About: German universities get rid of „small“ and exotic subjects.
Pri: Germanaj universitatoj forigas „malgrandajn“ kaj ekzotikajn fakojn.
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 18.06.2007
Braucht es Artenschutz für Albanologen?
Kaukasiologie ist ein spezielles Fach. Sich intensiv mit der Kultur Georgiens beschäftigen oder die udische und tabasaranische Sprache studieren: in Deutschland ermöglicht das nur die Uni Jena. Drei Studenten sind dafür eingeschrieben. Sie fühlen sich gerade etwas verwaist, da der Lehrstuhlinhaber in Rente gegangen ist. Wolfgang Dahmen, Dekan der Philosophischen Fakultät, hofft aber, dass ihr Studium bald weitergeht: „Tschetschenen, Osseten und wie die Völker dort alle heißen, stürzen sich übereinander. Wir brauchen Leute, die uns erklären können, was da passiert.“ Außerdem meint er: „Große Fächer hat jede Universität. Die kleinen Fächer sind Farbtupfen, Orchideen, die man auch braucht.“
Die Fachleute für die unruhige Gegend zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer werden wahrscheinlich Glück haben. Kriege beleben das akademische Geschäft: Zur Zeit des Kalten Krieges wurden Slawisten finanziert, heute Islam-Experten. Dumm nur, dass sich die meisten anderen Orchideen-Fächer mit friedlichen Dingen beschäftigen. Ägyptologie ist militärisch so wertlos wie Musikwissenschaft, theoretische Linguistik oder Keltologie. Vielleicht ginge es der Skandinavistik besser, wenn die Finnen mehr Radau machen würden?
Wird irgendwo an einer Hochschule „umstrukturiert“ oder „konsolidiert“, springen die Orchideen zuerst über die Klinge. Nicht, dass sich bei ihnen viel sparen ließe. Wenn naturwissenschaftliche Labore auf das neuste, oft genug überflüssige Computer-Spielzeug verzichten würden, käme viel mehr zusammen als beim Verramschen einer urigen Bibliothek der Geisteswissenschaften. Bei den „Kleinen“ fällt das Sparen aber am leichtesten: Ein Professor, der ein Ein-Mann-Institut leitet und zum Beispiel für ganz Indien zuständig ist, hat kaum Zeit, sich in den entscheidenden Uni-Gremien zu wehren. Die 38 Baltistik-Studenten in Deutschland werden nie so beeindruckende Demonstrationen auf die Beine stellen wie die 107.000 angehenden Mediziner.
Der derzeitige, als „Bologna-Prozess“ bezeichnete Umbau der Hochschulen benachteiligt die Orchideen-Fächer. Evaluierungskommissionen werten nur Aufsätze, vorzugsweise in US-Zeitschriften, nicht aber dicke Bücher als Leistung. Geringe Studentenzahlen gelten nicht als exzellentes Betreuungsverhältnis, sondern als Ineffizienz. Mangels Lehrpersonal fällt es schwer, exotische Bachelor-Studiengänge anzubieten. Und wie sollte man in der neuen Regelstudienzeit von nur sechs Semestern asiatische Sprachen lernen? Da ist es einfacher, die Japanologie in Göttingen, Marburg und Würzburg abzuschaffen und an den selben Unis sowie in Kiel die Sinologie mit dazu. Wozu brauchen wir China-Kenner?
Den Albanologen, exklusiv an der Uni München zu Hause, geht die ständige Frage nach dem Nutzen ihres Studiums so auf die Nerven, dass sie gleich auf ihrer Homepage einen ganzen Katalog Argumente auflisten: Die Zahl passender akademischer Jobs sei zwar „naturgemäß klein“, dafür lerne man bei ihnen „arbeitsintensiven Umgang mit großen Datenmengen“ und „Offenheit gegenüber fremden Sprach- und Kulturkreisen“. Wenn Albanien der EU beitrete, würden West-Balkan-Experten so händeringend gesucht werden wie heute Dolmetscher für Estnisch. Oder wie Virologen, die noch 1979 in einem Aufwasch mit Byzantinisten genannt wurden.
Sogar Disziplinen, die nie als weltfremd verdächtigt wurden, müssen bangen. Vergebens warb der Heidelberger Geograf Peter Meusburger für seine Stuttgarter Kollegen: Wenn heimische Unternehmen Aufträge verlieren, liege das kaum „daran, dass sie nicht die fortgeschrittenste Technologie anbieten, sondern dass die deutschen Ingenieure und Techniker sehr schmal ausgebildet wurden, dass sie wenig Ahnung von der Geschichte, Kultur, Gesellschaft und Geografie fremder Länder haben“ und bei Verhandlungen in der Fremde „von einem Fettnäpfchen ins andere treten“. Die Uni Stuttgart wollte dem aber nicht folgen und verabschiedet sich von ihrem Geografie-Institutle ebenso wie von Geologie und Mineralogie, Kristallchemie und Geophysik.
An der Misere sind die Vertreter der kleinen Fächer nicht unschuldig, findet die Deutsche Forschungsgemeinschaft und bemängelt „Eigenbrötelei“ und fehlende Bereitschaft, Forschungsergebnisse verständlich darzustellen. Spezialisten wie Assyriologen fühlen sich eben schnell vom Rest der Menschheit unverstanden. Das führt leicht zu einer Perlen-vor-die-Säue-Attitüde, die das Problem erst recht nicht löst.
Die Hochschulrektoren-Konferenz nützt nun das „Jahr der Geisteswissenschaften“, um die Öffentlichkeit zu alarmieren: Rasant „brechen umfangreiche Wissensbestände weg“. Seit 2000 wurden zum Beispiel von 26 Indogermanistik-Standorten neun geschlossen. Besonders stört die HRK, dass jede Uni für sich streicht und kürzt, ohne sich mit anderen Hochschulen abzusprechen. Werden wir künftig hunderte Biotech-Zentren haben, aber keinen einzigen Afrikanisten? Um das zu vermeiden, schlägt die HRK eine Koordinierungsstelle vor. Die soll zunächst alle Orchideen-Fächer „kartieren“, denn bislang ist nicht einmal bekannt, was es alles gibt. Danach wird wohl eine „Rote Liste“ veröffentlicht und der vom Aussterben bedrohte „Professor des Jahres“ gekürt.
Martin Ebner
Foto: Learn! School door in Pokr Vedi, Armenia. Lernu! Pordo de lernejo en Pokr Vedi, Armenujo. Lerne! Schultor in Pokr Vedi, Armenien.