Tatyana's cat

Senior PC. Vom Internet zum virtuellen Altersheim

About: manuscript for a radio feature about senior citizens discovering computers and the internet
Pri: radioelsendo pri maljunuloj kaj interreto
First broadcast,
Unua elsendo: SWR2 Eckpunkt, 28.01.1999

Regie: Maria Ohmer


Weisheit ins Informationszeitalter bringen

 

Senioren erobern die Welt der Computer. Oder werden sie mit Multimedia zwangsbeglückt?


Sprecher:
Wissen ist Macht! Schon die Mönche im Mittelalter wußten genau: Analphabeten kann man leichter herumkommandieren als Menschen, die Buchstaben entziffern können. Deshalb brachten sie in den Klöstern nur einer kleinen Minderheit Lesen und Schreiben bei. Erst die Französische Revolution sorgte für eine Öffnung der Schulen, Bibliotheken und Archive. Heute wäre die modernste Kulturtechnik, der Umgang mit dem Computer, wohl auch eine Geheimwissenschaft – jedenfalls, wenn es nach dem Willen der Experten ginge, die sich stur weigern, einfach zu bedienende Computer zu bauen und verständliche Handbücher zu schreiben.

Ihnen wäre es wohl am liebsten, wenn die Welt im Jahr 1946 stehen geblieben wäre. Damals wurde der erste Computer gebaut. Normalbürger kamen nicht einmal in die Nähe des 30t schweren Ungetüms – nur Männer mit weißen Kitteln und wichtigen Gesichtern hatten Zutritt. Sie hätten es bestimmt für eine absurde Idee gehalten, mit Hilfe von Computern nicht nur Atombomben zu bauen und Arbeitsplätze wegzurationalisieren, sondern auch den Alltag von Millionen Menschen zu bereichern.

Seit aber in den 70er Jahren kleine „Personalcomputer“ ihren Siegeszug antraten und erst recht, seit das Internet Computer in aller Welt verbindet, läßt sich die Demokratisierung der PC-Technologie wohl kaum noch aufhalten. Immer mehr Menschen entdecken den Nutzen der Rechner. Dieses Jahr werden erstmals mehr Computer als Fernsehgeräte verkauft. Wer jedoch älter als 55 Jahre ist und deshalb von der Industrie als „Senior“ abgeschrieben wird, muß geradezu darum kämpfen, von den Computerfirmen ernstgenommen zu werden.

Diese Erfahrung mußten Senioren selbst in den angeblich so kapitalistischen USA machen. 1986 gründete dort Mary Furlong den Verein „SeniorNet“. „Das Vorbild dafür war das Leben meiner Großmutter“, erzählt Mary Furlong. „Sie hatte Freunde, mit denen sie jeden Tag sprach. Sie konnte über die Straße in den Park gehen – dort saßen Leute, die einander mit Namen kannten. Ich fand, daß dieser Gemeinschaftssinn in unserer modernen Welt fehlt. Obwohl Senioren mehr Erfahrung haben als jeder andere Teil der Gesellschaft, hört die Gesellschaft ihnen kaum zu.“ Da sollte „SeniorNet“ Abhilfe schaffen und die Kommunikation der Senioren untereinander und mit dem Rest der Gesellschaft erleichtern. -Die Computerfirmen winkten jedoch alle ab: kein Interesse.

Furlong ließ sich nicht entmutigen. Sie kaufte billige Computer in einem Spielwarengeschäft, packte sie in ihr Auto und fuhr los: „Ich gründete Arbeitsgruppen in den Kellern von Altersheimen und Schulen – und war überwältigt von der Nachfrage.“ Nach drei Jahren vergeblicher Sponsorensuche ermöglichte schließlich eine Stiftung eine erste Internet-Seite.

Heute betreibt „SeniorNet“ unter dem Motto „Weisheit ins Informationszeitalter bringen“ für Senioren nicht nur im Internet Treffpunkte, sondern unterhält auch in den ganzen USA über 100 Lernzentren, die „Computer-Kurse für ältere Erwachsene“ anbieten. Zu den Sponsoren des Projekts gehören mittlerweile alle großen Firmen. Kein Wunder, schließlich sind Senioren heute in den USA die am schnellsten wachsende Gruppe von Computer-Käufern und Internet-Nutzern.

Mit der üblichen Verspätung wiederholt sich diese Entwicklung in Deutschland. Zwar tummeln sich bislang nur 9% der über 50jährigen im Internet. Auch hierzulande gibt es jedoch schon viele Initiativen, die Senioren und Computer zusammenbringen wollen. Die Industrie aber wartet noch ab, sagt Harald Pandl, der Pressesprecher der Stuttgarter Paul-Lempp-Stiftung:


Pandl (O-Ton):
Wenn man mal anschaut, wie Werbung gemacht wird für Computer, dann haben Senioren immer die gleiche Rolle: Es sind die immer lieben treuen Alten mit viel Geld, deren einziger selbstloser Wunsch es ist, den dankbaren Enkelkinder Computer zu schenken. Daß Senioren mündige Verbraucher und eigenständige Zielgruppe sind, wird noch nicht erkannt.


Sprecher:
Theoretisch wird ja bei uns, anders als in den gescheiterten Planwirtschaften, jedes Bedürfnis entdeckt, jede noch so kleine Marktlücke heftig umkämpft. Die ständig steigende Zahl alter Menschen aber wird anscheinend nicht so richtig wahrgenommen; einschlägige Marktforschungsprojekte lassen sich jedenfalls noch an einer Hand abzählen. Die Paul-Lempp-Stiftung will das ändern. Für die zur evangelischen Diakonie gehörende „Unternehmensgruppe Dienste für Menschen“ erforscht sie, was ältere Menschen brauchen und wie soziale Einrichtungen verbessert werden können:


Pandl (O-Ton):
Wir haben festgestellt, daß Bewohner in unseren Wohnstiften und Pflegestiften sehr häufig allein sind und nur noch Kontakt zu Pflegepersonal und anderen Bewohnern pflegen. Die Familie wohnt in anderen Städten, die Enkel studieren auswärts, Freunde sind z.T. nicht mehr da oder gehen auch nicht in die Altenpflegeeinrichtungen und der einzige Kontakt, der noch besteht, wird übers Telefon wahrgenommen. Und wir haben uns überlegt, daß die neue Multimedia-Technologie da Abhilfe schaffen könnte. Ich denke da zum Beispiel, daß eine Bewohnerin in einem Pflegestift über Bildtelefon ihren Enkeln zum Geburtstag gratulieren kann und zusehen kann, wie das Geschenk ausgepackt wird.


Sprecher:
Zunächst aber müßten die Senioren überhaupt erst einmal an die neuen Technologien herangeführt werden. Dazu hat die Lempp-Stiftung ein Internet-Café entwickelt, in dem in zwangloser Atmosphäre Schulungen stattfinden und Gleichgesinnte sich zum Gedankenaustausch treffen können. Das „Kaffeehaus-Internet“ geht dieses Jahr als „der neue Treff für Junggebliebene“ auf Tournee durch Pflege-Einrichtungen in Württemberg, Thüringen und Sachsen. Begleitet wird die Tournee von Untersuchungen zur „seniorengerechten Gestaltung von Internet-Seiten“, berichtet Brigitte Schober-Schmutz, die Forschungsbeauftragte der Lempp-Stiftung:


Schober (O-Ton):
Wie ein Kind sich fühlt, denkt immer jeder, er könnte sich das vorstellen. Aber wie ein älterer Mensch sich fühlt, das kann man sich nicht vorstellen. Man war ja noch nicht alt, wenn man für diese Menschen arbeitet. Und diese Situation führt immer dazu, daß ältere Menschen halt benachteiligt werden, ganz generell. Und das möchten wir abbauen. Wir wollen von der Paul-Lempp-Stiftung her das Ziel verfolgen, die Lebensqualität alter Menschen zu erhöhen. Und das tun wir in diesem Fall, indem wir eine Begleitforschung zu Kundenzufriedenheit oder Seniorenzufriedenheit mit den Technologien machen, indem wir auch ihre emotionalen und psychologischen Probleme wissenschaftlich fundiert erfassen und indem wir natürlich auch überlegen, wie kann man die Informationen, die ein älterer Mensch braucht, die ihn interessieren, so aufbauen, daß er sie dann auch leicht aufnehmen kann. Das fängt an beim Bildaufbau, geht weiter bei der Anzahl der Inhalte, die ganz einfach oftmals zu einer Reizüberflutung führen. Die Farbgestaltung ist genauso wichtig. Ältere Menschen haben eine Verkrümmung der Hornhaut und eine Gelbverfärbung und nehmen eben bestimmte Farben einfach nicht mehr wahr als Kontrast. Das können Sie alles beim Bildaufbau nicht vernachlässigen, wenn Sie z.B. einen Senioreninfodienst im Internet aufbauen.


Sprecher:
Aber wollen die Senioren das denn überhaupt? Viele haben sich an ihrem Arbeitsplatz mit Händen und Füßen gegen die neumodischen Computer gewehrt. Sollen sie jetzt im Alter zwangsbeglückt werden?

Schober (O-Ton): Nicht zwangsweise – das wäre dumm. Es geht jedem von uns so, daß er seine ruhigen Minuten braucht und eine Aktivierung rund um die Uhr wäre total fehl am Platz. Aber Sie können sich ja auch vorstellen, wenn ich gerne Kontakt hätte mit meinen Angehörigen und 4 Wochen darauf warte, daß die Tochter zur Tür reinkommt – daß das nicht unbedingt der gewünschte Zustand ist. Unser Anliegen ist es jetzt, daß wir diese Kommunikationsbedürfnisse, die sie übers Internet befriedigen können, auch noch emotional unterlegen können. Also wenn jemand nicht mehr gut sprechen kann, weil er vielleicht mal durch einen Schlaganfall eine Lähmung bekommen hat, dann kann er natürlich trotzdem noch sprechen, vielleicht aber übers Telefon nicht mehr so verständlich wie über Bildtelefon oder über eine Computer-Connection im Internet. Und hat dann, selbst wenn seine Kinder irgendwo anders in der Welt sind, die Möglichkeit Kontakt aufzunehmen in der selben Quantität und Qualität wie früher und wie er es auch will.

Jemand, der in Ruhestand geht, hat zunächst überhaupt keine Zeit. Der macht erst mal alles, was er immer schon machen wollte, sofern er das kann und auch sich leisten kann. Und dann kommt irgendwann die Zeit, wo er dann doch viel Zeit hat – und dann interessiert er sich für neue Themen. Dann kommt aus unserer Sicht und aus der Sicht der Kompetenzwissenschaftler ein weiteres Entwicklungszeitalter im Leben. Dann werden Kompetenzen entwickelt, die man vorher nie genutzt hat, dann werden Kompetenzen entdeckt und das bezieht sich derzeit in unserer Ära der Technik eben häufig auch auf Computer und auf andere technologischen Neuerungen. Das wäre eigentlich fatal, daß man dadurch, daß man ins Pflegeheim kommt oder ins Wohnstift kommt einfach im Technologiebereich noch den Notruf nutzen kann, das Telefon und ansonsten in der Steinzeit sein müßte.


Sprecher:
Wer die neuen Medien nicht nutzen will, kann Nachteile haben, meint Brigitte Schober-Schmutz:


Schober (O-Ton):
Wenn ein anderer per Internet die gesamten Lebensmittel bestellen und ins Haus bringen lassen kann, dann muß er nicht raus und sich bewegen, was aber vielleicht in seinem Fall gar nicht möglich ist – aber er hat alles, was er braucht, und zwar dann, wann er’s braucht. Im Gegensatz zu dem, der Internet oder BTX nicht nutzen will, der muß in diesen Laden gehen oder ist abhängig von einem Nachbarn, ist unter Umständen auch in einer Situation, daß er wieder alles gut machen sollte, sei es über Geld oder über zusätzliche Zuwendungen oder Trinkgelder. Sie kennen das ja: Dann kommt das Nachbarskind und kauft einem ein – das geht ja nicht einfach so. Auch die Kinder haben heute ihre Stundenlöhne, wenn sie helfen. Die Nachteile sind einfach die, daß man abhängiger ist und daß man durch diese Medien eine Unabhängigkeit gewinnen könnte, wenn dort Angebote da sind, die für einen auch interessant sind. Und wer’s nicht nutzt, der hat diese Angebote eben nicht. Der wird sicher nicht sterben, der wird sicher nicht verhungern, der wird nur einen wesentlich höheren Organisationsaufwand haben und manchmal ist dieser Organisationsaufwand ja erwünscht. Manchmal will man ja 2 Stunden im Wartezimmer beim Arzt sitzen, damit man sich mit anderen Menschen über Krankheiten unterhalten kann.


Sprecher:
Ist also das Internet wirklich eine Hilfe? Oder führt es nicht doch eher zu noch mehr Vereinsamung?


Schober (O-Ton):
Das würde ich so nicht sagen. Denn wenn ich nicht beweglich mehr bin, da bin ich im Internet jemand, dem man nicht gleich ansieht, daß er behindert ist, jemand der ganz normal kommuniziert wie jeder andere auch, egal ob er 15, 20, 50 oder 80 ist. Ich kann das über mich sagen, was ich will. Ich kann abschalten und muß die Leute nicht mehr in mein Wohnzimmer, meine Intimsphäre lassen, was u.U. sehr wichtig ist, für die Menschen. Und ich kann natürlich, wie gesagt, mit Internet Arbeiten sparen, mich unabhängig machen, meine Ressourcen dafür einsetzen, wo ich dann wirklich meine Zufriedenheit finde.

Viele ältere Menschen machen ihren Doktortitel im Alter. Wenn Sie heute Forschung betreiben, wenn Sie schnell Informationen haben wollen – dann kriegen Sie die halt übers Internet. Und zwar in kürzester Zeit und direkt ins Wohnzimmer und auch relativ günstig. Ich glaube nicht, daß es sich hier um Statusangebote handelt, die immer hochpreisig sein werden. Sondern daß es mit Sicherheit viel schneller als im Telefonbereich zu relativ günstigen Preisen kommen wird.


Sprecher:
Tatsächlich gibt es an den deutschen Hochschulen über 25.000 Studierende, die älter als 55 Jahre sind. Wenn man sich nicht mehr in überfüllte Hörsäle drücken müßte, sondern den Vor-lesungen bequem im Internet folgen könnte, wären es vielleicht viel mehr. Wer einen Anschluß an das weltweite Computernetz hat, kann jedenfalls schon heute bequem vom Wohnzimmer aus ganze Bibliotheken durchstöbern. Andere Senioren wollen sich vielleicht preisgünstig mit ausgewanderten Freunden in anderen Erdteilen unterhalten – oder gleich selbst in der Welt herumreisen und deshalb die neusten Reiseinformationen lesen. Daß die vitalen Senioren nicht nur für Reisebüros gute Kunden sein könnten, spricht sich jedoch nur langsam zu den Computerfirmen herum. Senioren sind zwar eine wachsende „Zielgruppe“ – dazu eine, die bereits heute über 48% aller Einkommen verfügt. Dennoch konnte die Lempp-Stiftung für ihr „Kaffeehaus Internet“ keine Geldgeber finden:


Schober (O-Ton):
Wir dachten eigentlich, daß das mit einem Internet-Café im Pflegeheim schon allein durch die Unüblichkeit der Idee jeder Sponsor so schnell wie möglich darauf springen würde. Denn jeder wird so eine Headline lesen – was Pflegeheim? Das denkt man ja nicht. Genau das Gegenteil war der Fall. Mit Pflegeheimen oder Wohnstiften kann man anscheinend noch keine Werbung machen, keine erfolgreiche – man kann ja keine Dynamik, keine Kraft wie im Sport oder keine Erfolge in dem Sinne präsentieren, daß man jemand für den Arbeitsmarkt rehabilitiert, sondern man nimmt an in diesen Sponsoringabteilungen, daß im Pflegeheim und mit Alter eben nur Leid und Behinderung und Krankheit und womöglich Demenz verbunden sind – und diese eigene Angst vor dem Alter und die Vorurteile, die vielleicht aus Erfahrungen, die von vor 20, 30 Jahren stammen, die heute überhaupt nicht mehr einer Realität entsprechen – diese Vorurteile führen dazu, daß diese Menschen, die jetzt im Moment in diesen Sponsoringabteilungen entscheiden, und vielleicht gerade diese „50+ Generation“, die wir eigentlich noch mit einbinden wollen, repräsentieren, daß die einfach ‘nein’ sagen. Die denken, das wäre halt eine Spendenaktion, wo man halt mal wieder Almosen verteilen muß und nicht selbst daran auch profitieren kann.


Sprecher:
Unterstützt wird die Lempp-Stiftung nun von einer Stelle, der üblicherweise keine besondere Innovationsfreude zugetraut wird: von der Bundesregierung. Sie zeichnete das „Kaffeehaus Internet“ mit einem der zehn, jeweils mit 50.000 Mark dotierten Preise des „Deutschen Seniorenpreis Multimedia“ aus. Mit 157 Beiträgen hat dieser Wettbewerb ein „unerwartet großes Echo“ gefunden, freute sich Staatssekretär Helmut Stahl bei der Preisverleihung im letzten November: „Es gibt bereits eine ‘Senioren-Internet-Szene’. Die Basis ist breiter als vorurteilshaft vermutet.“ Etwas vollmundig fügte er hinzu: „Auf den Kenntnis- und Erfahrungsschatz der Senioren kann eine Wissensgesellschaft nicht verzichten. Deshalb dürfen Senioren das Computern nicht allein der Enkelgeneration überlassen.“

Um die Menschen, „die nicht zu den Computerexperten gehören, die sich deshalb hilflos fühlen in einer Zeit, in der eine neue Technologie unsere Welt radikaler als jemals zuvor verändert“, soll es auch bei einer weiteren Initiative der Bundesregierung gehen: beim „Forum Info 2000“. Dieses Forum versteht sich als „Zukunftswerkstatt“: Rund 800 Experten machen sich dort bis Herbst 1998 Gedanken über den Weg in die Informationsgesellschaft. Eine der Arbeitsgruppen nennt sich „Senioren in der Informationsgesellschaft“. Ihr Ziel: bis zur Jahrtausendwende sollen möglichst viele Bürger über 60 Jahren wissen, welchen Sinn und Zweck die neuen Technologien haben und wie sie diese persönlich nutzen können.

Dazu müßten sich die Senioren „Medienkompetenz“ erarbeiten, meint Hermann Rampacher vom „Forum Info 2000“. Multimedia müsse „gelernt und eingeübt werden – so selbstverständlich wie das Lesen, Schreiben und Rechnen. Deshalb brauchen wir schnell eine flächendeckende ‘Alphabetisierungswelle’. Der rein technische Umgang mit den neuen interaktiven Medien genügt nicht. Wichtig ist vor allem, Orientierungswissen zu erwerben, um nicht in der Informationsflut unterzugehen. Nicht nur hinter der Zeitung, auch vor dem Bildschirm muß ein ‘kluger Kopf’ sitzen.“

Im Alter sollen die klugen Köpfe dann in das sogenannte „Virtuelle Altenheim“. Dieses Projekt des Forums will Senioren zu Hause über Bildtelefon mit Leistungen erreichen, die ein traditionelles Altenheim vor Ort anbietet. So sollen Senioren dank moderner Technik länger zu Hause bleiben können, auch wenn sie nicht von Angehörigen gepflegt werden. Da es immer mehr Senioren gibt, dem Staat aber das Geld ausgeht, soll diese Betreuung gleich gut sein wie die heutige Altenhilfe – aber bis zu 30% weniger kosten. Josef Hilbert vom Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen wundert es deshalb nicht, daß „etablierte Anbieter sozialer Dienstleistungen“ um ihre Gewinne fürchten. Auch muß sich Hilbert den Vorwurf anhören, „alten Menschen eine inhumane Billigversorgung anzubieten. Wenn ich darüber rede, hängt oft der Vorwurf im Raum, daß da jemand spricht, der alte Menschen dadurch ruhigstellen will, daß er sie vor den Fernseher fesselt.“

Gudrun Born von der Caritas Limburg findet dagegen, man müsse auch an die Angehörigen denken: „Für sie besteht die Gefahr, daß sie sich überidentifizieren. Das bedeutet, sie geben alle über die Pflegebelange hinausgehenden eigenen Aktivitäten auf. Um ein solches ‘Pflegeghetto’ zu verhindern, brauchen Pflegende nicht nur mitmenschliche Kontakte und gelegentliche Ablenkung. Wichtig ist, daß sie sich Aufgaben erhalten, die über den eingeschränkten Pflegealltag hinausreichen; Aufgaben, in die sie – trotz weitgehender Präsenzpflicht – eigene Fähigkeiten einbringen und kreativ sein können. Dabei erweisen sich die neuen Techniken als ‘Tor zur Welt’, denn sie stehen zu jeder Tages- und v.a. Nachtzeit zur Verfügung – noch dazu ohne störenden Geräuschpegel.“

Natürlich sind es nicht nur humanistische Regungen, die die Teilnehmer des „Forum Info 2000“ umtreiben. Es geht nicht einfach nur darum, den Senioren neue Informations-, Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten anzubieten. „Die Sozialverbände stehen unter großem Kostendruck“, erklärt Jörg Balser von IBM: „Elektronische Post z. B. kann den Informationsaustausch billiger machen. Da können Sie Zehntausende dranhängen, ohne daß es viel mehr kostet als ein herkömmlicher Brief.“ IBM habe beim Forum viel gelernt, sagt Balser: „Wir haben gelernt, daß es da einen interessanten, zahlungskräftigen Markt gibt. In Skandinavien und den USA nutzen schon bis zu 40% der Senioren das Internet. Bei uns sind es vielleicht 3% – aber auch hier ist das Interesse der Senioren stärker als wir gedacht haben. Senioren sind sehr kritische Kunden – deshalb sind sie für uns eine gute Testgruppe.“ IBM plant Neuheiten, die besonders für Senioren geeignet sein sollen. „Allerdings wird es keine speziellen ‘Senioren-Terminals’ geben“, wehrt Balser ab. Außerdem hat IBM herausgefunden: „Senioren wollen nicht als ‘Senioren’ angesprochen werden.“ Etwas Kopfzerbrechen bereitet deshalb der Name der Initiative, die nach dem Forum kommen soll. Der Arbeitstitel lautet noch: „Senioren ans Netz“.

Schon heute bringt die Stuttgarter Stadtbücherei Senioren ins Internet. Als erste öffentliche Bibliothek Deutschlands stieg sie 1995 mit ihrer Mediothek am Rotebühlplatz in die Welt der elektronischen Information und Kommunikation ein. Zusammen mit dem „Treffpunkt Senior“ bietet die Mediothek eigene „Computerführungen für Senioren“ an. Einen speziellen Unterricht für ältere Menschen brauche es allerdings gar nicht, meint Christina Loichinger:


Loichinger (O):
Das ist schwierig einzugrenzen: was interessiert einen Senior? Die großen Museen der Welt, der Louvre und so – das kann einen 30jährigen interessieren, das kann aber auch einen 70jährigen interessieren. Ich denke auch nicht, daß es ein Privileg der Jugend ist, seinen geistigen Horizont zu erweitern. Für Kinder muß man halt ganz speziell was anbieten. Das fängt schon mal damit an: Kann ein Kind schon lesen? Ab einem bestimmten Alter wird das einfach vorausgesetzt. Deswegen muß ich für Kinder ganz andere Angebote machen als für jeden Erwachsenen. Aber ich denke, daß ab dem Alter alles interessant sein kann, daß ich da nichts speziell ausrichten muß. Es stellt sich die Frage, ob es notwendig ist, daß ich jemandem bewußt den Stempel auf die Stirn drücke – ‘du bist Senior und hast dich für das und das zu interessieren, und für dich mache ich extra große Buchstaben und eine einfache Sprache’ – also, da würde ich mich drüber aufregen!


Sprecher:
Beim Hantieren mit dem Computer gibt es Anfänger und Fortgeschrittene – aber das hängt nicht vom Alter ab. Die Senioren bekommen folgerichtig die gleichen Führungen wie die anderen Besucher auch:


Loichinger (O):
An sich unterscheidet’s sich nicht. Was das erste immer ist, wenn man die Gruppe vor sich stehen hat, man muß als erstes abschätzen: was haben die wohl für ein Hintergrundwissen? Man kann das dann mit Frage- und Antwortspielen schon ein bißchen rauskriegen, um dadurch auch zu wissen, mit welcher Sprachlichkeit man umgeht. Es gibt im Bereich Computer eine Terminologie, wenn man die benutzt, dann versteht einen manch normaler Mensch nicht, dem man so auf der Straße begegnet.

Worin man vielleicht einen Unterschied sieht, ist am Feedback, das dann zurückkommt. Wenn man eine Seniorenführung macht, fühlt man sich hinterher um einiges wohler wie wenn man jetzt so eine normal zusammengewürfelte Führung macht. Es kommt einfach mehr rüber. Die Senioren sind begeisterungsfähiger und sie geben dann auch einfach wieder was zurück: “Das war jetzt aber schön, daß wir das und das und das gesehen haben…”


Sprecher:
Außerdem würden die Senioren auch eher zugeben, daß sie irgend etwas nicht wissen. Die Senioren haben weniger Hemmungen, Fragen zu stellen – wohl weil nicht erwartet wird, daß sie sich damit auskennen, vermutet Christina Loichinger. Wer nicht mehr am Konkurrenzkampf des Berufslebens teilnehmen muß, braucht vor Blamagen keine Angst mehr zu haben und kann sich der neuen Technik viel ungezwungener nähern als zum Beispiel der Bundeskanzler, der sich höhnisches Gelächter gefallen lassen mußte, als er den „Daten-Highway“ mit der Autobahn verwechselte. Die Senioren sind auch nicht bereit, der Werbung zu glauben, daß alles gut sei, was neu ist:


Loichinger (O):
Viele hinterfragen auch, und das finde ich besonders schön bei den Internet-Führungen für Senioren, die hinterfragen auch den Sinn und Zweck des Internets. Ja, was bringt mir das jetzt eigentlich? Brauch’ ich das unbedingt? Die erwarten eine Antwort von mir – die kann ich ihnen aber auch nicht geben. Von dem her entspannt sich dann immer eine kleinere Diskussion darum, indem man eben die Dinge, die möglich sind in Bezug setzt mit dem, was sich auch an Unsinn rumtreibt im Internet und dann einfach versucht, das Sinnvolle vom Unsinn zu trennen. Wieviel Sinn das für den Einzelnen macht, muß jeder für sich selber entscheiden. Das ist dann meistens Quintessenz des ganzen: daß man es vielleicht für den privaten Gebrauch doch nicht unbedingt zu Hause haben muß. Daß sich aber doch durchaus sinnvolle Anwendungen finden. Und vor allem, daß es schön ist, einen freien Zugang zu so einem Internet-Terminal zu haben irgendwo, bei dem man auch hilfreiche Unterstützung bekommt, wenn jetzt Fragen bei der Bedienung auftauchen.


Sprecher:
Für Verzweifelte, die mit der Technik kämpfen, ist die Mediothek oft die letzte Hoffnung. Wenn der Computer nur kryptische Zeichen ausspuckt und der Drucker nicht druckt und im Computerladen nur unfreundliche Monster Dienst haben, gibt es immer noch eine Chance: das „Expertengespräch“ am letzten Freitag des Monats. Können aber die Spezialisten der Mediothek immer weiterhelfen? Oder überfordert die rasante Entwicklung der Technologie sogar die Fachleute?<


Loichinger (O):
Ich mein’, des hält uns schon immer ganz schön auf Trab, weil halt ständig neue Anforderungen an die Hardware da sind und weil man da ständig nachrüsten muß. Aber das ist nun mal so.

Das fällt auch den jungen Leuten schwer. Wenn ich vor drei Jahren einen Computerkurs gemacht habe, kann ich fast alles wieder vergessen, was ich bis dahin gelernt habe. Wenn ich nicht dauernd auf Trab bleibe, wenn ich nicht ständig irgendwas nachlese und mich nicht ständig informiere, dann verliere ich da ganz schnell den Boden unter den Füßen. Das ist die Entwicklung. Mit der kann man versuchen, Schritt zu halten. Man kann’s gleich lassen und sagen, ‘ich warte mal ab’ oder man kann sich eben immer wieder mal punktuell auf den neuesten Stand bringen, in Intervallen.


Sprecher:
Am einfachsten geht das wahrscheinlich, wenn man sich einem der mittlerweile doch recht verbreiteten Computer-Clubs anschließt. Eine Arbeitsgruppe „Senioren und Internet“ gibt es zum Beispiel in Ulm. Rund 20 Senioren treffen sich dort regelmäßig im Computerraum der Universität. Via Internet haben sie Verbindung zu Gleichgesinnten in aller Welt. Weil die Jüngeren beim Erklären der Technik aber immer so ungeduldig sind, haben sie ein eigenes Handbuch geschrieben. Sein Titel: „Internet – eine kleine Einstiegshilfe“. Auch Negativerlebnisse werden dort nicht verschwiegen: etwas die Unvollständigkeit der Angebote im weltweiten Netz und die zeitraubende Suche nach ihnen.

Zum Glück bieten Computer mehr Möglichkeiten als nur das Internet: Der 84jährige Peter Radok vom Club „Senior PC-Freunde Nettetal“ z.B. hat auf dem Computer Klavierspielen gelernt. Mittlerweile spielt er vierhändig: Einen Part hat Radok auf dem PC gespeichert, den anderen spielt er live dazu. „Der Computer ist das schönste Spielzeug, das ich je gesehen habe“, sagt er. Wenn sich die 60 „Senior PC-Freunde“ treffen, darf über alles geredet werden. Aber: „Das Thema Krankheit und die Leistungen vergangener Tage sind tabu. Wichtig ist vielmehr das Heute und der Blick auf den morgigen Tag.“


Sprecher:
Viele Senioren wollen sich also nicht mit sogenannten „Seniorenthemen“ zufriedengeben. Ist es da überhaupt sinnvoll, daß der Stuttgarter „FBD-Bildungspark“ – ähnlich wie viele Volkshochschulen – unter dem Motto „Lebenslanges Lernen hält jung“ spezielle Computerkurse für Senioren anbietet? Gert Keller vom Bildungspark will sich darüber nicht den Kopf zerbrechen:


Keller (O-Ton):
Die Frage ist ja – wer ist überhaupt Senior oder Seniorin? Da müßte man ganz pragmatisch vorgehen: Wer subjektiv meint, er würde gerne in so einer Gruppe lernen. Man kann nicht sagen, Senior beginnt ab 60 beispielsweise. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß auch ein 20jähriger eine sehr langsame Auffassungsgabe haben kann und ein 55 oder 60jähriger absolut frisch und flexibel ist. Aber das ist ein subjektives Gefühl, daß viele sagen, ‘Na ja, wir haben auch andere Inhalte vor zu lernen und deshalb wollen wir das machen’. Es ist nun einmal etwas anderes, wenn ich 32 bin und ich muß jetzt da neue DIN-Regeln lernen oder Geschäftsbriefe schreiben, als wenn ich da meine Weinsammlung archiviere oder eine Einladung für meinen Geburtstag schreibe – das Lustprinzip ist hier größer.


Sprecher:
Jedenfalls haben die Senioren bislang bei den Computerkursen keine besonderen Schwierigkeiten:


Keller (O-Ton):
Wenn die Schule schon lang weg ist, dann fällt’s schwerer, vielleicht über längere Strecken zu sitzen, einen Lernprozeß zu organisieren. Wenn jemand gewohnt war, sein ganzes Leben zu lernen oder einfach neugierig war und immer auch mal wieder Neues aufgenommen hat – derjenige tut sich natürlich sehr viel leichter. Das ist auch derjenige, der zu uns kommen wird, das muß man dazu sagen. Und in dem Bereich, wenn sich jemand entscheidet, ich mach’ noch einen Computerkurs – dann zeigt der so viel Initiative – der packt das dann auch mit Sicherheit.


Sprecher:
Das bestätigt auch Helmut Rensch, der Leiter der FBD- Seniorenkurse. Allerdings muß es bei den Kursen für die älteren Semester etwas gemütlicher zugehen als bei den „normalen“ Veranstaltungen:


Rensch (O-Ton):
Nur ist es so, daß die Leute ein bißchen ängstlich sind mit Jüngeren zusammen, die vielleicht eine schnellere Auffassungsgabe haben. Das kenne ich aus dem Unterricht. Da sehe ich dann, wie interessiert die sind – aber man muß auch die nötige Geduld haben, ihnen das zunächst einmal recht einfach beizubringen. Das ist meist die Schwierigkeit bei solchen Kursen, das denen zu viel auf einmal an den Kopf geworfen wird.


Sprecher:
Der Bildungspark will sich aber nicht nur auf „seniorengerechte“ Computerkurse beschränken, sondern auch einen „Senioren- Chat“ aufbauen – eine Tratsch-Ecke im Internet, wo sich Senioren wie beim amerikanischen „SeniorNet“ treffen können. Deshalb zeigt Helmut Rensch in seinen Kursen auch, wie elektronische Post funktioniert.


Rensch (O-Ton):
Und genauso Electronic Banking. Auch das wird in Zukunft immer stärker werden. Und die Banken sparen Personal und machen das durch Electronic wieder gut, angeblich. Darüber kann man diskutieren und streiten, aber wir müssen uns darauf einrichten, daß das kommen wird in immer stärkeren Maße. Ich habe mit Leuten gesprochen, auch Senioren, die mir gesagt haben: ‘Ja, das möchte ich lernen, Electronic Banking – in 3 Jahren kann ich nicht mehr zum Bankschalter gehen’…


Sprecher:
Vor dem Computer gibt es also kein Entrinnen – nicht einmal im Altersheim. Ist deshalb die Vermittlung der notwendigen Kenntnisse an alle, auch an diejenigen, die schon vor dem Internet-Zeitalter geboren wurden, vielleicht sogar eine neue Aufgabe für das staatliche Bildungssystem? So sieht das jedenfalls die französische Kulturministerin Catherine Trautmann. Seit Februar eröffnet sie in ganz Frankreich „Multimedia-Kulturräume“. Multimedia sei eine „neue kulturelle Praxis“, erklärt die Ministerin feierlich, das Internet mache aus dem Computer eine neue „Lese-, Hör- und Seh-Maschine“: „Es ist wichtig, daß sie nicht nur für die Jungen reserviert bleibt. Die Internet-Zentren müssen für alle geöffnet werden. So wie man die Bibliotheken für alle Generationen geöffnet hat.“


Martin Ebner


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