischungsgetränke, Frauen können Lesen und Schreiben, blonde Haare gelten als Makel, Weiß ist die Farbe der Trauer – es scheint, dass die Japaner „absichtlich versuchen, anders als alle anderen Völker zu sein“.

Als auch noch Franziskaner auftauchten, hatten die Shogune genug. Sie verboten das Christentum und Auslandskontakte. Bis 1853 durften nur die Holländer weiter Handel treiben. Die Ärzte ihrer Niederlassung waren häufig Deutsche, die Informationen über Japan sammelten. Heiss diskutierten sie die japanische Sitte des Harakiri und die „Affenpossen“ der Holländer, die um des Profits willen ihre Bibeln versteckten.

Nach der „Öffnung“ durch amerikanische Kriegsschiffe exportierte Japan zunächst Kunsthandwerk und machte mit Holzschnitten Furore. Von 1870 bis zum Jugendstil boomte „Japonaiserie“. Impressionisten wie Manet oder Van Gogh experimentierten mit japanischen Techniken; abends ging es dann ins Cabaret „Divan Japonais“, wo Fächer an den Wänden hingen und die Kellnerinnen Kimonos trugen.

Schon vor den Postkarten mit niedlichen Geishas galten Japanerinnen als dekorativ: Westler durften keine Frauen mitbringen, dafür wurden sie mit einheimischen Mädchen versorgt; das sprach sich rum. Pierre Loti, einer der ersten Sextouristen, schrieb den Bestseller „Madame Chrysantheme“. Unzählige Nachfolger griffen das Thema auf, etwa Puccini mit „Madame Butterfly“. Auch die Komödie „The Mikado“ zeigte Japan als exotischen Spielplatz.

Die Industrialisierung des putzigen Bonsai-Landes nahm der Westen lange nicht zur Kenntnis. Dass japanische Produzenten zu Konkurrenten wurden, konnte nicht mit rechten Dingen zugehen; naheliegender Schluss: die Japaner tricksen. Als Japans Wirtschaftskraft auch zu militärischer Macht führte, geriet der Westen in Panik. Alte Bilder „orientalischer Horden“ von Attila bis Dschings Khan wurden auf Japan übertragen. Russland zum Krieg gegen die „Gelbe Gefahr“ zu drängen, war eine Lieblingsidee des deutschen Kaisers Wilhelm II.; Russlands Niederlage wurde 1904 prompt zum Anfang vom Ende der „weißen“ Vorherrschaft.

Während des Zweiten Weltkriegs waren Rassefragen besonders beliebt. US-Präsident Roosevelt ließ Wissenschaftler nach dem Grund für das japanische Böse suchen und fand: Japanische Schädel sind in ihrer Entwicklung 2000 Jahre hinter denen des weißen Mannes. Da mit Japan verbündet, waren die Nazis anderer Meinung: Die Japaner seien zwar nicht „kulturschöpfend“ wie die Deutschen, aber immerhin „kulturtragend“.

Seither sind Rasse-Theorien diskreditiert. Darauf hätte man früher kommen können. Schon 1893 fand Erwin von Baelz aus Bietigheim, der es zum Leibarzt des japanischen Kaisers brachte, es gehe auch ohne Vorurteile: „Wer ein fremdes Volk verstehen will, der muss sich in dasselbe einzuleben versuchen. Er muss die Sprache lernen. Je länger er studiert, um so vorsichtiger wird er mit seinem Urteil. Er findet, dass die Leute, welche in Leben und Sitte eines fremden Volkes so vieles lächerlich finden, nur sich selbst lächerlich machen, da sie über Dinge spotten, die sie nicht verstanden haben.“

Martin Ebner


Und weil wir grad so schön dabei sind – zum gleichen Thema, auch aus den Stuttgarter Nachrichten (irgendwann 2003 oder 2004):

Böse schwarze Dampfschiffe

Seit 150 Jahren muss sich Japan mit Ausländern abgeben

Früher saßen die Japaner allein auf ihren Inseln und waren glücklich. Dann kamen die Amerikaner – seit der „Öffnung“ vor 150 Jahren muss sich Nippon mit dem Rest der Welt herumschlagen. So sehen viele Japaner die Geschichte.

Als im 16. Jahrhundert die ersten Europäer kamen, waren die japanischen Herrscher angetan. Da sie Ärger mit buddhistischen Schlägermönchen hatten, erlaubten sie das Christentum. Das bereute die Militärregierung der Tokugawa rasch: Arme Bauern liefen in Scharen zur neuen Lehre über, Jesuiten und Franziskaner bekämpften sich und fackelten Tempel ab. Als ein Spanier ausplauderte, bald würden Soldaten kommen, war die Geduld der Shogune zu Ende.

Sie warfen die Missionare raus und kreuzigten die japanischen Christen. Bei Todesstrafe wurden alle Auslandskontakte, Ein- und Ausreise verboten. Nur die Holländer durften eine kleine Handelsstation betreiben, ansonsten war Japan von 1639 an für zwei Jahrhunderte von der Welt abgeschnitten.

Nach 1800 kreuzten aber immer öfter Fremde auf. Die Tokugawa erließen ein „Edikt zur Vertreibung ausländischer Schiffe“: aufgegriffenen Ausländern „ohne Diskussion“ den Kopf abhauen! Als sie hörten, dass China den Opium-Krieg gegen England verloren hatte, milderten sie ab: fremden Seefahrern Proviant geben und schnelle Abreise „empfehlen“.

Nicht abweisen ließen sich die Amerikaner. Ihnen ging es um Öl, um Walöl. Die Waljagd brachte es mit sich, dass US-Schiffe in Japan strandeten oder schiffbrüchige Japaner nach Hause brachten – die Hinrichtungen empörten die amerikanische Öffentlichkeit. Außerdem liegt Japan günstig auf dem Weg nach China.

Am 8. Juli 1853 erschien Commodore Matthew Perry mit vier Dampfschiffen vor Uraga, nicht weit vom heutigen Tokyo. Tausende Gaffer standen geschockt am Ufer: In Japan waren Schiffe mit mehr als 100 Tonnen verboten – Perrys „Susquehanna“ hatte 2450 Tonnen und spuckte Rauch und Feuer. Ein echtes Trauma. Perry übergab einen Brief des US-Präsidenten, der Handel, offene Häfen und Hilfe für Schiffbrüchige forderte. Er kündigte an, bald mit einer größeren Flotte eine Antwort abzuholen.

Kurz darauf brachten russische und englische Schiffe ähnliche Zumutungen. Die japanischen Behörden berieten, was sie tun sollten: „Alle Ausländer totmachen!“ forderten konservative Samurai; „sie haben aber Kanonen“, gaben gemäßigte Beamte zu bedenken.

Im Februar 1854 kam Perry mit neun Kriegsschiffen wieder. Die Verhandlungen für einen „Freundschaftsvertrag“ benötigten sechs Wochen, alles musste erst ins Holländische übersetzt werden. Als Geschenk überreichte Perry eine Miniatureisenbahn – japanische Würdenträger fuhren darauf mit wehenden Roben im Kreis. Sumo-Ringer brachten Reissäcke, die so schwer waren, dass US-Matrosen sie nicht aufheben konnten. Fürs Erste wurden zwei Häfen geöffnet: Hakodate und Shimoda.

In Hakodate wurde der erste deutsche Konsul, Ludwig Haber, von einem Samurai in Stücke gehauen. „Er war gegen Ausländer“, erläutert ein Gedenkstein am Tatort. In Shimoda wollte US-Konsul Townsend Harris einen Handelsvertrag aushandeln, wurde aber monatelang mit Reis und faulen Ausreden abgespeist. „Blut gespuckt“, notierte er magenkrank und bat um eine Krankenschwester. Die Japaner hatten keine Ahnung, was das ist, sorgten aber gerne für weibliche Ablenkung.

Eine Japanerin war schwer zu finden, da bekannt war, dass Barbaren Blut saugen. Gegen eine stattliche Summe opferte sich die 17jährige „Waschfrau“ Okichi. Harris schickte sie aber nach drei Tagen weg, da er keine Prostituierte benötige und sie Geschwüre habe.

In Shimoda wird die Geschichte „Der Barbar und das Mädchen“ anders erzählt: Von Jahr zu Jahr wird die „Geisha“ Okichi eleganter, ihr Schicksal tragischer. Zu der Beziehung mit dem Ausländer gezwungen, habe sie ihren Geliebten aufgeben müssen und sich später in Alkoholismus und Selbstmord geflüchtet. Die schwarzen Schiffe wären besser nie gekommen.

Martin Ebner


 


Foto: View from Shiretoko national park in Japan to the island Kunashir, taken by Russia since World War II. ; Rigardo ekde la japana nacia parko Shiretoko al insulo Kunashir, rusa ekde la dua mondmilito; Blick vom Shiretoko-Nationalpark in Japan auf die russisch besetzte Kurilen-Insel Kunashir

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