Mural in Bratislava's station

Sputnik und Kaputtnik: Wettrennen ins All

About: Jubilee of Sputnik, the first satellite 
Pri: Datreveno de Sputnik, la unua satelito
Published, Aperis: Südwestpresse, 29.09.2007


Raumfahrt / Bahnbrechende Blechkugel

Sputnik und Kaputtnik

Vor 50 Jahren begann das Wettrennen ins All

Der erste künstliche Erdsatellit, den die Russen am 4.Oktober 1957 in die Erdumlaufbahn schickten, war nicht nur ein erster Schritt ins Weltall, sondern auch ein erster Höhepunkt des Kalten Krieges: Das Nebenprodukt der sowjetischen Rüstungsforschung traumatisierte die Amerikaner und startet den Wettlauf in den Weltraum.

Psychologen nennen das Ersatzbefriedigung: Wenn Großmächte streitlustig sind, aber sich nicht richtig bekriegen wollen, schießen sie Raketen ins Weltall und überbieten sich mit fantastischen Projekten. Die USA planen ab 2018 eine permanente Basis auf dem Mond, um von dort Astronauten auf den Mars zu schicken. China kündigt bemannte Mondflüge ab 2017 an und startet heuer zur Vorbereitung einen Satelliten. Bereits am 14. September gingen drei japanische Mond-Satelliten auf die Reise. Indien will im nächsten Frühling mit einem Satelliten geeignete Plätze für Mondbasen suchen. Im Jahr 2030 soll der erste Nigerianer den Mond betreten. Die Russen sind noch am Überlegen, wie sie ihre Öl-Milliarden im luftleeren Raum anlegen sollen; das 2005 angekündigte Raumschiff „Clipper“ soll nun jedenfalls doch nicht gebaut werden, da es für bemannte Mond- oder Mars-Expeditionen nicht tauglich sei.

So aufregend wie zu seinem Beginn wird das Wettrennen ins All aber wohl nie wieder werden. Während heute die Sternenkrieg-Visionen von George W. Bush kaum Aufsehen erregen, war der Auftritt von Dwight Eisenhower am 29. Juli 1955 eine echte Sensation: Der damalige US-Präsident kündigte an, Amerika werde einen künstlichen Satelliten starten und „zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit Beobachtungen jenseits der Erdatmosphäre machen“. Einen Tag später erklärte auch die sowjetische Regierung, ein Objekt ins All zu schicken.

Der russische Raumfahrt-Pionier Konstantin Ziolkowski hatte schon 1903 berechnet, wie ein von ihm so genannter „Sputnik“ (Weggefährte) eine Erdumlaufbahn erreichen könnte. In den USA trommelten Science-Fiction-Autoren für Stationen im All. Amerikanische und sowjetische Militärs freundeten sich mit dem Gedanken an, nachdem sie im besiegten Nazi-Deutschland die Rakete A4, bekannt als „Vergeltungswaffe V-2“, samt deren Erbauern erbeutet hatten. Spionage-Flugzeuge wurden immer wieder abgeschossen – wären da nicht höher und schneller fliegende Satelliten eine gute Idee? Den Steuerzahlern wurden die Projekte in Ost und West als wissenschaftliche Beiträge zum „Internationalen Geophysikalischen Jahr 1957/58“ verkauft.

In den USA verzettelten sich bald Marine, Luftwaffe und Heer mit jeweils eigenen Raumfahrt-Unternehmen. Überhaupt wurden die amerikanischen Raketenpläne zunächst nur halbherzig vorangetrieben; für den Transport ihrer Atombomben setzte die Supermacht auf Flugzeuge. Die Sowjets aber konnten den rund um ihr Land stationierten US-Langstreckenbombern nichts entgegensetzen und arbeiteten daher mit Hochdruck an Langstrecken-Raketen. Nach drei Fehlstarts klappte am 21. August 1957 zum ersten Mal der Flug einer R-7 von Kasachstan bis Kamtschatka. Ausgelegt war die „Semjorka“, eine Weiterentwicklung der deutschen A4-Rakete, auf eine Nutzlast von 5.000 Kilo und eine Reichweite von 8.000 Kilometer, das heißt darauf, die 1953 entwickelte Wasserstoffbombe in die USA zu schießen. Die sowjetische Nachrichtenagentur veröffentlichte dazu eine Kurzmeldung, die im Westen aber nicht beachtet wurde.

Chruschtschow ging unbeeindruckt schlafen

Sergej Pawlowitsch Koroljew, der Chefkonstrukteur des sowjetischen Weltraumprogramms, verfolgte dagegen westliche Publikationen aufmerksam. Als US-Wissenschaftler für den 6. Oktober 1957 eine Schrift zum Thema „Satelliten über dem Planeten“ ankündigten, geriet er in Panik, denn er interpretierte das als Starttermin der Rivalen. Sein Beitrag zum Forschungsjahr, ein mit Instrumenten vollgestopfter, 1327 Kilo schwerer Satellit, war noch längst nicht fertig. Hastig ließ Koroljew daher in nur vier Wochen einen „Minimum-Satelliten“ bauen: eine Alublech-Kugel mit 58 Zentimeter Durchmesser, 83,6 Kilo Gewicht, gefüllt mit nichts als Stickstoff, einem kleinen Funksender, Temperaturmesser, Silber-Zink-Batterien zur Versorgung und vier Antennen. Um den Amerikanern auf jeden Fall zuvorzukommen, wurde eilig eine R-7 startklar gemacht. Am 4. Oktober 1957 hob sie um 22:28 Uhr Moskauer Zeit ab und brachte PS-1 („Einfacher Sputnik-1“) in 295 Sekunden ins All.

Die sowjetische Führung begriff vorerst gar nicht, was da gelungen war. Parteichef Chruschtschow hielt das Ganze für einen weiteren Raketentest und ging unbeeindruckt schlafen. Erst am nächsten Tag, als sich die amerikanischen Medien vor Aufregung überschlugen, erkannte die Parteizeitung „Prawda“ den PR-Wert: Das erste von Menschen geschaffene Objekt kreiste auf einer Ellipse 288 bis 947 Kilometer über dem Erdboden. Seine Piepstöne waren 21 Tage lang zu hören, nach 92 Tagen und 1440 Erdumrundungen sank dann Sputnik-1 in tiefere Schichten der Erdatmosphäre und verglühte. Das kommunistische Lager jubelte. Die DDR gestaltete den Fernsehturm in Ostberlin als Sputnik-Kugel und taufte ein Auto „Trabant“.

Sputnik model in the Helsinki City Museum, Finnland
Sputnik model in the Helsinki City Museum, Finnland

Vergeblich versuchte die US-Regierung, den „Klumpen Metall“ als „dummes Flitterzeug“ abzutun. Die amerikanische Öffentlichkeit, die fest an die technologische Überlegenheit ihres Landes geglaubt hatte, war geschockt. Das Entsetzen steigerte sich zur Hysterie, als nach nicht einmal einem Monat Sputnik-2 aufstieg. Weniger, weil darin die Hündin Laika nach vier eher unbequemen Tagen verglühte, sondern weil sein Gewicht erschreckte: 508 Kilo. Die Sowjets waren nun offensichtlich in der Lage, Atombomben auf die USA zu schießen – und die Flugzeuge der US-Abwehr ungefähr so nützlich wie eine mittelalterliche Stadtmauer gegen Kanonenkugeln. Zur Schließung der „Raketenlücke“ wurde eiligst die Rüstungsindustrie in Schwung gebracht, die „zivile“ Raumfahrtagentur NASA gegründet und Milliarden für verbesserte naturwissenschaftliche Ausbildung mobilisiert. Und um gegen einen sowjetischen Atomschlag gewappnet zu sein, wurde das Computer-Netz des Kriegsministeriums dezentralisiert – den Sputniki verdanken wir nicht zuletzt das Internet.

Zunächst aber konnte nur ein eigener Satellit die Ehre der USA wieder herstellen. Zum Start lud Washington Journalisten aus aller Welt ein: Am 6. Dezember 1957 hob eine Rakete der Marine eineinhalb Meter ab – und fiel dann in einem feurigen Inferno zusammen. Der 1,6 Kilo leichte Satellit „Vanguard-1“ (Vorhut-1) wurde arg verbeult, sendete aber brav Signale aus den rauchenden Trümmern am Boden.

Während die Amerikaner die Fernsehzuschauer an diesem „Kaputtnik“ und weiteren Flops live teilhaben ließen, hielten die Sowjets nicht nur Unfälle geheim, sondern den größten Teil ihres Weltraumprogramms. Koroljews Identität etwa wurde erst 1966 enthüllt, als er bei einer Operation starb und an der Kremlmauer in Moskau beigesetzt wurde.

Kosmodrom in der kasachischen Steppe

Der Sputnik-Abschussplatz war nicht mehr recht geheim, nachdem ein US-Spionageflugzeug ihn bereits im Sommer 1957 fotografiert hatte. Aus Prinzip bekam er trotzdem einen Tarnnamen, nämlich nach dem 300 Kilometer entfernten Ort Baikonur. Rasch entwickelte sich das „Kosmodrom“ in der kasachischen Steppe zu einer Stadt, deren 100.000 Einwohner sich vor allem mit Raketen-Tests beschäftigten. Von der Sputnik-1-Rampe starteten auch Juri Gagarin, der erste Kosmonaut, und diverse Mond-Sonden, zum Glück aber nie die dort bis 1966 bereitgehaltene Atombombe. Im Jahr 2000 feierte die Plattform mit einem Flug für die Raumstation ISS ihren 400sten Start.

Mittlerweile sind die meisten sowjetischen Satelliten verglüht oder pensioniert. Von den derzeit 863 künstlichen Erdtrabanten, die das UNO-Register als „aktiv“ führt, gehören mehr als 400 den USA, Russland nur 89, was im Vergleich mit China (35), Luxemburg (13) oder Deutschland (10) eher wenig ist. Zum Sputnik-Jahrestag kommt nun allerdings der russische Kleinsatellit „Jubilejny“ dazu und wird Amateurfunkern „Informationen über die Geschichte der Weltraumerschließung“ senden. Die übrige Menschheit kann sich an einer Sonderausgabe der russischen Post erfreuen. Immerhin haben 50 Jahre Raumfahrt außer Raketenwaffen, Mikroelektronik und Solarzellen auch etwas Schönes gebracht: große bunte Briefmarken.

Martin Ebner


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Foto: A communist era mural in the main station of Bratislava, Slovakia, shows i.a. the Sputnik; Malnova komunista murpentraĵo en la stacidomo de Bratislava, Slovakujo, montras i.a. sateliton „Sputnik“; Sputnik fliegt im Hauptbahnhof Bratislava, Slowakei

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