Japanische Museumsträume

About: Exhibition in Kobe about the history of art museums in Japan
Pri: Ekspozicio en la urbo Kobe pri historio de artaj muzeoj en Japanujo
Sponsor,
Sponsoro: Krupp-Stitung
Published, Aperis: taz – die tageszeitung, 06.08.2002


Die neuerbaute Kunsthalle in Kobe präsentiert die Geschichte des Museums in Japan

Darf ein Kunstmuseum Damenschuhe verkaufen? Warum nicht; ein anständiges Kaufhaus hat ja auch eine eigene Gemäldegalerie. Die Eröffnungsausstellung der von Tadao Ando erbauten Kunsthalle in Kobe zeigt, wie in Japan seit 120 Jahren westliche Kunstverehrung und einheimischer Kommerz zusammenfinden.

Nicht nur das zweitgrösste Museum Japans, eine «Kirche für unsere gegenwärtige Gesellschaft» habe er in Kobe bauen wollen, sagt Tadao Ando. Von der neuen Hafenpromenade aus sieht sein im April eröffnetes Kunstmuseum einschüchternd aus: Über einer grossen Freitreppe türmen sich drei gigantische Betonquader auf, die kantigen Flächen werden nur von Fenstern und schwarzen Geländern unterbrochen. Beim Näherkommen zeigt sich, dass die «Kirche» des vielfach preisgekrönten Architekten so streng gar nicht sein will: Mit Ausblick auf den Haupteingang sind ein Café und ein Restaurant angeordnet. Die «Erwartungen der Betrachter zu betrügen» ist Andos Absicht: «Was von aussen scheinbar einfach und symmetrisch aussieht, entpuppt sich im Inneren als räumlich komplex.»

Nach dem Labyrinth des betongrauen Treppenhauses finden sich die Besucher überraschend vor einem Backsteinhäuschen wieder. Der Nachbau des ersten japanischen Kunstmuseums steht am Eingang der Ausstellung «Der Traum eines Museums: 120 Jahre Bijutsukan-Konzept in Japan». Mit 250 Werken bekannter westlicher und japanischer Künstler, zahlreichen Fotos, Katalogen und Architekturmodellen präsentiert diese Schau die Geschichte der japanischen Kunstmuseen. Sie will auch «die Gelegenheit bieten, ernsthaft über die Zukunft dieser Institution nachzudenken».

Natürlich gab es in Japan schon vor der Meiji-Zeit Kunst, und sie wurde auch gesammelt. Tempel etwa bewahrten Geschenke auf und stellten sie zeitweise aus. Kunstliebhaber luden Freunde zur Besichtigung ihrer Schätze ein. Die Vorstellung, dass man Kunstobjekte auf einen Sockel stellen und davor in Ehrfurcht erschauern müsse, scheint den Japanern jedoch fremd gewesen zu sein. Bei «shogakai» genannten Gelagen zum Beispiel malten Künstler von den Gästen gewünschte Motive, während die Zuschauer assen und tranken, anschliessend wurden die Gemälde verkauft. Ein Wort für «Kunst» gab es im alten Japan nicht.

Erst als sich Japan dem Westen öffnete, entdeckten Vertreter der Meiji-Regierung, die Weltausstellungen besuchten, dass ein moderner Staat auch ein Kunstmuseum haben müsse. In Tokyo wurde deshalb 1877 in der «Landesausstellung zur Förderung von Industrie und Handel» ein 25 mal 10 Meter grosser Pavillon aufgestellt, der zum ersten Mal in Japan «Kunst» zeigte: Über dem Eingang waren «Fine Art Gallery» und das dafür neugeschaffene Wort «bijutsukan» zu lesen. Mehr als 450.000 Besucher sahen die «Dinge, die mit Talent und Handwerkskunst hergestellt wurden»: traditionelle japanische Bilder, nach westlichem Vorbild gerahmt an der Wand aufgereiht, dazu Ölbilder im westlichen Stil, Kalligraphie, Skulpturen und Fotos, aber auch Briefmarken und Blumenvasen.

Dieser Pavillon prägte für Jahrzehnte das japanische Verständnis von «Kunstmuseum»: eine temporäre Einrichtung einer Verkaufsausstellung, die zeitgenössische Kunst zeigte, wobei die Exponate nach Aufrufen an die Öffentlichkeit als Leihgaben zusammenkamen. Nach dem Vorbild des Salons in Paris veranstaltete das japanische Bildungsministerium ab 1907 jährlich eine «Bunten» genannte nationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Die Jury dieser Schau, die Preise vergab, legte auch fest, was als «Kunst» galt, nämlich ausschliesslich Malerei im japanischen und westlichen Stil und Bildhauerei. Gleichzeitig begann der japanische Staat, Objekte für ein künftiges Nationalmuseum moderner Kunst anzukaufen. Vor dem Zweiten Weltkrieg scheiterten alle staatlichen Bauprojekte. Das 1926 eröffnete Kunstmuseum der Präfektur Tokyo erwarb nie eine ständige Sammlung, sondern vermietete lediglich Räume.

Kunst im Warenhaus

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schlossen sich deshalb Künstler zu Ausstellungsgesellschaften zusammen und eröffneten private Galerien. Grosse Warenhäuser gründeten ebenfalls Kunstabteilungen – bis heute staunen westliche Touristen, wenn sie zwischen Haushaltswaren auf Werke renommierter Künstler stossen. Besonderes Aufsehen erregte der Schriftstellerkreis «Shirakaba», der westliche Kunst befürwortete. Auguste Rodin schenkte diesen Enthusiasten drei kleine Skulpturen. Da es in Japan kein Museum gebe, dem Rodin anvertraut werden könne, starteten die Schriftsteller 1920 eine unerwartet erfolgreiche Kampagne für den Bau eines Privatmuseums. Mit Geld von 1300 Spendern kauften sie Werke von Cézanne, Dürer und Van Gogh. Nach dem grossen Kanto-Erdbeben gaben sie allerdings auf.

Der Avantgarde-Maler Nakahara Minoru baute 1924 in Tokyo eine eigene Galerie und zeigte «Neue Nordeuropäische Kunst», zum Beispiel Klee und Hodler. Ein weiteres, «Musée de noir» genanntes Projekt konnte Nakahara nicht verwirklichen: Ein UFO-ähnliches, schwarzes Ausstellungsgebäude auf einem Berg, das sich mit der Sonne drehen und im Inneren aufgehängte Bilder auf vorbeifliegende Wolken projizieren sollte. Weniger utopisch war die Absicht des Schiffstycoons Matsukata Kojiro, das grösste Museum westlicher Kunst ausserhalb Europas zu errichten. Matsukata interessierte sich kaum für Kunst; er sah es als patriotische Aufgabe, Japanern die Gelegenheit zum Lernen zu geben, und kaufte 1916 bis 1927 von der Renaissance bis zu Gauguin rund 2000 Kunstwerke an. Die grandiose Sammlung wurde jedoch in alle Welt verkauft, als Matsukata in Finanznöte geriet; nur 400 französische Werke sind heute in dem 1959 von Le Corbusier erbauten Nationalmuseum westlicher Kunst in Tokyo zu sehen.

Besser erging es der Sammlung des Unternehmers Ohara Magosaburo, der sich ebenfalls kaum für Kunst interessierte, aber dem Maler Kojima Torajiro ein Stipendium gab. Als Kojima 50 Gemälde, die er bei Monet und Matisse gekauft hatte, in Schulen zeigte, war Ohara vom Erfolg dieser Ausstellungen so beeindruckt, dass er Kojima auf weitere Einkaufstouren schickte und zum Beispiel «Nachmittag in den Alpen» von Giovanni Segantini erwarb. 1930 wurde in Kurashiki das Ohara-Kunstmuseum als erstes Museum westlicher Kunst in Japan eingeweiht.

Mit der Eröffnung des Museums moderner Kunst in Kamakura und des Nationalmuseums moderner Kunst in Tokyo gab es nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals Institutionen, die Kunst nicht nur ausstellten, sondern auch sammelten. Die Künstler brachen allerdings zunehmend aus den Museen aus und schufen immer radikalere Werke. Besonders sichtbar wurde das in der jährlichen «Unabhängigen Ausstellung» der Zeitung Yomiuri ab 1949. Zunächst sollte eine verschärfte Hausordnung Kunstwerke, die «unangenehmen Lärm machen», «schlecht riechen» oder «den Museumsboden beschädigen» fernhalten; 1963 hatte Yomiuri genug und stellte die Veranstaltung ein.

Ein Sammler, der nicht vor zeitgenössischer Kunst kapitulierte, war Yamamura Tokutaro, der sich von 1955 bis Mitte der 80er Jahre auf japanische Avantgardekunst spezialisierte. Sein Ansatz: Dokumentation von Performances, Interviews mit Künstlern über Happenings und Rekonstruktion von Werken, die zerstört wurden, etwa von Freiluftinstallationen. Ein anderes Projekt für den Umgang mit unkonventioneller Kunst entwarf 1975 der Künstler Yamaguchi Katsuhiro: Sein «Imaginarium» sollte mit Hilfe von Video, Sofortbildkameras, Kopiergeräten und einem Satelliten ermöglichen, jederzeit Bilder zu empfangen, verarbeiten und weiter zusenden, war also ein Vorläufer des Internets.

Kobe, das vierte Museum moderner Kunst

Während lange nur wenige Kunstmuseen in Japan existierten, brach ab 1970 ein Gründungsfieber aus; allein Tadao Ando baute rund 30 Museen. Oft wurde dabei der möglichst spektakulären Architektur mehr Aufmerksamkeit zuteil als den Sammlungen. Viele Museen organisierten keine eigenen Ausstellungen, sondern fungierten als Vermieter von Räumen. Das Kunstmuseum in Kobe, zu dessen «Einzugsbereich» auch der Kansei-Ballungsraum um Osaka gehört, machte da zunächst keine Ausnahme.

Als viertes «Museum moderner Kunst» in Japan wurde es 1970 in einer Betonschachtel nach dem Vorbild des Corbusier-Museums in Tokyo eingeweiht. Gleich nach der Eröffnung war es für Jahre ausgebucht. Neben jährlich sechs bis neun Sonderausstellungen von aktueller Kunst aus der Kansei-Region und Werken bekannter Namen wie Chagall oder Christo blieb kein Platz für eine ständige Sammlung. Dann wurden jedoch Kunst aus der Region, Drucke und «moderne Skulpturen», etwa von Lehmbruck, Brancusi und Giacometti, angekauft. Heute zählt die rasch wachsende Sammlung rund 7000 Objekte. Der Wunsch, wenigstens einen Teil davon zu zeigen, führte zu der Aufgabe des ersten Gebäudes, das nicht nur zu klein, sondern auch beim Erdbeben 1995 schwer beschädigt worden war.

Mit 27.500 Quadratmetern bietet der Ando-Bau Platz für acht permanente Ausstellungssäle. Zwei davon sind Koiso Ryohei und Kanayama Heizo, Künstlern aus Kobe, gewidmet. In den anderen werden bis Juli Sammlungsstücke «von Meiji bis heute» gezeigt. Von August bis November ist Avantgarde aus der Yamamura-Sammlung, die nun im Besitz des Museums ist, zu sehen. Nächstes Jahr sind Holzschnitte und «Formen», eine Ausstellung für Blinde, geplant.

Das rund 380 Millionen Franken teure Kunstmuseum soll viel mehr sein als ein Ausstellungsort: ein Symbol für den Wiederaufbau der Stadt Kobe. «Häuser, Strassen, Hafenanlagen: die Hardware ist weitgehend wieder hergestellt. Was noch fehlt, ist aber der spirituelle Wiederaufbau», sagt Museumsdirektor Shigenobu Kimura: «Dieses geistige Revival ist das Ziel des Museums. So wie in New York: Diese Stadt war 1960 am Ende, dann hat das neue Lincoln-Kulturzentrum die Renaissance von New York ausgelöst. Das Kunstmuseum Kobe hat die gleiche Mission.» Besucher, denen das als Trost nicht reicht, können am Ausgang eine Karte ausfüllen und eine Reise nach Paris gewinnen.

Martin Ebner

Katalog: „The Dream of a Museum. 120 years of the concept of the `bijutsukan` in Japan“ (japanisch, englische Summaries der wichtigsten Texte)

Link (last update: 29.04.2014):
Hyogo Prefectural Museum of Art: www.artm.pref.hyogo.jp/eng/home.html


 


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Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.