About: Historians on the Black Death in Europe’s 14th century
Pri: Historiistoj pri pesto en Eŭropo dum 14a jarcento
Published, Aperis: NZZ am Sonntag, 11.01.2004
Zwei Historiker befassen sich mit den Quellen und Mythen rund um die Pestepidemie im 14. Jahrhundert
Da Aids, BSE, SARS und Biowaffen den Infektionskrankheiten wieder Respekt verschaffen, ist das Interesse an Seuchen der Vergangenheit neu erwacht. Besonders umstritten ist der „Schwarze Tod“, der von 1347 bis zum 18. Jahrhundert weite Teile Europas heimsuchte und Millionen Opfer forderte. Diese Epidemie wurde als Pest angesehen, seit es Alexandre Yersin 1894 gelungen war, den von Ratten und Flöhen übertragenen Erreger Yersinia pestis zu isolieren. Vor allem englische Naturwissenschaftler vertreten aber seit gut zwei Jahrzehnten die Auffassung, dass der „Schwarze Tod“ nichts damit zu tun hatte – sondern eher mit Milzbrand oder einer Ebola-ähnliche Virus-Infektion.
Geschichtswissenschaftler haben sich an dieser Diskussion bisher kaum beteiligt, da sie fanden, für die Zahl der Opfer und die Folgen sei es unerheblich, ob die Seuche die Pest war oder nicht. Kann Historikern die Ursache des „Schwarzen Tods“ aber wirklich egal sein? Zwei neue Bücher lassen daran zweifeln: Der deutsche Historiker Manfred Vasold tritt an, „festgefahrene Forschungsmeinungen über die Pest im Mittelalter“ zu revidieren. Er hält an Yersinia pestis fest und kommt zu dem Schluss, die Chronisten hätten sich geirrt, die Plage des 14. Jahrhundert sei „umstellt von Mythen“.
Dagegen will Samuel Cohn, Mediävist an der Uni Glasgow, „den Schwarzen Tod aus dem Gefängnis der Beulenpest des späten 19. Jahrhunderts befreien und damit die Grundlage legen für eine neue Geschichte von Krankheit und Kultur in Westeuropa“: Yersinia pestis habe nicht im 14. Jahrhundert gewütet, die alten Chroniken müssten ernst genommen, die Geschichte der Renaissance aber neu geschrieben werden.
Nach Vasold sind besonders die in Italien überlieferten Berichte „so detailliert, dass man die Krankheit, die hier in ihren wichtigsten Symptomen beschrieben wird, für die Pest halten darf“. Da aber Beobachtungen, die Forscher ab dem 19. Jahrhundert zur Epidemiologie der modernen Pest machen, nicht mit den Darstellungen des „Schwarzen Tods“ übereinstimmen, müsse der „Mythos um das kollektive Grauen“ im Mittelalter entschlüsselt werden. Wegen der umständlichen Ratte-Floh-Mensch-Übertragungsweise komme Yersinia pestis nur langsam voran – der bisher erweckte Eindruck, die Pest habe sich „blitzschnell überallhin ausgebreitet“, sei daher falsch. Viele Gegenden seien erst Jahrzehnte nach 1348 oder überhaupt nicht berührt worden. Der „Mythos von den grossen Verlusten“ sei wohl der Erinnerung an den Dreissigjährigen Krieg zuzuschreiben. Ferner sei die im Mittelalter „allenthalben für leicht übertragbar“ gehaltene Pest in Wirklichkeit nicht besonders ansteckend. Ausserdem sei die übliche Charakterisierung der Pest als Krankheit der grossen Städte fragwürdig, da Ratten auch auf dem Land leben.
Die Methode Vasolds, unkooperativen Geschichtsquellen vorzuschreiben, was sie eigentlich berichten müssten, ist originell. Es ist aber nicht einzusehen, wieso die mittelalterlichen Schilderungen der Symptome korrekt, die der Epidemiologie jedoch falsch sein sollen. Vasold kann keinen zwingenden Grund nennen, warum „Schwarzer Tod“ und Pest identisch sein müssen. Da er sich nur auf Sekundärliteratur und eine Umfrage bei süddeutschen Stadtarchiven stützt, kann er seine interessanten Vermutungen nicht recht beweisen.
Samuel Cohn dagegen hat jahrelang Quellen ausgewertet, nämlich einerseits die Daten, die um 1900 die Britische Pestkommission in Indien sammelte, andererseits so gut wie alle alten Dokumente, die es zum „Schwarzen Tod“ in Europa gibt, unter anderem über 40.000 Testamente und Begräbnisakten. Zunächst verweist er auf unterschiedliche Symptome, zum Beispiel sei in Indien immer nur von einer Pestbeule die Rede, im Mittelalter aber von vielen Pusteln. Viel wichtiger sei aber die Epidemiologie: Systematisch vergleicht Cohn Zyklen, saisonales Auftreten, Ansteckung, Ausbreitungsgeschwindigkeit, Mortalität, Alter und Geschlecht der Opfer, auch ihre Berufe und Wohnverhältnisse. Er kommt zu dem Ergebnis: Ratten und Flöhe waren nicht Schuld am „Schwarzen Tod“, der „jede andere Krankheit war, bloss keine Pest“. Zu Yersinia pestis schlägt Cohn keine Alternative vor: Mikroben könnten aussterben oder mutieren. Es könne sich durchaus um eine Vorform der heutigen Pest gehandelt haben, allerdings seien die Eigenschaften des „Schwarzen Tods“ bis zum 18. Jahrhundert „bemerkenswert konsistent“ gewesen.
Zwar bleibt so der Erreger des „Schwarzen Tods“ auch für Cohn unbekannt, nicht aber der „Charakter“ der Seuche, der „für das Verständnis von Kultur und Psychologie genau so wichtig ist wie für das von Demographie und Ökonomie“. Während Menschen gegen die Pest keine Immunität entwickeln können, habe sich der „Schwarze Tod“ im Laufe der Zeit zu einer Kinderkrankheit entwickelt, sei die Sterblichkeit von Ausbruch zu Ausbruch stark zurückgegangen.
Die Historiker hätten sich immer gefragt, wieso der grössten Katastrophe der europäischen Geschichte die Renaissance folgen konnte. Nun sei klar: Nach der von Geisslerzügen und Judenpogromen begleiteten Verzweiflung über das grosse Sterben von 1348 habe sich bald Optimismus und Lebensfreude ausgebreitet, denn die Menschen hätten erkannt, dass sie etwas gegen die Seuche unternehmen können. Gegen Yersinia pestis hätten heute belächelte Rezepte wie Verbrennen von exotischen Hölzern oder Quarantäne nichts ausrichten können, wohl aber gegen den „Schwarzen Tod“. Der Plage des Mittelalters sei das „Gefühl von Fortschritt und sogar Triumph über die Natur“ inhärent gewesen.
Martin Ebner
Bücher:
- Samuel K. Cohn: The Black Death Transformed. Disease and Culture in Early Renaissance Europe, Arnold / Oxford University Press, London 2003
- Manfred Vasold: Die Pest. Ende eines Mythos, Theiss Verlag, Stuttgart 2003
Foto: „Pest Crosses“ in Emmingen, Germany. Krucoj en Emmingen, Germanujo, memoras la peston dum la milito 1618-48. Die „Pestkreuze“ in Emmingen, Deutschland, sollen an die Pest während des Dreißigjährigen Krieges erinnern.