Archäologische Fälschungen sind oft interessanter als Originale

About: Falsifications in archeology
Pri: Falsadoj en arkeologio
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 23.12.2011


Viel schöner als die Wahrheit

Warum zieht es so viele Menschen zu alten Knochen, unscheinbaren Steinsplittern und modernden Holzresten? „In unserer virtuellen Welt gilt Archäologie als letzte Garantie der Echtheit“, vermutet Marc-Antoine Kaeser, der Direktor des Laténium-Museums in Neuchâtel. Ausgrabungen versprechen einen direkten Kontakt zu „wahren Hinterlassenschaften“ längst vergangener Zeiten. Dabei sei gerade in dieser Disziplin nichts wirklich echt: „Die Archäologie und ihr illusorischer Kult absoluter Authentizität haben Fälschungen erst möglich gemacht.“

Das größte archäologische Museum der Schweiz zeigt gerade eine Reihe der berühmt-berüchtigsten Machwerke, die sich Altertumsfreunde jemals andrehen ließen. Der Schadenfreude wird zum Beispiel eine vermeintlich keltische Bronzevase geboten: Kaiser Napoleon III. war von dem „gallischen Hahn“ auf ihrem Deckel so begeistert, dass er sie zu einem der ersten Exponate seines Nationalmuseums in St. Germain-en-Laye machte. Es dauerte über 100 Jahre, bis herauskam, dass dieser Staatsschatz Frankreichs erst 1866 von einem  wissenschaftlich interessierten Metzger gebastelt, patiniert und vergraben wurde.

Abgesehen von dem Wunsch, den Experten eins auszuwischen, haben Fälscher uriger Artefakte vor allem eins im Sinn – Geld. Während des Pfahlbau-Fiebers um 1850, als Funde aus den Voralpen Spitzenpreise erzielten, verdienten sich in Neuchâtel Bahnarbeiter ein Zubrot mit der Bronzezeit: Sie lieferten Diademe und Speerspitzen, ja sogar die Gussformen dazu. Das Antikenmuseum Lausanne brauchte lange, um sich von dieser Blamage zu erholen.

Das Musée du Quai Branly in Paris schämt sich für einen „aztekischen Totenkopf“ aus Bergkristall, der wohl im urwaldfernen Idar-Oberstein mit Eisenwerkzeugen gefertigt wurde. Wieso fallen Fachleute so oft herein? Der Kurator Laurent Olivier erklärt das so: Museen wollen „außergewöhnliche Funde“ präsentieren, für die es naturgemäß kaum Vergleichsstücke gibt. Andererseits dürfen Fälscher nicht zu sehr aus dem Rahmen zu fallen: Sie müssen die Träume, Ambitionen und Erwartungen ihrer Kunden genau bedienen. „Daher sagen Fälschungen viel mehr über Wissenschaft und Kenntnisstand ihrer Zeit aus als echte Funde.“

Dass auf dem Antiquitätenmarkt genau das auftaucht, was bereits ersehnt wurde, beweist der angeblich mindestens 200.000 Jahre alte „Piltdown-Mann“, einst der Stolz des British Museum. Zur Bestätigung der Evolutionstheorie musste irgendwann das Missing-Link zwischen Affe und Mensch gefunden werden. Da war es einfach naheliegend, den Unterkiefer eines Orang-Utans mit Schimpansen-Zähnen und menschlichen Schädelresten zu kombinieren und mit Eisenoxid anzumalen. Zumal C14-Analysen erst viel später kamen.

Das Rosgartenmuseum Konstanz wurde verlacht, als es ab 1875 die „ältesten Kunstwerke der Menschheit“ präsentierte: Die Ritzzeichnungen auf eiszeitlichen Knochen glichen Tierbildern eines modernen Kinderbuchs. Zur Überprüfung kamen Anthropologen, Ethnologen und andere Forscher nach Konstanz. Ergebnis: Ein Arbeiter der Grabung hatte Fuchs und Bär fabriziert – aber die übrigen Funde aus dem Kesslerloch sind echt, bereits in prähistorischen Zeiten gab es Künstler. Fälschungen bringen die Wissenschaft voran.

Da Archäologen oft nur Fragmente oder Spuren finden und folglich viel mit Rekonstruktionen arbeiten, sind die Grenzen zwischen echt und falsch ohnehin fließend. Das Schweizer Landesmuseum etwa hat Metallteile, die um 1900 im Tessin entdeckt wurden, mit Lederstreifen ergänzt und zu einem keltischen Kriegerhelm restauriert. Mittlerweile wird der Fund doch eher für einen Eimer gehalten.

Fälschungen werden historisch wertvoll, wenn man nur lange genug wartet. Sie sollten nicht klammheimlich in Depots weggesperrt, sondern „wie Kunstwerke behandelt werden“, fordert Laurent Oliver. Der Pariser Louvre ist schon so weit: Die „Goldtiara eines skythischen Königs“, die 1896 für 200.000 echte Francs angekauft wurde, war einmal ein Skandal, denn ein russischer Handwerker führte einem Untersuchungsausschuss vor, wie er sie gemacht hatte. Heute wird der Helm als „herausragende Goldschmiedearbeit Ende 19. Jahrhundert“ gezeigt, und alle sind damit zufrieden.

Martin Ebner

Die Ausstellung „Das Zeitalter der Fälschungen“ war bis 8. Januar 2012 in Neuchâtel zu sehen: www.latenium.ch. Den Begleitband „L’âge du Faux. L’authenticité en archéologie“ hat Marc-Antoine Kaeser herausgegeben.


 


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