Hertie in Gera

Shopping-Malls: 60 Jahre Bastarde der Architekten

About: Exhibition in Munich about the history of shopping malls
Pri: Ekspozicio pri arkitektura historio de butikcentroj
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 21.10.2016


Die Münchner Pinakothek der Moderne würdigt einen umstrittenen Gebäudetyp: Einkaufszentren

„Wir hinterlassen auf dem Planeten keine Pyramiden, sondern nur hässlichen Müll“, wetterte der Architekt Rem Koolhaas 2001 im „Harvard Design School Guide to Shopping“: Die sich Virus-artig verbreitenden Einkaufszentren seien nichts als „junk space“. Glitzernde Geschäftshallen ziehen rund um die Welt Milliarden Besucher an; oft sind sie die einzigen klimatisierten, halbwegs sicheren und unterhaltsamen Orte. Viele Baumeister aber hadern mit den unförmigen Tempeln des Konsums: strikte Vorgaben der Bauherren, normierte Elemente, wenig Ruhm.

Dem Architekturmuseum der TU München fiel es schwer, für die erste Ausstellung zu Shopping-Zentren alte Pläne und Modelle aufzutreiben. Die Kuratorin Vera Simone Bader stellte vor allem Fotos, Filme und Entwürfe zu 23 Malls aus aller Welt zusammen, von den Anfängen bis zu Zukunftsprojekten. Die Schau geht zwar auf Kontroversen um verödete Innenstädte ein, ist aber nicht allzu kritisch. Das könnte daran liegen, dass ECE einer der Sponsoren ist: Dem Immobilienkonzern der Otto-Familie gehören in Europa die meisten großen Einkaufszentren.

Als erste moderne Shopping-Mall gilt das „Southdale Center“, das Victor Gruen 1956 bei Minneapolis errichtete. Der aus Österreich vertriebene Architekt wollte damit eigentlich der Tristesse der autogerechten US-Vorstädte einen sozialen Treffpunkt nach dem Vorbild alter europäischer Marktplätze entgegensetzen. Von den mehr als 40.000 gesichtslosen, weitgehend standardisierten Klötzen, die Investoren in der Folge über Nordamerika verstreuten, distanzierte sich Gruen: „Ich weigere mich, Alimente für diese Bastard-Objekte zu zahlen!“ Gruen ging 1968 nach Wien zurück, wo er sich der ökologischen Stadtplanung verschrieb und für „Fußgänger-Schutzgebiete“ kämpfte.

Erst Einkaufszentren in die Welt setzen und dann nichts mehr davon wissen wollen, das machte bei Architekten Schule. Frank Gehry entwarf für einen seiner ersten Aufträge in Kalifornien die verspielte Mall „Santa Monica Place“, nicht auf der grünen Wiese, sondern zur Wiederbelebung der Innenstadt – versprach dann aber, nie wieder derart dem Kommerz zu huldigen. Walter Brune baute in Deutschland Jahrzehnte lang Kaufhäuser für Karstadt und plante das „RheinRuhrZentrum“ in Mühlheim – später verfasste er die Streitschriften „Angriff auf die City“, „CentrO Oberhausen: Ein Beispiel verfehlter Stadtplanung“ und „Factory Outlet Center. Ein neuer Angriff auf die City“.

Größe ist keine Garantie für Schönheit, ja nicht einmal für Profit. Das „Schwabylon“ in München zum Beispiel war seiner Zeit zu weit voraus: Die Erlebniswelt mit 100 Geschäften, Wohnungen, Büros, Restaurants, Schwimmbad und Saune brachte nicht genug Rendite; nach nur sechs Jahren wurde das psychedelisch gelb-orange Gebilde 1979 wieder abgerissen. In den USA verrotten mittlerweile Dutzende Shopping-Ruinen. Die Betreiber der „New South China Mall“ in Dongguan, die 2005 als damals größtes Einkaufszentrum der Welt eröffnet wurde, haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich die mehr oder weniger leerstehenden 2.350 Shops und 600.000 Quadratmeter Verkaufsfläche irgendwann doch noch füllen.

Online-Handel wird den Wettbewerb weiter verschärfen, erwartet ECE-Chef Alexander Otto: Einkaufszentren seien deshalb nicht am Ende, sondern noch wichtiger für lebendige Städte. Die Bedeutung der Architekten werde dabei zunehmen, denn es brauche Malls mit „spannenden Inhalten“ und „immer neusten Konzepten“ an attraktiven Innenstadt-Standorten. Shopper können sich jedenfalls auf noch mehr Gastronomie und Events einstellen.

Einkaufszentrum in Tokyo
Einkaufszentrum in Tokyo: Nachbau einer italienischen Stadt mit permanenter konsumfördernder Abendstimmung  (Foto vom 07.09.2000)

Die „K 11 Art Mall“ in Shanghai und die „Aïshti Mall“ in Beirut sind mit Kunstmuseen kombiniert. Das in Berlin geplante „Volt“ soll mit einem Wellenbad zum Indoor-Surfen und einem Windkanal fürs Bodyflying locken. Neubauten wie „The Circle“ am Zürcher Flughafen oder „The Hills at Vallco“ im kalifornischen Cupertino sind als ganze Stadtanlagen konzipiert: mit Straßen, Plätzen und Grünanlagen, aber natürlich ohne Bettler, Hundehaufen oder andere Störungen des Einkaufserlebnisses. In Bad Münstereifel wurde die bereits herumstehende Altstadt in ein „City Outlet“ umgewandelt.

Vielleicht freunden sich Architekten doch noch mit Bauten an, die Stadt und Frischluft weitgehend aussperren, gleichzeitig aber urbanes Lebensgefühl bieten sollen. Seit ein paar Jahren verschweigen Star-Baumeister nicht mehr ihre Mitwirkung. Daniel Libeskind etwa hat das „Urban Entertainment Center Westside“ in Bern entworfen. Norman Foster hat Abu Dhabi mit dem „Aldar Central Market“ einen Luxus-Souk beschert. Den Auftrag für die Umgestaltung des Kaufhauses „KaDeWe“ in Berlin hat jüngst übrigens Rem Koolhaas gewonnen.

Martin Ebner

„World of Malls. Architekturen des Konsums“ war bis 16. Oktober 2016 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen. Ein umfangreicher Katalog dazu ist im Verlag Hatje Cantz erschienen: www.architekturmuseum.de
Vom amerikanischen Shopping-Traum bleiben oft nur Ruinen: www.deadmalls.com


 


Foto (26.04.2017): Lost the battle against more modern shopping malls: former „Hertie“ building in Gera, one of the first department stores in Germany. Domo de iama „Hertie“ butikcentro en Gera, Germanujo. Sic transit: „Hertie“ in Gera war eines der ersten großen Warenhäuser in Deutschland. Die schöne Fassade konnte es nicht retten: Seit 2002 steht das Gebäude leer.  Anno 1882 hatten die jüdischen Kaufleute Oscar und Hermann Tietz in Gera das Unternehmen gegründet, aus dem dann der mittlerweile längst verblichene Kaufhauskonzern Hertie hervorgegangen war.

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