Government building, parliament and castle in Vaduz, Liechtenstein

Liechtenstein: „Fürstendumm“ oder „Republik Oberrheintal“?

About: Constitutional conflict in Liechtenstein, a unique mixture of monarchy and direct democracy
Pri: Konflikto pri konstitucio en Liĥtenstejno, unika mikso de monarkio kaj rekta demokratio
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 14.03.2003


Der Herrscher von Liechtenstein wählt sich – vielleicht –  ein neues Volk

Österreich war glücklicher. Als die Wiener gegen sich selbst EU-Sanktionen organisierten, hatte die Welt gerade nichts anderes zu tun. Internationales Aufsehen erregte auch das „Swissair Grounding“. Der neueste Höhepunkt alpenländischer Kreativität droht dagegen unbemerkt zu bleiben: Trotz Intervention des Europarats, Bergen von Rechtsgutachten und beachtlichen Internetaktivitäten wird das Liechtensteiner Verfassungsreferendum am 16. März [2003] wohl im Schatten des Irak-Kriegs verschwinden. Schade! Wo sonst gibt es einen Monarchen, der eine Volksabstimmung startet und mit Auswanderung droht, falls das Volk der Möglichkeit, den Fürsten zu entmachten, NICHT zustimmt? Wo sonst gibt es einen Staat, aus dem einzelne Gemeinden einfach austreten können? Wo wird so erbittert um Freiheit gerungen?

Liechtenstein ist einzigartig: einerseits eine Monarchie, in der Fürst Hans-Adam II. tatsächlich etwas zu sagen hat, andererseits wie die Schweiz eine direkte Demokratie. Diese Mischform vereint Volkstümlichkeit und Glamour; wenn beim Staatsfeiertagsfeuerwerk am Schloss Vaduz der Schriftzug „Für Gott, Fürst und Vaterland“ aufleuchtet, bleibt kein Auge trocken. Außerdem ist der Dualismus von Monarch und Volk preiswert: Das Herrscherhaus liegt nicht den 32.000 Einwohnern auf der Tasche, sondern finanziert sich mit seiner diskreten LGT-Bank, Forsten in Tschechien, Reisfeldern in den USA und anderen Unternehmungen selbst; für die Kasse des reichen 160-Quadratkilometer-Landes fällt sogar noch allerhand ab. Ein Problem dieser Staatskonstruktion scheint jedoch zu sein, dass es für Berufspolitiker keinen rechten Platz gibt.

Seit über zehn Jahren liegt Hans-Adam II. im Clinch mit den Parteien im Vaduzer Parlament, besonders der grün-oppositionellen „Freien Liste“ (FL) und der „Vaterländischen Union“ (VU), die früher die Regierung stellte, bei der Landtagswahl 2001 aber von der fürstentreueren „Fortschrittlichen Bürgerpartei“ (FBP) überrundet wurde. Die Anhänger beider Seiten werfen sich Zerstörung der Demokratie, Untergrabung des Rechtsstaats, Menschenrechtsverletzungen, Landesverrat, Volksverhetzung und Beleidigung vor. Unter anderem. Soweit für Nicht-Liechtensteiner verständlich, scheint es im Kern darum zu gehen, dass die im „Demokratie-Sekretariat“ vereinten Gegner des Fürsten eine rein repräsentative Monarchie wünschen, das Landesoberhaupt also auf das Zieren von Postkarten und andere Dekorationen beschränken wollen.

Seine Durchlaucht beteuert, nicht „an der Macht zu kleben“. Von ihm aus könne man den Staat umbenennen, wenn man glaube, eine „Republik Oberrheintal“ als international bekannte Marke etablieren zu können. Zu einem „Fürstentum“ aber gehöre ein echter Fürst. Wenn man ihm seine Rechte nehme und ihn zum Grüßaugust degradiere, werde er mit seiner Sippe nach Wien ziehen, wo seine Vorfahren bis 1938 residiert hatten. Da sich Fürst und Parteipolitiker nicht einigen können, soll nun das Volk entscheiden.

Angefangen hat der Streit nach dem Tod von Fürst Franz Josef II. im Jahr 1989. Sein Nachfolger fand, Gottesgnadentum sei nicht mehr zeitgemäß, auch reiche es nicht, nur das Wahlrecht für Frauen einzuführen – vielmehr müsse die ganze Verfassung von 1921 überarbeitet und die Monarchie durch das Volk legitimiert werden. Hans-Adam II. ließ einen Verfassungsentwurf ausarbeiten und seinen Untertanen als „rotes Büchlein“ zuschicken. Später folgte ein „grünes Büchlein“. Seither grübeln sie, ob ihre Rechte durch die neue Verfassung gestärkt würden, wie der Fürst verspricht, oder ob auf das geknechtete „Volk ohne Recht“ nicht „Totalliquidation“ und „Endstation Mittelalter“ warten, wie die Grünen unken. Die außerparlamentarische Jugendgruppe „Subversive Enten“ demonstrierte mit dem Transparent „Wir finden Wien auch schön“.

Umstritten sind neben Notstandsgesetzen vor allem die Rechte des Fürsten, gegen vom Landtag verabschiedeten Gesetze sein Veto einlegen und die Regierung entlassen zu können. Ferner geht es um die Ernennung von Richtern: Ihre Wahl durch den Landtag habe sich nicht bewährt, sagt der Fürst. Inkompetente, ständig wechselnde Parteibuch-Richter hätten internationale Rechtshilfeansuchen nicht sachgerecht bearbeitet, beziehungsweise gar nicht, weshalb man jetzt wegen Geldwäsche am Pranger stehe. In Zukunft solle der Fürst bei der Richterwahl mitreden und letztlich das Volk entscheiden. Das Volk soll auch per Abstimmung dem Fürsten das Misstrauen erklären und die Monarchie abschaffen können.

Am originellsten ist das Sezessionsrecht für Gemeinden. Bisher werde ein Selbstbestimmungrecht nur Völkern zugestanden, die sich in Rasse, Religion, Sprache oder Kultur von ihren Nachbarn unterscheiden – so gesehen dürfe es Liechtenstein gar nicht geben, erläutert der Fürst. Wenn aber jede Gemeinde über ihre Staatsangehörigkeit selbst entscheide, habe Liechtenstein in einem dezentralisierten Großeuropa eine echte Überlebenschance, außerdem gebe es in dem bunten Flickenteppich keinen Grund mehr für ethnische Säuberungen. Seine Verfassung „wäre ein Modell, an dem sich die anderen europäischen Verfassungen orientieren könnten“. Die Gegner aber sehen dadurch den Bonsai-Staat „existenziell bedroht“, die Verfassung von 1921, nach der „Liechtenstein ein unteilbares und unveräusserliches Ganzes bildet“, müsse erhalten bleiben. Seine Durchlaucht hält die Kritiker für „kleinkariert“.

bei Malbun
Liechtenstein ist gar nicht so klein, wenn man zu Fuß geht

Lange schien es, der Gutachter-Aufwand für einen neutralen Kleinstaat, der seit 130 Jahren keine Armee mehr hat, würde nie Würdigung finden. Nur die Schweizer Nachbarn, froh, auch einmal auf ein kleines Bergvolk herabsehen zu können, nahmen Notiz davon und beschrifteten Karnevalswagen mit „Fürstendumm Liechtenstein“. Zum Glück wurde dann aber aus dem Rheintaler Verfassungsstreit doch noch eine europäische Affaire. Norbert Haas, der in Berlin als Psychoanalytiker wirkt, reichte im Herbst mit 52 anderen Liechtensteinern beim Europarat Beschwerde ein: Laut „Hausgesetz“, das auch in der Verfassung steht und Dinge wie die Thronfolge regelt, setzt der Fürst für uneheliche Prinzessinnenkinder die Namen fest – das sei ein himmelschreiender Verstoss gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Bälger könnten Klage einreichen, und dann gute Nacht Liechtenstein: „Die Rechtssicherheit wäre nicht mehr gegeben.“

Zwar ist weder abzusehen, ob sich Prinzessin Tatjana (29) außerehelich Kinder zuzulegen gedenkt, noch ob dies zur Staatskrise führen würde – aber man weiß ja nie. Die „Venedig-Kommission“ des Europarats, die 1990 mit Hilfe des Liechtensteiner Alt-Regierungschefs Gerard Batliner (VU) gegründet wurde, um die Demokratisierung Osteuropas zu beobachten, ließ sich nicht lange bitten und beauftragte drei Juristen, den Verfassungsentwurf des Fürsten mit Verfassungen anderer Monarchien zu  vergleichen. Ihr von dem nordirischen Lord Kilcloony (Ulster Unionist Party) verfasster Bericht, dem eine gewisse Ähnlichkeit mit Schriften Batliners nachgesagt wird, kommt zu dem Schluß, Monarchien seien generell „fragwürdig“, Liechtenstein aber drohe ein „schwerwiegender Rückschritt“, das Land solle sich an dem vorbildlich demokratischen Belgien (!) ein Beispiel nehmen.

Amtlich freigegeben wurde dieser Bericht bislang nicht; eine Behandlung durch die Parlamentarische Versammlung des Europarats verhinderten konservative Vertreter Liechtensteins (FBP), Österreichs und der Schweiz. Nun drohten Liechtenstein in Europa „Isolation“ und „Ausschluss“, warnt das „Demokratie-Sekretariat“, das den Bericht veröffentlichte. Der Europarat könne gar keine EU-Sanktionen verhängen, er hätte genausogut mit der US-Pazifikflotte drohen können, ätzt Hans-Adam II. In seiner Thronrede am 13. Februar sagte er, Liechtenstein sei kein „Protektorat des Europarates“. Wohl kein anderer Staat räume seinem Volk so viele demokratische Rechte ein. Das Fürstenhaus werde den Streit nach der Abstimmung nicht weiterführen, sondern gegebenenfalls das Land verlassen.

Jetzt entscheiden die Liechtensteiner über den fürstlichen Verfassungsentwurf und die alternative „Volksinitiative für Verfassungsfrieden“. Der Rest der Welt könnte neidisch an diesen interessanten Problemen Anteil nehmen, wenn er nicht abgelenkt wäre. Warum müssen Bush und Hussein ausgerechnet jetzt randalieren?

Martin Ebner

N.B. (05.05.2014):
Der Fürst hat dann gewonnen, so weit ich weiß. Liechtenstein gibt es wohl immer noch.

N.B. (04.01.2017):
Artikel von Titus Gebel: „Lichtenstein als Vorbild für Deutschland?“


 


Foto: Government building, parliament, prince’s castle and no people in Vaduz, Liechtenstein; Domoj de registaro, parlamento kaj princo en Vaduz, LiechtensteinRegierungsgebäude, Parlament, Fürstenschloss und kein Volk in Vaduz, Liechtenstein

 

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