German house in Anping

Geschichte: Dossier: Kolonialgeschichte

About: Books and exhibitions on (mainly German) colonial history. And an interview with a missionary from Luxemburg, who had worked in Congo, a former Belgian colony.

Pri: Libroj kaj ekspozicioj pri (precipe germana) kolonia historio. Kaj intervjuo kun luksemburga misiisto kiu laboris en Kongo, iama belga kolonio.

1. „Wir müssen uns entschuldigen“. Ein Luxemburger Missionar beteiligt sich an der Aufarbeitung der belgischen Kolonialgeschichte (d’Lëtzebuerger Land)
2. Deutsche Lianen, deutsche Affen; Rassismus lohnt sich nicht (DAAD Letter)
3. Deutschland und sein Kolonialbesitz (NZZ am Sonntag)
4. Weiß und Schwarz.  Bunte Kinder, große Verwirrung: die Folgen der deutschen Kolonien (Südkurier)
5. Schwitzen für den Kaiser (Stuttgarter Nachrichten)
6. Zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Herero zeigt das Schulmuseum Friedrichshafen altes Lehr- und Propagandamaterial (Südwestpresse)
7. Bronzen für Benin. Frankreich will Raubkunst an Afrika zurückgeben (d’Lëtzebuerger Land)
8. Mitmenschen aus dem Hinterland. In Ostfrankreich und der Schweiz erinnert eine Themenstraße an die Abschaffung der Sklaverei (d’Lëtzebuerger Land)

 


Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 04.08.2000

„Wir müssen uns entschuldigen“


Ein Luxemburger Missionar beteiligt sich an der Aufarbeitung der belgischen Kolonialgeschichte

Ziemlich genau in der Mitte von Afrika stand Jacques Steffen am 7. November 1959, und er war ziemlich verblüfft. Der Bischof von Stanleyville (Kisangani am Kongo-Fluss) hatte den Pater des Herz-Jesu-Ordens aus Clairefontaine an diesem Tag nach Ubundu, 120 Kilometer südlich von Kisangani, gebracht und ihm erklärt, dass er dort zusammen mit einem zweiten Pater für die Missionierung eines 200 mal 200 Kilometer großen Gebiets zuständig und außerdem Direktor der Grundschule gegenüber des Missionsgebäudes sei. Der junge Missionar war etwas erstaunt, als um 8 Uhr an die 2000 Kinder ankamen.

Wie war Steffen auf diese Aufgabe in der belgischen Kongo-Kolonie vorbereitet worden? Abgesehen von der Priesterweihe und einer Einführung in Tropenmedizin gar nicht. „Man wußte ja alles, man brauchte für die Schwarzen nichts zu lernen. Der Missionar war der Meister, und die Schwarzen hatten zu gehorchen“, schildert Steffen, heute Geistlicher des Klosters Schengen und Priester in verschiedenen Luxemburger Gemeinden, die damalige Arroganz der Europäer. Sie habe zu einer „unmöglichen Situation“ geführt: „Wir predigten in der Kirche Brüderlichkeit – vor Menschen, deren Väter und Großväter von der belgischen Kolonialmacht umgebracht worden waren. Besonders glaubwürdig waren wir so nicht.“

Die Schwarzen seien überzeugt gewesen, dass die weißen Missionare über die belgischen Verbrechen Bescheid wüßten: „In der afrikanischen ‚Kultur der Sprache‘ wurde die Geschichte ja regelmäßig weitererzählt und so überliefert. Wir Europäer mit unserer ‚Kultur der Schrift‘ wußten aber wirklich nichts. Gar nichts! In unseren Büchern stand ja nichts über die Schandtaten.“

Die Propaganda zur Vertuschung des grausamsten Kolonialregimes Afrikas kann heute noch selbst abgebrühten Werbeprofis Respekt einflößen. Was der Weltöffentlichkeit als „Etat indépendant du Congo“ verkauft wurde, war in Wirklichkeit der Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II., der mit Elfenbein und Kautschuk Prachtbauten wie den monumentalen Triumphbogen im Brüsseler Parc du Cinquantenaire finanzierte. Leopold II. gelang es, sein gnadenloses Ausbeutungsregime als „Erziehung zur Zivilisation“ darzustellen – zum Beispiel mit dem 1897 in Tervuren eröffneten Kolonialmuseum, das heute noch in seiner ganzen Verlogenheit zu bewundern ist. Der gierige König präsentierte seine Raubzüge als humanitäres Werk, als Befreiung des Kongo von „arabischen Sklavenhändlern“. Allerdings durften diese ihre Sklaven durchaus behalten, sofern sie die belgische Oberhoheit anerkannten. Die Schwarzen wurden mit der Nilpferdpeitsche, die schwerste Verletzungen verursacht, zur Arbeit gezwungen. Berühmt wurde auch die Anweisung an die Soldaten der „Force publique“, für jede verbrauchte Patrone eine Hand abzuliefern, um die „ordnungsgemäße“ Verwendung der Munition nachzuweisen. Soldaten, die ihre Kugeln für die Jagd verschwendeten, schlugen einfach dem nächstbesten Lebenden die Hand ab.

„Wir Missionare waren ein Teil des Kolonialregimes. Wir haben das jahrelang nicht begriffen“, sagt Pater Steffen. „Wir fühlten uns berufen, das Christentum zu verbreiten, und wir waren guten Glaubens. Leopold II. aber war das Christentum ganz gleich. Er hat die Missionare gerufen, weil er Leute haben wollte, die die Schwarzen zu brauchbaren Untertanen erziehen. Die Mission in Ubundu hatte außerdem strategische Bedeutung – sie sollte die Protestanten aus dem Osten, das heißt den Vormarsch der Engländer stoppen.“

Nur ein einziger katholischer Missionar, Leonhard Massmann, wandte sich gegen die Kolonialverwaltung – und wurde prompt gefeuert. Für um so größer hält Steffen die Verdienste der protestantischen Missionare: „Sie waren meist Ärzte oder wenigstens Krankenpfleger – zu ihnen kamen die Überlebenden. Sie fingen um 1904 an zu protestieren und lösten in der ganzen Welt Empörung aus. Deswegen hörten die schlimmsten Greuel auf.“ 1908 übergab Leopold II. den Kongo, gegen eine stattliche Entschädigung, an den belgischen Staat, der daraus eine „normale“ Kolonie machte, an der Behandlung der Schwarzen allerdings nicht viel änderte.

Zu diesem Zeitpunkt lebten auch 29 Luxemburger dort, meist Eisenbahner. Nach der belgisch-luxemburgischen Wirtschafts- und Währungsunion nahm ihre Zahl auf rund 600 zu; der Kongo wurde zur „heimlichen Kolonie“ Luxemburgs. Luxemburger durften gleichberechtigt mit belgischen Staatsangehörigen Beamte der Kolonialverwaltung werden. 1925 gründeten Handlanger des belgischen Regimes einen „Cercle Colonial Luxembourgois“.

Die meisten Luxemburger verließen den Kongo, als das Land vor 40 Jahren überstürzt und ohne Vorbereitung in die Unabhängigkeit „entlassen“ wurde – die rund 60 Missionare aus Luxemburg blieben jedoch. „Für uns Priester gab es keinen Grund zu gehen; die Leute waren auch nicht gegen uns“, sagt Steffen. Der Kongo versank nun in einem Bürgerkrieg, bei dem Belgien kräftig mitmischte. Der erste kongolesische Premierminister, Patrice Lumumba, der es gewagt hatte, vor dem belgischen König Baudouin die Kolonialgreuel anzusprechen und gegen Separatisten sowjetische Hilfe anforderte, wurde unter dubiosen Umständen ermordet.

1964 brachten Aufständische an die 200 Missionare um – allerdings erst, als belgische  Fallschirmjäger und Legionäre intervenierten. „Man hätte den Dialog mit den Rebellen nicht abbrechen dürfen, das ist nicht die Kultur der Schwarzen“, meint Steffen. „Man hätte Geduld haben müssen. Aber der belgische Außenminister Spaak hatte keine Zeit, er wollte einfach, dass die Rebellion vor dem ersten Tag der UNO-Vollversammlung beendet ist. Folglich ging es den belgischen Truppen auch gar nicht darum, das Leben der Weißen zu retten.“ So erklärt sich Steffen, dass in Kisangani acht Luxemburger Missionare getötet wurden, obwohl belgische Soldaten von der anderen Seite des Kongo-Flusses aus hätten eingreifen können. Steffen war zu dieser Zeit in Europa im Urlaub; sein Kollege in Ubundu überlebte ebenfalls, wenn auch mit zwei Kugeln im Leib.

Nach dem Aufstand kehrte Steffen in den Kongo zurück. Langsam kamen ihm Zweifel an der gewohnten Weltanschauung. „Wenn man sich auf die drei Fragen des Missionars – ‚Bist du krank? Hast du Hunger? Willst du getauft werden?‘ – beschränkt, bekommt man auch nicht mehr zu hören. Um aber weiter zu bohren, muss man erst einmal davon ausgehen, dass die Schwarzen eine Kultur haben, das heißt, dass die Schwarzen Menschen sind wie man selbst. Das ist ein großer Sprung.“ Besonders für einen Missionar sei das „ein schwieriger Prozess. Man erlebt eine existentielle Angst: Ist richtig, was ich glaube oder was sie glauben? Erst wenn man mit sich selbst wieder in Frieden kommt, kann man sich dann wirklich dafür interessieren, wie die Schwarzen zum Beispiel Krankheiten heilen oder ihre Kinder erziehen.“

1983 wurde Steffen nach Rom versetzt. Seit ein paar Jahren arbeitet er nun an seinen Memoiren. Bei den Recherchen dazu lernte er den ehemaligen belgischen Kolonialbeamten Jules Marchal kennen. Marchal kämpft schon seit 1975 darum, die Geschichte des Belgisch-Kongo publik zu machen. Seine detailreichen Bücher erscheinen im Selbstverlag und sind einer größeren Öffentlichkeit unbekannt – nutzen aber Historikern wie zum Beispiel Adam Hochschild.

Trotz dieser Anstrengungen geht die „Verschwörung des Schweigens“ weiter, ist sich Steffen sicher. Wieso ist zum Beispiel das 1986 erschienene Buch „Du sang sur les lianes. Léopold II et son Congo“ des Historikers Daniel Vangroenweghe nirgends mehr erhältlich? „So viele Leute, die sich für den Kongo interessieren, gibt es nicht. Vermutlich haben Firmen, die ihren Reichtum mit dem Blut der Schwarzen aufgebaut haben, die Auflage aufgekauft.“

In einem Nachwort, das Steffen zu Marchals Buch „Missie en Staat en Oud-Kongo“ beigesteuert hat, legt er dar, warum er trotz aller Widerstände nicht aufgeben will: „Die Schwarzen wissen heute noch ganz genau, was sich alles zugetragen hat. Sie sind überzeugt davon, dass wir es auch wissen, und sie können uns nicht vertrauen. Deshalb müssen wir uns der Geschichte wieder bewußt werden und die Konsequenz daraus ziehen – nämlich uns entschuldigen. Die Schwarzen sollen sehen, dass wir uns darüber Gedanken machen und nicht einverstanden sind. Erst wenn wir den Schwarzen wieder frei in die Augen schauen können, kann ein fruchtbarer Dialog entstehen. Wir müssen den Mut haben, die Sachen publik zu machen“

Martin Ebner

Bücher:
– Jules Marchal: L’Histoire du Congo 1910-1945: Tome 1: Travail forcé pour le cuivre et pour l’or, Tome 2: Travail forcé pour le rail, Edition Paula Bellings, Borgloon 1999 und 2000
– Adam Hochschild: Schatten über dem Kongo, Stuttgart 2000 (erste deutsche Übersetzung von King Leopold’s Ghost)
– Ludo De Witte: L’Assassinat de Lumumba, Karthala, Paris 2000

N.B. (27.11.2014): For one of the most disgusting propaganda  scams on earth, direct yourself to the „Musée royal de l’Afrique centrale“ in Brussels-Tervuren, Belgium. It’s a shame for all of Europe!

Kolonialmuseum Tervuren
The „Royal Museum for Central Africa“ in Tervuren, Belgium, was built in 1910. Since 2013 it is closed for „renovation and remodelling“. Reopening is promised for 2017: „Colonial history will be approached from a modern, critical perspective…“

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑


Published, Aperis: DAAD Letter 02/2001

Deutsche Lianen, deutsche Affen

„Die ersten Anzeichen von Tropenkoller sind Verminderung des sittlichen Empfindens und Abnahme der Urteilskraft“, wusste das „Deutsche Kolonial-Lexikon“ im Jahr 1914. Ob es die Deutschen deshalb so zum Urwald zieht? Ins Delirium? Jedenfalls wird in kaum einem Land der Welt so viel Geld für die Erhaltung der tropischen Regenwälder ausgegeben wie in Deutschland. Die fünfzehn Autoren dieses Bandes, den der Freiburger Kultur- und Wirtschaftsgeograph Michael Flitner herausgegeben hat, gehen den kulturellen Ursprüngen der deutschen Tropenwaldbegeisterung seit der Südamerikareise Alexander von Humboldts nach.

Seit Tacitus‘ Bericht über die schaurigen Urwälder Germaniens wird den Deutschen eine besondere Beziehung zum Wald nachgesagt. Mittlerweile scheint jedoch das bunte Chaos des fernen Regenwalds die ordentlichen heimischen Fichtenplantagen an Beliebtheit zu übertreffen. „Der Tropenwald steht gewissermaßen heute dort, wo der deutsche Wald zu Zeiten der Gebrüder Grimm stand“, schreibt Michael Flitner: „Die Bilder und Mythen sind reich entwickelt.“

Der Tropenwald lade zum Nachdenken über Naturbilder und Repräsentationspraktiken ein, meint Flitner: „In den Vorstellungwelten, die an diesen Waldkomplex geknüpft sind, verdichten sich Szenarien von Gut und Böse, Geschichten von Reinheit und Verschmutzung, Bilder von tiefer Urzeit und virtueller Gegenwart. Die Spannbreite reicht von dem Bild eines indigenen Tropenwaldbewohners, das an deutschen Bahnhöfen für natürliche Körperlotionen wirbt, über die Kampagne einer großen Umweltorganisation, 5.000 ‚Kindergedichte zum Schutz des Sumatratigers‘ zu sammeln, bis zu dem jahrzehntelang wiederkehrenden Gerücht, verschwundene Nazi-Größen lebten versteckt im tiefen Tropenwald.“

Im ersten Teil des Buches, „Bewährung und Erziehung“, geht es zum Beispiel um Missionare, die in den endlosen Wäldern Zentralafrikas den Inbegriff heidnischer Kulturlosigkeit sahen, aber auch um die „Raubtier- und Sensationsspielfilme“ von John Hagenbeck, der in den 1920er Jahren Bäume und Sträuche des Hamburger Zoos in eine „grüne Hölle“ verwandelte. Die Analyse von Urwald-Comics und Schulbüchern zeigt, wie der Tropenwald erst als bedrohlich, später nützlich und dann als gefährdet angesehen wurde. Im Abschnitt „Aufbruch und Wiederkehr“ ist zu lesen, dass reiche Kaufleute einen Teil ihrer Tropenholz-Gewinne dazu verwendeten, neue Wälder um Hamburg anzupflanzen. Zum Vergleich wird auch der japanische Tropenwald-Diskurs dargestellt

Politisch nicht ganz korrekt ist der letzte Teil des Buchs, „Neue Missionen“. Unsentimental werden dort Albert Schweitzer, der Gründer des berühmten Tropenspitals in Lambarene, und Bernhard Grzimek, Macher der jahrzehntelang beliebtesten deutschen Fernsehsendung „Platz für Tiere“, betrachtet. Forderungen von Umweltgruppen, „seit Jahrtausenden besiedelte oder genutzte Naturräume in menschenleere ‚Paradiese‘ zu verwandeln“, würden sich „als säkularisierte Varianten biblischer Diskurse deuten lassen“ und hätten „eine misanthrope Grundhaltung“. Häufig nimmt die deutsche Liebe zum Tropenwald auf die einheimische Bevölkerung keine Rücksicht.

Buch:
Michael Flitner (Hrsg.): Der deutsche Tropenwald. Bilder, Mythen, Politik. Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2000


Rassismus lohnt sich nicht

Gärten, Ordnung, deutsches Essen und deutsches Fernsehen: in Lagos leben die Deutschen im Camp „Beachland“ unter sich, Schwarze sind bloß als Dienstpersonal zu finden – ein guter Ausgangspunkt, um die afrikanisch-europäischen Beziehungen zu studieren. Erika Dettmar hat sechs Jahre lang, zuerst betreut vom Graduiertenkolleg „Interkulturelle Beziehungen in Afrika“ der Uni Bayreuth, dann im Rahmen eines Habilitationsprojekts der Uni Tübingen, die Rolle sozialer und kultureller Elemente in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nigeria und Großbritannien (in der Vergangenheit), bzw. Deutschland (heute) erforscht. Als Koordinatorin eines Programms zur Vermittlung von deutschen Fachkräften fand sie leicht Zugang zu Interviewpartnern.

Entgegen der „neoliberalen Annahme von anonymen Einzelindividuen, die auf dem Markt konkurrieren“, geht Dettmar davon aus, dass „die wirtschaftliche Zusammenarbeit durch soziale und kulturelle Segregations- und Integrationsprozesse geprägt ist“. Integrative Beziehungen zielen auf langfristige Gewinne für beide Seiten und sind in soziale Bindungen und geteilte kulturelle Normen „eingebettet“, die Partner fühlen sich verbunden. Segregative Beziehungen sind dagegen auf kurzfristige Profitmaximierung ausgerichtete Nullsummenspiele.

Bis ins 19. Jahrhundert kamen die europäisch-nigerianischen Beziehungen dem Ideal der Integration nahe: Die weißen Händler waren in einer Minderheitenposition, mußten afrikanische Institutionen respektieren und sich anpassen. Allerdings hielten die Europäer ihr Know-how zurück, während die afrikanischen Händler weiter nicht im kapitalistischen Sinne rational investierten, sondern ihr Geld in Sklaven, Frauen und Gefolgsleute steckten.

Dampfschiffe, neue Waffen und die Entdeckung des Chinin veränderten dann das Kräfteverhältnis. Nach Etablierung der Kolonialherrschaft kontrollierten die Briten Verwaltung, Währung und Rechtsprechung in Nigeria. Der neuen Ideologie des Rassismus entsprechend wurden getrennte Wohnviertel eingerichtet. Afrikaner wurden von allen Schlüsselstellen verdrängt – und reagierten mit Nationalismus.

Nach der Unabhängigkeit und zur Zeit des Ölbooms konnten sich die Nigerianer wieder mehr Spielraum erkämpfen. „Statusvorstellungen und kognitive Mechanismen“ aus der Kolonialzeit sind aber „in das kulturelle Erbe eingegangen“, stellt Dettmar fest: „Der Rassismus ist auch in den gegenwärtigen nigerianisch-deutschen wirtschaftlichen Beziehungen das wichtigste und prägendste Sinnelement.“ Die Rassensegregation werde aufrechterhalten, wenn auch mit sublimeren Mechanismen als früher. Die meisten deutschen Unternehmer würden in Nigeria bevorzugt analphabetische Arbeiter einstellen, nicht aber „anspruchsvolle“ Studienrückkehrer aus Deutschland.

Vor allem deutsche Facharbeiter und mittlere Manager würden versuchen, ihre Führungsrolle und materiellen Privilegien gegenüber oft gleichqualifizierten Nigerianern durch soziale Distanz zu legitimieren. Das „introvertierte und zielorientierte Arbeitsverhalten“ der Deutschen werde aber von den „personenorientierten“ Nigerianern als Überheblichkeit und Fortsetzung der kolonialen Ausbeutung interpretiert und mit Arbeitsverweigerung oder Sabotage beantwortet. Die Deutschen würden ihr ökonomisch unsinniges Verhalten jedoch „auch gegen wirtschaftliche Interessen aufrechterhalten“ – einfach, weil ihnen außer dem Rassendünkel keine „alternativen Mittel der Legitimierung“ zur Verfügung stehen würden.

Dass es auch anders geht, beweisen laut Dettmar die „personalisierten Geschäftsfreundschaften“, die Exportfirmen aus Bremen und Hamburg mit nigerianischen Unternehmen unterhalten. Für stabile und beiden Seiten Gewinn bringende Beziehungen seien „Vermittler-Persönlichkeiten“ nötig: Menschen mit Flexibiliät, kommunikativer Kompetenz, Einfühlungsvermögen und interkulturellen Erfahrungen.

Buch:
Erika Dettmar: Markt – Macht – Moral. Interkulturelle Wirtschaftsbeziehungen zwischen Afrika und Europa. Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2000

Martin Ebner

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑


Published, Aperis: NZZ am Sonntag, 27.07.2003

Deutschland und sein Kolonialbesitz


Obschon die deutschen Überseekolonien politisch wie wirtschaftlich nie von Bedeutung waren und bald verloren gingen, hatten sie grossen Einfluss auf das Mutterland

Wertlose Sandgruben, mehr sahen nüchterne Zeitgenossen in den deutschen Kolonien nie. Als „Kinder des Gefühls und der Phantasie“ tat sie Reichskanzler Leo von Caprivi ab. Die ab 1884 unter „Schutz“ gestellten Gebiete in Afrika, Ozeanien und China warfen nie nennenswerte Gewinne ab, zogen kaum Siedler an und beeindruckten grössere Imperialmächte nur mässig. Schon nach 35 Jahren beendeten die Sieger des Ersten Weltkriegs das Abenteuer und teilten den germanischen Überseebesitz unter sich auf. Trotz ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit hätten die bisher als Randerscheinung betrachteten Kolonien weit über die Kolonialzeit hinaus grossen Einfluss auf das „Mutterland“ gehabt, auf die Gedanken- und Gefühlswelt der deutschen Gesellschaft, betonen aber neue, kulturwissenschaftlich orientierte Arbeiten.

Die Expansion habe mehr Spuren hinterlassen als nur „Sarrotti-Mohren“ oder die „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler EDEKA“. Die Untersuchung der unverhältnismässig heftigen Kolonialdiskussionen eröffne neue Perspektiven auf die deutsche Geschichte, vor allem auf das ständig zwischen Überheblichkeit und Selbstzweifeln schwankende Bildungsbürgertum. Nicht nur die Koloniallobby (vor allem die Deutsche Kolonialgesellschaft mit 43.000 Mitgliedern im Jahr 1914 und ihr Frauenbund mit 19.000 Mitgliedern), fast alle Interessensgruppen hätten Wünsche auf die fremden Gefilde projiziert und auf ihrer Folie brennende Zeitfragen verhandelt.

In dem Band „Phantasiereiche“, der die Ergebnisse einer Oldenburger Tagung vom November 2001 präsentiert, erläutert Russell Berman den Hintergrund des neuen Ansatzes: Die allgemeine Hinwendung zur Kulturgeschichte und das Vorbild der (post) colonial studies in Anglistik, Hispanistik und französischer Literaturwissenschaft hätten seit dem Ende der 1970er Jahre auch Vertreter der „German studies“ in den anglo-amerikanischen Ländern veranlasst, sich für Kolonialismus zu interessieren. Deutsche Historiker hätten das Thema lange gemieden, auch weil es „zwangsläufig in eine Auseinandersetzung mit politisch und ethisch extrem grenzwertigen Vorstellungswelten“ führe.

„Phantasiereiche“ ist in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten zu den „politischen Dimensionen imperialer Entwürfe“ untersucht Christian Geulen die Beziehung von rückwärtsgewandtem Nationalismus und zukunftsorientiertem Imperialismus. Helmut Bley erklärt den Rechtsradikalismus nach 1919 mit enttäuschten Kolonialambitionen. Dirk van Laak zeigt, wie nach dem Ersten Weltkrieg vom Kolonialministerium bis zur Tropenmedizin der koloniale Apparat unbeirrt weiterarbeitete. Pascal Grosse schreibt über die Migration aus den Kolonien nach Deutschland. Im Abschnitt „Kultur, Rasse, Geschlecht“ zeigt David Ciarlo an Warenzeichenblättern, wie die Werbung nach 1900 immer rassistischer wurde. Lora Wildenthal untersucht den Kampf deutscher Frauenorganisationen gegen „Verkafferung“, der zur Verschickung von 1500 „rassereinen“ Frauen nach Südwestafrika führte. Andere Beiträge behandeln das Lesen in Tiergesichtern und Romane. In „Koloniale Imaginationen auf dem Prüfstand“ geht es um den Weimarer Kolonialrevisionismus und um exotische Filme. Eve Rosenhaft schreibt, dass die kommunistische, 1929 in Berlin gegründete „Liga zur Verteidigung der Negerrasse“ eher auf „Entlarvung“ der USA als auf deutsche Kolonialerfahrungen abzielte. Zum Schluss geht Alexander Honold, der letztes Jahr das Buch „Kolonialismus als Kultur“ veröffentlicht hatte, den Strassennamen des Afrikanischen Viertels in Berlin nach.

Obwohl die Kolonien eine Angelegenheit des Reiches und folglich vor allem Preussens waren und in der deutschen Hauptstadt entsprechend viele koloniale Spuren erhalten sind, gab es dazu bisher kaum Veröffentlichungen. Der reich illustrierte Band „Kolonialmetropole Berlin“ behandelt Institutionen und Verbände, Ereignisse wie die Kongo-Konferenz, Völkerschauen oder Reichstagsdebatten, die afrikanische Diaspora und koloniale Überbleibsel auf Friedhöfen und in Museen, nicht zuletzt Tausende Schädel von Afrikanern im Keller der Charité. Verschiedene Beiträge betonen die Kontinuität von Kolonialpolitik und Nationalsozialismus, besonders in der „Rassenforschung“.

In „Moderne Imperialisten“ zählt Birthe Kundrus dagegen Unterschiede der „Rassenpolitik“ des Kaiserreichs und der Nazis auf und kommt zu dem Schluss, die wilhelminische Gesellschaft könne nicht nur auf antimoderne, antiliberale oder „protofaschistische“ Einstellungen reduziert werden. Im einzelnen untersucht Kundrus mit Blick auf Deutsch-Südwestafrika vier Themen: die Diskussion um den wünschenswerten Siedlertypus, die Wahrnehmung der afrikanischen Natur, die Inszenierung von „deutscher Kultur“ in den Kolonien und die Diskussion um Mischehen-Verbote, die statt der erhofften Trennung von „schwarz“ und „weiss“ Verwirrung produzierte, zum Beispiel da farbige Staatsangehörige „anderer Kulturnationen“ rechtlich als „weiss“ galten. Ob der zum Teil grotesk übersteigerte kolonial-imperiale Nationalismus ein deutscher „Sonderweg“ war, müsse noch international vergleichend untersucht werden.

Alle drei Bücher setzten die deutschen Kolonien mit Afrika gleich. Nur nebenbei ist zu erfahren, dass das Reichskolonialamt den Maler Emil Nolde nach Neuguinea schickte und der Reichstag tagelang über Eheverbote auf Samoa diskutierte. Das der Reichsmarine unterstehende „Pachtgebiet“ in China ist ganz ausgeblendet, obwohl Anmerkungen und Abbildungen nahe legen, dass es von den Kolonialinteressierten gleich behandelt wurde wie die „Schutzgebiete“ und der Wallungswert des „Boxeraufstands“ hoch war. Die Öffentlichkeit scheint kaum Unterschiede gemacht zu haben: Der erfolgreiche Schauspieler Louis Brady spielte nach Bedarf „Neger“, „Malaie“ oder „Chinese“.

Willkürlich erscheint auch, dass die Sammelbände nur die Zeit bis 1945 behandeln, obwohl zum Beispiel Bundeskanzler Konrad Adenauer einmal im Präsidium der Kolonialgesellschaft sass, die Umbenennung der Berliner Petersallee noch 1986 scheiterte und Namibia bis heute ein Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe ist. Zum hundertsten Jahrestag des Völkermords an den Herero und Nama im nächsten Jahr werden aber sicher weitere Kolonialbücher erscheinen. Und wenn die Zwei-Milliarden-Dollar-Entschädigungsklage, die Hereros in Washington gegen die Deutsche Bank und deutsche Regierung eingereicht haben, Erfolg hat, wird es wieder einmal eine heftige Kolonialdebatte geben.

Martin Ebner

Bücher:

  • Birthe Kundrus (Hrsg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Campus, Frankfurt 2003
  • Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin Edition, Berlin 2002.
  • Birthe Kundrus: Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien. Böhlau, Köln 2003.

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑

Deutsche Reichs-Kolonial-Uhr, gesehen im Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen
Deutsche Reichs-Kolonial-Uhr, gesehen im Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen

Published, Aperis: Südkurier, 26.07.2004

Weiß und Schwarz

Bunte Kinder, große Verwirrung: die Folgen der deutschen Kolonien

Wie intim dürfen Menschen verschiedener Hautfarbe werden? Vor hundert Jahren erregte Deutschland eine heftige Kolonialdebatte. Es ging weniger darum, ob die ab 1884 vom Kaiserreich zusammengestohlenen, meist in afrikanischen Wüsten verstreuten „Schutzgebiete“ jemals Gewinne abwerfen würden, sondern um „Verkaffern“ und „Vernegern“: Würde der deutsche Mann in den Kolonien trotz aller Siege am Ende doch von der Fremde überwältigt werden? Nämlich von der exotischen Frau?

Siedler und Soldaten meinten, gegen afrikanische Frauen, ob einzeln oder im Harem, spreche im Prinzip nichts, zumal auch farbige Gattinnen mit der Zeit perfekt Deutsch sprechen und ein „gutbürgerliches“ Essen auf den Tisch bringen würden. Dagegen bekämpften Frauenverbände erbittert die „Rassenmischung“: Nur die weiße, deutsche Frau sei Trägerin von Kultur; die Verteidigung des „Deutschtums“ müsse im Kindergarten beginnen, es dürfe keine afrikanischen Kindermädchen geben – und schon gar keine Ehefrauen. Folglich suchte der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft „geeignetes Mädchenmaterial“ und vermittelte rund 1500 junge Frauen aus Deutschland zu Zuchtzwecken in die Kolonien. Mischehen wurden von der Kolonialverwaltung verboten und zum Teil rückwirkend annulliert, 1905 in Deutsch-Südwestafrika, 1906 in Deutsch-Ostafrika und 1912 in Samoa.

Statt der erhofften ordentlichen Scheidung von „schwarz“ und „weiß“ führte die Debatte aber zu einem „paradoxen Ergebnis“, zu nichts als Verwirrung, schreibt die Oldenburger Historikerin Birthe Kundrus. Im Reichstag herrschte nur Einigkeit, dass eine deutsche Frau niemals einen Farbigen heiraten dürfe, da das „Rasseverrat“ sei und den schwarzen Ehemann mit einem deutschen Familienoberhaupt gleichstelle. Der umgekehrte Fall aber war umstritten – wie die Frage, was eigentlich ein „Neger“ sei. SPD-Abgeordnete fanden, wer eine deutsche Schulbildung habe, sei „Kulturdeutscher“. Für die CDU-Vorläuferpartei „Zentrum“ war Religion wichtiger als Hautfarbe: Heiraten zwischen Christen dürfe man nicht verbieten. Anderen war die Verschickung weißer Frauen zu teuer: Die Kolonien würden ohnehin nur Verluste bringen, da sollten sich die Kolonisten mit preiswerteren Afrikanerinnen begnügen.

Die deutsche Justiz betrachtete die Angehörigen „fremder Kulturstaaten“ als „weiß“. Japaner, Chinesen, Inder, aber zum Beispiel auch farbige Franzosen, Engländer oder US-Bürger wurden als „Weiße“ nicht der Gerichtsbarkeit für Eingeborene unterworfen und konnten heiraten, wen sie wollten, schließlich hatte Deutschland die Haager Ehekonvention ratifiziert. Dazu kam die Farbenblindheit des Bürgerlichen Gesetzbuchs: In Deutschland geschlossene Mischehen waren voll rechtsgültig – die Ehepartner durften aber nicht in die Kolonien reisen. Noch 1935, als das deutsche Kolonialreich längst wieder futsch war, zerbrachen sich Nazi-Juristen die Köpfe über die Nürnberger Rassegesetze: Was tun mit den Kindern eines „jüdisch-arischen Mischlings“ und einer Farbigen, also „rassenbiologisch Vierteljuden, Vierteldeutsche und Halbneger“? -Rassismus ist viel komplizierter als die meisten Rassisten denken.

Martin Ebner

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑


Published, Aperis: Stuttgarter Nachrichten (†), Bucheckle

Schwitzen für den Kaiser

Gnadenlos brennt die Sonne, im Dschungel lauern gemeine Tiere und böse Krankheiten, die Eingeborenen wollen keine Sklaven sein und machen einen Aufstand nach dem anderen: Ein Kolonialreich ist eine anstrengende Sache. Dass die detaillierte, mit bisher unveröffentlichten Fotos reich illustrierte Geschichte der deutschen „Schutzgebiete“ öfters zwischen Ironie und Zynismus schwankt, liegt wahrscheinlich daran, dass schon die Zeitgenossen des wilhelminischen Weltmachtstrebens nicht recht wussten, ob ihnen vor exotischen Kulissen eine Komödie oder ein Trauerspiel geboten wurde. Erkenntnis: Größenwahn ist keine Erfindung der heutigen Außenpolitik.  mte
Bernd G. Längin: Die deutschen Kolonien. Schauplätze und Schicksale 1884-1918. Mittler Verlag, Hamburg.

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑


Soldatenhelme im National Museum of Ireland
Unerwartete Schwierigkeiten des Kolonialismus: Die ersten englischen Kolonialtruppen liefen zunächst mit Metallhelmen in der Tropensonne herum – die Soldatenköpfe wurden regelrecht gekocht… Erst nach einer Weile wurden die Uniformen an die klimatischen Verhältnisse der Einsatzorte angepasst. (gesehen im National Museum of Ireland in Dublin)

Published, Aperis: Südwestpresse, 31.01.2004

„Die Welt schwelgt im Überfluss, und wir sind die Habenichtse“

Zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Herero zeigt das Schulmuseum Friedrichshafen altes Lehr- und Propagandamaterial, das für die deutschen Kolonien werben sollte.

„Kinder des Gefühls und der Phantasie“ nannte Reichskanzler Leo von Caprivi die Kolonien, die sich das deutsche Kaiserreich ab 1884 zusammengaunerte. Wirtschaftlich profitabel waren die sogenannten Schutzgebiete nie. Selbst die „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler Edeka“ handelte lieber mit den Briten. Deutsche Auswanderer gingen lieber in die USA als nach Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Togo, Kamerun, Neuguinea, Samoa oder Qingdao in China. Der Besitz dieser Ländereien beeindruckte die anderen Großmächte nur mäßig. Trotzdem: Die Kolonien bewegten die Gedankenwelt der deutschen Gesellschaft.

Kinder blätterten auch in abgelegenen Landschulen im „Kleinen Deutschen Kolonialatlas“ und sangen im Musikunterricht „Frisch auf, ihr Afrikaner, wir wollen euch brav zeigen, was deutsche Hiebe sind“. Dafür sorgte vor allem die einflussreiche „Deutsche Kolonialgesellschaft“. Sie hatte über 40.000 Mitglieder, die häufig auch im „Flottenverein“, im „Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“, im „Reichsverband gegen die Sozialdemokratie“ oder in anderen patriotischen Lobby-Gruppen aktiv waren.

Die für die „Kolonialerziehung“ verwendeten Schulwandbilder zeigen eine farbige Welt ganz nach dem Geschmack der damaligen Konservativen: Große wilde Tiere in unberührter Natur. Brave Neger, die fleißig Tabak, Bananen, Kakao, Elfenbein oder andere Schätze ihrer Heimat auf den Dampfer mit der deutschen Fahne schleppen. Frisch rasierte weiße Aufseher in weißen Tropenanzügen, die mit ihrem Gewehr lässig im Schatten stehen und Zigarre rauchen.

Als sich die blutigen Aufstände der Herero, Nama und anderer unzufriedener Völker nicht mehr verheimlichen ließen, lösten in den deutschen Schulbüchern nicht minder verlogene Schlachtenbilder die Werbe-Idylle ab: auf der einen Seite „ruhig und unerschrocken“ die Soldaten „unserer Schutztruppe“, auf der anderen verkrümeln sich Eingeborene „in regelloser Flucht“.

Richtig interessant wurden die deutschen Kolonien erst, als sie nicht mehr da waren, als sie nach dem Ersten Weltkrieg unter den Siegermächten aufgeteilt wurden mit der Begründung, die Deutschen hätten „auf dem Gebiet der kolonialen Zivilisation versagt“. Deutschland schäumte vor Wut und bemühte sich jahrzehntelang verbissen um den Nachweis, die deutsche Kolonialverwaltung sei besser, die deutschen Neger glücklicher, die deutschen Bananen größer als alle anderen gewesen.

Die Nazis ließen sich das Thema nicht entgehen. Ihr „Reichskolonialbund“ hatte rund zwei Millionen Mitglieder; im „Kolonialpolitischen Amt“ in München dachten 250 Beschäftigte darüber nach, wie nach der „Befreiung Afrikas“ Heiraten von Juden und Schwarzen zu regeln wären. „Warum Kolonien?“ fragte eine Schullandkarte im Dritten Reich und ließ Propagandaminister Goebbels die Antwort geben: „Die andere Welt schwelgt im Überfluss, und wir sind die Habenichtse. Wir brauchen Lebensraum für unser Volk.“

Martin Ebner

Das Schulmuseum Friedrichshafen zeigte die Ausstellung „Die Kinder für die deutschen Kolonien begeistert“ bis zum 28. Februar 2004.


Afrikanische Kunst im Pariser Musée du Quai Branly
Afrikanische Kunst im Pariser Musée du Quai Branly

Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 04.12.2018

Bronzen für Benin

Frankreich will Raubkunst an Afrika zurückgeben

Wo ist der Glaube an das Gute geblieben? Dass der französische Präsident ihnen Gutes will, wollen viele Afrikaner nicht glauben. Manche vermuten Machtspiele: Angesichts von Chinas Vormarsch wolle Frankreich sein miserables Image aufpolieren. Oder Ablenkungsmanöver: lieber ein paar Masken zurückgeben als über Ausbeutung und Schulden verhandeln. Andere vermuten, Afrikas Kunst sei den Europäern nicht mehr wichtig; sie wollten die Erinnerung an die Kolonialzeit loswerden. Der Philosoph Achille Mbembe aus Kamerun argwöhnt, Museumsstücke sollten jetzt wie Flüchtlinge abgeschoben werden.

Emmanuel Macron hatte vor einem Jahr Kolonialismus als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet. In einer Rede in Ouagadougou, Burkina Faso, kündigte er an, „innerhalb der nächsten fünf Jahre die Voraussetzungen für zeitweilige oder endgültige Restitutionen des afrikanischen Kulturerbes an Afrika“ zu schaffen. Macron twitterte: „Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein.“ Im März 2018 bestellte er dazu eine Studie von Bénédicte Savoy, Kunsthistorikerin an der TU Berlin und am Collège de France, und von Felwine Sarr, einem Ökonomen aus dem Senegal.

Am 20. November veröffentlichten Savoy und Sarr nun ihren Bericht. Auf 240 Seiten erläutern sie, wie Kulturgüter aus Afrika geraubt oder „unter unfairen Bedingungen“ angeeignet wurden. Über 90 Prozent des afrikanischen Erbes befinden sich heute außerhalb des Herkunftskontinents. Rund 100 französische Museen haben schätzungsweise 90.000 Objekte aus Afrika südlich der Sahara. Davon hütet allein das Musée du Quai Branly 70.000 Stück. Für das Prestigeprojekt von Präsident Jacques Chirac waren im Jahr 2006 verschiedene Völkerkunde-Sammlungen in Paris vereint worden.

Um „das kulturelle Ungleichgewicht etwas auszugleichen“, empfehlen die Wissenschaftler einen Drei-Stufen-Plan: Bis Ende 2019 sollte Plünderungs- und Kriegsbeute zurückgegeben werden. Für einen „intensiven Dialog“ bis Ende 2022 sollten Afrikaner die Inventare französischer Museen bekommen. Danach solle die eigentliche Rückgabe erfolgen, auf Antrag. Voraussichtlich würden nur einzelne, besonders symbolträchtige Kulturgüter zurückgefordert. Gesetze, die Veräußerungen aus nationalen Sammlungen verbieten, seien zu ändern. Die Beweislast sei umzukehren: Die reichen französischen Museen müssten einen ethisch akzeptablen Erwerb nachweisen, nicht arme Afrikaner den Raub.

Umgehend kündigte Präsident Macron an, „alle möglichen Formen der Zirkulation dieser Werke“ zu prüfen: „Rückgaben, aber auch Ausstellungen, Austausch, Leihgaben, Kooperationen usw.“ Zuerst sollen an Benin „ohne Verzögerung“ 26 Objekte zurückgehen, die französische Soldaten 1892 im Königspalast Dahomey eingesackt hatten: Throne, Zepter, Statuen. Außerdem müsse man „vertieft“ mit anderen europäischen Staaten zusammenarbeiten, die ähnliche Sammlungen unter vergleichbaren Bedingungen erworben haben: Im Frühjahr 2019 sollten sich in Paris „alle afrikanischen und europäischen Partner versammeln, um gemeinsam diese neue Beziehung und Politik des Austausches aufzubauen“.

Frankreichs Nachbarn sind peinlich berührt. In Brüssel wird nach jahrelangem Hickhack am 9. Dezember das Königliche Afrika-Museum in Tervuren neu eröffnet: 180.000 Objekte, meist aus dem Kongo, kaum fair erworben. Museumsdirektor Guido Gryseels erklärte eilig, er sei „froh, dass das Thema auf die Tagesordnung kommt“. Im Kongo gebe es aber keine Infrastruktur, keine Aufbewahrungsorte: „Es bringt nichts, zu sagen, alles soll zurück nach Afrika.“ Die belgische Regierung will nun die Provenienz-Forschung verstärken und erst einmal eine Arbeitsgruppe bilden.

Deutschland kommt die Debatte ganz ungelegen. In Berlin wird gerade das Stadtschloss wieder aufgebaut. Da man lange nicht wusste, wozu eigentlich, werden Völkerkundemuseen vom Stadtrand dorthin umgesiedelt: allein aus Afrika 75.000 Objekte. Den Expertenbeirat hatte Bénédicte Savoy im vergangenen Jahr mit Eklat verlassen: „Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft.“ Darauf versprachen CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag „die Aufarbeitung des Kolonialismus“. Ende 2019 soll der erste Teil des Humboldt Forums eröffnet werden, als „internationale Dialogplattform für globale kulturelle Ideen“.

Bei der Rückgabe von Raubkunst gibt es rechtliche und weitere Schwierigkeiten. Man weiß nicht einmal, wie man diese Leute, die ihr Zeug wieder haben wollen, nennen soll. „Neger“ sagt man nicht mehr. „Dritte Welt“ und „Entwicklungsländer“ sind auch bäh. Vielleicht „die da unten“? Der Deutsche Kulturrat, eine Dachorganisation von mehr als 250 Kulturverbänden, spricht von „den Ländern des globalen Südens“. Wie man mit denen „partnerschaftlich zusammenarbeiten“ und auf Macrons Inititative reagieren soll, das alles und viel mehr werde demnächst im zuständigen Fachausschuss beraten.

Martin Ebner

„Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthique relationnelle“ von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy ist als Buch von den Éditions du Seuil zu haben – und im Internet (auch auf Englisch) unter restitutionreport2018.com

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑


Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 09.10.2020

Mitmenschen aus dem Hinterland

In Ostfrankreich und der Schweiz erinnert eine Themenstraße an die Abschaffung der Sklaverei

In den Wäldern an der Schweizer Grenze waren nie besonders viele Negersklaven oder Paläste von Menschenhändlern. Als dort aber Dörfler anno 1789 zur Wahl der Generalstände ein „Beschwerdebuch“ verfassten, notierten sie ausdrücklich: „Die Einwohner und die Gemeinde von Champagney können nicht an die Leiden der Neger in den Kolonien denken, ohne dass ihre Herzen vom schärfsten Schmerz durchdrungen werden.“ Obwohl die Schwarzen doch die gleiche Religion hätten, würden sie schlechter als Lasttiere behandelt.

Von den rund 60.000 Cahiers de Doléances, die sich in ganz Frankreich erhalten haben, ist das von Champagney das einzige, das nicht nur über hohe Steuern und feudale Privilegien klagt, sondern auch uneigennützig die Abschaffung der Sklaverei fordert. Historiker vermuten, dass die Idee dazu von einem Leibwächter des französischen Königs stammte; der Offizier war gerade in Champagney auf Heimaturlaub. Heute erinnert daran ein „Haus der Négritude und der Menschenrechte“, in der Nähe der bekannten Le-Corbusier-Kirche auf dem Hügel von Ronchamp.

Der Osten Frankreichs scheint weit weg von Atlantikhandel, Zuckerrohrplantagen oder Demonstrationen für Black Lives Matter. Die Regionen Grand-Est und Bourgogne-Franche-Comté sehen sich aber als die „historische Wiege der Bewegung für die Abschaffung der schwarzen Sklaverei“. Im Jahr 1998, zum 150. Jahrestag der Befreiung, gründete Champagney zusammen mit vier weiteren Orten die Route des Abolitions de l’Esclavage.

Bei Lunéville hat das Dorf Emberménil ein Haus zum Gedächtnis an Abbé Grégoire eingerichtet: Der einstige Pfarrer des Orts ist vor allem für seine Rolle während der Französischen Revolution berühmt, als einer der Gründer der Ersten Republik und Autor der Erklärung der Menschenrechte. Er war aber auch Präsident der „Gesellschaft der Freunde der Schwarzen“, und in der Nationalversammlung kämpfte er gegen die „Aristokratie der Hautfarbe“, also gegen die Vorherrschaft der Weißen.

Im Schloss Joux bei Pontarlier entwickeln sich die ehemalige Gefängniszelle und das Grab von Toussaint Louverture zum Wallfahrtsort für Antikolonialisten: Der Anführer des Aufstands auf der Insel Saint-Domingue, der ersten und einzigen erfolgreichen Sklaven-Revolte im französischen Weltreich, wurde im Jahr 1802 auf Befehl Napoléons dort eingekerkert. In der Jura-Festung starb Louverture noch vor der Gründung von Haiti, der ersten unabhängigen Republik von Schwarzen, die ihn heute als Nationalheld verehrt.

Bei Dijon haben die Dörfer Chamblanc-Seurre und Jallanges einen „Erinnerungswald“ für eine dort geborene Missionarin gepflanzt: Anne-Marie Javouhey bildete in Französisch-Guyana freigekaufte Sklaven in verschiedenen Berufen und Handwerken aus. Die Gründerin der Josefschwestern von Cluny, des ersten Missionarinnen-Ordens, vertrat Jahrzehnte früher als Bischöfe und Päpste die Meinung, Schwarze seien „Menschen wie wir“.

Etwas an den Haaren herbeigezogen ist die Antikolonialgeschichte von Fessenheim: Das elsässische Dorf nahe Freiburg, ansonsten für ein altes Kernkraftwerk bekannt, zeigt ein Museum für Victor Schoelcher. Dieser Porzellanfabrikant und Staatssekretär verfasste nach einer schockierenden Amerika-Reise unzählige Artikel gegen Menschenhandel – und dann auch das Dekret, das am 27. April 1848 in Frankreich die Sklaverei „endgültig und vollständig“ abschaffte. Geboren und gestorben ist Schoelcher in Paris, gelebt hat er lange auf den Antillen und im englischen Exil. Sein Vater aber stammte aus Fessenheim, und auch er selbst sei immer „stolz auf seine elsässischen Wurzeln“ gewesen.

Mittlerweile haben sich insgesamt 25 Erinnerungsorte, die etwas mit der Abschaffung der Sklaverei zu tun haben wollen, zu einem „europäischen Gedächtniszentrum“ vereint. Dazu gehören auch Monumente berühmter Persönlichkeiten, zum Beispiel das Geburtshaus des Schriftstellers Victor Hugo in Besançon und das Schloss des Philosophen Voltaire in Ferney bei Genf. Fünf der Gedächtnisorte liegen in der französischsprachigen Schweiz: vom Verlagshaus STN in Neuchâtel, das einst die Enzyklopädie und andere in Frankreich verbotene Schriften veröffentlichte, bis zum Haus des Aufklärers Jean-Jacques Rousseau in Genf.

Die Themenstraße soll die „Verteidigung der Freiheit“ stärken und der „Bewusstseinsbildung zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz“ dienen. Ein Ziel ist aber auch die „Entwicklung des Erinnerungstourismus“: Die „einzigartige monopolartige Position in der Geschichte“ soll neue Zielgruppen zu Reisen in die französisch-schweizerische Grenzregion locken, insbesondere die „nationale und internationale Diaspora von Sklavennachkommen.“ Immerhin waren einst mehr als 12 Millionen Afrikaner über den Atlantik verschleppt worden.

Dabei sind manche der Souvenirs durchaus unschön. Das Museum in Champagney hat gerade eine Sonderausstellung zum Zweiten Weltkrieg eröffnet: Zwei Drittel der Soldaten, die unter großen Opfern Frankreich befreiten, kamen aus den Kolonien – zum Sieg durften dann aber nur Weiße durch Paris paradieren. Gemildert wird die historische Schande dadurch, dass dafür vor allem die USA verantwortlich waren, die damals noch Rassentrennung hatten. An den Rassismus der anderen erinnert man sich meist lieber als den eigenen.

Martin Ebner

Pôle mémoriel national de l’Est de la France et de la Suisse – 25 haut-lieux de l’histoire et des mémoires des abolitions de l’esclavage (1648-1848): http://www.abolitions.org/



Foto: Former house of German merchant Julius Mannich in Anping, Taiwan. As one of the first Chinese ports Anping (today part of Tainan) was forcefully opened to trade with Western countries in 1858. Iama domo de germana komercisto Julius Mannich in Anping (Tainan), Tajvano. Anping estis inter la unuaj ĉinaj havenoj kiuj estis – perforte – malfermitaj por internacia komerco. Ehemaliges Haus des deutschen Kaufmanns Julius Mannich in Anping (Tainan), Taiwan. Anping war einer der ersten chinesischen Häfen, die für den Handel mit dem Westen „geöffnet“ wurden.

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑

Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.