Schweinegrippe-Gefahr in der Kirche Quinten

Atheismus-Geschichte: Ungläubige verbrennen

About: History of atheism
Pri: Historio de ateismo
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 23.11.2018


Historiker erforschen die Ausgrenzung und Verfolgung von Atheisten

Die Wortklauberei von Theologen und Geisteswissenschaftlern ist dem Rest der Welt meist ziemlich egal. Das kann ein tödlicher Fehler sein. Religion zum Beispiel wird üblicherweise definiert „als etwas, das primär oder ausschließlich für religiöse Menschen relevant ist“, bedauert die Bremer Soziologin Petra Klug. Dabei werde ausgeblendet, dass selbst in halbwegs aufgeklärten Ländern die gesamte Gesellschaft „religiös normiert“ und geprägt sei. Eine Folge: „Gewalt wird oft als politische Instrumentalisierung von Religion statt als immanenter Bestandteil derselben betrachtet.“

Über die Drangsalierung von „Andersgläubigen“ wird gerne lamentiert. Dass man auch gar nicht glauben und trotzdem ein vollwertiger Mensch sein kann, wollen sich dagegen bis heute viele nicht einmal vorstellen – geschweige denn dulden. Im Januar 2017 gingen Wissenschaftler in der Universität Heidelberg der bislang kaum erforschten Frage nach, wie seit Jahrhunderten mit Religionslosen umgegangen wird. Diesen Herbst ist nun der Tagungsband erschienen, mit großer Verspätung und ohne ein angekündigtes Kapitel zu Indien.

Die Aufsätze von 12 Autoren sollen kein „lückenloses Bild der Praktiken von Diffamierung und Verfolgung bieten“, sondern Fallstudien aus verschiedenen Epochen. Von der Frankfurter Mediävistin Dorothea Weltecke etwa ist zu erfahren, dass der Begriff Atheismus im heutigen Sinne erst im 16. Jahrhundert entstanden ist. Davor sei Nichtglauben „nicht kriminalisiert, aber auch nicht ernst genommen“ worden: Leugnung des Schöpfergotts hätten Gelehrte früher allenfalls Frauen, ungebildeten Bauern oder Geisteskranken zugetraut – und sich lieber dem Kampf gegen andere Konfessionen, Juden und Moslems gewidmet.

Dass es aus dem Mittelalter kaum Quellen zu „gelebtem Atheismus“ gibt, könnte allerdings auch daran liegen, dass bei „unaussprechlichen Verbrechen“, etwa Zoophilie, die Akten verbrannt wurden. Der Wiener Historiker Peter Dinzelbacher gibt zu bedenken, dass selbst minimale Abweichungen lebensgefährlich waren. Das Christentum war seit dem 4. Jahrhundert Staatsreligion: Kinder mussten bei Geburt getauft werden, ein Austritt aus der Kirche war nicht möglich, auf Abfall vom Glauben stand die Todesstrafe, auf Zweifel am Gottesgnadentum der Herrscher sowieso. Im Spätmittelalter sei im Deutschen Reich Zunge-Abschneiden die „beliebteste Strafe“ für Blasphemie gewesen. Erst die Religionskriege der frühen Neuzeit und die Trennung von Kirche und Staat im Gefolge der Aufklärung hätten nach und nach mehr Glaubensfreiheit ermöglicht.

In England wurde der Erlass De heretico comburendo, der Häretiker zum Feuertod verurteilte, erst 1678 abgeschafft. Umso mehr irritieren Ausführungen der Heidelberger Historikerin Susan Richter. Sie wendet sich gegen den „Gemeinplatz der Aufklärungs- und Rationalismusgeschichte“, Unglaube sei durch die Jahrhunderte blutig verfolgt worden: „Die schweigende Existenz des Atheisten im Gemeinwesen war geduldet, denn weder in der mittelalterlichen noch in der frühneuzeitlichen Gesellschaft erfolgte eine persönliche Glaubensbefragung oder Glaubensprüfung.“ – Wer seinen Mund nicht halten kann und auf dem Scheiterhaufen landet, ist selber schuld?

Am Beispiel von De La Mettrie, dem Autor von „L’homme machine“, bemüht sich Richter um den Nachweis, dass es in Frankreich im 18. Jahrhundert keine speziellen Gesetze gegen Atheisten gab, sondern nur allgemeine staatliche Zensur „zur Gefahrenabwehr“. Die Flucht des Freidenkers ins preußische Exil sei nicht „ernsthaft unterbunden“ worden. Die Henker, die gottlose Bücher im Hof des Pariser Gerichts vernichten sollten, hätten diese oft zur Lektüre mitgenommen und stattdessen lieber alte Bibeln verbrannt. Manchmal sei ein Verbot „sogar die beste Werbung“ gewesen. – Ist Unterdrückung also weniger schlimm, wenn die Schergen korrupt sind? Weniger studierten Menschen dürfte es jedenfalls egal sein, ob sie explizit als „Atheisten“ oder auf irgendeiner anderen „Rechtsgrundlage“ mundtot gemacht werden.

In islamischen Ländern werden Ungläubige nach wie vor hingerichtet. Peter Dinzelbacher sieht selbst in Europa „eine zunehmende Tendenz, Religionskritik fast automatisch mit politischem Extremismus zu assoziieren und als Verhetzung zu kriminalisieren“. Er warnt: „Freiheit von Religion wird es nicht geben, solange die Staaten theistischen Weltanschauungen Sonderrechte, Sonderschutz und Finanzierung gewährleisten – wie im Mittelalter.“ Der Bund von Staat und Religion „existiert in Kontinuität seit Konstantin I. und wird weiterexistieren, denn er stellt eine Gelegenheit zur Machtausübung und -demonstration dar, auf die Regierende jeder Couleur nie verzichten werden“. Ein Beispiel dafür seien Versuche, einen Gottesbezug in die Europäische Verfassung zu schreiben: Der wäre „eine treffliche Basis, Glaubenslose als Verfassungsfeinde zu verfolgen“. – Aus der Geschichte könnte man durchaus lernen, wenn man wollte.

Martin Ebner

Susan Richter (Hg.): „Verfolgter Unglaube. Atheismus und gesellschaftliche Exklusion in historischer Perspektive“, 380 Seiten, Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2018.



Foto (28.11.1989): „Due to swine flu risk: no holy water!“ (church in Quinten, Switzerland. Pro risko de porka gripo: preĝejo en Quinten, Swislando, ne plu oferas sanktan akvon. Der Religionsbeauftragte warnt: Glaube an Naturwissenschaft kann zu Atheismus führen. (Foto aus der Kirche in Quinten, Schweiz)

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑

Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.