StreetScooter der Deutschen Post in Düsseldorf

Kein Dreck, kein Krach, kein Verschleiß: Busse und Lastwagen unter Strom

About: Electrical utility vehicles are advancing. A threat to conventional manufacturers?
Pri: Progreso de elektraj busoj, kamionoj, pramoj ktp.
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 26.08.2016


Die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen macht rasante Fort-schritte

Viele Autofahrer fremdeln noch mit der neu-alten Elektrotechnik. Schließlich muss man ja alle paar Tage ganz spontan mit seinem Wagen 800 Kilometer irgendwo hin brettern – und was, wenn dann die Batterie alle ist? Anders sieht die Rechnung bei Bussen und Lastwagen aus: Besonders im Linienverkehr lassen sich Lade-Halte vorausplanen und mit Fahrer-Pausen verbinden. Höhere Anschaffungskosten können durch billigeren Unterhalt ausgeglichen werden. Immer mehr Betreiber von Nutzfahrzeugen kalkulieren, ob Hochspannung für sie lohnt.

In Trier zum Beispiel will Oberbürgermeister Wolfram Leibe Wind- und Solarkraft für den öffentlichen Verkehr nutzen. Die Stadt, die bereits zwei Drittel ihres Stroms selbst produziert, soll zu einem Modell für „lautlose und abgasfreie Mobilität“ werden. Im vergangenen Jahr [2015] testeten die Stadtwerke Trier einen elektrischen Bus des chinesischen Herstellers Build Your Dreams (BYD). Stadträte waren sehr angetan von dem Vehikel, das mit zwei Batterien auf dem Dach tadellos die 17-Prozent-Steigung auf den Petrisberg bewältigte. Sie störte lediglich das laut surrende Geräusch im Innenraum. Und dass keine deutsche Firma diese Technik anbietet.

Der Batterie-Produzent BYD, 1995 von dem Chemiker Wang Chuanfu in Shenzhen gegründet, stieg 2003 auch in den Fahrzeugbau ein. Im Jahr 2015 hat BYD nach eigenen Angaben weltweit 6.000 E-Busse verkauft, vom 8-Meter-Fahrzeug für 49 Passagiere bis zum 18-Meter-Gelenkbus für 150 Fahrgäste. Kein Vergleich zu den 28.000 Bussen mit Verbrennungsmotoren, die Marktführer Daimler auslieferte – aber doch bereits eine stattliche Zahl. BYD hat auch Europas erste einschlägige Ausschreibung gewonnen: Seit 2013 summen sechs E-Busse über die Nordsee-Insel Schiermonnikoog. Die Fahrer bemerken bislang „keinen großen Unterschied“. Seit März [2016] kurven BYD-Doppeldecker durch London.

Trier will sich jetzt drei E-Stadtbusse zulegen, dazu zwei elektrische PKW als Ablösefahrzeuge für Busfahrer, eine Ladestation im Betriebshof, zwei Ladesäulen und einen Hochvolt-Bereich in der Werkstatt. Das soll 1,7 Millionen Euro kosten. Das deutsche Verkehrsministerium zahlt 400.000 Euro, weil damit elektrischer Nahverkehr auf „topografisch anspruchsvollen Linienverläufen“ erprobt wird. Ob Chinesen den Auftrag bekommen werden, ist nicht sicher. In Bonn, wo ebenfalls ein BYD-Bus getestet wurde, sind seit April [2016] sechs Batterie-Busse unterwegs, die in Salzgitter gebaut wurden von Sileo, einem Unternehmen der türkischen Bozankaya-Gruppe.

In Deutschland packt altehrwürdige Fahrzeugbauer das kalte Grausen. Sie hatten an Brennstoffzellen für eine fernere Zukunft herumgeforscht und ansonsten gehofft, sie würden das Ende des Erdölzeitalters nicht mehr erleben müssen. Wer Verbrennungs-motoren erfunden und zu Höchstleistungen gebracht hat, kann sich mit Batterien nur schwer anfreunden. Kurbelwellen, Getriebe, Kupplung, hydraulische Bremsanlagen, Vergaser, Ölfilter, Auspuffe – all diese Meisterwerke der Ingenieurskunst brauchen E-Fahrzeuge nicht. Elektromotoren halten länger als die Karosserie. Was wird aus Zulieferern und Reparaturwerkstätten, wenn Akkus und Reifen die einzigen Verschleißteile sind?

„Die großen deutschen LKW-Hersteller haben die Chance der reinen E-Mobilität vertan und das dem Mittelstand überlassen“, sagt Robert Orten: „Wir können, was die Großen versprechen.“ Sein Familienunternehmen mit 120 Mitarbeitern, 1925 aus einer Schmiede für Ackerwagen hervorgegangen, lebt von individuell gefertigten Lastwagen-Aufbauten, vor allem für Brauereien. Diese Zielgruppe macht sich Sorgen wegen immer häufigeren Fahrverboten in Innenstädten, will aber nicht bereits abgeschriebene, noch voll einsatzfähige LKW verschrotten.

Seit 2012 beschäftigt sich das in Bernkastel-Kues gegründete Subunternehmen Orten Electric Trucks mit Leichtbau, um bei E-Trans-portern das Gewicht der Batterien zu kompensieren. Im Januar [2016] konnten die Teilnehmer des „Runden Tischs Logistik Trier-Luxemburg“ den „Orten E75 AT“ Probe fahren: Der umgebaute 7,5-Tonnen Mercedes-Atego soll mit einer Batterie-Ladung 100 Kilometer weit kommen und dank neuen Aufbauten sogar 30 Prozent mehr Nutzlast mitnehmen können als der Diesel-Serienlaster. Bei der Nutzfahrzeugmesse IAA Ende September [2016] in Hannover will Orten auch einen elektrifizierten MAN-7,5-Tonner vorstellen, mit Planen-Aufbau für schnelles Be- und Entladen.

Die elektrischen Innereien bezieht Orten von ElektroFahrzeuge-Stuttgart (EFA-S). Eine Firma mit einer schwäbischen Geschichte: Reinhardt Ritter, frisch pensionierter Manager eines Maschinenbaukonzerns, tüftelt im November 1990 daran, den VW-Polo seiner Frau zu elektrifizieren. Da er nichts Passendes findet, entwickelt er selbst einen Synchronmotor: Vom Start weg volles Drehmoment! Seine Erfindung verkauft er auch einer Gemüsehändlerin, die für ihren bejahrten Lieferwagen keine Umweltplakette mehr bekommt. Das wiederum erfährt UPS. Der Paketdienst hat gerade das gleiche Problem auf dem Hof stehen: alte Mercedes-Sprinter mit unverwüstlichen Alukarossen, aber Dieselmotoren ohne Zulassung.

Heute ist UPS der Hauptkunde von EFA-S. Bereits über 100 braune Transporter wurden für jeweils rund 85.000 Euro auf Elektroantrieb umgerüstet: Damit sollen die Kleinlaster gut weitere 500.000 Kilometer machen können, und sie dürfen auch in strengen Städten wie London ausliefern. EFA-S baut Lithium-Eisenphosphat-Batterien des chinesischen Herstellers CALB ein. Die seien zwar etwas schwerer als andere Modelle, aber sicherer, weil sie auch bei Überlastung nicht explodieren. Die Batteriezellen werden ständig überwacht und können auch einzeln ausgetauscht werden. Immerhin ist die Batterie mit rund 20.000 Euro nach wie vor das teuerste Einzelteil eines Elektro-LKW. Seit März [2016] ist EFA-S kein rein schwäbisches Unternehmen mehr: Eine Investmentgesellschaft aus Peking, die bereits chinesische Hersteller für Hybrid-Autos und E-Busse kontrolliert, übernahm die Mehrheit.

Ob E-Mobilität sich rechnet, hängt von örtlich höchst unterschiedlichen Treibstoff- und Strom-Preisen, Steuern und Vorschriften ab. Der reine Kaufpreis ist jedenfalls höher. Der Nissan-Kastenwagen „E-NV200“ zum Beispiel ist in Deutschland ab 19.219 Euro plus 87 Euro monatliche Batterie-Miete zu haben, die Benzin-Version des Nissan-Leaf dagegen bereits ab 14.500 Euro. Dafür ermöglicht der E-Transporter nicht nur stressfreies Fahren ohne Schalten, sondern ist auch Vehicle-to-Grid-fähig: Wer Solarzellen auf dem Dach hat, kann den Laster als Stromspeicher verwenden. In geschlossenen Räumen, etwa Minen, gibt es oft gar keine andere Wahl als E-Antriebe. Die Münchner würden vielleicht einen Aufstand machen, wenn Stoßdämpfer und andere Lieferungen für das BMW-Werk mehrmals täglich mit Diesel-LKW durch die Stadt gekarrt würden. Seit einem Jahr erledigt das vergleichsweise unauffällig eine elektrische 40-Tonnen-Zugmaschine des holländischen Herstellers Terberg.

Dass Umstellung auf Strom die Betriebskosten deutlich senken wird, erwartet die Deutsche Post, die von 1899 bis in die 1960er Jahre schon einmal elektrische Paketwagen hatte. Im Jahr 2014 übernahm der gelbe Logistik-Riese die Firma StreetScooter. Dieses Start-Up entstand 2010 an der RWTH Aachen mit der Idee, dank modularer Produktion E-Transporter bereits in kleinen Stückzahlen rentabel herzustellen. Derzeit betreibt die Deutsche Post 500 Streetscooter. Heuer lief die Serienproduktion der klobigen Zustellwagen an, bis zum Jahresende sollen 2.500 ihren Dienst antreten. Vorerst produziert die Post nur für den Eigenbedarf; zunächst sollen 30.000 Briefträger elektrifiziert werden. Der für die Paketsparte zuständige Vorstand Jürgen Gerdes kündigte aber bereits an, man könne das Fahrzeug als „preisaggressives Werkzeug für Geschäftskunden“ vermarkten.

Innovativ ist auch die Schweizer Post: Sie testet in Sion seit Juni fahrerlose Kleinbusse. Die Batterie-Shuttles der französischen Firma Navya transportieren 11 Passagiere mit maximal 20 Stundenkilometern. Ein ähnliches Modell für 12 Fahrgäste erprobt IBM gerade bei Washington. Größere Pläne hat der US-Unternehmer Elon Musk: Im Juli kündigte er an, Tesla werde demnächst auch E-Busse und E-Sattelschlepper bauen.

„Mittlerweile entwickeln sich Kosten, Leistung und Ladedauer so rasant weiter, dass wir für den Verteilerverkehr eine Trendwende sehen“, sagt Wolfgang Bernhard, der für Lastwagen und Busse zuständige Daimler-Vorstand: „Die Zeit ist reif für den Elektro-LKW.“ Bei der kommenden IAA will Daimler zwei Prototypen präsentieren. Der „Fuso eCanter“, ein 6-Tonner der Daimler-Tochter Mitsubishi, wurde seit 2014 in Lissabon erprobt, wo er im Vergleich zur Diesel-Version auf 10.000 Kilometern rund 1.000 Euro einsparte. Beim „Urban eTruck“, einem 26-Tonnen-Dreiachser, sei es „vorstellbar“, dass er ab 2020 in Serie gehe. Damit ist der Konzern, der 2015 weltweit 500.000 LKW verkaufte, ungefähr so weit wie E-Force-One, ein 13-Mann-Betrieb aus der Innerschweiz, der für die IAA ebenfalls einen vollelektrischen 26-Tonner ankündigt.

Gegründet wurde E-Force-One 2012 von dem 62jährigen Unternehmer Hansjörg Cueni, der mit Robotern für Pharmalabore Geld gemacht hatte, und Roger Miauton, dem Chef eines Batterielieferanten. Seither wurden auf Basis des „IVECO-Stralis“ ein Dutzend 18-Tonnen-Lastwagen gebaut, die für Brauereien und Supermarktketten unterwegs sind. Auf Schweizer Straßen sei Elektroantrieb ab einer jährlichen Fahrleistung von 50.000 Kilometern wirtschaftlicher als Diesel, wirbt die Firma. Echte Konkurrenz droht Daimler trotzdem nicht so schnell: E-Force-One kann pro Jahr nur rund 25 LKW fertigen.

An der Mosel verlieren Ölscheichs derweil einen weiteren Kunden. Die Gemeinde Oberbillig kauft für rund 1,7 Millionen Euro eine neue Fähre. Der Elektroantrieb komme dabei 200.000 Euro teurer als Diesel, rechnet Bürgermeister Andreas Beiling vor, dafür werde man aber über die Jahre erheblich weniger für Energie und Wartung zahlen. Außerdem soll die Strom-Fähre ja nicht über ferne Ozeane schippern, sondern nur ab und zu bis zu 6 Autos, 25 Fahrräder und 45 Fahrgäste rüber nach Wasserbillig bringen.

Martin Ebner

Bersey-Elektrotaxi im London Science Museum
Top speed of 9 mph and a range of 30 miles: „Bersey“ electric taxi, built in 1897, seen in the London Science Museum.

Links (last update: 11.11.2017):
– BYD Company Limited: www.byd.cn
– Sileo E-Busse: www.sileo-ebus.com
– Orten Electric Trucks: www.electric-trucks.de 
– ElektroFahrzeuge Stuttgart: www.efa-s.de
Terberg YT202-EV, a fully electric yard tractor
– StreetScooter: www.streetscooter.eu
– Navya: navya.tech
– E-Force: eforce.ch



Foto: StreetScooter in Düsseldorf, Germany. Elektra ŝarĝaŭto de germana poŝto en Düsseldorf, Germanio. StreetScooter der Deutschen Post in Düsseldorf.

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