Stalinist architecture in Moscow: river station at Volga channel

Russland: Verrückte Sowjetwunder: WDNCh in Moskau

About: History of VDNCh exhibition in Moscow
Pri: Historio de VDNCh ekspozicio en Moskvo
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 01.10.2004


Konsum statt Kommunismus: Moskaus „Disneyland“ nimmt einen neuen Anlauf

Das Paradies auf Erden wurde früher den Sowjetbürgern versprochen, und im Norden Moskaus zeigten ihnen die Kreml-Herren schon mal ein Modell davon: eine Art permanente Weltausstellung mit dem bescheidenen Namen „Allunions-Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“, kurz WDNCh SSSR. Zu Sowjetzeiten war sie für Besucher Moskaus ein Muss; zwischen Ostberlin und Wladiwostok gibt es nicht viele Haushalte, die keine Bilder von ihr besitzen, und sei es nur auf Postkarten, Briefmarken oder Streichholzschachteln. Heute müssen sich Touristen den Besuch manchmal geradezu ertrotzen, weil vielen Russen die aberwitzige Mischung aus stalinistischem Freilichtmuseum, Freizeitpark, Einkaufszentrum und botanischem Garten neben dem Fernsehturm Ostankino peinlich ist. Dabei hat das Russische Fremdenverkehrsbüro völlig recht: „WDNCh ist ein wirklich außergewöhnlicher Ort, ein verrücktes sowjetisches Wunderland.“

Hervorgegangen ist WDNCh aus der Landwirtschaftsausstellung WSChW, die 1939 auf ehemaligem Besitz der Grafen von Scheremetjewo eröffnet wurde, um die Bauern von den Segnungen der Planwirtschaft und elektrifizierter Kolchosen zu überzeugen. Nach dem Krieg wurde im August 1954 die Ausstellung in ihrer heutigen Form wiedereröffnet, zur Feier des frisch eroberten Weltmachtstatus noch größer, noch bombastischer. Wie das ungefähr zur gleichen Zeit entstandene Disneyland in den USA ist auch WDNCh als Gesamtkunstwerk angelegt: Architektur und Technik, Malerei und Musik, Filme und Wasserspiele – alle denkbaren Mittel wurden zur Verherrlichung des sowjetischen Traums eingesetzt.

An den monumentalen, von der goldenen Skulpturengruppe „Traktorist und Kolchosbäuerin mit Weizengarbe“ gekrönten Triumphbogen des Haupteingangs schließt sich eine riesige Allee an. Diese Hauptstraße der WDNCh läuft auf den „Pavillon Nr. 1“ zu, auf eine 97 Meter hohe Kathedrale im Zuckerbäckerstil: Auf einem Granitsockel tragen massige weiße Säulen mit Bronze-Kapitellen eine Art Kreuzung aus mexikanischer Pyramide und Wolkenkratzer. Von den neun Hallen im Inneren war die größte der „Gesetzgebung Stalins“ gewidmet.

Dahinter folgt auf dem „Platz der Kolchosen“ der 3700 Quadratmeter große und pro Minute 12.000 Liter Wasser ausspeiende Brunnen „Freundschaft der Völker“: 15 vergoldete Bronze-Schwestern in nationalen Trachten, aus jeder ehemaligen Sowjetrepublik eine, tanzen 12 Meter hoch über dem Wasser mit glücklichem Lächeln im Reigen um eine goldene Weizengarbe. Das Ensemble wird zuweilen lila oder grün oder in einer anderen Farbe angestrahlt. Früher mussten sich Staatsbesucher das anschauen. In Erinnerung geblieben ist besonders eine japanische Delegation, die an diesem heiligen Ort ganz undiplomatisch losprustete; es stellte sich heraus, dass der Dolmetscher ihnen etwas von „15 Prostituierten“ erzählt hatte.

Der Weg zu den weiteren Riesen-Fontänen „Steinblume“ und „Goldene Ähre“ wird von Ausstellungspavillons gesäumt. Nirgends sonst gibt es eine so abenteuerliche Zusammenballung verschiedenster Stile und Bauelemente: karelische Holzbauten und glasierte Ziegel aus Samarkand, armenische Bögen und georgische Kuppeln, klassizistische Säulen und goldene Mosaiken, Balustraden und Glasfenster. Kein Quadratzentimeter ist hier ohne üppige Verzierung, überall strecken Helden der Arbeit rote Fahnen in den Himmel, stemmen der Zukunft zugewandte Kolchosbäuerinnen Getreidegarben. Wo Blumenornamente, Weizenähren, pralle Früchte und andere Sinnbilder des Überflusses keinen Platz hatten, wurden wenigstens Hammer und Sichel eingemeißelt, selbst auf den Mülleimern prangt noch der rote Stern.

Ursprünglich sollte in der WDNCh jedes Gebiet der Sowjetunion mit einem „typischen“ Gebäude vertreten sein. Die Architekten gestalteten dabei allerdings recht frei: Um das Haus Sibiriens ranken sich Weintrauben und der ukrainische Pavillon sieht aus wie eine Moschee. Ihre Höhe richtete sich nach der Bedeutung, die der jeweiligen Gegend zugemessen wurde: 52 Meter für das Ausstellungszentrum Moskaus, 27 Meter für Usbekistan. Unter Chruschtschow wurden 1963 die Pavillons umbenannt und nicht mehr einzelnen Regionen, sondern Wirtschaftszweigen gewidmet: „Metallurgie“, „Kartoffelzucht“, „Kohle“, „Radioelektronik“ und so weiter. Sie zeigten früher außer bunten Gemälden á la „Feiertag in einer Kolchose“ meist Modelle – zum Beispiel das „Modell des Geflügelbetriebs Nr.6 in Cholmogori im Oblast Kostroma“. Daneben waren die hypothetischen Produkte des angepriesenen Musterbetriebes zu sehen, etwa Dosen mit Aufschriften wie „Hühnchen in Wein“ oder „Entenleber“ oder andere Waren, die Sowjetbürger nur auf der WDNCh zu sehen bekamen und sonst nie.

Außer 71 Ausstellungspavillons wurden auf dem 207 Hektar großen WDNCh-Gelände auch ein Vergnügungspark, ein Theater, ein Hochzeitssalon, ein Panoramakino, Kindergärten, ein Zirkus, eine Klinik für Menschen und eine für Tiere, eine Bibliothek, elf Restaurants und acht Cafés errichtet. Das Riesenrad „Moskau-850“ soll immer noch das größte Europas sein. Zur Freude der Kinder kam dazu eine Farm für Pferde, Kaninchen, Schweine, Hühner und weitere Tierarten. Die Hälfte der gigantischen Anlage wurde Parks und Gärten vorbehalten und mit 40.000 Bäumen, 450.000 Sträuchern und 5 Millionen Blumen aus allen Teilen der Sowjetunion bepflanzt. Obwohl mittlerweile von einst 700 „besten Landschaftsarchitekten und Gärtnern des Landes“ nur eine Handvoll übrig geblieben ist und die Grünflächen heruntergekommen sind, lassen sich hier bis heute zahlreiche exotische Gewächse entdecken.

1992 wurde aus WDNCh SSSR per Jelzin-Ukas die etwas undurchsichtige „Staatliche Aktiengesellschaft Allrussisches Ausstellungszentrum“, kurz WWZ. Die U-Bahn-Station heißt zwar weiterhin „WDNCh“ und das neue WWZ-Logo zeigt einen Stern und die Buchstaben „WDNCh“, aber das verwirrt nur Ausländer. Jetzt schallen aus den Lautsprechern nicht mehr Märsche und Parolen, sondern Popmusik. Während andere Moskauer Prunkbauten der Stalinzeit zerbröckeln und, wie zum Beispiel der Hafenbahnhof, amtlich als „lebensgefährlich“ eingestuft werden, sind die Fassaden der Pavillons zwar mit Werbeplakaten verunstaltet, sonst aber weitgehend unversehrt geblieben. Von ihrem alten Inhalt ist jedoch nicht viel übrig; sie werden nun meist als Kaufhäuser genutzt.

Im klassizistischen Tempel „Atomenergie“ werden nicht mehr Nuklearmeiler gepriesen, sondern Computer, Küchen und Wasserfilter verkauft. Die Alabaster-Eingangshalle des „Transport“-Pavillons führt nun zu Pelzen und deutschen Waschmaschinen; Pavillon Nr. 1 propagiert nicht mehr den wissenschaftlichen Fortschritt, sondern „magische Steine“. BHs sind jetzt wichtiger als die Baikal-Amur-Magistrale. Statt kommunistischer Belehrung werden heute vor allem Konsumgüter geboten: Autos, Bügeleisen, Honig, Waffen, für die Reichen auch Schwimmbäder und ganze Stadtrandvillen. Wer an dem ausrangierten Passagierflugzeug und der Weltraumrakete vorbei in die „Kosmos“-Halle geht, trifft dort nicht mehr auf Satelliten, sondern allenfalls Satellitenschüsseln aus Indien – und eine Katzenausstellung, sowie Gebrauchtwagen. Kioske verkaufen Socken mit Mickey-Mouse-Bildern und „Playboy“. An kaum einem anderen Ort wird die Niederlage des Sowjetimperiums so grausam deutlich. Die Bewerbung für die Expo 2010 ging auch daneben; China bekam mehr Stimmen.

Trotzdem gibt sich das WWZ ungebrochen optimistisch, nicht nur in seinem „virtuellen Pavillon“ im Internet. Mit jährlich über 330 „Ausstellungsmaßnahmen“ ist es immer noch Russlands größtes Messezentrum. Heuer waren zum Beispiel schon „Kartoffel 2004“, „Robotertechnik“ und „Aktive Outdoor-Erholung“ zu sehen, eine uniformierte „Miss Sicherheit“ wurde gewählt und „Eros Moskau“ zeigte „zum ersten Mal in Russland Sado-Maso und andere erotische Abweichungen“. Der „Feiertag der Butter“ kommt noch, ebenso das „Allrussische Jugendforum“ und eine große Energiemesse im August; im Dezember werden zahlreiche religiöse Organisationen zu „Russisches Wunder“ erwartet. Moskaus Kapitalismus ist vielleicht etwas eigenartig, aber nicht langweilig.

Da der Erdölrubel rollt, wird auf dem bizarren Gelände erstmals seit Jahrzehnten wieder gebaut: Bis 2005 soll ein neuer 40.000-Quadratmeter-Pavillon entstehen. Nördlich des Haupteingangs wurde gerade das berühmteste Denkmal der Sowjetunion, Vera Muchinas gigantische Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“, zersägt und abgerissen, um Platz für einen Komplex aus Supermärkten und Tiefgaragen zu machen; den skeptischen Anwohnern wurde allerdings versichert, dass die seit der Pariser Weltausstellung von 1937 weltbekannte „Mosfilm“-Ikone restauriert und nach Abschluss der Bauarbeiten in zwei Jahren wieder aufgestellt werde, diesmal als Symbol von „Optimismus und Wirtschaftswachstum“.

Im April ist es der neuen WWZ-Führung gelungen, den Basar im mittlerweile denkmalgeschützten „nationalen Erbe Russlands“ zu beenden und nach monatelangem Kleinkrieg zahlreiche Kleinhändler und Schaschlik-Brater, meist kaukasischer Herkunft, mit Hilfe der Bereitschaftspolizei von den Wegen und Plätzen zwischen den Pavillons zu vertreiben. Die „Völkerfreundschaft“ soll wieder in traditionellere Bahnen gelenkt werden: Die Staatschefs der „Mehrheit der GUS-Staaten“, also der Nachfolgeländer der untoten Sowjetunion, haben bei einem Treffen in Moldawien entschieden, die alte Sitte nationaler Ausstellungen wiederzubeleben und auf dem WDNCh-Gelände eine ständige GUS-Leistungsschau einzurichten. Armenien, Kirgisien und die Ukraine haben ihre Häuser schon in Betrieb genommen. Das „neue Kasachstan“ baute zur Neueröffnung von Pavillon Nr.20 Jurten auf, verteilte großzügig kasachisches Essen und betonte, man zeige „keinen sowjetischen Schmäh, sondern die realen Resultate von zehn Jahren Reformen“. Die Regionen der Russischen Föderation lassen es sich ebenfalls nicht nehmen, die „Errungenschaften der führenden Branchen zu präsentieren“ und – passend zum Tschetschenienkrieg – an der „Entwicklung der handels-ökonomischen und kulturell-humanitären Verbindungen“ zu arbeiten. Potemkinsche Fassaden werden an vielen Orten gebaut, aber mit der WDNCh-Erfahrung hält so schnell niemand mit.

Martin Ebner

Link (last update: 29.04.2014):
www.fairs.ru


 


Foto(21.05.1999): Same time, same style as VDNCh: river station in Moscow, Russia. Alia ekzemplo por la arkitekturo de Stalina tempo: stacidomo en la haveno de Moskvo, Rusujo.Zur gleichen Zeit entstanden wie die WDNCh: Flussbahnhof in Moskau, Russland.

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