Wastebasket in ancient streetcar in Zurich

Smart-Card-Tickets: Der große Bruder fährt mit

About: Smart card ticketing for public transport. Article from an era when protection of data privacy  was still a topic…
Pri: Biletoj kun mikroprocesoroj. Ne estas problemo de datumprotekto,ĉar vi ne havas nenion por kaŝi…
Published, Aperis: taz – die tageszeitung, 06.07.1999


Mikrochips machen die Fahrkarte zum Universal-Paß – Datenschützer warnen vor detaillierten Bewegungsprofilen

Wer – außer Schwarzfahrern vor der Kontrolle – denkt über Fahrkarten nach? Dabei sind Tickets teuer – auch für die Verkäufer: Papier, Druck, Lagerung… Früher mußten noch je nach Reiseziel und Wagenklasse eigene Billette gedruckt werden – 1890 hielt der Berliner Anhalter Bahnhof 47.000 verschiedene Fahrkarten vorrätig. Seither ist Welt für Verkehrsbetriebe einfacher geworden; aber sie wollen weiter sparen – und an die Daten der Fahrgäste.

In Hongkong wurden Fahrkarten bereits ganz abgeschafft. Seit 1997 sind dort täglich 10 Millionen Passagiere mit einer „Smart Card“ unterwegs. Sie sieht wie eine deutsche Telefonkarte aus, kann aber nicht nur bezahlte Einheiten speichern, sondern ist mit ihrem Mikrochip ein richtiger kleiner Computer. Es reicht, die Karte beim Einsteigen in 10 Zentimeter Entfernung „kontaktlos“ am Lesegerät vorbeizuführen. Mit dem Plastikstück kann man nicht nur Fahren, sondern auch Einkaufen, Telefonieren oder sich im Automaten fotografieren lassen.

Ähnliche Systeme kommen auch auf Europa zu. Seit Anfang der 90er Jahre erproben sie von der EU geförderte Projekte. Das Ziel ist ein „Stadtpaß“ (auf Norderney ein „Insel-Paß“), der gleichzeitig als Fahrkarte, Geldbörse, Eintrittskarte und Identitätsausweis für Behördengänge dient – und sogar Notrufe senden kann. Technisch ist die „Karte für alles“ bereits möglich: Eine einzigen Karte bietet rund 30 verschiedene Speicherplätze.

Am fortgeschrittensten ist Paris. Dort ist auch der Bedarf am größten: Von den 9 Millionen Passagieren, die pro Tag Europas größten Verkehrsverbund benutzen, fahren rund 20 Prozent schwarz – weil sich die Magnetstreifen-Tickets problemlos fälschen lassen. Die Herstellungs- und Handlingkosten einer 9-Francs-Fahrkarte liegen bei 2,5 Francs, das veraltete Ticketsystem verursacht jährlich 40 Millionen DM Wartungskosten.

In diesem Frühjahr wird im Bahnhof Montparnasse von 50.000 Versuchsteilnehmern die Chipkarte „Modeus“ getestet; bis Ende 1999 soll sie in ganz Paris und anderen französischen Städten eingeführt werden. Diese Karte, in einen kleinen Transponder wie in eine Kreditkartenhülle eingeschoben, beseitigt die Plage der Entwertungsmaschinen und Warteschlangen vor Schaltern. Der Zugang zum öffentlichen Verkehr wird einfacher. Außerdem wird mit der elektronischen Geldbörse Kleingeld überflüssig. Mit einem Druckknopf können Notrufe ausgelöst werden.

Die Verkehrsunternehmen wollen mit  „Modeus“ den „Passagierfluß“ beschleunigen, da dezentrale Lesegeräte die Mikrochips in weniger als 120 Millisekunden registrieren. Außerdem sollen die Karten genaue Statistiken liefern – für bessere Fahrpläne und weniger Streit bei der Abrechnung zwischen Verkehrsunternehmen. Das teure Hantieren mit Bargeld soll wegfallen – und  Überfälle auf die Metro-Angestellten sich nicht mehr lohnen.

Ob die Ticket-Fälscher aufgeben, ist allerdings unsicher – je mehr man mit einer Karte anfangen kann, desto attraktiver ist sie für Kriminelle. Auch sonst ist noch viel ungeklärt, warnt Helmut Bäumler, der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte: „Das Datenschutzrecht kennt Chipkarten nicht. Es wurde geschrieben, als große Rechenzentren dominierten. Schon die Verbreitung von PC und ihre Vernetzung haben die Gesetze nicht so richtig verkraftet – um so weniger die nächste Stufe der Miniaturisierung, die Chipkarten.“ Was wird aus dem „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, fragt Bäumler, wenn „Daten aus unterschiedlichen Zusammenhängen auf einer Karte gespeichert“ werden und „wir den Komfort bei der Gebührenabbuchung mit Bewegungsprofilen bezahlen“?

Wer an einem Fahrkartenautomaten mit EC-Karte bezahlt, hinterläßt schon heute Datenspuren. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte weist darauf hin, daß Zeitpunkt und Ort des Ticketkaufs sieben Jahre lang gespeichert werden. „Dadurch besteht die Gefahr, daß der datenfreie Raum, in dem sich der Bürger unbeobachtet bewegen kann, immer kleiner wird.“ Bisher konnten die Datenschützer  ihre Forderung nach rascher Datenlöschung nicht gegen den „Zentralen Kreditausschuß“ durchsetzen; die Geldinstitute wollen das erhöhte Manipulationsrisiko von elektronischem Geld durch die Überprüfung der Kundenidentität verringern. Immerhin soll aber der  „anonyme“ Fahrkartenkauf mit Bargeld weiter möglich sein.

Wenn mehrere Funktionen auf eine einzige Karte integriert werden (beispielsweise auch Straßen-benützungsgebühren), können noch genauere Bewegungs- und Kundenprofile erstellt werden. Die interessieren nicht nur Firmen (etwa für Werbung oder Kontrolle der Arbeitnehmer), sondern auch Finanzämter, Staatsanwaltschaft und andere Behörden… Die Polizei könnte, wenn es wie in Paris Bahnsteigsperren gibt, unliebsame Personen schon lange vor Demonstrationen aus dem Verkehr ziehen. Andere könnten Ärger bekommen, wenn Ehepartner die genaue Verkehrsabrechnung sehen. Kriminelle könnten gezielter vorgehen, wenn sie einer gestohlenen Karte entnehmen, daß ihr Besitzer edel wohnt, immer Erster Klasse verreist und sich auch sonst viel leistet.

Zwar beteuern die Chipkarten-Hersteller, unbefugtes Ablesen oder gar Abbuchen könne mit PIN-Codes oder Datenverschlüsselung verhindert werden – aber wer weiß schon, was zwischen Chipkarte und Leseterminal alles passiert? Der Hamburger Datenschützer Uwe Schläger fordert daher, daß „der Verbraucher durch entsprechende Lesegeräte oder akustische Signale jederzeit erkennen kann, welche Transaktionen zwischen Chipkarte und Peripherie stattgefunden haben“. Entsprechende Regelungen sehen auch die Entwürfe für das neue Bundesdatenschutzgesetz vor. Denkbar wären zum Beispiel öffentliche Lesegeräte, die anzeigen, welche Daten auf einer Karte gespeichert sind. So wie früher auf den Marktplätzen geeichte Maße und Gewichte aufgestellt waren, gäbe es dann staatlich kontrollierte Chipkartenterminals.

Die technologische Entwicklung werden Datenschutzbedenken jedenfalls nicht aufhalten. In der Schweiz wird schon am nächsten Schritt gearbeitet: einem Mobilitäts-Chip fürs ganze Land. Ab dem Jahr 2005 sollen solche Mikrochips für sämtliche Schweizer Verkehrsmittel gelten und Schalterpersonal überflüssig machen. Diese Chips sollen nicht nur in Karten, sondern zum Beispiel auch in Armbanduhren eingebaut werden können. Man muß sie nicht einmal mehr in die Nähe eines Lesegeräts bringen – wichtig ist nur, sie bei sich zu tragen. -Bislang ist noch nicht geplant, derartige Chips direkt in den Menschen zu implantieren. Immerhin haben aber entsprechende Versuche mit Rindvieh bereits gute Erfolge gezeigt.

Martin Ebner


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Foto: Ancient streetcar in the tram museum Zurich, Switzerland: „Passengers are requested to throw used tickets, papers etc. into the wastbasket“Informo en malnova tramo en Zuriko, Svislando: „Bonvolu ĵeti malnovajn biletojn en rubujon; Schild in alter Straßenbahn, Trammuseum Zürich, Schweiz.

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