Golf player in Taupo, New Zealand

Tücken der Technik

About: Books on innovation and technology flops
Pri: Libroj pri fiaskoj de inventistoj
Published, Aperis: Stuttgarter Nachrichten (†), 24.04.2001


Mach nur einen Plan

Technik entwickelt sich oft nicht so, wie Techniker denken

„Der Normbürger schluckt seine 2000-Kalorien-Frühstückspille und schlüpft in einen frischen Wegwerfanzug. Mit seinem Elektro-Auto flitzt er über unterirdische Autobahnen zur Arbeit…“ So malte sich 1968 der Futurologe Herman Kahn das Jahr 2000 aus. Sogar Nudelwerbung hatte damals Visionen: Die „Birkel Zukunftsbilder“ schwärmten von vollautomatischen Küchen und Überschallflugzeugen, Atomlokomotiven und Wohnungen ganz aus Plastik. Machbar wären diese Utopien mittlerweile schon längst. Warum warten wir immer noch auf Geschirrspül-Roboter, selbstfahrende Autos und sprachgesteuerte Häuser? Oder warten wir vielleicht gar nicht mehr?

„Scheitern ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Mindestens zwei Drittel aller technischen Entwicklungen sind Misserfolge“, sagt Reinhold Bauer von der Hamburger Universität der Bundeswehr. Der Historiker erforscht Flops: Das meiste, was sich Tüftler ausdenken, kommt gar nicht erst auf den Markt. Und selbst wenn die Technik funktioniert, die Medien sich vor Begeisterung überschlagen und der Staat mit Subventionen hilft, ist der Durchbruch noch lange nicht sicher.

Für seine Forschungsarbeit „Gescheiterte Innovationen. Fehlschläge und technologischer Wandel“ untersuchte Bauer zum Beispiel den Hydrobergbau: In den 1970er Jahren hielten es Ingenieure für eine geniale Idee, Kohle einfach mit Wasser aus dem Berg zu spritzen. Ein Testbergwerk im Ruhrgebiet entpuppte sich aber als teure und viel zu heiße Sauna. Vor allem entsprachen große Wasserpistolen „nicht der etablierten Vorstellung von Bergbau“: Das neue Verfahren verlangte eine „mentale Anpassungsleistung“, zu der die „stark traditionsbewussten Bergleute“ nicht bereit waren. Selbst die beste Planung kann nicht verhindern, dass Neuerungen zum Beispiel an kulturellen Vorbehalten scheitern, erläutert Bauer: „Fortschritt bewegt sich nicht von Erfolg zu Erfolg. Er entsteht durch ein irres Rumsuchen, mit vielen Seitenpfaden, die plötzlich im Nichts verlaufen oder versanden.“

Dass die technische Entwicklung nicht gradlinig in eine immer bessere Zukunft führt, betont auch der Zukunftsforscher Matthias Horx: „Es ist ein Irrtum, die Technologie vergangener Zeiten als primitiv anzusehen. Versuchen Sie einmal, mit einem Laptop einen Löwen zu jagen!“ Manchmal versuchen Firmen, uns neuen Kram anzudrehen, obwohl wir mit einer alten Wurfkeule völlig zufrieden sind.

In seinem Buch „Technolution. Wie unsere Zukunft sich entwickelt“  untersucht Horx ebenfalls, warum Innovationen scheitern. Einen Hauptgrund für Utopie-Flops sieht er darin, dass etablierte Technologien „zur Projektionsfläche für Steigerungsfantasien“ werden. Diese Träume faszinieren zwar Techniker, lassen aber die restliche Menschheit kalt. Zum Beispiel spekulierten schon unzählige Sci-Fi-Filme, dass nach dem Erfolg des Autos als nächster Schritt Raketenrucksäcke, Solokopter und überhaupt individueller Flugverkehr kommen müssten. Tatsächlich stagniert die Privatfliegerei aber – in der Luft überlassen die meisten Reisenden die Steuerknüppel nach wie vor lieber Profis.

Ähnlich am Massenmarkt vorbei geht das Bildtelefon. Schon vor 100 Jahren wurden erotische Fernschauen, Telebesuche bei Verwandten oder Telelernen für logische Weiterentwicklungen des Telefonierens gehalten. „Heute ist die private Videotelefonie ein Untoter der Technikgeschichte“, stellt Horx fest: „Viele Menschen besitzen Video-Handys – und wissen es noch nicht einmal!“ Wenn zum Ton auch das Bild übertragen wird, kann man nicht mehr einfach mal anrufen, sondern muss erst den Finger aus der Nase nehmen und seine Frisur richten: „Kinder lassen sich per Fernvideo gut betrachten, aber nur, so lange sie klein sind.“

Der intelligente Kühlschrank, der Bestellungen vermailt, ist ebenfalls ein Dauer-Märchen. Horx sieht darin eine „männliche Automatisierungsutopie“, eine Fehlübertragung aus der Büro- in die viel chaotischere Familienwelt: Unsere Vorlieben und Essgewohnheiten ändern sich ständig und oft wissen wir selbst nicht so genau, was wir wollen – bevor man das mit einem Schrank ausdiskutiert, geht man schneller selbst in den Supermarkt.

Horx kommt zu dem Schluss, dass sich die Technologie ähnlich wie die biologische Evolution in einer Schleifenbewegung entwickelt – mit unerwarteten Rückschlägen, überraschenden Neuanfängen, toten Sackgassen. Obwohl man folglich die Zukunft nicht einfach vom heutigen Stand der Technik ableiten kann, besteht der Futurologe darauf, dass sich durch aufmerksame Beobachtung Trends prognostizieren lassen. Für die nächsten Jahre tippt Horx zum Beispiel auf „Simple Tech – die Wiederkehr der Einfachheit“, „Bionik-Tech“, sowie den Kampf bequemer „Verschweinungs-Tech gegen Fitness-Tech“. Grandiose Zukunftsvisionen sind auch durch Flopforschung nicht umzubringen.

Martin Ebner

Bücher:

  • Reinhold Bauer: Gescheiterte Innovationen. Fehlschläge und technologischer Wandel, Campus Verlag
  • Matthias Horx: Technolution. Wie unsere Zukunft sich entwickelt, Campus Verlag


N.B.
(04.05.2014): Zitat von Bertolt Brecht (Dreigroschenoper):
Ja, mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht
und mach dann noch ’nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.

N.B. (18.03.2024):
Das holländische „Instituut voor Briljante Mislukkingen“ hat schon länger nichts mehr veröffentlicht. Sollte es etwa ein Flop werden?!?


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