Historiker: Deutsche Forscher kämpfen um Troia, wie immer

About: Animated disputes between German researchers about the excavations in Troy, Turkey 
Pri: Konfliktoj de germanaj sciencistoj pri elfosdadoj de Trojo
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 01.03.2002


Homer oder nicht Homer?
          
Ein paar rauschebärtige Gelehrte und eine Handvoll Studenten, die in der Nase bohren, wen sonst lockt ein Streit um Scherben aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend an? Hunderte Schlachtenbummler und Dutzende Journalisten aus ganz Deutschland! Am Freitag und Samstag stürmten jeweils mehr als 600 Besucher das Symposium „Die Bedeutung Troias in der späten Bronzezeit“ im hoffnungslos überfüllten Audimax der Universität Tübingen. Die Abschlussdiskussion wurde live im Radio übertragen. Es geht eben nicht um irgendeinen Schutthaufen. Seit am Ende des 19. Jahrhunderts der Hobbyarchäologe Heinrich Schliemann gegen das wissenschaftliche Establishment seiner Zeit behauptete, auf dem türkischen Hügel Hisarlik den Schauplatz des von Homer besungenen Kriegs um Troia gefunden zu haben, bewegt das die Deutschen, mehr noch als die Frage, ob die alten Germanen Hörnerhelme hatten.  

Die Debatte in Tübingen ist der vorläufige Höhepunkt eines seit Juni tobenden Historiker-Streits um die Ausgrabungen in Troia, die 1988 wieder aufgenommen wurden. Der Anlass für die Kontroverse ist die Ausstellung „Troia – Traum und Wirklichkeit“, zu der in Stuttgart, Braunschweig und Bonn bisher über 770.000 Menschen kamen. Der Tübinger Historiker Frank Kolb warf dem Archäologen Manfred Korfmann, der ebenfalls an der Uni Tübingen lehrt und die Grabungen in Troia leitet, mit polemischen Anwürfen vor, die erfolgreiche Schau sei „Irreführung der Öffentlichkeit“. Aus den Funden, die der „Däniken der Archäologie“ vorweisen könne, folge keineswegs, dass Troia in der Bronzezeit eine bedeutende Handelsstadt gewesen sei – sondern allenfalls eine kleine Bauernsiedlung, die nicht mit Homers Ilias in Verbindung gebracht werden dürfe.
 
Populäre Zeitschriften reagierten darauf mit Sonderheften. Je mehr Wissenschaftler sich mit esoterischen Details zu Wort meldeten und Partei ergriffen, desto mehr kamen die Medien zu der Ansicht, eigentlich gehe es um ganz einfache Dinge. „Rufmord“ witterte zum Beispiel die FAZ, „Neid und Eifersucht“ vermutete nicht nur die Stuttgarter Zeitung: Auf der einen Seite stehe mit Korfmann der berühmteste Archäologe Deutschlands, Manager eines spektakulären Großprojekts von 60 Wissenschaftlern aus 13 Staaten und erfolgreicher Werber um Sponsorengelder (allein die in Bonn gezeigte Computer-Visualisation der Grabungsergebnisse kostete 1,1 Millionen Euro). Auf der anderen Seite stehe der Althistoriker Kolb als Experte für antike Städte im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit. Zu dem klassischen Konflikt zwischen Feldforschern und Stubengelehrten kämen auch noch politische Divergenzen: Korfmanns Ansicht, starke Wurzeln der europäischen Kultur seien in Anatolien zu finden, passe nicht nur den Anhängern der klassischen Antike nicht, sondern störe auch die Gegner eines türkischen EU-Beitritts. Und während die deutsche Bundesregierung darum kämpft, dass Russland den 1945 erbeuteten „Goldschatz des Priamos“ an Berlin zurückgibt, meint Korfmann, „Funde gehören dorthin, wo sie gefunden wurden“, zum Beispiel in ein neues Museum in Troia.  

Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, erst einmal diese Nebenkriegsschauplätze zu befrieden. Bei der Tübinger Diskussion zu den wissenschaftlichen Hauptfragen bewegten sich jedenfalls die beiden Seiten nicht. Kolb wiederholte, Korfmann „wollte unbedingt das glanzvolle Troia Homers finden“ und gebe Spekulationen ohne Belege als bewiesen aus. Zum Beispiel seien in Troia keine Scherben von Transportbehältern gefunden worden, was von einem Handelszentrum aber zu erwarten sei. Homer hätte nie in einer „Residenzstadt“ stehen können, sondern allenfalls „am Dreschplatz“. Die Stadtmodelle der Ausstellung, die vor der Burg von Troia eine dicht besiedelte Unterstadt zeigen, führten zu einem „neuen Mythos um Troia“ und „müssen entfernt werden“. Als Kolb unterstellte, Korfmann habe „andere als wissenschaftliche Motive“, wurde er mit lauten Buh-Rufen eingedeckt.

Ansonsten ertrug das Publikum stundenlang geduldig und klaglos die Vorträge, die sich zum Teil in Details der Grabungsschicht „Troia VI“ und Feinheiten der hethitischen Sprache verloren. Es forderte sogar längere Diskussionsbeiträge. Außer Kolb und Korfmann stellten elf weitere Hauptredner den aktuellen Forschungsstand der Archäologen, Altorientalisten, Althistoriker und Homer-Forscher vor. Ihre teilweise kindischen Revierkämpfe hatten mitunter hohen Unterhaltungswert: Der Tübinger Korfmann-Verteidiger Frank Starke zeigte ein Dia des in Keilschrift abgefassten „Manabarhunta-Briefs“ und forderte, der Münchner Professor Dieter Hertel, wichtigster „Kronzeuge“ Kolbs, möge doch eine Zeile vorlesen. Hertels Antwort, er könne keine Keilschrift lesen, quittierte der Hethiter-Experte unter allgemeinem Gejohle mit: „Das weiß ich. Ich wollte nur, dass die anderen es auch wissen.“

Korfmann gab sich unaufgeregt und erläuterte, für übertreibende Bildunterschriften im Begleitband der Ausstellung, die Troia zur „Metropole“ machten, sei er nicht verantwortlich, die Stadtmodelle seien zur Veranschaulichung für Schulklassen gedacht. Die Bevölkerungszahl von Troia sei „Verhandlungsmasse“, es „können auch weniger gewesen sein“. Archäologen hätten eine andere Sicht als die Historiker, nämlich nicht von Vorderasien, sondern von Europa aus: „Wir leben in zwei Welten“. Auf den Verbreitungskarten, im Zusammenhang mit Funden auf dem Balkan und beim Schwarzen Meer, liege Troia verkehrsgünstig im Zentrum von plausiblen Handelswegen zwischen Asien und Europa.

Korfmanns Kollege Harald Hauptmann räumte jedoch Fehler beim Sprachgebrauch ein: Die Archäologen hätten auf Definitionen, die von anderen Forschungsdisziplinen verwendet werden, zu wenig Rücksicht genommen. Besonders genau mit der Wortwahl nahmen es die Homer-Philologen. Joachim Latacz von der Uni Basel sah in der Ilias, die Homer auf der Basis von Überlieferungen zusammengestellt habe, den „letzten Ausläufer einer uralten Erinnerung“, nämlich an die mykenische Zeit. Die Grabungen in Troia könnten die deutsche Homer-Forschung von ihrem 160 Jahren alten Streit um die Autorenschaft der Ilias erlösen. Für Wolfgang Kullmann von der Uni Freiburg beschreibt der berühmte Epos dagegen nur eine „frei imaginierte Vergangenheit“ und könne daher kaum zur Erforschung des bronzezeitlichen Troias beitragen. Die zahlreichen Namen und Details in der Ilias habe Homer im siebten oder achten Jahrhundert vor Christus den Siegerlisten der Olympischen Spiele entnommen, sie seien keine Überlieferung aus dem 12. Jahrhundert, in dem der Troianische Krieg stattgefunden haben soll.
 
Zeitweise war das Symposium turbulenter als gemeinhin von Altertumsforschern erwartet: Der Versuch eines Professors, mit den Worten „Ich bin einer der wenigen, die was von diesen Dingen verstehen“ ein Teach-in zur Keilschrift zu erzwingen, wurde vom Moderator durch Entreissen des Mikrofons beendet. Die dreistündige Abschlussdiskussion verlief aber friedlich. Brav gelobten die Vertreter der verschiedenen Disziplinen, in Zukunft einander zu respektieren und Mißverständnisse durch gesittete Gespräche auszuräumen. Die geforderte öffentliche Entschuldigung blieb Kolb allerdings schuldig. „Das Verständnis für den anderen ist manchmal schwer, das Nichtwissen groß“, sagte Korfmann in seinem Schlußwort. Am Vorgehen der Archäologen gebe es jedenfalls nichts zu ändern. Er werde in Troia weitergraben: „Die Karawane zieht weiter.“

Martin Ebner

 

Links (last update: 06.05.2014):

  • Die Ausstellung „Troia – Traum und Wirklichkeit“ war in der Kunsthalle Bonn bis 1. April 2002 zu sehen: www.troia.de

 


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