Signpost in taipei

Chinesisch und Computer

About: How the introduction of computers is changing Chinese writing
Pri: Konsekvencoj de komputiloj por la ĉina skribo
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 05.07.2002


Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Chinesen sind radikalen Wandel gewohnt. Dass sich aber ihre Zeitungen über Nacht um 180 Grad drehen – das war für die Chinesen, die in Amerika wohnen, doch eine Überraschung. Was früher die Rückseite war, ist seit dem chinesischen Neujahrsfest der Titel, wo die Artikel aufhörten, fangen sie jetzt an. Die Texte der pro-taiwanesischen US-Zeitung „World Journal“ sind nun nicht mehr von rechts nach links und senkrecht von oben nach unten, sondern in waagrechten Zeilen von links nach rechts gedruckt. Die „Sing Tao“ ging noch weiter: statt der traditionellen Schriftzeichen, die noch in Taiwan und Südostasien verwendet werden, gebraucht sie nun die „vereinfachten“ Schriftzeichen der Volksrepublik China.

„Verrat!“ riefen erboste Leser. „Kalte Krieger!“ gab Marco Liu, „World Journal“-Chefredakteur, in einem Radiointerview zurück. Mit Annäherung an kommunistische Sitten habe der Seitenwechsel nichts zu tun. Man wolle lediglich englische Worte im Text zitieren können und Immigranten aus der Volksrepublik als Leser gewinnen. Vor allem aber hätten die Journalisten den Kontrast Zeitung – Computer nicht mehr verkraftet: „Auf den Bildschirmen sehen wir Texte von links nach rechts. Wir wollten einfach mit den elektronischen Medien kompatibel werden.“

Auch sonst könnten Computer Veränderungen für die über 4000 Jahre alte chinesische Sprache bringen. Erst muss das Problem gelöst werden, tausende nicht-alphabetische Sinnzeichen mit einer Tastatur von 26 lateinischen Buchstaben zu bewältigten. Theoretisch gäbe es auch die Möglichkeit einer Spracheingabe, in der Praxis fehlt aber eine einheitliche Aussprache für die Zeichen. Den Südchinesen zum Beispiel fällt es sehr schwer, das Pekinger Standardchinesisch korrekt ausszusprechen. Ausserdem werden jeder Silbe im Schnitt 17 verschiedene Schriftzeichen zugeordnet.

Die verbreitetste Methode ist daher eine Eingabe von Silben mit der Tastatur – das PC-Programm schlägt dann eine Reihe von Zeichen zur Auswahl vor. Zwei „normale“ ASCII-Zeichen nebeneinander werden dabei vom Computer als ein chinesisches Zeichen dargestellt. Die verbreitesten Codes dafür sind BIG 5, der taiwanesische Standard mit rund 14 000 Zeichen, und GB, der Standard der Volksrepublik mit rund 7 000 Zeichen. Diese Codes sind nicht miteinander kompatibel. Wer Internetseiten des jeweils anderen Lagers lesen will, braucht Zusatzsoftware. Weil das an Chaos noch nicht reicht, hat Hongkong einen eigenen Standard.

Immerhin ist Chinesisch mit dem Computer viel einfacher, als früher mit meterbreiten Schreibmaschinen, deren Tausende Tasten eine Sache für Spezialisten waren. Schon unken Pessimisten, wer mit dem PC schreibe, erkenne zwar Schriftzeichen noch passiv, beherrsche sie aber nicht mehr aktiv. Nur durch ständiges Schreiben mit der Hand bleibe die Strichfolge von schwierigen Zeichen im Gedächtnis.

Die Chinesen werden ihre Zeichen aber kaum verlernen, meint Raoul Findeisen von der Uni Bochum: „Von den insgesamt 60 000 Schriftzeichen gelten 13 000 als Standard für 99,85% aller Texte. Zum Lesen einer Zeitung reichen etwa 3 000 Zeichen aus. Die seltenen Zeichen wurden schon immer nur von einer Minderheit beherrscht, schon vor den Computern. Aktiv beherrscht werden die 13 000 Zeichen von einer Handvoll Philologen, keinesfalls über zehntausend.“ Das Schreiben mit Computer sei eher ein Vorteil, weil es die Kenntnis der Hochsprache fördere. „Es nimmt weniger die ohnehin durchschnittlich geringe Fahigkeit ab, seltene Zeichen zu schreiben, sondern die Fahigkeit, in mehrgliedrigen Worten die korrekten Zeichen zu benutzen.“ Ganz wie im Deutschen: Je leichter und umfangreicher die Textproduktion, desto mehr Schlamperei.

Und wer sagt denn, dass man nicht auch mit dem Computer per Hand schreiben kann? „Legend“, der größte chinesische PC-Hersteller, hat für Senioren ein Modell ohne Tastatur entwickelt, bei dem mit dem Finger direkt auf den Bildschirm geschrieben werden kann, und sei es noch so komplizierte Schriftzeichen.

Martin Ebner

N.B. (20.06.2015):
„Children’s Chinese character-reading performance significantly decreases with the utilization of the pinyin input method and e-tools in general“, found researchers in Singapore. The study „China’s language input system in the digital age affects children’s reading development“ was published in 2012.

The Chinese Version by Jia
In ihrem Werk „The Chinese Version“ vermischt die Künstlerin Jia chinesische Schriftzeichen, so dass sie keinen Sinn mehr ergeben. Damit macht sie auf die Folgen der radikalen Schrift-Vereinfachung in der Volksrepublik China aufmerksam, die seit den 1950er Jahren bis heute zwei Drittel der traditionellen Schriftzeichen aus Publikationen verbannt – und damit dem Vergessen preisgibt. (gesehen im Oktober 2015 bei der „Globale “ des ZKM in Karlsruhe)

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Foto: Direction sign towards intelligent life in Taipei, Taiwan. Vojmontrilo al inteligenta vivo en Taipei, Tajvano. Wegweiser zu intelligentem Leben in Taipei, Taiwan

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Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.