American book shop in Prague

Tschechien: Ende des amerikanischen Traums

About: Young US-expats in Prague, Czech Republic. The end of a biotope.
Pri: Junaj usonanoj en Prago, Ĉeĥio – ĉu fino de la amerika revo?
Published, Aperis: Die Welt, 20.01.1996


Die jungen Amerikaner in Prag werden von der rauhen Wirklichkeit eingeholt

Es war fast zu schön: In Prag wurde der amerikanische Traum noch einmal wahr. Jeder, der Englisch sprach, konnte es hier nach der „velvet revolution“ im November 1989 zu etwas bringen. Lisa Frankenberg aus Illinois zum Beispiel tourte mit dem Rucksack durch Europa; in Prag blieb sie hängen und gründete mit 23 Jahren „The Prague Post“. Ben Sulivan, 25 Jahre alt, gründete die Zeitschrift „Prognosis“, Ron Stillman die „New York Pizzeria“. Über den unbegrenzten Möglichkeiten der goldenen Stadt thronte verlockend „Kafkas Märchenschloß“ – so sahen das jedenfalls die amerikanischen Literaturstudenten, die in Massen herbeiströmten.

In einer Rede vor dem US-Congress lud der tschechische Präsident Václav Havel Amerikas Jugend ein, nach Prag zu kommen. Über 30.000 Kids ließen sich das nicht zweimal sagen. Ihre genaue Anzahl ist unbekannt – schließlich fragte niemand nach einer Aufenthaltsgenehmigung. Die schnell entstehende US-Infrastruktur – von der Baptistenkirche bis zur makrobiotischen Imbißstube – bot in der Moldaustadt Platz für alle. Wer keinen Job als Englischlehrer fand, wurde Diskjockey bei „Radio Kiss“ oder Friseur oder verkaufte Cola an Touristen.

Die lächerlich niedrigen Preise zogen Künstler aller Art an. „Viele Genies kamen her, weil sie nur hier ihr Leben in seiner ganzen Bedeutungslosigkeit finanzieren konnten“, spottet Martin in „The Globe Bookstore & Coffeehouse“. „Alle Gäste hier schmierten in ihren Notizbüchern herum und sagten ‚Ich bin Schriftsteller‘. Ich frage mich nur, wo ihre Bücher bleiben?“ -Immerhin entstanden in Prag mehrere englischsprachige Literaturzeitschriften. Und Sinclair Nicholas soll von seinem Buch „Wang Dang American Slung“ 18.000 Stück verkauft haben. „Newsweek“ verglich Prags amerikanische Szene gar schon mit dem Paris der 20er Jahre.

Die Einheimischen, die Deutsche nicht mögen und andere Ausländer bestenfalls als Devisenbringer tolerieren, empfingen die jungen Amerikaner mit offenen Armen. Noch nie wurde es in dieser Weltgegend einer nationalen Minderheit so leicht gemacht. Prompt fühlte sich der Botschafter der Europäischen Union in Prag genötigt, sich über „Amerikanisierung“ und „mangelndes Interesse an Europa“ zu beschweren.

An der tschechischen Zuneigung zu Amerika hat sich bis heute nichts geändert. Stars and Stripes überall, glückliche McDonald’s-Kunden, ausverkaufte Hollywood-Filme – die Strahlkraft des US-Vorbilds ist ungebrochen. Aber: die Tschechen bestehen immer mehr darauf, sich ihren American Dream von den real in Prag existierenden Amerikanern nicht stören zu lassen. Ein Pianospieler, der sich in den US-Club „Radost FX“ geflüchtet hat, klagt: „Früher, als es gegen die Russen ging, haben wir die tschechische Sturheit immer bewundert. Jetzt trifft es uns. Dieser ständige ‚Ich-mache-nicht-was-du-willst-und-sage-nicht-warum‘-Blick!“

Auch die tschechischen Behörden werden zunehmend ungemütlich. Die neuen, verschärften Einreise- und Aufenthaltsgesetze werden  „selbstverständlich auch auf Amerikaner angewendet“, versichert die Prager Polizei. Wer zu verwahrlost aussieht und nicht mindestens 7000 Kronen (etwas über 400 DM) dabei hat, kommt seit September 1995 erst gar nicht mehr ins Land. Ein Blick auf die Stellenanzeigen in der „Prague Post“ zeigt: Ohne „tschechische Arbeitserlaubnis“ läuft nichts mehr. Und woher sollen die College-Studenten die neuerdings überall geforderten „guten Tschechisch-Kenntnisse“ nehmen?

Dazu kommen finanzielle Sorgen. Die Lebenshaltungskosten in Prag steigen rasant – und die Krone des boomenden Tschechiens ist härter als der schlappe US-Dollar. Viele hochfliegende Projekte zwingt das brutal zur Bruchlandung. Im Februar 1995 erschien die letzte „Prognosis“-Ausgabe. Einen Monat später mußte das englischsprachige „Radio Metropolis“, das drei Jahre lang gesendet hatte, aufgeben.

Besonders sensible US-Prager leiden auch seelisch. Veteranen, die schon vor sechs Jahren ankamen und dem morbiden Charme des sozialistischen Prag verfielen, finden sich jetzt nur noch schwer zurecht: Touristenhorden in der Fußgängerzone, in jedem zweiten Haus eine Wechselstube, kaltes Neonlicht statt schummriger Altstadtgassen. Was ist denn Prag heute anderes als ein Disneyland mit mittelalterlichen Originalkulissen?

Kein Wunder also, daß sich die amerikanische Kolonie verändert. Lloyd Grady, der 1991 mit „Laundry Kings“ nicht nur den „ersten Waschsalon Osteuropas“, sondern auch das soziale Zentrum der US-Prager gründete, stellt fest: „Am Anfang waren es vor allem junge Musiker, Poeten, Schreiber und sonstige Künstler. Jetzt kommen immer mehr ‚echte Leute‘: Repräsentanten von internationalen Konzernen, Geschäftsleute, Banker…“

Grady selbst „denkt im Traum nicht daran, in die USA zurückzukehren“. Zwar bekommt er Konkurrenz: „Tschechische Studenten, die bei mir gelernt haben, machen jetzt eigene Waschsalons auf.“ Aber Grady ist schon einen Schritt weiter: Er besitzt mittlerweile zwei Großwäschereien für Hotels und andere Großkunden.

Auch Lisa Frankenberg gehört wohl zu den wenigen jungen Amerikanern, die es geschafft haben, in Prag dauerhaft Fuß zu fassen. Ihre „Prague Post“, deren poetischster Teil ohnehin immer schon der Börsenbericht war, hat heute eine Auflage von 15.000 und ernährt 15 hauptberufliche Journalisten (die Hälfte davon Tschechen). In Frankenbergs kühler Geschäftssprache ist der rasche Wechsel von Hippie zu Yuppie „ganz einfach ein normaler Prozeß. Der Markt ist gereift – es gibt hier nicht mehr diese  Chancen wie vor vier, fünf Jahren.“

Für die meisten der jungen Amerikaner in Prag bedeutet das: Rückflug in die Staaten.  Was von dem eigenartigen US-Biotop an der Moldau zurückbleibt, sind die Zettel am Schwarzen Brett von Gradys Waschsalon: „Ich verkaufe meine Doc Martens-Schuhe!“,  „Tausche Kühlschrank gegen Flugticket nach Boston“. Oder noch hoffnungsloser: „Schreibmaschine zu verkaufen“. -Wieder hat ein Genie das Handtuch geworfen und ist an die Uni von Santa Barbara zurückgekehrt.

Martin Ebner


 


Foto (25.03.1996): American book shop in Prague, Czech Republic. Amerika librovendejo en Prago, Ĉeĥio. Amerikanischer Buchladen in Prag, Tschechien.

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑

Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.