Arbeitswert-Schein aus Wörgl

Währungsexperiment Wörgl: dem Geld Beine machen

About: Legendary money experiment in Wörgl, Austria, in 1932
Pri: Fama mono-eksperimento en Wörgl, Aŭstrujo, en la jaro 1932
Published, Aperis: Südwestpresse, 30.06.2007


Das „Wörgler Freigeldjahr 2007“ erinnert an das legendäre Währungsexperiment von 1932.  Schwund-Schilling als Selbsthilfe: zur Zeit der Weltwirtschaftskrise bekämpfte Wörgl in Tirol die Arbeitslosigkeit mit zinslosem Geld. Diesen Sommer [2007]  feiern im Inntal zahlreiche Veranstaltungen den 75. Jahrestag des bis heute ebenso faszinierenden wie umstrittenen Versuchs.

„Die Phönizier haben das Geld erfunden. Aber warum so wenig?“ juxte einst der Dichter Johann Nestroy. Für Michael Unterguggenberger, den Bürgermeister des Marktfleckens Wörgl, war der Mangel nicht zum Lachen: Wie überall forderten auch in Tirol nach dem Börsenkrach von 1929 Gläubiger ihre Kredite zurück, Handel und Produktion brachen zusammen, die Arbeitslosigkeit explodierte und wer noch Geld hatte, hielt es in der Hoffnung auf weiter fallende Preise zurück. Der Teufelskreis wurde von der Wiener Nationalbank noch verstärkt, weil sie auf Golddeckung beharrte und Geldscheine aus dem Verkehr zog.

Im Frühling 1932 war die Gemeinde Wörgl pleite. In dem Bahnknoten an den Linien Zürich-Wien und München-Rom konnten die 4.200 Einwohner keine Steuern mehr zahlen. Die Region zählte 1.500 Arbeitslose. 200 waren bereits „ausgesteuert“ – woher Mittel für die Armenfürsorge nehmen? Die Parolen seiner Partei waren dem sozialistischen Bürgermeister keine Hilfe. Unterguggenberger entschied, es mit der „Freiwirtschaftslehre“ des Sozialreformers Silvio Gesell zu versuchen.

Gesell, der von 1862 bis 1930 lebte, wollte die ganze Welt befreien: „Freie Liebe“ dank einer Rente für Mütter, Freihandel ohne Grenzen, Freizügigkeit für alle Menschen und „Freiland“ statt privater Bodenspekulation. Besonders hatte es dem Radikalliberalen das „Freigeld“ angetan.

Als Fabrikant in Argentinien von Wirtschaftskrisen gebeutelt, beschäftigte sich Gesell mit der Frage: Wie kann der Warenabsatz stabilisiert, Inflation und Arbeitslosigkeit vermieden werden? Die Wurzel des Übels erkannte Gesell im Geld. Wie Blut im Körper müssten Zahlungsmittel im Wirtschaftskreislauf ungehindert zirkulieren. Während aber Unternehmer ihre Produkte und Arbeiter ihre Arbeitskraft auf dem Markt anbieten müssten, könnten Geldbesitzer ihre Moneten nach Belieben horten oder ins Ausland schaffen. Diesen „Streik“ des Geldes gelte es zu brechen.

Zur Abhilfe forderte Gesell, „leistungslose“ Einkommen abzuschaffen, das heißt alle Zinsen, insofern sie über Risikoprämie und Verwaltungskosten hinausgehen. Wenn Geld mit der Zeit wie Eisen rosten oder wie Äpfel verderben würde, wären seine Eigentümer gezwungen, es auszugeben und könnten keine überhöhten Zinsen mehr erpressen: „Da die Besitzer der Waren es mit dem Tausch stets eilig haben, so will es die Gerechtigkeit, dass auch die Besitzer des Tauschmittels es eilig haben sollen.“

Zu Gesells Lebzeiten wurde seine Idee, dem Geld mit einer „Umlaufgebühr“ Beine zu machen, nirgends ausprobiert. Als Finanzminister der Räte-Republik in München wurde Gesell 1919 nach einer Woche von Kommunisten abgesetzt. Den Behörden der Schweiz, wo der Querdenker einen Bauernhof hatte, war die „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ ebenfalls suspekt – sie verboten ihm die Einreise. Während der Weltwirtschaftskrise gab es in Deutschland vom Bayrischen Wald bis zur Insel Norderney verschiedene Experimente mit Schwundgeld, die aber umgehend von der Reichsbank abgewürgt wurden. In Ulm zum Beispiel wurden die Juli 1931 ausgegebenen „Wära“-Scheine bereits im August von der Polizei wieder eingesammelt.

Wörgl kann als einziger ernsthafter Versuch gelten. Am 5. Juli 1932 stimmten vom Gewerkschafter bis zum Heimwehr-Offizier alle Gemeinderäte dem Projekt des Bürgermeisters zu – allein das war am Vorabend des österreichischen Bürgerkriegs eine Leistung. Die Gemeinde gab im Gegenwert von 32.000 Schilling und mit einem Kurs von 1:1 „Arbeitsbestätigungen“ aus. Pro Monat verlor jeder dieser Scheine 1 Prozent seines Werts, zum Ausgleich waren Wertmarken aufzukleben. Beim Rücktausch in Schilling wurden 2 Prozent fällig. Die Gebühren kamen dem kommunalen Armenfonds zugute.

Rückseite Arbeitswert-Schein
„Lindert die Not, gibt Arbeit und Brot“: auf der Rückseite der „Arbeitswert“-Scheine wurde das Schwundgeld erklärt. (fotografiert im Heimatmuseum Wörgl)

Die Wirkung der Do-it-yourself-Währung mit eingebauter Abwertung war erstaunlich. „Im Dorf herrschte Aufbruchstimmung. Die Leut‘ waren stolz auf sich“, erinnerte sich später der Arbeiter Josef Elsner. Anders als im Rest des Landes sank die Arbeitslosigkeit, belebte sich der Handel. Mit den plötzlich wieder fließenden Steuergeldern asphaltierte die Gemeinde Straßen, baute Brücken, Kanäle und eine Sprungschanze, erschloss die Aubachklamm, stellte Straßenlampen und Ruhebänke auf.

Das „Wunder von Wörgl“ kam in die Schlagzeilen der Weltpresse. Frankreichs Ministerpräsident Daladier pilgerte ebenso dorthin wie zahlreiche Ökonomen. Während Gegner Schwindel vermuteten, fand Claude Bourdet von der ETH Zürich „ein neues Mekka der Volkswirtschaft“. Alles gedeihe und „die Arbeiter, die man auf den zahlreichen Bauplätzen trifft, sind fanatische Freigeldler.“

Wörgl Hauptbahnhof
Wörgl ist bis heute ein Eisenbahn-Knotenpunkt.

Unterguggenberger agitierte auch auswärts erfolgreich: Kitzbühel und andere Nachbarn gaben ebenfalls Schwundgeld aus, rund 200 weitere Orte bereiteten sich darauf vor. In der Schweiz liebäugelten Brienz, Biel und Luzern damit – bis dort weitere Vorträge des Finanzrebells verboten wurden. In Tirol mussten Regionalbehörden, die die „anerkennenswerte Selbsthilfeaktion“ mit bürokratischen Finten gegen die Nationalbank verteidigt hatten, nach 14 Monaten kapitulieren. Am 15. September 1933 wurde das Schwundgeldverbot der Wiener Regierung durchgesetzt – und das Phänomen der Arbeitslosigkeit den Nazis zur weiteren Nutzung überlassen.

Bis heute ist umstritten, ob ein regionaler Währungskreislauf aus der Krise hilft oder ökonomischer Unsinn ist. Die Wörgler jedenfalls denken gern an ihre Vorfahren. Das „Unterguggenberger-Institut“ soll ihre Stadt als „Kompetenzzentrum für Komplementärwährungen“ profilieren. Das „Freigeld-Jahr“ zum 75. Geburtstag des Experiments eröffneten sie im März mit einem Dokumentarfilm. Im April wird ein Freigeld-Wanderweg eingeweiht, danach wechseln sich Ausstellungen, Tagungen, Buchpräsentationen und Kunstprojekte ab. Dem Multimedia-Theater „Unterguggenberger“ wird am 1. August die Freigeld-Fanfare des Komponisten Werner Pirchner folgen. Zum Abschluss wird am 27. Oktober der „Michael-Unterguggenberger-Preis“ verliehen: 5.000 traditionelle Euros für „Ideen und Ansätze, die zur Bewusstseinsbildung rund um die Funktionsweise von Geld beitragen“.

Martin Ebner

Link (last update: 06.05.2014):
Unterguggenberger-Institut in Wörgl: www.unterguggenberger.org

Siehe auch: Freiwirtschaftslehre: rostendes Geld muss wandern

Zamenhof-Denkmal in Wörgl
Einmal im Schwung, stellten die reformlustigen Wörgler vor ihren Bahnhof auch gleich noch ein Denkmal für Dr. Zamenhof, den Erfinder der Weltsprache Esperanto.

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Foto: Depreciative money: banknote in the local history museum in Wörgl, Austria. Malgrandiĝmono: historia monbileto de Wörgl, Austrujo. Schwundgeld: historischer „Arbeitswert“-Schein im Heimatmuseum Wörgl, Österreich.

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