Paul Bucherer in the Afghanistan museum in Bubendorf, Switzerland

Afghanistan / Schweiz: Asyl für Fliegenwedel und Buddha-Statuen

About: Afghan cultural treasures found asylum in a private museum near Basel, Switzerland.
Pri: afghanaj kulturaj tresoroj trovis azilon en privata muzeo apud la urbo Basel, en Svislando
Published, Aperis: Süddeutsche Zeitung, 01.09.2001


Afghanische Kulturschätze überleben in einem Dorf bei Basel

Eine Schweizer Fahne flattert im Wind, neben dem Restaurant „Frohsinn“ verkauft eine Gärtnerei Blumen, eine Schmalspurbahn zuckelt durch grüne Wiesen. Was hat Bubendorf mit Afghanistan zu tun? Was bringt den unauffälligen 6000-Einwohner-Ort südlich von Basel in Berichte der Unesco? An sich gar nichts – wenn hier nicht zufällig ein Bauunternehmen bankrott gegangen wäre. „Wir konnten das Wohnhaus und die Lastwagenhalle günstig kaufen“, erläutert Paul Bucherer. „Für uns ist es sogar gut, dass in der Umgebung keine Flüchtlinge aus Afghanistan leben. Wir müssen neutral bleiben.“

Im letzten Herbst eröffnete Paul Bucherer, ein Gewerbeschullehrer aus Liestal, in der ehemaligen Baufirma mit Geld von Sponsoren und ehrenamtlichen Mitarbeitern ein Museum, das antiken Statuen, alten Münzen, Buchillustrationen, Teppichen und anderen afghanischen Kostbarkeiten Zuflucht bieten soll, bis sie in ihre Heimat zurückkehren können. Die Unesco protestierte zuerst wütend, schließlich bekämpft die Kulturorganisation der Vereinten Nationen den Schmuggel von Kunstwerken und will, dass Kulturschätze grundsätzlich in ihrem Ursprungsland verbleiben.

Als aber im März die Taleban anfingen, alle Abbilder lebender Wesen zu vernichten und die berühmten Riesen-Buddhas von Bamian in einen Haufen Schutt und Staub verwandelten, kam die Unesco zu der Einsicht, dass in Afghanistan „gerettet werden muss, was noch zu retten ist“. Sie übernahm die Schirmherrschaft für das Museum in Bubendorf. Das ist nun ganz amtlich ein „weltweit einzigartiges Pilotprojekt“: Schutz von Kulturgütern außerhalb des Kriegsgebietes, mit dem Segen der UNO und der Zustimmung der Konfliktgegner.

Seit 1971 ist Bucherer fast jedes Jahr nach Afghanistan gereist, zuerst als Student, später als Architekt und Mitarbeiter des Roten Kreuzes. Heute leitet er das Schweizer Afghanistan-Institut, vermittelt bei Friedensverhandlungen und pflegt in dem Bürgerkriegsland gute Kontakte zu allen Parteien. „Die Idee zu dem Museum kam 1998 von den Afghanen selbst“, berichtet Bucherer. „Auf beiden Seiten fragten sich Leute, was sie nach mehr als 20 Jahren Krieg einmal ihren Kindern hinterlassen wollen, wenn ihre alte Kultur zerstört, alle Schätze geplündert und ins Ausland verkauft sind.“

Dass die Unesco monatelang die Bitten besorgter Afghanen ignorierte und erst nach den schockierenden Fernsehbildern aus dem Bamian-Tal erlaubte, afghanische Kulturgüter ins Exil zu schicken, will Bucherer nicht weiter kommentieren. Stattdessen erzählt er vor einer Vitrine mit gräko-baktrischen Figuren: „1923 haben die Franzosen mit dem afghanischen König einen Vertrag gemacht und ein archäologisches Monopol ausgehandelt. Sie durften in dem Land Grabungen durchführen; die Hälfte der Funde ging in den Besitz der Franzosen. Die Hälfte dieser Funde ist also heute in Sicherheit – im Musée Guimet in Paris.“

Im Gegensatz zu den großen Weltmuseen verstehe sich seine Sammlung jedoch strikt als „Hort zur vorübergehenden Aufbewahrung“, versichert Bucherer. „Ich bin nur Treuhänder. Sobald die Umstände es gestatten, werden die Objekte unter Schirmherrschaft der Unesco und Aufsicht der Eidgenossenschaft nach Afghanistan zurückgebracht.“ Sein Museum kaufe auch grundsätzlich keine Objekte, sondern akzeptiere nur Leihgaben und Geschenke. Kunsthändlern teure Preise für „antikes“ Schmuggelgut zu bezahlen, empfehle sich ohnehin nicht: „Das höchste Ziel afghanischer Künstler ist es, möglichst genau den historischen Vorgaben zu entsprechen. Es gibt zum Beispiel Reiterfiguren, die seit 2000 Jahren unverändert hergestellt werden. Diese unheimliche Traditionstreue erschwert oft, Objekte zu datieren.“

Vertreter von Ahmad Shah Massud, dem Kommandanten der Nordallianz, brachten Bucherer Bronzen. Ihre Feinde, die Taleban, schickten alte Musikinstrumente und hunderte Glasplatten mit Fotos aus dem 19. Jahrhundert, die sie eigentlich auf Anweisung ihres Mullah Omar hätten zerstören müssen. Aus dem verwüsteten Nationalmuseum in Kabul kam zum Beispiel der Gehstock von Abdurrahman Khan nach Bubendorf. Um 1880 hatte der Gründer des modernen afghanischen Staats Gesetze genehmigt, indem er mit diesem Rosenholzstab auf den Boden schlug. Auch die rund 60 Besucher, die pro Woche durch den mit türkis Ornamentkacheln geschmückten Museumseingang kommen, steuern zur Sammlung bei. Zum Beispiel übergaben zwei reuige Afghanistan-Touristen einen tausendjährigen Grabstein, den sie vor Jahren gestohlen hatten.

Bisher haben rund 2000 Objekte in Bubendorf Asyl gefunden. „Wir sind nicht daran interessiert, nur wertvolle archäologische Funde zu sammeln. Weil wir den im Ausland geborenen Flüchlingskindern zeigen wollen, wie es in ihrer Heimat einmal ausgesehen hat, bewahren wir auch ganz normale Gebrauchsgegenstände“, sagt Bucherer. „Heute sind zum Beispiel traditionelle Kleider weitgehend durch westliche Industrie-Ware ersetzt worden. Und statt schön ziselierter Kupferschalen werden Massenprodukte aus Kunststoff verwendet.“ Auch der Yak-Schwanz-Fliegenwedel von 1965, der neben bestickten Kappen in einer Vitrine liegt, sei bereits eine Rarität: „Die Kirgisen sind in die Türkei ausgewandert, und in Afghanistan gibt es kaum mehr Yaks.“

Die Exponate liegen in Vitrinen, die mit den afghanischen Nationalfarben schwarz-rot-grün bemalt sind. Bucherer kennt jeweils den Hintergrund, zum Beispiel zu den niedrigen Stühlen aus Ostafghanistan: „Das Recht, sich in der Ratsversammlung auf einen Stuhl zu setzen, muss man sich sehr teuer erkaufen. Nur wer das ganze Dorf, also 600, 700 Leute, zum Festessen einlädt, darf einen Hocker mitbringen. Wer das Dorf noch einmal einlädt, darf sich auf einen Stuhl mit Rückenlehne setzen. Heute haben aber nur noch wenige Afghanen so viel Geld.“

Die Schwarz-weiß-Bilder neben den Möbeln stammen von der Deutschen Hindukusch-Expedition 1935, erläutert Bucherer. „Die Afghanen sind ja ein indoeuropäisches Volk, zum Beispiel ist ein Großteil der Grimm’schen Märchen auch in Afghanistan zu finden. Die Deutschen haben deshalb dort nach den Ur-Ariern gesucht und Tausende Köpfe vermessen. Immerhin war es aber die erste größere ethnologische Untersuchung dort. Wir haben im Museum von dieser Expedition das ganze Material, das den Zweiten Weltkrieg überlebt hat: 300 Fotos, ein Buch und einige Zeitungsartikel.“

Das Museum will aber nicht nur die Vergangenheit bewahren, sondern soll auch ein lebendiges Kulturzentrum sein. Die ehemalige Lastwagengarage, die der von den Taleban vertriebene Maler Rohih Abdul Wahid mit Teehausbildern aller Volksgruppen verziert hat, steht für Konzerte, Wechselausstellungen und Vorträge zur Verfügung. Gruppen ab 10 Personen können sich dazu aus der Museumsküche afghanische Gerichte servieren lassen. „Essen ist ein wichtiger Bestandteil der afghanischen Kultur“, erklärt Bucherer. „Im Land selbst geraten aber viele Gerichte in Vergessenheit, weil die Mittel fehlen oder bestimmte Gemüsesorten nicht mehr zur Verfügung stehen.“

Besonders spektakulär wird das nächste Vorhaben des Afghanistan-Museums: der Wiederaufbau der Buddha-Statuen von Bamian. Vor drei Jahren hatte Bucherer bei den Fresken in den Nischen der beiden Riesenstatuen Wasserschäden beseitigt. Jetzt kündigt er an: „Wir bauen in Bubendorf ein Modell im Maßstab 1:10, also gut sechs Meter hoch und sammeln Erfahrungen. Dann suchen wir Helfer und Mittel und bauen die Buddhas später an Ort und Stelle wieder auf. Früher hätte mir die Unesco für diesen Plan den Kopf abgerissen, aber seit auch die Brücke von Mostar wieder aufgebaut werden soll, sehen wir das als ähnliches Projekt. Die Anlage von Bamian ist so einmalig, hat eine so enorme Bedeutung für die Verschmelzung von europäischer, hellenistischer und orientalisch-indischer Kultur – die müssen wir einfach wieder aufbauen.“

Martin Ebner

Link (last update: 28.04.2014):
Afghanistan-Institut in Bubendorf: www.afghanistan-institut.ch/
Die Kulturgüter wurden im Jahr 2007 nach Afghanistan zurückgebracht.

N.B. (23.12.2014):
Zu den Geheimaktionen der deutschen Außenpolitik während des Ersten Weltkriegs gehörte nicht nur der Transfer des Revolutionärs Lenins von der Schweiz nach Russland, sondern auch z.B. der Versuch, die Afghanen gegen die Briten aufzuwiegeln. Im Libelle-Verlag ist „Von Kabul nach Shanghai“ erschienen, ein Bericht des deutschen Diplomaten Werner Otto von Hentig über seine abenteuerliche Afghanistan-Mission in den Jahren 1915 und 1916.


 


Foto (20.07.2001): Paul Bucherer in the Afghanistan museum in Bubendorf, Switzerland. Paul Bucherer en la Afganujo-muzeo en Bubendorf apud Basel, Svislando. Paul Bucherer im Afghanistan-Museum in Bubendorf, Schweiz

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