Irish style party in Höfn, Iceland

Nichttödliche Waffen: Hände hoch oder es stinkt!

About: Malodorant non-lethal weapons
Pri: Stinkaj ne-mortigaj armiloj
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 23.07.2004


Rüstungsforscher arbeiten an atemberaubenden Gerüchen

Kommt Gift aus der Klimaanlage? Ein Anschlag? Bestialischer Gestank trieb im August 1999 in Washington verängstigte Angestellte des Senats aus ihren Büros. Zum Glück konnten Chemiewaffen-Experten rasch Entwarnung geben: In der Kantine des Gebäudes fanden sie verfaulende Zwiebeln, die in einer Tüte vergessen worden waren. Solche Attacken auf die Nasen könnten sich bald häufen – aber nicht aus Versehen, sondern weil Soldaten oder Polizisten selbst Stinkbomben werfen.

Rüstungsforscher entwickeln übelriechende Mittel, die Demonstranten in die Flucht schlagen, Plünderer vergraulen oder Geiselnehmer zur Aufgabe zwingen sollen. Gedacht wird auch daran, tödliche Landminen durch muffelnde Geländesperren zu ersetzen. Hooligans könnten mit stinkenden Markierungen beschossen und dann am Eingang des Fußballstadiums mit elektronischen Sensoren erschnüffelt werden. Möglich wäre auch der Einsatz bei Verhören: „Gestehen Sie endlich oder sollen wir die Flasche ‚Thiophenol-Knoblauchgeruch‘ aufmachen?“

Am meisten ist über diese Forschungen in den USA bekannt, weil dort Bürgerinitiativen dank Informationsfreiheitsgesetz Auskünfte erzwingen können. Koordiniert und finanziert wird die amerikanische Stinkbomben-Entwicklung vom „Joint Non-Lethal Weapons Directorate“ (Militär) und dem „National Institute of Justice“ (Polizei). Sie haben alte, anrüchige Projekte wiederbelebt.

Im Zweiten Weltkrieg hatte der US-Geheimdienst OSS ein Stinkmittel namens „Who me?“ produziert. Mit der an verwesende Leichen erinnernden Schwefelmischung sollten in Frankreich deutsche Nazis beträufelt werden. Sie war jedoch zu flüchtig und verpestete die ganze Umgebung. Wenig erfolgreich verliefen auch Experimente mit dem Fäkalien-Konzentrat „US-Regierungs-Standard-Toilettengeruch“ in Asien: Die Japaner blieben völlig unbeeindruckt; sie waren wohl wegen der damaligen unhygienischen Zustände Gestank gewohnt, vermuteten die US-Forscher. Im Vietnamkrieg suchten sie vergeblich nach Düften, die speziell Vietnamesen umhauen sollten. Geplant war auch, normale Sprengbomben mit Stinkmitteln zu kombinieren, damit nach einer Weile der Geruch allein Panik auslöse.

Vor sechs Jahren nahm die US-Stinkforschung einen neuen Anlauf. Das „Edgewood Chemical Biological Center“ der Armee entwickelte Kriterien für Geruchswaffen: Sie sollten „von der Zielgruppe als sehr unangenehm empfunden werden“, schnell zu verbreiten und erkennen sein, keine rasche Gewöhnung erlauben und längere Zeit wirken, damit als Gegenmaßnahme nicht einfach Atemanhalten reicht. Vielversprechend für einen weltweiten, kulturübergreifenden Einsatz seien Schwefel- oder Stickstoffverbindungen, die an die Zersetzung von organischem Material erinnern. Also an Gerüche, die entstehen, wenn Bakterien etwa Abfälle, Schweiß an den Füßen oder Nahrungsmittel im Darm zerkleinern.

Einen angeborenen Widerwillen gegen bestimmte Düfte scheint es nicht zu geben, ergaben Versuche mit verschiedenen ethnischen Gruppen am „Monell Chemical Senses Center“ in Philadelphia. Die Reaktion sei „überraschend Kontext-abhängig“: Buttersäure erinnerte die einen an Erbrochenes, andere an leckeren Käse. Verbranntes Haar wurde von manchen mit Grillnachmittagen assoziiert, Stinktiere mit Sommerferien. Zimt dagegen hielten Südafrikaner für gefährlich. Es seien vor allem unbekannte Gerüche, die das Hirn wegen drohender Gesundheitsschäden alarmieren, den Magen umdrehen, den Atem flacher und den Herzschlag schneller werden lassen. Dass sie auch die elektrische Leitfähigkeit der Haut erhöhen, könnte für den Einsatz von Elektroschockern interessant werden.

Für 195.000 Dollar rührten die Monell-Forscher dem Militär eine „Stink-Suppe“ aus „Who me?“ und sechs weiteren Komponenten an. Zur endgültigen Verwirrung des Geruchssinns mischten sie auch wohlriechendes Zedernholz bei. An der Staatsuniversität Kansas wurden dazu Studien zur Umweltverträglichkeit und Giftigkeit abgeschlossen, zum Beispiel Versuche mit Ratten und Meerschweinchen. Stinkmittel seien relativ harmlos, bei starker Dosierung könne es aber zu Gesundheitsschäden kommen: Unterleibskrämpfe, Atemnot, Lungenödeme, Beklemmungsgefühle, Kopfweh, Verbrennungen, gereizte Augen, aber auch Schläfrigkeit.

Die texanische „Ecological Technologies Corporation“, die einem Ex-Offizier gehört, hat sich für „Malodorant-Kompositionen“ diverse Patente gesichert: „Der Gebrauch von abscheulichen olfaktorischen Stimuli, um menschliches Verhalten zu kontrollieren oder verändern, ist ein attraktives Konzept für moderne Kriegführung und Konfliktmanagement.“ Die ideale Stinkbombe sei effektiv, aber ungiftig: Organische Schwefelverbindungen, etwa Methyl-Mercaptan; dazu als Geruchsverstärker Skatol (3-Methylindol verleiht Exkrementen ihren Duft, wird aber stark verdünnt auch Parfum beigemischt) und als Trägerflüssigkeit Pflanzenöl oder Wasser.

Ob Europa bei der Stinkrüstung mithalten kann und will, ist unklar. England kooperiert bei der Waffenentwicklung eng mit den USA; eine Studie für das britische Innenministerium hält Malodorants aber erst für mittelfristig interessant. Ihre Wirkung, zum Beispiel auf Asthma-Kranke, müsse noch besser erforscht werden, „in Wohngebieten könnte auch die Dekontaminierung ein Problem sein“. In Deutschland werde nicht an Stinkbomben gearbeitet, beteuern die Wehrtechnische Dienststelle für Schutz- und Sondertechnik der Bundeswehr in Schneizlreuth und das Polizeitechnische Institut in Münster. Die Zürcher Polizei informiert, sie habe vor 20 Jahren „durchaus erfolgreich“ Skunköl gegen Hausbesetzer eingesetzt, seither und in Zukunft aber nicht mehr – aus „ethischen Überlegungen“ und da nun Häuser erst unmittelbar vor Abriss oder Umbau geräumt würden.

Bisher kamen jedenfalls neue US-Waffen oft mit etwas Verzögerung nach Europa, zum Beispiel Pfefferspray, der 1987 vom amerikanischen FBI eingeführt wurde und nun auch hierzulande zunehmend Tränengas ersetzt. Auf der Pariser Fachmesse „Milipol“ wurden schon Stinkmittel angeboten. Munitionsfabrikanten wie die belgische „FN Herstal“ betonen ausdrücklich, dass ihre Tränengas-Platzpatronen auch für Malodorants geeignet seien.

Das neue Interesse von Militär und Polizei für „nicht-tödliche“ Chemikalien beunruhigt Menschen- und Völkerrechtler. Amnesty International fürchtet neue Folter- und Unterdrückungsmethoden. Das IKRK, Pugwash und ähnliche Organisationen sehen die internationale Chemiewaffenkonvention in Gefahr: Einer Mörsergranate sei nicht anzusehen, ob sie die Geschmacksrichtung „Ziegenbock“ oder tödliches Nervengas enthält. Die Stinkbombenproduktion könne als Tarnung für Schlimmeres dienen, daher müssten weiterhin ausnahmslos alle Chemikalien für militärische Zwecke verboten bleiben.

Derartige Bedenken werden die Geruchswaffen kaum aufhalten. Es wird auch schon eifrig an Anti-Stinkmitteln gearbeitet: Forscher der Uni Maryland haben ein Protein ausgemacht, dass im Hirn die Anpassung an Gerüche reguliert. Ein Biologe der US-Marine hat ein Gegenmittel mit dem Namen „Carry on“ entwickelt. Waffentechniker sind glückliche Menschen; sie schaffen sich ständig neue Beschäftigungen und werden nie arbeitslos.

Martin Ebner

Zum Thema Stinkbomben siehe auch das „Anticontactor“-Konzept von Pia M. Martin: Auf Knopfdruck hässlich – Sicherheit für Frauen.


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Foto: Non-lethal weapons: visitors of a party in Höfn, Iceland, dressed up „Irish style“. Ne-mortigaj armiloj: festo en Islando – en „irlanda stilo“. Nichttödliche Waffen: Besucherinnen einer Party in Höfn, Island, haben sich „irisch“ verkleidet.

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