Street in Pompeii

Denkmalschutz: Pompeji retten

About: Attempts to conserve the Roman ruins of Pompeii and Herculaneum in Italy. Is privatization the solution?
Pri: Klopodoj savi la ruinojn de Pompejo kaj Herculaneum en Italujoĉu deŝtatigo helpas?
Published, Aperis: Südwestpresse, 7.01.2012


Wären Ruinen-Aktien besser als Staatsanleihen? Italienische Politiker planen eine Privatisierung der berühmten Ausgrabungen bei Neapel.

Durch die Spurrillen der antiken Fahrbahnen toben Sturzbäche, kaum überragt von den glitschigen Trittsteinen. Für Touristen sind die Regenfälle im süditalienischen Herbst unbequem. Für die altrömischen Ruinen von Pompeji sind sie ein Desaster: Der Ascheboden saugt sich voll und drückt Mauern ein. Mit Gittern hat der Zivilschutz ganze Straßenzüge abgesperrt. Der Stadt, die im Jahr 79 von einem Ausbruch des Vesuvs zerstört, zugleich aber im Auswurf konserviert wurde, droht ein zweiter Untergang. Wie soll man 1.500 unbewohnte Gebäude gegen Wasser und Wetter schützen?

Am 6. November war sogar ganz Pompeji „geschlossen wegen Regen“. Vielleicht war das aber nur eine Ausflucht der Altertumsverwaltung. Archäologen und Kunsthistoriker hatten für diesen Tag via Facebook zu einem großen Sit-in beim Amphitheater aufgerufen. Sie wollten dagegen protestieren, dass praktisch nichts unternommen wurde, seit 2010 die so genannte „Gladiatorenschule“ einstürzte – spektakulär direkt an der Hauptstraße Pompejis. Akut gefährdet sind vor allem bereits restaurierte Gebäude: Bis in die 1960er Jahre überzog man nicht nur Fresken mit einem Wachs, das nun Farbpigmente auflöst, sondern belastete die Wände auch mit viel zu schweren Betondecken.

Pompeji im Regen
Pompeji: gesperrte Häuser

Die UNESCO sorgt sich um die einmaligen Trümmer, die den Alltag der Antike überliefern. Im vergangenen Juni veröffentlichte die UN-Kulturorganisation einen Untersuchungsbericht, der den zuständigen Stellen Misswirtschaft, Untätigkeit und Unfähigkeit bescheinigt, wenn auch höflicher formuliert. Zu viel Geld sei in den letzten Jahren für „nicht dringende Projekte“ ausgegeben worden, etwa einen geplanten Pompeji-Besuch Berlusconis. Derzeit seien nur 14 Prozent des Grabungsgeländes öffentlich zugänglich – die jährlich rund 2,3 Millionen Besucher würden sich auf einer zu kleinen Fläche drängen. Italienische Zeitungen argwöhnen, dass Pompeji nun mit einem Ende November unterzeichneten Abkommen als erste Weltkulturerbe-Stätte der direkten Kontrolle der UNESCO unterstellt werden soll. Lorenzo Ornaghi, der italienische Kulturminister, spricht dagegen nur von „verstärkter Zusammenarbeit“.

„Kooperation“ ist das Zauberwort der Politiker. Nämlich mit Investoren. Private Firmen könnten Pompeji „effizient und effektiv“ managen, schwärmt zum Beispiel Stefano Caldoro, der Präsident der Region Kampanien. Mario Resca, ehemaliger Chef von McDonald’s Italia und von Berlusconi zum Generaldirektor für die Verwertung des Kulturerbes ernannt, denkt vorerst nur an Sponsoren: „Mäzenatentum muss die Antwort sein.“ Der Staat müsse „fiskalische Anreize geben“ und „auch ausländische Unternehmer anziehen“. Giancarlo Galan, der vorherige Kulturminister, schlug vor: „Wer spendet, kann seinen Namen auf dem Denkmal haben.“ Interesse zeigen bisher ein Gerberei-Verband, Modefirmen aus Neapel, ein französisches Konsortium und chinesische Industrielle. Immerhin hat die amerikanische Packard-Stiftung die Ausgrabungen im benachbarten Herculaneum auf Vordermann gebracht, und das ohne Computerwerbung. Warum soll das in Pompeji nicht auch gehen?

Kritiker von „Ausverkauf und Kommerzialisierung“ raufen die Haare. Reicht denn der Souvenirrummel vor dem Eingang nicht? Die als Gladiatoren verkleideten Bettler? Die aufdringlich vermarkteten Wandbilder aus Pompejis Hauptattraktion, dem frisch restaurierten Bordell? Vom Staat ist jedenfalls nichts zu erwarten: Der Kultur-Anteil am italienischen Budget sank seit 2000 von 0,38 auf 0,19 Prozent, das heißt 1,4 Milliarden Euro für das ganze Land. Denkmalschützer maulen, die Türkei habe die entsprechenden Ausgaben in dieser Zeit um das 19fache gesteigert, auch deshalb ziehe Ephesos vier Mal mehr Besucher an als Pompeji.

Pompeji: kein Zutritt für Besucher
Pompeji: kein Zutritt für Besucher

Dass Pompeji weltweit ein Begriff ist, beweist das Archäologische Nationalmuseum Neapel, wohin die meisten Funde der Ausgrabungen am Vesuv verschleppt wurden. Oft stehen Besucher dort vor leeren Wänden: Wer etwa das berühmte Mosaik „Cave Canem“ (Achtung Hund) sehen will, muss in diesem Winter ins ostdeutsche Halle. Andere Leihgaben zieren gerade großartige Ausstellungen im Musée Maillol in Paris, in der Hermitage St. Petersburg, in Boston und in Brasilien. In Pompeji selbst gibt es kein Antiquarium mehr, seit es die Engländer 1943 bombardiert hatten. Nördlich der Alpen wäre wohl mancher Museumsdirektor froh, wenn er eine einzige der Amphoren haben könnte, die in einem großen Lagerhaus hinter Pompejis Forum verstauben.

Agnes Duckwitz vom Verein „Phoenix Pompeji“ bezweifelt, dass Privatisierung helfen würde: „Wichtig wäre eine effizientere Personalpolitik. Heute werden weniger Sekretärinnen, Buchhalter und Fahrer benötigt, dafür mehr Restauratoren, Archäologen und Bauforscher.“ Pro Schicht schlurfen nur rund 20 Wärter über das 66 Hektar große Gelände; Neueinstellungen werden angeblich von alteingesessenen Wächterfamilien verhindert. Der letzte Mosaik-Fachmann soll vor zehn Jahren in Pension gegangen sein. Die Verwaltungschefs wechseln ständig und liegen im Dauerclinch mit sieben verschiedenen, gerne streikenden Gewerkschaften. Könnten vielleicht die Touristen so nett sein und mit eigenen Schaufeln die vermüllten Abwasserkanäle frei machen? Und bitte auch Stadtpläne von zu Hause mitbringen, denn die gibt es in Pompeji schon seit Juli nicht mehr.

An fehlenden Mitteln liegt es nicht, rechnete im vergangenen Sommer der damalige Kulturminister Galan vor: 2010 habe die Altertumsverwaltung für Pompeji und Umgebung 50 Millionen Euro zur Verfügung gehabt, aber nur 21 Millionen ausgegeben. Davon unbeeindruckt stapfte Anfang November EU-Kommissar Johannes Hahn zu den bröckelnden Mauern und verkündete: Die EU wird in den nächsten drei Jahren 105 Millionen Euro in die Rettung Pompejis investieren. Dass darauf Staatssekretär Ricardo Villari andeutete, bei den Ausgrabungen treibe die Camorra ihr Unwesen, weshalb man genau hinschauen müsse, wo das viele Geld lande – das kam nicht gut an. Wortreich empören sich Lokalpolitiker, Gewerkschafter, Verwalter und auch neapolitanische Mafia-Ermittler. Fad ist es am Vesuv eigentlich nie, selbst wenn der Vulkan mal nicht ausbricht.

Martin Ebner

Pompeji: Blick vom Forum zum Vesuv
Pompeji: Blick vom Forum zum Vesuv

Unser Pompeji

Am 24. August des Jahres 79 n.Chr. stieß der Vesuv 400°C heiße Gaswolken aus, die innerhalb von Sekunden alles Leben im Umkreis töteten. Danach wurden Pompeji und seine Nachbarorte unter einer meterhohen Schicht von Asche, Lava und Geröll begraben. Erst 1709 stießen Brunnenbauer auf die luftdicht konservierten Ruinen.

„Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte“, notierte Goethe nach einem Besuch Pompejis. Zu Hause schmückte der Dichter sein Arbeitszimmer mit Bildern der „mumisierten Stadt“. Die Wiederentdeckung der verschütteten Städte am Golf von Neapel versetzte Europa im 18. und 19. Jahrhundert in ein regelrechtes Antiken-Fieber.

Kunst, Mode und Architektur schwelgten in altrömischen Formen. Im Schlosspark Wörlitz wurde sogar ein 17 Meter hoher Nachbau des Vesuvs errichtet, den man von Zeit zu Zeit „ausbrechen“ ließ. Ein besonders großer Pompeji-Fan war König Ludwig I. von Bayern. Er ließ nicht nur die Hauptpost in München, das Toerring-Palais bei der Staatsoper, in seiner Lieblingsfarbe „Pompejanisch Rot“ streichen. In Aschaffenburg wurde für ihn eine Villa nach antikem Vorbild gebaut. Dieses „Pompejanum“ ist von April bis Oktober zu besichtigen.


Infos (last update: 29.04.2014)

– Der Münchner Verein „Phoenix Pompeji“ setzt sich für den Erhalt der antiken Ruinen ein: www.phoenix-pompeji.de
– Die schönen Internetseiten der Altertumsverwaltung Neapel sind fast informativer als ein Besuch vor Ort: www.pompeiisites.org (italienisch und englisch)
– Aktuelle Nachrichten zu den Ausgrabungen am Golf von Neapel bietet dieser Blog: www.bloggingpompeii.blogspot.com (vorwiegend englisch)
– Das Deutsche Archäologische Institut Rom veranstaltet schon seit 1890 jedes Jahr „Pompeji-Kurse“ für Gymnasiallehrer: www.dainst.org
– Die Fraunhofer Gesellschaft und andere Forschungsinstitutionen arbeiten in einem Projekt zum Schutze Pompejis zusammen: www.pompeii-sustainable-preservation-project.org

Mehr Fotos in meinem Flickr-Album.

Haus in Herculaneum
Besser gepflegt als Pompeji: Ruinen in Herculaneum

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Foto: Closed road in Pompeii, Italy; Fermita strato en Pompejo, Italujo; Gesperrte Straße in Pompeji, Italien


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