About: Radioactive waste is a toxic communication problem
Pri: Nukleaj rubaĵoj estas venena problemo de komunikado. Ne, mi ne diras ke Esperanto estus la solvo.
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 21.02.2014
Radioaktive Abfälle sind ein giftiges Kommunikationsproblem
Erinnert sich noch jemand an die Zukunft? An gut gekämmte Herren, die Modelle von blitzsauberen Atomkraftwerken vorführten und billigen Strom für Magnetschwebebahnen, ja die ganze Welt versprachen? Nun veröffentlichte der Bielefelder Historiker Joachim Radkau einen Nachruf auf die deutsche Atomindustrie. Die habe immer wieder „die Öffentlichkeit gezielt belogen oder desinformiert“, nicht zuletzt über „angeblich sichere Endlager“. Deren Jahrtausenddimension sei zwar „schon früh erkannt worden, früher als die meisten anderen Probleme der Kerntechnik“. Immerhin hat Plutonium-239 eine Halbwertszeit von mehr als 24.000 Jahren. Beim Lesen der Akten bekomme man jedoch den Eindruck, „dass gerade diese absurde Zeitperspektive zu einem eher lässigen Umgang mit der Problematik führte“.
Dass es unseren Nachfahren schwer fallen wird, die Dummheit des Atomzeitalters zu toppen – diesen Eindruck vermittelt eine Ausstellung in Schaffhausen. Am Hochrhein wird gerade nach Standorten für die Tiefenlagerung radioaktiven Mülls gesucht. Deshalb erlaubt sich das Museum zu Allerheiligen den makabren Spaß, das Schweizer Kernenergie-Gesetz wörtlich zu nehmen: Das schreibt vor, dass schwach- und mittelaktive Abfälle 100.000 Jahre „sicher bleiben“ sollen. Für hochaktiven Müll, also für verbrauchte AKW-Brennelemente, die stark strahlen und große Hitze produzieren, erstreckt sich der „Planungshorizont“ über 1 Million Jahre.
Um diese „Zeithorizonte erlebbar zu machen“, werden die Ausstellungsbesucher auf eine Reise durch die Natur- und Kulturgeschichte geschickt. Was ist in den letzten 1 Million Jahren nicht alles passiert! Gar nicht so einfach, irgendwo ein Gestein zu finden, das so lange unbewegt blieb. Moderne Menschen, oder was sich dafür hält, gibt es erst seit rund 12.000 Jahren. Die haben seit 1956 weltweit 350.000 Tonnen hochradioaktiven Müll angehäuft, jährlich kommen 10.000 Tonnen dazu – und es gibt dafür noch nirgends ein „Endlager“. Für andere nicht-abbaubare Industriegifte übrigens auch nicht.
Bisherige Projekte der Langzeitplanung waren wenig erfolgreich. Das Kloster Allerheiligen zum Beispiel hätte eigentlich bis zum Ende aller Tage für seine Stifter beten sollen – nach 480 Jahren machte aber die Reformation Schluss damit. Immerhin erinnert das Schaffhauser Museum bis heute daran. Bei den meisten Staaten ist man dagegen schon froh, wenn sie ein paar Jahrzehnte halten. Wie lange werden wohl Frankreich oder die Ukraine noch auf Brennelemente aufpassen? Es bräuchte Sicherheitskonzepte für nicht weniger als 3.000 Generationen.
Seit rund 35 Jahren wird daran getüftelt, wie sich Atommüll für die Ewigkeit markieren lässt. Eine Arbeitsgruppe des US-Endlagerprogramms schlug eine Art Stonehenge vor: sieben Meter hohe Stelen aus Granit, darauf informative Bildergeschichten. Als Forscher der TU Berlin rund um die Welt Wissenschaftler befragten, wie unsere Nachkommen vor Strahlung und Gift gewarnt werden können, verweigerten zwei Ökopaxe die Mitarbeit – man solle das Zeug lieber gar nicht erst produzieren. Andere sprühten vor Ideen: am Himmel zur Speicherung der Lagepläne einen künstlichen Mond installieren; Katzen züchten, deren Fellfarbe sich bei Radioaktivität ändert; Zeigerblumen pflanzen, die nur über atomaren Deponien wachsen.
Für die neuste Studie zu diesem Thema wertete Marcos Buser im Jahr 2010 im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Energie die bisherigen Lösungsvorschläge aus. Er empfiehlt nun, gebrannte Tonscherben zu vergraben – die seien langlebig, aber nicht wertvoll genug, um gestohlen oder wiederverwertet zu werden. Da sich der Wortschatz einer Sprache innerhalb von rund 8.000 Jahren komplett austausche, solle man Symbole einprägen: Strahlenzeichen und Totenköpfe. Was aber, wenn der Nachwelt diese Signale so rätselhaft bleiben wie uns heute die Knotenschnüre der Inkas?
Als relativ dauerhaft haben sich bislang religiöse Inhalte erwiesen. Der Semiotiker Thomas Sebeok schlug daher vor, durch Mythen Angst vor den Deponien zu verbreiten und nach dem Vorbild der katholischen Kirche eine „Atompriesterschaft“ zu schaffen. Dagegen spricht allerdings der Rückgang von Lehrstühlen für Kerntechnik, meint Joachim Radkau: „Von der Herausbildung einer solchen Priesterschaft erkennt man nicht die Spur. Stattdessen findet man einen bestürzenden Niedergang der nuklearen Kompetenz.“ Eine erfolgreiche Technikentwicklung brauche Schwung und Begeisterung: „Sie muss für Spitzenleute attraktiv sein. Nichts mehr davon in der Atombranche, schon seit langem nicht mehr!“
Martin Ebner
Infos (last update: 05.05.2014):
- Die Ausstellung „Langzeit und Endlager“ war bis 23. März 2014 im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen zu sehen (Dokumentation weiterhin zugänglich).
- Umfangreiche Atommüll-Informationen sind zugänglich über die Internetseite zum Dokumentarfilm „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“: www.diereisezumsicherstenortdererde.ch
- Das Buch „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“ von Joachim Radkau und Lothar Hahn ist im Münchner Oekom-Verlag erschienen: www.oekom.de
N.B. (12.03.2016):
Atomkraft ist und bleibt ein Verbrechen! Eine Abrechnung von Raimund Kamm bei den Radolfzeller Naturschutztagen 2016: „Über 60 Jahre Atomenergie in Deutschland“
Siehe auch die Artikel Weißrussland: Kampf um Tschernobyl-Daten und Zombie-Reaktoren: Kernfusion
Ein paar Fotos aus dem Familienalbum des Atomzeitalters:
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Foto: Swiss nuclear power plant Leibstadt (KKL), near the German town Waldshut. Svislanda atomelektrejo Leibstadt. Die Profite der Kernkraftwerk Leibstadt AG gehen an die Eigentümer von diversen Schweizer Energiekonzernen. Das Risiko für die Anlage wie auch für ihren Müll tragen, je nach Windrichtung, vor allem die deutschen Nachbarn auf der gegenüberliegenden Rheinseite. Sinnvollerweise ist auch genau an dieser Stelle die wichtigste Einflugschneise für den Flughafen Zürich. Aber keine Sorge – von Schweizern gemanagte Reaktoren und „Endlager“ sind mindestens so sicher und unzerstörbar wie die Swissair. Ähm, Credit Suisse wollte ich sagen…