Swiss train bound to Schynige Platte near Interlaken

Interrail-Ticket: Vom Schmuddelkind zum Werbeträger

About: 25 years interrail tickets in Europe
Pri: 25 jaroj „interrail“ trajnbiletoj en Eŭropo
Published, Aperis: taz – die tageszeitung, 16.08.1997


25 Jahre „InterRail“-Ticket: die europäischen Eisenbahnen feiern nicht – versprechen aber ein verbessertes Angebot

Einen Monat lang von Norwegen bis Marokko, von Irland bis in die Türkei durch 30 Länder kreuzen, noch auf dem Bahnsteig alle Reisepläne über den Haufen werfen,  weil der Zug auf dem Nachbargleis lockt – InterRail ist mehr als eine normale Fahrkarte. Für tausende Jugendliche ist das Trampen auf Schienen das Ferienerlebnis schlechthin, für den Schriftsteller Luca Conti sogar „ein letztes Stück Freiheit in einer Gesellschaft, die alles organisiert“.

Ins Leben gerufen wurde das preiswerte Ticket für alle Reiselustigen (im Alter bis einschließlich 25 Jahre) von der Internationalen Eisenbahnunion (UIC): Um den 50. Geburtstag des „Internationalen Verkehrsgesetzes“ zu feiern, entwickelte sie 1972 dieses Ticket „zur Förderung des europäischen Jugendreiseverkehrs“. Die Jugendlichen nahmen das Angebot begeistert an: Im Rekordjahr 1991 waren über 500.000 InterRailer unterwegs.

Vier südeuropäischen Bahnverwaltungen war das sogar zuviel. Sie klagten über Horden ebenso ungewaschener wie mittelloser Rucksacktouristen, vor allem aber über  – ihrer Auffassung nach – zu geringe Einnahmen aus dem Verkauf des InterRail-Tickets. Frankreich, Spanien und Italien, also ausgerechnet die beliebtesten Reiseländer, drohten auszusteigen. Erst nach zähen Verhandlungen, nach Interventionen des Europarats und verschiedener europäischer Regierungen konnte ein Kompromiß gefunden und InterRail gerettet werden.

Die 1993 folgenden drastischen Preiserhöhungen (von 410 DM auf heute 630 DM) führten allerdings zu einem ebenso drastischen Einbruch der Verkaufszahlen. Während die Deutsche Bahn zu Beginn der 90er Jahre pro Jahr rund 60.000 InterRail-Tickets verkaufte, stagniert nun der Absatz bei jährlich „nur“ noch 20.000. Im letzten Jahr wurden in ganz Europa rund 120.000 InterRail-Tickets verkauft.

Rhätische Bahn bei Ilanz, Schweiz
Rhätische Bahn bei Ilanz, Schweiz

Neben den höheren Preisen sind für diesen Rückgang auch veränderte Reisegewohnheiten verantwortlich, erläutert Reto Kormann von den Schweizerischen Bundesbahnen: „Früher gehörte es sich für einen waschechten InterRailer, möglichst viele Kilometer zu ‚fressen‘. Heute reist die Kundschaft jedoch selektiver.“ Viele kaufen nur noch Netzkarten für einzelne Länder, zum Beispiel „Euro-Domino“-Tickets.

Diesem Trend wurde 1994 auch das InterRail-Ticket angepaßt: Europa wurde dazu in 7 Zonen aufgeteilt – bezahlt werden müssen lediglich die tatsächlich bereisten Zonen. 1996 waren nur rund 20% aller InterRailer mit einem – dem klassischen InterRail-Ticket entsprechenden – „Globalpaß“ für ganz Europa auf Achse. Seit alle Grenzen auf sind, scheint grenzenloses Reisen bei den Jugendlichen nicht mehr „in“ zu sein. Vielleicht ist Europa aber auch einfach zu groß für eine Ferienreise geworden?

InterRail soll jedoch nicht sterben. „Die Zukunft des Tickets ist zur Zeit gesichert“, versichert Jochen Fuchs von der Deutschen Bahn. Zum 25jährigen Jubiläum seien zwar keine besonderen Aktionen geplant, dafür aber habe die französische Bahn (SNCF), die für InterRail geschäftsführend zuständig ist, im Frühjahr 1997 „europaweit eine Umfrage zu InterRail gestartet, um ein attraktiveres Ticket zu kreieren, das sich noch mehr an den Bedürfnissen des Marktes orientiert. Genaueres wird Ende dieses Jahres auf einer Konferenz der europäischen Bahnen beschlossen werden. Die Deutsche Bahn möchte 1998 das InterRail-Ticket in den Mittelpunkt der Jugendangebote stellen und entsprechend bewerben.“  

„Wir brauchen dieses Niedrigpreis-Angebot“, meint auch Fuchs‘ Schweizer Kollege Reto Kormann: „Wir dürfen die Billig-Flugangebote nicht außer Acht lassen. Die Airlines werben immer günstiger um Kunden. Und schließlich sind die Jugendlichen die Kunden von morgen, die wir bei der Stange halten müssen.“  

Martin Ebner


 


Foto: Trains going to Schynige Platte near Interlaken, Switzerland. Trajnoj al Schynige Platte apud Interlaken, Svislando. Züge nach Schynige Platte bei Interlaken, Schweiz.

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