About: KGB-Museum in Vilnius, Lithuania
Pri: KGB-Muzeo en Vilnius, Litovujo
Published, Aperis: Damals, 07/1998
„In der Sowjetunion herrschte die beste Ordnung – im Gefängnis“
In Vilnius kann eine Zentrale des einst allmächtigen sowjetischen Geheimdienstes KGB besichtigt werden
Ein klassizistischer Palast im Stadtzentrum von Vilnius, am prachtvollen Gedimino Prospekt auf halbem Weg zwischen Regierungsgebäude und Parlament gelegen: Von hier aus beherrschte jahrzehntelang das „Komitee für Staatssicherheit“, kurz als KGB bekannt, die litauische Sowjetkolonie. Bis zum August 1991, als Litauen unabhängig wurde und die KGBler sich nach Rußland zurückziehen mußten, wurden Zehntausende politische Häftlinge und „Staatsfeinde“ durch dieses Gebäude geschleust.
Die Gefangenen wurden durch einen Nebeneingang über eine Treppe in den Keller geprügelt und dort zunächst einmal in eine Art Wandschrank gestopft. Bis zu fünf Personen wurden in der 1,6 m² großen Kammer am Eingang des KGB-Gefängnisses eingesperrt – stundenlang, bis der Papierkrieg der Registrierung der neuen Häftlinge beendet war. „In der Sowjetunion herrschte die beste Ordnung – im Gefängnis“, sagt Balys Radzius. Der 81jährige war 1946 für sechs Monate hier inhaftiert – heute führt er zusammen mit anderen ehemaligen Häftlingen durch die alten Zellen. „Natürlich fällt es uns schwer, hier zu arbeiten. Aber wer soll es denn sonst tun? Wir sind die einzigen Zeugen.“ Stolz fügt er hinzu: „Außerdem haben wir das einzige KGB-Museum der ehemaligen Sowjetunion. Nur in Litauen wurde das KGB nicht bloß umbenannt, sondern vollständig aufgelöst.“
„Die schlimmsten Haftbedingungen herrschten hier während des Partisanenkrieges nach dem Zweiten Weltkrieg“, erklärt Radzius. Die Partisanen leisteten der sowjetischen Besatzung erbitterten Widerstand, zeitweise mußte Stalin über 100.000 Rotarmisten einsetzen, um mit dem kleinen 3-Millionen-Volk der Litauer fertig zu werden. Die wichtigsten der gefangenen Guerilleros landeten im KGB-Keller von Vilnius. „Eigentlich sind die Zellen hier für zwei Personen gedacht. Damals aber waren wir zwanzig in einem Raum!“ erinnert sich Balys Radzius. „Verhört wurden wir nur nachts. Tagsüber aber war Schlafen auch verboten. Es ist so einfach, Menschen völlig zu vernichten – es reicht, sie nicht schlafen zu lassen.“ Besonders hartnäckige Gefangene wurden ohne Kleider in eine kalte „Isolationszelle“ gesteckt, bei einer Tagesration von einem halben Liter Wasser und 300 Gramm Brot.
Nicht, daß das grauenhafte Gebäude vor der Sowjetzeit besonders gemütlich gewesen wäre. Es war 1899 als zaristisches Gericht erbaut worden und wurde seither immer als Gefängnis genutzt. Die Wärter wechselten allerdings ständig: Die deutsche Besatzung während des Ersten Weltkriegs wurde 1919 für kurze Zeit von einem bolschewistischen „Revolutionstribunal“ abgelöst. Ihm folgte bis 1939 eine polnische Besatzungsmacht. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt rückte die KGB-Vorläuferorganisation NKVD ein. Einer der damaligen Gefangenen wurde von Vilnius im Juni 1941 nach Sibirien deportiert und später als israelischer Premier berühmt: Menachem Begin. Von Sommer 1941 bis 1944 hauste die deutsche Gestapo hier. Die letzten Hausherren vom KGB versuchten vor ihrem Auszug im August 1991, von den dick gepolsterten Wänden der „Spezialzelle“ die Blutspuren abzuwaschen – allerdings ohne besonderen Erfolg.
Die schlimmsten Folterzellen, in denen die Häftlinge bis zu den Knien im eisigen Wasser stehen mußten, waren schon 1956 geschlossen worden. Überhaupt bemühten sich die KGBler nach der Stalinzeit, dem Sozialismus ein humaneres Antlitz zu verschaffen – auf ihre Weise: In den Zellen wurden wieder Holzböden verlegt, Stühle und Betten aufgestellt; die Häftlinge mußten also nicht mehr auf dem kalten Betonboden sitzen. Ja, den Gefangenen wurde in den letzten Jahren zuweilen sogar der Besuch einer Toilette gestattet.
Bis zuletzt in Betrieb waren der Gefängnishof, wo die Häftlinge in kleinen Betonkäfigen jeden Tag für 10 bis 20 Minuten Luft schnappen durften, und die Exekutionszelle. Unter den Hingerichteten waren auch Täter, die zu Opfern wurden: Beispielsweise wurden hier 1946 zwei deutsche Generäle, darunter der Kommandant von Vilnius, aufgeknüpft. Und ein Teil der Partisanen, die hier per Genickschuß erledigt wurden, war an der Ermordung der litauischen Juden beteiligt gewesen. (Über diese Verbrechen informiert das Jüdische Museum in Vilnius.) Die Leichen wurden dann irgendwo am Stadtrand verscharrt. „Bisher haben wir 760 Skelette wiedergefunden, unter einer alten KGB-Garage“, erzählt Radzius, „aber wir suchen natürlich noch weiter.“ Insgesamt hat Litauen in den Jahren von 1944 bis 1953 rund 790.000 Menschen verloren.
Balys Radzius selbst hatte damals „Glück“ gehabt. Jedenfalls wurde er nicht erschossen, sondern deportiert. Nach „nur“ 10 Jahren Zwangsarbeit in den Minen von Workuta wurde er wieder laufengelassen. Er durfte zwar bis 1981 nicht nach Litauen zurückkehren, aber immerhin wieder in seinem alten Beruf als Tenor-Sänger auftreten. Von seinen Leidensgenossen, die für Jahrzehnte nach Sibirien deportiert wurden, haben nur wenige überlebt. „Meine schöne Stimme hat mich gerettet“, meint er heute. „Besonders gerne“ führe er nun als Museumswärter „alte Männer, die russisch sprechen“ durch die Anlagen: „Vielleicht haben sie ja hier gearbeitet?“ Es komme gar nicht so selten vor, daß ehemalige KGBler als Touristen ihre alte Wirkungsstätte besuchen.
In dem riesigen KGB-Komplex, der hinter dem Hauptgebäude am Gedimino-Prospekt ein ganzes Stadtviertel umfaßt, haben zu Sowjetzeiten rund 1200 hauptamtliche KGB-Angestellte gearbeitet. Die Kommunikationszentrale zur Überwachung der Telefongespräche in Litauen, angeblich ausgerüstet mit modernster japanischer und deutscher Technologie, und der als normales Wohnhaus getarnte Sitz der Auslandsspionage sollen in Zukunft ebenfalls als Teil des KGB-Museums zugänglich werden. Die übrigen Räume werden nun als Archiv für die erhalten gebliebenen KGB-Akten genutzt. In Vilnius sind noch rund 300.000 „Fälle“ einsehbar – obwohl das KGB schon 1988 anfing, seine Dokumente zu kleinen Papierschnipseln zu verarbeiten, und beim Rückzug nach Rußland noch ca. 50.000 Akten mitnehmen konnte.
Was mit diesem Papierberg geschehen soll, ist heftig umstritten. Die von Exkommunisten gebildete litauische Regierung bemüht sich sehr, die Archivierung und Erforschung der Dokumente zu sabotieren. „Was wollen Sie?“ fragt Balys Radzius, „der jetzige Präsident von Litauen, Algirdas Brazauskas, hat ja selbst hier gearbeitet – als KGB-Chef.“ – Die meisten seiner Besucher aber (pro Tag kommen rund 100) sind schon von den heute zugänglichen Museumsräumen zutiefst beeindruckt. Manche fühlen sich in ihrer Weltanschauung bestätigt: „Jetzt wissen wir, wogegen wir immer gekämpft haben!“ schrieb ein Amerikaner ins Gästebuch. Ein besonnener Finne aber gibt zu bedenken: „Die KZ-Wächter hier hatten auch kein schönes Leben.“
Martin Ebner
Link (last update: 02.05.2014):
Museum der Genozidopfer in Vilnius: www.genocid.lt
Siehe auch den Artikel zum KGB-Haus in Riga, Lettland.
Foto (10.09.1997): Transport of ancient documents of the Soviet secret service KGB in Vilnius, Lithuania. Transporto de malnovaj dokumentoj de la soveta sekreta servo KGB en Vilnius, Litovujo. Abtransport von KGB-Akten in Vilnius. In Vilnius sind 300.000 „Fälle“ erhalten geblieben – die Akten von rund 50.000 weiteren „Fällen“ konnte das KGB nach Rußland evakuieren, 53.000 wurden bis 1991 vernichtet. (Litauen hat rund 3, 5 Mio Einwohner – es gibt also kaum eine Familie, die hier nicht dokumentiert wäre.)