Container train in Australia

Container: Die unaufhaltsame Einheitskiste

About: History of freight containers
Pri: Historio de konteneroj
Published, Aperis: Südwestpresse, 24.06.2006


Standardisierte Blechboxen revolutionieren die Welt

Quadratisch, praktisch, stapelbar: ohne Container gäbe es keine Globalisierung. Die Verlagerung von Fabriken nach China und anderswo lässt wiederum den Bedarf an Transportbehältern explodieren. Ausgebucht sind die Werften, die Container-Schiffe bauen. Die großen Seehäfen platzen aus allen Nähten und die boomende Logistikbranche bricht einen Rekord nach dem anderen.

Zarte Hände bewegen per Knopfdruck tonnenschwere Frachten: Im Hamburger Hafen haben in diesem März erstmals vier Frauen eine Ausbildung zur Fahrerin von Containerbrücken begonnen. Die gigantischen Kräne waren eine letzte Männerbastion. Windenführer und Stauer sind schon länger ausgestorben; wer Bilder von muskelbepackten Schauermännern sehen will, muss ins Schifffahrtsmuseum. Seit es Container gibt, ist nichts mehr so, wie es einmal war.

Begonnen hatte die Revolution des Verkehrs 1937 in einem Hafen von New Jersey. Genervt beobachtete der 23jährige Trucker Malcolm McLean, wie Hafenarbeiter Baumwollballen einzeln aufs Schiff wuchteten: Wäre es nicht viel schneller, wenn man gleich den ganzen Lastwagen verfrachten würde? McLean, der es in wenigen Jahren vom Bauernjungen zum zweitgrößten Fuhrunternehmer der USA brachte, verfolgte diese Idee nach dem Weltkrieg weiter.

Da skeptische Bahngesellschaften und Reedereien nichts vom Transport ganzer LKW-Ladungen wissen wollten, kaufte McLean ein paar alte Schiffe und gründete die Spedition „Sea-Land“. Erst transportierte er damit komplette Lastwagen, dann nur noch die Anhänger, schließlich entwickelte er eigene Wechselbehälter. Als Geburtstag des Containerverkehrs gilt der 26. April 1956: Der umgebaute Öltanker „Ideal X“ verlässt den Hafen von Newark (New Jersey) mit 58 Metallkisten; fünf Tage später werden die Boxen in Houston (Texas) wieder auf Lastwagen umgeladen.

Die neuartigen Kisten wurden nur kurz belächelt. In der Internationalen Standardisierungs-Organisation einigte sich die sonst so zerstrittene Menschheit sogar auf einheitliche Maße dafür. Die Vorteile sind offensichtlich: Das aufwändige und gefährliche Hantieren mit einzelnen Ballen, Fässern, Säcken und Kasten entfällt. Waren können mit einem Bruchteil der einst benötigten Arbeitskraft auf Lastwagen, Bahn und Schiff verladen werden. Die Fracht ist besser gegen Wetterschäden und Diebstahl geschützt. Der Umschlag wird enorm beschleunigt. Wenn Fahrzeuge, Lager und Infrastruktur auf Container ausgerichtet sind, wird der Platz viel effizienter genutzt.

Bereits im Vietnamkrieg wurde ein Großteil des amerikanischen Nachschubs mit den Blechschachteln befördert. Um nicht leer heimzufahren, nahmen die „Sea-Land“-Schiffe auf dem Rückweg Spielzeug und billige Elektrogeräte aus Hongkong, Taiwan und Japan mit.

Europa traf die Welle mit zehnjähriger Verspätung. Nach einem Zwischenstopp in Rotterdam fuhr McLeans Frachter „Fairland“ am 6. Mai 1966 in Bremen ein, wo Lademeister Bodo Meyer den ersten Container in Deutschland begrüßte. Bereits 1968 stachen die ersten deutschen Containerschiffe in See: „Elbe Express“ und „Weser Express“ konnten jeweils 750 Boxen an Bord nehmen. Bald wurde auf allen Schiffslinien der herkömmliche Stückgutverkehr aufgegeben, zuerst über den Nordatlantik, zuletzt 1981 nach Südafrika. Heute werden 95 Prozent des weltweiten Frachtaufkommens mit Schiffen transportiert und davon wiederum 70 Prozent mit Containern – praktisch alles außer Tank- und Massengütern wie Öl, Kohle oder Getreide. Derzeit sind rund 18 Millionen Container für den internationalen Verkehr registriert.

Containerschiffe im Hafen Hamburg, Deutschland
Containerschiffe im Hafen Hamburg, Deutschland

Alte Häfen, etwa New York und London, die sich nicht anpassen konnten, landeten im Abseits; andere, die wie Rotterdam oder Hamburg rechtzeitig neue Terminals bauten, stiegen auf. Tausende Hafenarbeiter wurden arbeitslos. Einzelnen Unternehmern gelangen erstaunliche Karrieren: Der Kreuzfahrt-Kapitän Gianluigi Aponte zum Beispiel heiratete eine Schweizer Bankierstochter und konnte sich 1970 mit ihrer Hilfe ein Schiff für den Verkehr Italien-Somalia kaufen. Heute gehören dem Ehepaar 282 Frachter. Ihre „MSC“ mit Sitz in Genf ist die zweitgrößte Container-Reederei der Welt, gleich nach der dänischen „Maersk“, die seit der Übernahme von „Sea-Land“ und „P&O Nedlloyd“ mit 585 Schiffen die Rangliste anführt. Nach „CMA-CGM“ (Frankreich) und „Evergreen“ (Taiwan) kommt die deutsche „Hapag-Lloyd“ mit 135 Schiffen auf Platz fünf. Dahinter drängeln schon „Cosco“ und andere Chinesen.

Container krempelten nicht nur die Seefahrt und die Hafenstädte völlig um, sondern die ganze Weltwirtschaft: Transportkosten spielen praktisch keine Rolle mehr. Bei Konsumgütern machen sie nur noch weniger als ein Prozent des Gesamtpreises aus: Bei einem Handy aus Taiwan vielleicht zwei Cent, bei einer Weinflasche aus Australien fünf. Einen Container auf der stark befahrenen Ost-West-Route von Shanghai nach Europa zu schicken, kostet etwa 1800 US-Dollar. In der Gegenrichtung ist man schon mit weniger als 200 Dollar dabei, denn da fahren die Schiffe oft leer. Der Behälter selbst kostet je nach Stahlpreis rund 2000 Dollar und kommt meist aus China, dem Land, das nicht zuletzt dank Container zur Fabrik der Welt wird.

Die Schiffe werden zunehmend auch in China gebaut. Deutsche Firmen sind immerhin noch bei kleinen „Feedern“ führend, Zubringern für den Nahverkehr, etwa in der Ostsee oder im Mittelmeer. Den Giganten liefern sie oft Spezialteile zu, zum Beispiel die Steuerruder. Wenn nicht ein Sulzer-Diesel von der Größe eines Einfamilienhauses für die Beschleunigung auf etwa 50 Stundenkilometer sorgt, macht das bestimmt ein 94.000-PS-MAN-Motor, der zusammen mit dem zehn Meter großen Propeller das Teuerste am ganzen Schiff ist. Das Geld dafür kommt auch häufig aus Deutschland: etwa ein Drittel aller Container-Frachter ist in deutschem Besitz. Bis so ein 120-Millionen-Dollar-Kahn finanziert ist, muss einiges an Steuersparfonds, Bankkrediten, Leasing- und Charterverträgen kunstvoll miteinander verknüpft werden.

Neue Mega-Pötte mit einer Kapazität von mehr als 8000 Standardcontainern (TEU) sind auf die Schnelle auch für viel Geld nicht zu haben, denn die 12 geeigneten Werften im dänischen Odense, in Südkorea, Japan und China sind allesamt bis 2008 komplett ausgelastet. Immer neue Rekorde werden gebrochen: Im März 2005 wurde die „Colombo Express“ mit 8750 TEU als größtes Containerschiff der Welt gefeiert, schon im Sommer bot die „MSC Pamela“ 9200 TEU und die „Gudrun Maersk“ 9500. Das nächste Maersk-Schiff wird es heuer auf über 12.000 TEU bringen. Hyundai Heavy Industries kündigt bereits 13.440 TEU an: 382 Meter lang, 54 Meter breit, 13,5 Meter Tiefgang. Durch den Panama-Kanal passen diese Kolosse schon lange nicht mehr; die Breite der Malacca-Straße zwischen Malaysien und Indonesien wird vorerst noch respektiert.

Kein Wunder, dass die Landeplätze mit der Kisten-Flut kaum noch mithalten. In Hamburg, dem vor Bremen und Duisburg größten deutschen Hafen, wurden 2005 für ein Einzugsgebiet, das bis Rumänien reicht, über acht Millionen Container umgeschlagen – bis 2015 wird mit jährlich 18 Millionen gerechnet. Obwohl durch den neuen Terminal Altenwerder Transport-Roboter flitzen und der Umschlag weitgehend automatisiert wurde, hängen in der Hansestadt über 100.000 Arbeitsplätze direkt vom Containerumschlag ab. Wenn die Umweltschützer verlieren und die Elbe ausgebaggert wird, könnten es noch mehr Globalisierungsgewinner werden. Wenn nicht, verlagert sich das große Geschäft vielleicht nach Wilhelmshaven, wo gerade für eine Milliarde Euro ein neuer Hafen für Schiffe bis 16,5 Meter Tiefgang gebaut wird.

Tiefe Becken, Satelliten-gesteuerte Transporter und Hafenkräne mit Laser-Sensoren nützen allerdings nicht viel, wenn die Anbindung ans Hinterland nicht klappt. Die ist derzeit das Hauptproblem der Logistiker: Eine durchschnittliche Autobahn verkraftet in 24 Stunden gerade mal 9.000 LKW. Ein einziges Container-Schiff füllt auf einen Schlag 100 Güterzüge. Die USA sind da im Vorteil: Doppelstock-Container-Züge brettern quer durch den amerikanischen Kontinent und verhelfen dort der Bahn im Güterverkehr zu einem Marktanteil von über 40 Prozent.

In Europa wird der endgültige Siegeszug der Container dadurch behindert, dass ihre Maße nicht zu den Euro-Paletten passen. Im Binnenverkehr werden daher oft eigene Wechselbehälter verwendet, die weniger stabil sind, nicht gestapelt werden können und sich von Land zu Land unterscheiden. Die EU-Kommission, die mehr Güter auf Schiffe und Bahnen bringen will, schlägt daher vor, eine neue „intermodale Ladeeinheit“ einzuführen: breit genug für zwei Euro-Paletten und kompatibel mit allen Verkehrsmitteln. Bisher ist von dem EU-Container außer der neuen Abkürzung „ILU“ aber noch nichts zu sehen. Werften, Hafenbetreiber und Transporteure haben in den letzten 50 Jahren Milliarden in ihre Anlagen investiert und finden, auch die europäischen Landratten sollten sich der Welt-Einheitskiste anpassen.


Das Maß aller Dinge

Die Grundeinheit des globalen Güterverkehrs ist der „Standardcontainer“ nach ISO-Norm: 20 Fuß lang, 8 Fuß breit, 8 Fuß und 6 Zoll hoch (in Metern: 6,1 x 2,4  x 2,6). Eine solche Stahlkiste wiegt leer rund 2400 Kilo und kann mit einem Ladevolumen von 33 Kubikmetern an die 22 Tonnen Fracht aufnehmen.
Ein Standardcontainer entspricht einer „Zwanzig-Fuß-Äquivalenz-Einheit“, auf Englisch kurz „TEU“. Damit lassen sich verschieden große Container vergleichen, etwa die 30-Fuß-Boxen des Pioniers Malcolm McLean mit den neuen 53-Fuß-Giganten, die bislang allerdings nur auf US-Sattelzüge passen. Die weltweit am meisten verwendeten Behälter sind 40 Fuß (12,2 Meter) lang und werden folglich von der Statistik jeweils als 2 TEU gezählt. In TEU wird auch die Ladefähigkeit von Frachtschiffen und die Umschlagleistung von Häfen angegeben.
Ob groß oder klein: im internationalen Verkehr darf sich kein Container ohne CSC-Zulassungsschild, das der Container-Sicherheits-Konvention entspricht, blicken lassen. Die zuständige Registrierbehörde ist das „Bureau Internationale des Containers“ in Paris. Jede Kiste bekommt einen „B.I.C. Code“: drei Großbuchstaben zeigen den Besitzer an, ein Buchstabe den Behältertyp, dann kommt die sechs Ziffern lange Containernummer und zum Schluss noch eine Kontrollziffer. Nur die Meereswellen verweigern sich zuweilen der Planung – jedes Jahr spülen sie ein paar Tausend Container über Bord.

Martin Ebner

Infos (last update: 05.05.2014):

  • „Die Containerstory“ ist ein Film von Thomas Greh zum Jubiläum der Boxen: www.containerstory.com
  • Containerisation International“ weiß alles über die Blechkistenbranche.
  • Kulturwissenschaftler nörgeln unter www.containerwelt.info über die „Herrschaft der Containerisierung“.
  • Hans Jürgen Witthöfts Buch „Container – Die Mega-Carrier kommen“ erscheint bereits in der zweiten Auflage (Köhlers Verlag, 2004).
  • Die Fotografin Sabine Vielmo porträtiert in dem Band „30.000 Seemeilen“ die moderne Handelsschifffahrt (Wachter Verlag, 2004).

N.B. 04.06.2017: Die Kiste am Beginn der Globalisierung

Ward'sche Kiste (Nachbau von Andreas Hildebrandt im Deutschen Gartenbaumuseum in Erfurt)
Ward’sche Kiste (Nachbau von Andreas Hildebrandt im Deutschen Gartenbaumuseum in Erfurt)

Der Londoner Arzt N.B. Ward konstruierte im Jahr 1827 einen fast luftdicht verschließbaren Behälter, der Pflanzen vor Salzwasser und Sonne schützte. Damit konnten exotische Pflanzen rund um die Welt transportiert werden – und sie kamen lebendig an. In der Folge blühten überall Botanische Gärten auf…

 


Foto: Container train in the Nullarbor desert, Australia. Trajno apud Cook, Aŭstralujo. Frachtzug bei Cook, Australien


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