Dosiero pri la historio de ekologia movado
1. Wenn Kassandra sich heiser schreit: falsche Öko-Alarme (WoZ. Die Wochenzeitung)
Pri: Libro de historiistoj pri falsaj alarmoj de mediaktivuloj
Published, Aperis: WoZ. Die Wochenzeitung, 13.01.2005
Wenn Kassandra sich heiser schreit
Oft übertreiben Ökobewegungen, um auf ihre Anliegen und die Zerstörung der Umwelt aufmerksam zu machen. Das dient der Sache nicht immer.
«Umweltpolitik muss ständig dramatisieren, Gefahren überzeichnen, um öffentlich Nachdruck zu schaffen», erläuterte Georges Fülgraff einmal, eines der ersten Mitglieder des deutschen Sachverständigenrats für Umweltfragen: «Ein Umweltminister kann nur wählen, unseriös oder erfolglos zu sein.» Wie lange aber ist Schwindeln erfolgreich, ohne dass das Publikum abstumpft? Die «Katastrophe des Monats» und der «Schadstoff der Woche» finden mittlerweile jedenfalls weniger Interesse als in den Anfangszeiten der Grünen. Greenpeace wird von vielen fast so misstrauisch betrachtet wie Chemiekonzerne. Zu dem Stimmungswandel passt auch, dass zwei ehemalige «natur»-Chefredakteure seit ein paar Jahren «Öko-Optimismus» fordern und Listen grüner Fehlprognosen veröffentlichen.
«Wird Kassandra heiser?», fragt deshalb eine Gruppe junger HistorikerInnen aus der Schweiz und Deutschland. Sie haben jüngere Weltuntergangsvisionen untersucht, die heute als «Öko-Irrtümer» gelten, etwa die dramatischen Umweltmahnrufe der siebziger Jahre, die Debatte zum Waldsterben der Achtziger und die Kampagne gegen die Versenkung der Brent-Spar-Ölplattform im Jahr 1995. Sie wollen ihre Fallstudien zu «Hilferufen, die sich im Nachhinein als unbegründet oder zumindest stark übertrieben herausgestellt haben», ausdrücklich nur als «Ausschnitt aus der Geschichte der Umweltbewegung» verstanden wissen, da es ohne Zweifel auch zutreffende Warnungen gegeben habe. Da die Umweltbewegung aber mit dem «Anspruch moralischer Überlegenheit» auftrete, provozierten Fehleinschätzungen «zwangsläufig harsche Kritik».
Während Umweltbewegte die Öffentlichkeit mit drastischen Szenarien aufrütteln wollen, kommt Frank Uekötter von der Universität Bielefeld zum Schluss, dass Ankündigungen von Katastrophen kaum als politisches Instrument taugen, weil sie sich «nur sehr beschränkt steuern lassen» und eine Eigendynamik entfalten: «Stets wurde ein Alarmruf schnell vergesellschaftet und dabei nicht selten erheblich verändert.» Die Studie «Die Grenzen des Wachstums» zum Beispiel, seit 1972 mehr als zwölf Millionen Mal verkauft und damit das erfolgreichste Exemplar des apokalyptischen Genres, sei von den ZeitgenossInnen der ersten Ölkrise 1973 kurzerhand auf eine Prognose des nahenden Versiegens der Ölquellen reduziert worden, obwohl es den Verfassern um ein Modell bedrohlicher Trends für das ganze «Weltsystem» gegangen war und sie selber auf die Unzulänglichkeit ihrer Daten hingewiesen hatten. Ihr Bericht habe ungewollt dazu beigetragen, dass Vertrauen in Experten und globale Rezepte verloren gingen.
Die Brent-Spar-Kampagne wuchs ihren UrheberInnen ebenfalls über den Kopf: Ursprünglich hatte Greenpeace vor einer Konferenz zum Schutz der Nordsee nach einem telegenen Symbol gesucht; doch der Kampf um die Ölplattform Brent Spar, die der Ölkonzern Shell einfach untergehen lassen wollte, überlagerte dann alles andere. PolitikerInnen konnten dank dem Spektakel über die eigentlichen Probleme der Meere, der Schadstoffeintrag und die Überfischung, hinweggehen; der Esso-Konzern, dem die Hälfte der Brent Spar gehörte, profitierte vom Verbraucherboykott gegen Shell – und dann mussten die RegenbogenkriegerInnen auch noch eingestehen, dass in der Plattform, deren Versenken sie verhindert hatten, nicht die befürchteten 5500, sondern nur 130 Tonnen Schadstoffe lagerten. Das Verbot, das für die Versenkung derartiger Anlagen erlassen wurde, befriedigt NaturfreundInnen allerdings auch nicht, da nun Seesterne und Muscheln wegen der «Entsorgung» an Land einen möglichen Ersatz für Korallenriffe verlieren.
Dass die politische Wirkung falscher Ökoalarme «deutlich begrenzt» ist und sie als «Strohfeuer» kaum Veränderungen anstossen, zeigt laut Uekötter auch die Debatte zum Waldsterben, die das Nachrichtenmagazin «Spiegel» 1981 losgetreten hatte und die «erstaunlich schnell von weiten Teilen der Bevölkerung für bare Münze genommen wurde». Zwar sei in der Folge die überfällige Rauchgasentschwefelung für Kraftwerke zügig durchgesetzt worden, bei der Bekämpfung der Emissionen des Strassenverkehrs sei der Elan aber schon wieder geschwunden. Die Forschung zu Waldschäden wurde stark ausgeweitet, führte aber prompt zum Ergebnis, dass das Thema viel komplizierter ist als gedacht. Nun denken PolitikerInnen darüber nach, wie sie das «fragwürdig gewordene Ritual der alljährlichen Waldschadensberichte» ohne ungutes Aufsehen abschaffen können – obwohl die Wälder heutzutage tatsächlich kränker sind als je zuvor (wie der Waldschadensbericht der deutschen Bundesregierung vom Dezember belegt). «Einfache Wahrheiten», die früher dem grünen Lager halfen, seien jetzt Sache der Gegenseite geworden, meint Uekötter: Nicht mehr die Industrie, sondern die Umweltschützer müssten nun um «differenzierte Betrachtung» der Luftverschmutzung flehen.
Interessant finden die HistorikerInnen, dass AlarmistInnen kaum zur Rechenschaft gezogen oder mit dem Entzug von Spendengeldern bestraft werden, wenn sich ihre Einschätzungen als Übertreibungen entpuppen: Falsche Ökoalarme seien «Kollektivgüter», der Glaubwürdigkeitsverlust treffe «nicht nur die jeweiligen Protagonisten, sondern die Gesamtheit der Umweltbewegung». Es gebe noch keine geeignete Sprache zur Beschreibung chronischer Probleme, die Medien und Sponsoren aufwecke und doch nicht gleich in Horrorszenarien verfalle. Entsprechend pessimistisch ist das Fazit: «Die Hoffnung, dass einzelne Umweltschützer in Zukunft aus Rücksicht auf die Gesamtheit der Umweltbewegung von fahrlässigen Alarmrufen absehen werden, wird man wohl realistischerweise als eher gering veranschlagen müssen.»
Martin Ebner
Buch:
Jens Hohensee, Frank Uekötter (Hrsg.):
Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004
Lieu de mémoire des deutschen Naturschutzes: Der Hohenstoffeln im Hegau wäre beinahe dem Basaltabbau zum Oper gefallen. Ab 1913 wurden von hier täglich mehrere Tonnen Gestein mit einer Seilbahn nach Mühlhausen zur Schwarzwaldbahn gebracht. Dann aber setzte sich der Dichter Ludwig Finckh für den Erhalt der einzig-artigen Landschaft ein. Auf Grundlage des neuen Reichsnatur-schutzgesetzes erklärte Reichsforstmeister Hermann Göring im Jahr 1935 den Hohenstoffeln zu einem der ersten deutschen Naturschutzgebiete. Reichsinnenminister Heinrich Himmler verfügte 1938 dann die endgültige Stilllegung des Steinbruchs.
About: Predictions about the environment rarely come true.
Pri: Prognozoj pri ekologio malofte plenumiĝas.
Published, Aperis: Stuttgarter Nachrichten (†), 09.07.2011
Ist es jetzt Fünf nach Zwölf?
Umwelt-Prognosen gehen nur selten in Erfüllung
Wie die Welt bis heute überleben konnte, ist ein Rätsel. Vorherzusehen war das nicht! Vor 30 Jahren konnte man eine beliebige Zeitung aufschlagen: Es gab mindestens eine Karikatur, die entlaubte Bäume und rauchende Schlote zeigte, gerne auch Fischskelette und Giftmüllfässer – bestimmt aber eine Uhr mit Fünf vor Zwölf. Die Bundespost legte sogar noch einen drauf und brachte die Briefmarke „Rettet den Wald“ heraus: mit Uhrzeigern auf Vier vor Zwölf. Die Zukunft würde grau und schwarz werden, und den Schwarzwald würde es nicht mehr geben, das stand fest.
Die Horror-Szenarien der 1980er Jahre waren vorbereitet worden durch die „Kampf dem Atomtod“-Bewegung, die in der Nachkriegszeit gegen Atombomben protestierte. Das findet jedenfalls der Münchner Historiker Frank Uekötter: Zum ersten Mal sei da „eine apokalyptische Rhetorik eingeübt“ worden, die „später zu einem Charakterzug der Umweltdebatte“ wurde. Verschmutzungsprobleme hatte es auch davor schon gegeben; Rauch, Staub und Gestank waren aber meist auf die unmittelbare Umgebung von Fabriken begrenzt. Wie viel unheimlicher war der radioaktive Fallout: schleichende Vergiftungen, Mutationen, Krebsgefahren – und das weltweit.
In den 1970er Jahren weckten Wirtschaftskrisen unsanft aus Fortschrittsträumen. Eine Endzeit-Vision jagte die nächste: Der Klimatologe Stephen Schneider unkte, die Luftverschmutzung könnte „eine Eiszeit auslösen“. Der Biologe Paul Ehrlich prophezeite „unserem sterbenden Planeten“ rund zwei Milliarden Hungertote. „Das 20. Jahrhundert wird zur Verelendung des gesamten Erdballs führen“, war auch der CDU-Abgeordnete Herbert Gruhl sicher: „Schon die jetzigen Kinder werden pausenlos Katastropheneinsätze erleben.“ Der Bericht „Grenzen des Wachstums“, den der Club of Rome vorlegte, sah ein exponentielles Bevölkerungs- und Produktionswachstum um 2070 im globalen Desaster enden. Da die Araber gerade den Ölhahn zudrehten, beeindruckte vor allem die angedrohte Rohstoffknappheit. Die 1500-Seiten-Studie „Global 2000“, die im Auftrag von US-Präsident Jimmy Carter veröffentlicht wurde, prognostizierte bis zum Jahr 2000 eine rasante Vergrößerung der Wüsten, ein Aussterben von einem Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten und auch sonst nichts Gutes.
Bei der so eingestimmten Öffentlichkeit schlug es wie eine Bombe ein, als Forstwissenschaftler „neuartige Waldschäden“ entdeckten. Der Göttinger Forscher Bernhard Ulrich erklärte 1981: „Die ersten Wälder werden in den nächsten fünf Jahren sterben, sie sind nicht mehr zu retten.“ Der Stern titelte „Über allen Wipfeln ist Gift“, der Spiegel folgte mit „Saurer Regen über Deutschland – der Wald stirbt“, die FAZ befürchtete „Säuresteppen“. Die Zeit lamentierte „Noch 20 Jahre deutscher Wald?“, was aber nur eine rhetorische Frage war, denn „an der Diagnose gibt es nichts mehr zu deuteln.“
Hektische Betriebsamkeit entwickelte auch die Politik. Innenminister Hans-Dietrich Genscher übersetzte das amerikanische „environmental protection“ als „Umweltschutz“ und sicherte sich gleich die Zuständigkeit dafür. Von Marxisten bis zur CSU sprang alles, was sich bewegen konnte, auf den Öko-Zug. Die Grünen kamen erstmals ins Parlament und überreichten dort einem säuerlich dreinschauenden Bundeskanzler eine verdorrte Fichte. Bloß Greenpeace verpennte das Desaster: Die PR-Profis fanden, das – seltsamerweise nur in Deutschland stattfindende – „Waldsterben“ sei zu regional, zu unwichtig im Vergleich mit Atomgefahr, Robbenmord oder Waljagd. In der Folge spalteten sich hiesige Greenpeacer ab und gründeten den Konkurrenzverein Robin Wood. Als dann noch im Jahr 1986 ein Spiegel-Titelbild den Kölner Dom in der Nordsee versinken ließ und die „Klima-Katastrophe“ ausrief, war der bis heute gültige Kanon der Umweltsorgen komplett.
Besonders die Wald-Debatte hat Deutschland umgekrempelt. Vorschriften zur Rauchgasentschwefelung bei Kraftwerken, zu bleifreiem Benzin und Autokatalysatoren, die schon länger in der Schublade lagen, konnten im Gefolge des Aufruhrs endlich gegen Lobbyisten durchgesetzt werden. Ein Nebenprodukt war der „Gelbe Sack“: Die Mülltrennung wurde unter anderem deshalb eingeführt, da Verbrennungsanlagen des Baummords verdächtigt wurden. Andere Länder hatten zwar schon früher Nationalparks, Umweltbehörden und Autobahn-Tempolimit; das FCKW-Verbot zum Schutz der Ozonschicht wurde letztlich von US-Präsident Ronald Reagan durchgeboxt; neuere Umweltinitiativen kommen meist von der EU-Kommission – trotzdem hält sich bei uns seit den 1980er Jahren hartnäckig die Auffassung, die Deutschen seien ganz toll umweltbewusst und dem Rest der Welt irgendwie überlegen.
Ob es überhaupt jemals großflächig „neuartige Waldschäden“ gegeben hat, ist derweil umstritten. Manche Wissenschaftler tippen auf altbekannte Pilzkrankheiten, Frost- und Hitzeschäden. Das Beurteilungskriterium Blattverlust („Baumkronenverlichtung“) galt schon 1993 als ungeeignet. Trotzdem veröffentlichte die Bundesregierung noch lange Jahr für Jahr einen darauf beruhenden „Waldschadensbericht“. Die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast erklärte dann 2003 das „Waldsterben“ offiziell für beendet. Heute leidet der Forst weniger an saurem Regen, sondern eher an Überdüngung durch Stickstoff. Zu schnell wachsende Bäume sind nicht unbedingt gesund, können aber Menschen, die in Pellet-Heizungen investieren, anscheinend nicht als Katastrophe vermittelt werden.
Ein Teil der Umweltbewegung hat sowieso genug vom Schwarzsehen. „Monat für Monat wurde auf den Seiten unserer Zeitschrift der dräuende Weltuntergang beschworen, der Tod war unser ständiger Begleiter“, erinnern sich Dirk Maxeiner und Michael Mirsch, ehemalige Redakteure der Zeitschrift Natur: „Robbensterben, Insektensterben und Vogelsterben, ja sogar ein Spermiensterben schien unmittelbar bevorzustehen.“ Anfang der 90er Jahre stiegen die beiden aus und verbreiten seither „Öko-Optimismus“: Bevölkerungswachstum? Geht sogar bei den Arabern zurück. Hunger? Ist kein Umweltthema, sondern ein Politverbrechen. Wüstenbildung? Seit dort die Bäume privatisiert wurden, grünt sogar die Sahelzone. Die Rohstoffe gehen aus? Dann recyceln wir halt die Müllhalden.
Selbst der Artenschwund wird angezweifelt. Der dänische Statistiker Björn Lomborg, Ex-Greenpeace-Mitglied und schwuler Vegetarier, brachte die Umweltszene zur Weißglut, als er vorrechnete, dass an der Ostküste der USA die Zerstörung von 98 Prozent aller Wälder nur drei Vogelarten ausgerottet habe. Die alarmierenden Zahlen zum Aussterben von Tieren und Pflanzen seien meistens nur dubiose Hochrechnungen von Forschungsergebnissen, die auf winzigen Inseln gewonnen wurden, und oft genug einfach falsch. Man solle sich lieber um wichtigere Probleme kümmern, zum Beispiel die Malaria bekämpfen.
Abgesehen von radioaktiver Strahlung bleibt Pessimisten zum Glück noch der Klimawandel. Für Ökopaxe ist diese Katastrophe allerdings kein rechter Segen: Propagandatechnisch ist es viel zu kompliziert, wenn Autos und Wirbelstürme, furzende Kühe und schmelzende Gletscher und überhaupt alles mit allem zusammenhängt. Mit Schwefelfiltern ist es diesmal nicht getan, zur Abhilfe müsste unser gesamter Lebensstil geändert werden. Der siechende Wald hatte Natur- und Umweltfreunde im Zeichen der Ökologie zusammengebracht. Der Klimaschutz trennt sie jetzt wieder: Die einen wollen Windräder aufstellen, die anderen aber keine Vögel schreddern. So überschaubar, so schrecklich einfach wie vor 30 Jahren wird die Welt wohl nie wieder werden.
Lesetipps:
– Dirk Maxeiner und Michael Miersch haben diverse öko-optimistische Schriften veröffentlicht: www.maxeiner-miersch.de
– Frank Uekötter: „Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert“, Campus-Verlag.
Meistens kommt es ganz anders
Ob Priester in den Eingeweiden von Hühnern herumstochern, wie im alten Rom, oder Professoren die künftige Entwicklung der Wirtschaft „berechnen“, wie bei uns: Der Wunsch, die Zukunft vorherzusagen, ist einer der stärksten menschlichen Triebe. Warum klappt es bloß so selten? Ein paar Flop-Gründe sind klassisch:
– Vergangene Trends werden linear in die Zukunft verlängert. Thomas Malthus zum Beispiel wurde 1798 berühmt, weil er den Engländern eine baldige Bevölkerungsexplosion und Hungerkatastrophe ankündigte. Stattdessen kam die Industrialisierung, die Produktivität der Landwirtschaft wurde drastisch gesteigert und die Geburtenraten sanken.
– Niemand tanzt gerne aus der Reihe. Es fällt schwer, sich dem gesellschaftlichen Konsens zu entziehen: Wenn die Europäische Union allgemein für einen korrupten Saftladen gehalten wird, wagt es kaum jemand, die großartigen Perspektiven des Euro-Geldes auszumalen.
– Prognosen sind käuflich: Wissenschaftler leben nicht von der Wahrheit, sondern von Aufträgen. Beispielsweise gab die französische Regierung 1971 das Ziel aus, Deutschland wirtschaftlich zu überholen – prompt kam eine bei dem Futurologen Herman Kahn bestellte Studie zu dem Schluss, im Jahr 1985 werde es so weit sein. Tatsächlich wurde dann nicht einmal das Pro-Kopf-Einkommen Schwedens erreicht.
– Nur schlechte Nachrichten sind Nachrichten. Säbelzahntiger von links, Mammut von rechts – unser Gehirn hatte früher keine Zeit, sich um die netten Gänseblümchen zu kümmern. Alarm ist bis heute viel interessanter als Entwarnung.
– Prognosen zerstören sich selbst: Wenn genügend Kapitalisten Karl Marx lesen, findet die kommunistische Revolution nicht statt. Natürlich gibt es auch Vorhersagen, die sich selbst erfüllen: Wenn alle sagen, du bist pleite – dann bist du bald pleite.
– Und wo bleiben eigentlich die längst versprochenen Aircopter, Hausroboter, Raumstationen, Unterwasser-Städte? Für den Zukunftsforscher Matthias Horx sind Fehlprognosen oft „männlich-technologisches Wunschdenken“. Weitere Ursachen und Beispiele: www.horx.com
Martin Ebner
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About: 30 years ago forest dieback shocked the Germans.
Pri: Antaŭ 30 jaroj mortado de arbaroj ŝokis germanojn.
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 05.08.2011
Kahle Säuresteppen
Vor 30 Jahren schockierte das „Waldsterben“ die Deutschen.
Das „Waldhaus“ am Stadtrand von Freiburg im Breisgau versinkt fast im satten Grün des Schwarzwalds. Auf den alten Plakaten aber, die dort gerade gezeigt werden, ragen dürre Äste in den Himmel; „Es ist später als Sie denken“, drohen vergilbte Flugblätter: „Heute Tannen – morgen wir!“ Die Ausstellung informiert über das umwelthistorische Forschungsprojekt „Und ewig sterben die Wälder“, das noch bis zum Herbst an der Universität Freiburg läuft.
Ende der 1970er Jahre waren in Deutschland „neuartige Waldschäden“ entdeckt worden, selbst in Reinluftgebieten fern von jeder Industrie. Professor Bernhard Ulrich alarmierte 1981: „Die ersten Wälder werden in den nächsten fünf Jahren sterben, sie sind nicht mehr zu retten.“ Bei der Öffentlichkeit, damals ohnehin durch Anti-Atom-Proteste aufgewühlt, schlug das „Waldsterben“ ein wie eine Bombe. Der Stern titelte „Über allen Wipfeln ist Gift“, der Spiegel startet die Serie „Saurer Regen über Deutschland“, auch die FAZ sah „Säuresteppen“ voraus. Die Zeit lamentierte „Noch 20 Jahre deutscher Wald?“, was aber nur eine rhetorische Frage war, denn „an der Diagnose gibt es nichts mehr zu deuteln“. Der Hessische Rundfunk prophezeite für 2010 kahle Hügel und unbewohnbare Alpen.
Die Wald-Debatte krempelte Deutschland um: Von Marxisten bis zur CSU sprang alles, was sich bewegen konnte, auf den Öko-Zug. Demonstranten schoben schwarz gestrichene Kinderwägen durch die Innenstädte. Auf der ZDF-Schallplatte „Mein Freund, der Wald“ sang Reinhard Mey: „Es gibt keine Maikäfer mehr“. Auf dieser Welle kamen die Grünen 1983 erstmals ins Parlament und überreichten dort einem säuerlichen CDU-Bundeskanzler einen verdorrten Tannenzweig. Bloß Greenpeace verpennte das Desaster zunächst: Die PR-Profis fanden, entlaubte Mittelgebirge seien zu regional, zu unwichtig im Vergleich mit Atomgefahr, Robbenmord oder Waljagd. Darauf spalteten sich deutsche Greenpeacer ab, gründeten die Konkurrenz Robin Wood und hissten auf Schloss Neuschwanstein das Transparent „Rettet die Heimat!“
Nirgends erregten abgestorbene Äste so viel Aufsehen wie in Westdeutschland. Während 1984 im Schwarzwald 70 bis 100 Prozent aller Bäume als „geschädigt“ eingestuft wurden, stapften Förster auf der anderen Rheinseite durch die Vogesen und fanden nichts Besonderes. „Die Franzosen bekamen nicht Abgase von osteuropäischen Braunkohlekraftwerken, sondern saubere Luft vom Atlantik. Auch sonst fühlten sie sich weniger betroffen“, erläutert der Luxemburger Historiker Laurent Schmit, der sich an dem Freiburger Projekt mit einer Dissertation zum „Waldsterbensdiskurs in Frankreich“ beteiligt. Entsprechend schwierig war es, Rauchgasentschwefelung für Kraftwerke und Abgaskatalysatoren für Autos in der EG durchzusetzen.
Ob es überhaupt jemals großflächig neuartige Waldschäden aufgrund von Luftverschmutzung gegeben hat, bleibt umstritten. Deutschland gab bis 1995 rund 230 Millionen Euro für die Erforschung von über 100 verschiedenen Ursachen-Hypothesen aus. Einigen können sich die Wissenschaftler bis heute nicht. Manche tippen auf natürliche Pilzkrankheiten, Frost- und Hitzeschäden. Das Beurteilungskriterium Blattverlust („Baumkronenverlichtung“) galt vielen von Anfang an als ungeeignet. Trotzdem veröffentlichte die Bundesregierung noch lange Jahr für Jahr einen darauf beruhenden „Waldschadensbericht“. Erst die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast erklärte dann 2003 das „Waldsterben“ offiziell für beendet.
Ein Teil der 132 Umweltforscher, die vor 30 Jahren einen dramatischen Appell an die deutsche Regierung gerichtet hatten, ist überzeugt, dass der massenhafte Baumtod durch die daraufhin verstärkten Umweltschutzanstrengungen verhindert wurde. Andere distanzieren sich heute davon. „Die Debatte zum Waldsterben zeigt, dass Wissenschaft keine ’sicheren‘ Ergebnisse produziert“, findet Laurent Schmit. „Für Politiker ist das ein Problem, zum Beispiel bei der Klima-Diskussion.“
Die Umweltbewegung sattelte nach Tschernobyl auf andere Themen um. Der Forst leidet heute nicht mehr an saurem Regen aus Kraftwerksschloten, sondern eher an Überdüngung durch Stickstoff. Nach der letzten Inventur legen derzeit in Baden-Württemberg Schwarz- und andere Wälder im Schnitt 33,6 Kubikmeter zu – jede Minute. Zu schnell wachsende Bäume sind zwar nicht unbedingt gesund, können aber Menschen, die in Pellet-Heizungen investieren, nur schwer als Katastrophe vermittelt werden.
Martin Ebner
Link (last update: 05.05.2014):
DFG-Projekt Waldsterben: www.waldsterben.uni-freiburg.de
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About: Knowledge about nature is eroding rapidly.
Pri: Erozio de scio pri naturo.
Published, Aperis: Südwestpresse, 06.05.2017
Wo geht die Sonne auf?
Viele Kinder können selbst einfachste Fragen zu Naturphäno-menen nicht beantworten. Naturforscher machen sich Sorgen
um Nachwuchs.
„Kinder kennen heute mehr Automarken als Wildpflanzen und viele von ihnen meinen, dass Fische als Stäbchen im Meer schwimmen. Selbst Biologiestudenten können bald keine Amsel mehr von einem Spatz unterscheiden“, unkt Claus-Peter Hutter. Der Leiter der Umweltakademie Baden-Württemberg warnt schon seit Jahren: „Wie soll eine Gesellschaft ihre natürlichen Lebensgrundlagen erhalten, wenn die Menschen kaum einen Bezug dazu haben? Wer etwas nicht kennt, vermisst es auch nicht. Umwelt kann nur schützen, wer Natur kennt.“
Ist die „Wissenserosion“ wirklich so schlimm? Oder ist Klagen bloß der Gruß des Biologen, der um Fördergelder wirbt? Die Annahme, dass die Jugend nichts weiß und nichts lernt, ist wohl so alt wie die Menschheit. Dass biologisches Grundwissen schwinde und die Entfremdung von der Natur zunehme, wird schon seit über 100 Jahren bejammert: ein „Evergreen der Umweltrhetorik“, sagt der Historiker Frank Uekötter. In Wirklichkeit sei die Natur den Menschen zu Zeiten von Waldrodungen und rauchenden Schornsteinen oft fremder, ja feindlicher gewesen als heute.
Fachleute für Tier- und Pflanzenarten sind jedenfalls überzeugt, dass sie ebenso vom Aussterben bedroht sind wie viele ihrer Schützlinge. Dabei soll es auf der Erde schätzungsweise noch mehr als 6 Millionen bislang unbeschriebene Arten von Lebewesen zu entdecken geben. Christian Wirth, der Direktor des Leipziger Zentrums für Biodiversitätsforschung, fürchtet, dass sie eher ausgerottet als uns bekannt werden: „Während wir inventarisieren, werden gleichzeitig schon die Regale leergeräumt.“
Im Auftrag des BUND Naturschutz in Bayern befragten Kai Frobel und Helmut Schlumprecht 70 hauptberufliche und ehrenamtliche Artenkenner. Demnach ging in den letzten 20 Jahren die Zahl der einschlägigen Experten um ein Fünftel zurück. Heute seien die meisten Artenkenner älter als 60, nur weniger als 8 Prozent jünger als 30 Jahre. Von Hochschulen komme kaum noch Nachwuchs, weil Taxonomie-Lehrstühle und Bestimmungskurse abgeschafft wurden. Fachleute würden aber dringend gebraucht, etwa zur Beurteilung von invasiven Schädlingen oder für Renaturierungsmaßnahmen.
Dagegen fanden im Jahr 2012 Katrin Vohland und andere Wissenschaftler „keinerlei Hinweise auf ein Schwinden taxonomischer Forschung in Deutschland“, die Zahl der Veröffentlichungen nehme sogar ständig zu. Allerdings bestätigte ihre Studie, dass die Universitäten heute lieber auf Molekularbiologie und Gentechnik setzen – und Artenkunde anderen überlassen. Die Naturmuseen Stuttgart und Karlsruhe haben deshalb zusammen mit ähnlichen Einrichtungen das Konsortium „Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen“ gegründet.
Die Arbeit der Arten-Experten, neuerdings von der „Naturschutz-Offensive 2020“ des Bundesumweltministeriums gefördert, ist eine Sache – was die Allgemeinheit über Tiere und Pflanzen weiß, eine ganze andere. Als 1997 kolportiert wurde, selbst auf dem Land würden Kinder lila Kühe zeichnen, fing der Soziologe Rainer Brämer an, Jugendlichen „elementare Fragen zum Alltagswissen über Natur“ zu stellen, die „man aus eigener Erfahrung beantworten könnte, wenn man nur neugierig genug wäre“. Seither wurden von Nordrhein-Westfalen bis Südtirol mehr als 13.000 Schulkinder befragt.
Zur Kuh-Farbe kann Entwarnung gegeben werden. Ansonsten hat der gerade veröffentlichte „7. Jugendreport Natur“ die Forscher erschreckt. Zum Beispiel weiß in den Klassen 6 und 9 nur ein Drittel, wo die Sonne aufgeht – die meisten tippen auf Norden. Viele Kinder vermuten die Heimat von Bananen und Ananas irgendwo im Schwarzwald. Ein Viertel kennt keine essbare Waldfrucht. Das könnte daran liegen, dass über die Hälfte der Jugendlichen mehr als 3 Stunden pro Tag vor Bildschirmen verbringt. „Ein allseits für besonders wichtig gehaltener Lebensbereich wird von der jungen Generation zunehmend ausgeblendet“, sagt Brämer. „Verkürzt: ‚Natur ist langweilig‘.“
Martin Ebner
Über Freiluft-Muffel berichtet der „Jugendreport Natur“: www.natursoziologie.de
Der Wissenserosion in Sachen Natur will die Umweltakademie Baden-Württemberg mit unterhaltsamen Aktionen begegnen. Hexenküche, Kosmetik-Workshop, Kutschenfahrten oder auch Feuer machen ohne Feuerzeug: www.naturerlebniswoche.info
Alles, was kreucht und fleucht
Die Natur mag verarmen, das Biotop der Naturforscher ist in Deutschland aber immer noch außerordentlich vielfältig und fleißig. Wer Artenkenner sucht, wird fündig unter www.biodiversity.de
Seit 2011 wird eine Gen-Datenbank der deutschen Fauna und Flora aufgebaut: www.bolgermany.de
Im Januar 2021 hat in Leipzig das „Nationale Monitoringzentrum zur Biodiversität“ (NMZB) seine Arbeit aufgenommen.
Der Botanische Garten Saarbrücken wurde 2016 wegen Geldmangels geschlossen. Ansonsten verzeichnet das Zentralregister biologischer Forschungssammlungen aber immer noch mehr als 600 Einträge. Es gibt immer wieder mal Anläufe, deren Schätze als eine Art virtuelles Nationalmuseum zu erschließen, z.B. als „Konsortium Deutscher Naturwissenschaftlicher Forschungssammlungen“ (DNFS) oder als „Integrierte Forschungsinfrastruktur“ (DCOLL). Zu Museen der Hochschulen informiert www.universitaetssammlungen.de
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Foto: Nature protection on a wall in Velikij Ustjug, Russia; Naturprotektado sur fasado en Velikij Ustjug, Rusujo; Umweltschutz auf einer Hauswand in Welikij Ustjug, Russland