Streetlights in Haikou

China: Konfuzius verkaufen. Die Volksrepublik will mit ihrem Kulturerbe den Weltmarkt erobern

About: Also with its cultural heritage China wants to conquer the world market.
Pri: Ankaŭ kulture Ĉinujo volas konkeri la mondon.
Sponsors,
Sponsoroj: IJP, Krupp-Stiftung
Published, Aperis: Süddeutsche Zeitung, 14.01.2002


China will mit seinem Kulturerbe den Weltmarkt erobern

Die amerikanische Filmindustrie erziele „erstaunliche Profite“, klärt die Nachrichtenagentur Xinhua auf und verkündet amtlich: Damit werde bald Schluss sein, denn China werde seine „reichen kulturellen Ressourcen“ für den internationalen Wettbewerb nutzen. 10.000 Jahre Malerei, 8.000 Jahre Musikinstrumentenbau, 5.000 Jahre Keramik und 3.000 Jahre Dichtkunst: „China ist bereit, in der globalen kulturellen Arena seinen angemessenen Platz zu erobern.“

Nicht nur wirschaftlich, auch kulturell will China weltweit die Nummer Eins werden. Aus Sicht der Regierung in Beijing geht beides Hand in Hand. „Kulturelle Kommerzialisierung“ ist eines der Schlagworte des aktuellen Fünfjahresplans 2001 bis 2005. Die „Entwicklung kultureller Produktion und ihre Integration mit der Informationsindustrie“ sei enorm wichtig für die Konkurrenz mit den USA, aber auch, weil die Chinesen immer mehr Freizeit haben und zunehmend Geld für Unterhaltung ausgeben können. Eine Fülle von Einzelmaßnahmen ist geplant, vom Patentschutz für traditionelle chinesische Medizin bis zum Bau eines neuen Nationalmuseums und anderer „Weltklasse-Museen“, die an der Börse als Aktiengesellschaften notiert werden sollen.

Die größten chinesischen Städte sind schon eifrig bei der Umsetzung des Programms. Shanghai vertreibt schwerindustrielle Dreckschleudern aus dem Stadtzentrum und versucht, die Angestellten der umworbenen Finanz- und Hightech-Branchen mit attraktiven Freizeitangeboten bei Laune zu halten. Beijing betrachtet die Kultur- und Unterhaltungsindustrie ebenfalls als „neuen ökonomischen Pfeiler der Stadt“ und investiert Millionen in Theater, Bibliotheken, Kunsthallen und Museen. Weil es Touristen weniger in Hochhausschluchten, mehr zu schwungvoll gebogenen Ziegeldächern zieht, hat die Hauptstadt nach jahrzehntelangen Betonorgien nun 25 Altstadtviertel unter Schutz gestellt. Der letzte vorhandene Innenhof aus der Ming-Zeit wurde allerdings abgerissen, um Platz zu machen für die Olympiade 2008.

Kulturdenkmäler sollen Geld und Prestige bringen. Heute schon auf dem fünften Platz, will China bis zum Jahr 2020 das Reiseland Nummer Eins werden. Der Unesco-Liste des Weltkulturerbes kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn China will mit dem Slogan „Weltklassische Reiseziele des 21. Jahrhunderts“ um Touristen werben. 27 der derzeit 690 Welterbe-Stätten sind in China, von der Großen Mauer bis zum Potala-Palast in Lhasa. Nur in Italien und Spanien gibt es noch mehr Kulturerbe von „universellem Wert“, aber nicht mehr lange, denn China, das der Welterbe-Konvention erst 1985 beigetreten war, hat bereits 30 weitere Orte auf der Warteliste für die Unesco-Weihen. Noch voraussichtlich zehn Jahre, dann wird China die Liste anführen.

Dass das Uno-Prädikat Touristen anzieht, steht außer Zweifel. Nach der Unesco-Auszeichnung stieg zum Beispiel in Chengde die Besucherzahl der kaiserlichen Sommerresidenz von einer auf über drei Millionen jährlich. In Beijing musste der Himmelstempel aus dem 15. Jahrhundert auf eine neue, größere Plattform gestellt werden, um den Ansturm zu bewältigen; der Kaiserpalast wurde am diesjährigen Maifeiertag von 110.000 Touristen heimgesucht. Auf dem Taishan, dem berühmtesten der „heiligen Berge“ Chinas, ist Andrang nichts Neues, wurden dort doch schon Ende der Ming-Zeit jährlich mehr als eineinhalb Millionen Besucher gezählt – seit der Ernennung zum Welterbe und dem Bau von gleich drei Seilbahnen wird die uralte Pilgerstätte aber zum Freizeitpark.

Ob der Rummel den Denkmälern gut tut, ist fraglich, jedenfalls aus westlicher Sicht. Die chinesische Auffassung ist weniger sentimental. Souvenirhändler im Tempel oder Neonröhren in einer Pagode stören die meisten Chinesen nicht, denn das Wichtigste an einem Monument sind nicht Äußerlichkeiten, sondern die damit verbundenen Mythen, Geschichten und Gedichte. Paläste und Pavillons wurden immer schon abgerissen, umgebaut, neu errichtet; Schriftzeichen und Worte aber sind ewig. Als letztes Jahr die Stadt Qufu ihre Konfuzius-Gedenkstätten der „Confucius Int. Tourism Co Ltd“ übertrug, rief das jedoch auch in China große Empörung hervor. Die Privatfirma hielt es nämlich für nötig, die ehrwürdigen Holzbauten mit Dampfstrahlern zu „reinigen“, zum Beispiel von alten Wandbildern.

„Wir können unmöglich alle Welterbe-Stätten überwachen“, bedauert Edmond Mukala, der Leiter des Unesco-Büros in Beijing. Immerhin seien Inspektionen und Beschwerden manchmal erfolgreich: „Als wir zum Beispiel 1998 Müll an den Berghängen des Huangshan kritisierten, haben sich die zuständigen Behörden das derart zu Herzen genommen, dass wir ihnen schon im folgenden Jahr eine Auszeichnung für gutes Management geben konnten.“ Die Zentralregierung sei für Denkmalschutzbelange durchaus aufgeschlossen, seit den Reformen hätten aber lokale Stellen „viel freie Hand“ und „oft ihre Integrität verloren“. Das Hauptproblem sei, dass der Wirtschaftsboom zu „kurzsichtiger Geldgier“ geführt habe. Unermüdlich predigt Mukala daher: „Kulturerbe ist unbezahlbar. Sorglosigkeit zerstört es für immer, gut gepflegt, kann es aber eine langfristige Einnahmequelle sein.“

Zuweilen gehen auch die Ansichten darüber auseinander, was erhaltenswert sei. Mukala etwa wünscht mehr Beachtung der 55 ethnischen Minderheiten des Landes; bisher ist auf der Welterbe-Liste aus China fast nur Han-Kultur zu finden. Die chinesische Ansicht, zum Welterbe gehöre so wie Auschwitz auch Pingfang, ein Schauplatz japanischer Biowaffenversuche während des Zweiten Weltkriegs, dürfte wiederum die Unesco kaum begeistern – Japan ist der Hauptgeldgeber der Unesco und stellt den Generaldirektor. Trotz zahlreicher Proteste aus dem In- und Ausland wurde im Mai in Shanghai das herrschaftliche, unter Denkmalschutz stehende Elternhaus des Architekten I.M. Pei abgerissen, um für einen Park Platz zu schaffen. Daneben wurde ein eher unscheinbares Lagerhaus bis auf den letzten Ziegelstein restauriert – weil dort einmal eine kommunistische Jugendzeitung gegründet worden war.

„In China hat es in den letzten zehn Jahren viele Veränderungen gegeben. Die revolutionäre Tradition und die Bewahrung politischer Ideale ist aber immer noch der wichtigste Aspekt des Kulturerbes“, erläutert Ruth Redmond-Cooper, eine auf Kulturfragen spezialisierte Juristin. „Die Denkmäler der sozialistischen Führer bleiben die wichtigsten Kulturgüter. Revolutionäre Monumente bekommen leichter staatliche Unterstützung als gewöhnliche Kulturdenkmäler.“ Immerhin scheinen aber die Zeiten vorbei zu sein, da die chinesische Regierung ihre Untertanen aufforderte, alte Vasen, Statuen und andere bourgeoise Erbstücke zu „Sammelstellen für nutzlose Objekte“ zu bringen, um sie zu vernichten. Der Erhalt von Kunstwerken und Denkmälern dürfte heute weniger an der Ideologie der Machthaber scheitern, eher daran, dass China trotz aller Ambitionen immer noch ein armes Entwicklungsland ist.

Auf eine Million Chinesen kommt nur ein Museum; in dem riesigen Land kümmern sich nur rund 60.000 Menschen hauptberuflich und meist schlecht bezahlt um das Kulturerbe. Da verwundert nicht, dass viele Chinesen die „kulturelle Kommerzialisierung“ auf eigene Weise interpretieren. Kunst-Schmuggler haben Hochkonjunktur und ordern ganze Schiffscontainer. In der Qinghai-Provinz zum Beispiel wollten an die tausend Bauern den Winter nicht untätig verbringen, und bearbeiteten mit Sprengstoff und Bulldozern eine der wichtigsten archäologischen Stätten Chinas, ein Feld mit rund 300 Gräbern der Tubo-Kultur (618-907 v.Chr.). Vor ihren Raubgrabungen hatten sie sich bei Auktionshäusern über die Nachfrage informiert. „Selbst in abgelegenen Dörfern liegt nun Sotheby’s ‚Art Market Review‘ herum“, empören sich Denkmalschutzaktivisten der Bürgerinitiative Cultural Heritage Watch. „Die ganze Entwicklung geht nach dem Motto ‚Du brauchst nur eine Nacht, um reich zu werden‘!“

Martin Ebner

Links (last update: 28.04.2014):
Chinesische Denkmalschutzaktivisten nutzen das Rotterdamer „Museum Security Network“ für die Verbreitung unangenehmer Nachrichten: www.museum-security.org/

Die Welterbeliste der UNESCO:
http://whc.unesco.org/en/list/

Die chinesischen Weltkulturerbe-Stätten:
http://whc.unesco.org/en/statesparties/CN/


 


Foto: Street in historic center of Haikou, China; Malnova strato en Haikou, Ĉinujo; Straße in der Altstadt von Haikou, China

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Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.