About: Pest plant collection in the botanical garden of the University Konstanz, Germany
Pri: Trudherboj estas specialeco de la botanika ĝardeno de la universitato Konstanz en Germanujo.
Published, Aperis: Die Zeit, 04.08.1995
Warziges Knorpelkraut, Taumel-Lolch – und doch kein Schandfleck
Lieblich ist die Bodenseelandschaft; Millionen Touristen pilgern zur Mainau und ahnen nichts Böses. Und doch lauert hier, genau gegenüber der Blumeninsel, in einer ehemaligen Gärtnerei das Grauen aller Landwirte und Gartenbesitzer: Ackerkratzdistel, Vogelknöterich, Borstenhirse und dergleichen Grünzeug, das bösartig überall dort wuchert, wo es kein Mensch haben will.
Der botanische Garten der Universität Konstanz hat sich spezialisiert auf Unkräuter, die Mitteleuropas Äcker und Weinberge heimsuchen. „Mit den Mainau-Blumen hätten wir eh nicht konkurrieren können“, erklärt Holger Kleinstück, der Verwaltungschef von Deutschlands größter Unkrautsammlung. Er wehrt sich gegen die diskriminierende Bezeichnung „Unkraut“. Biologisch korrekt müsse man „Ackerbegleitflora“ sagen. Schließlich traut sich heute ja auch niemand mehr, von „Ungeziefer“ oder gar „Unmenschen“ zu reden.
Dabei war die Anlage 1973 eigentlich als Anti-Unkrautgarten gegründet worden. Herbizid-Forscher wollten der damals modernen, intensiven Landwirtschaft helfen, alles unprofitable Gewächs zu liquidieren. Die von ihnen entwickelten „Unkrautkontrollmittel“ sorgten zusammen mit verbesserter Saatgutreinigung, Mineraldünger und der Aufgabe des Leinanbaus und anderer alter Kulturen, dafür, daß heute das Warzige Knorpelkraut, der Taumel-Lolch und sieben weitere Wildkräuter in der freien Natur ausgestorben sind. „Wenn wir da die Samen verschlampen würden, wäre es sehr schwierig, wieder neue zu bekommen“, gruselt sich Holger Kleinstück. Neben der Anzucht von Pflanzen für Forschung und Lehre ist deshalb heute Artenschutz die Hauptaufgabe des Unkrautgartens.
Von den rund 300 mitteleuropäischen Ackerwildkräutern steht ein ganzes Viertel auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Straßenbau, die Beseitigung „unproduktiver“ Ackerraine – vor allem die direkte Vernichtung ihres Lebensraums macht diesen Kräutern zu schaffen. So schnell geben die ungeliebten Pflanzen allerdings auch wieder nicht auf: Die Ackerkratzdistel etwa wurzelt bis zu drei Meter tief – und überlebt so selbst intensivste Bodenbewirtschaftung. Der Weiße Gänsefuß entwickelt sogar herbizidresistente Formen.
„Es findet einfach eine Umschichtung statt“, berichtet Holger Kleinstück: „Mehr kurzlebige und ganzjährig keimende Arten, mehr Ungräser, weniger breitblättrige Kräuter. Wenn es früher auf einem Acker zum Beispiel 30 Unkrautarten mit jeweils 10 Individuen gegeben hat, dann sind es heute nur noch 3 Allerweltsunkräuter – dafür aber gleich mit jeweils 100 Pflanzen.“
Diese Arteneinfalt wird von den „viereinhalb“ Konstanzer Unkrautgärtnerinnen bekämpft – natürlich ohne chemische Keule. Wenn sich einmal ein wildes Kraut partout nicht mit dem ihm zugewiesenen 50 x 50 Zentimeter großen Beet zufriedengibt, sondern sich aussät und seine Nachbarn verdrängen will, wird es liebevoll von Hand ausgegraben und mit sanfter Gewalt zurückverpflanzt.
Ordnung muß sein im Unkrautgarten. Jedes Jahr werden die Pflanzensamen sorgfältig eingesammelt. Sie werden mit 380 Partner-Einrichtungen in aller Welt getauscht – auch andere botanische Gärten wollen seltene Unkräuter züchten. Außerdem soll durch die regelmäßige Ernte der Samen verhindert werden, daß üble Kräuter ausreißen. Konstanz will vermeiden, was dem Botanischen Garten Karlsruhe mißlang: Dort war im Jahr 1805 der Persische Ehrenpreis entwischt. Das kleine blaue Kraut verbreitete sich dann rasend schnell und ist heute wohl allen Gartenbesitzern in Mitteleuropa bekannt.
Um ganz sicher zu gehen, werden in Konstanz die „Ten Worst Weeds“ ständig hinter Gewächshausglas verwahrt. Diese „zehn schlimmsten Unkräuter“ sind nach einer von dem Amerikaner Le Roy Holm geleiteten Forschergruppe weltweit am verbreitetsten, am schwersten zu bekämpfen und besonders schädlich für die Landwirtschaft. An erster Stelle gehört dazu das Nußgras – eine Segge, die in 92 Ländern und 52 Agrarkulturen ihr Unwesen treibt.
Touristen, die sich in den Unkrautgarten verirren, werden aber eher über den möglichen Nutzen der Ackerbegleitflora aufgeklärt. Sie erfahren zum Beispiel, daß jedes Wildkraut im Schnitt 12 Tierarten versorgt – allein von der Quecke leben über 80 verschiedene, durchaus nützliche Insekten und Vögel. Andere Kräuter erhöhen die Bodenfruchtbarkeit und schützen vor Erosion – die Vogelmiere wird deshalb in Weinbergen eigens ausgesät.
Das ist die wichtigste Botschaft der Konstanzer Wildkrautzüchter: Es gibt keine eindeutige Grenze zwischen Nutzpflanzen und Unkräutern. Die Echte Kamille beispielsweise ist im Getreide unerwünscht – im Garten ist sie eine Zierde und wird außerdem noch als Heilpflanze geschätzt. Roggen war früher im Weizen ein „Unkraut“ – hätte man ihn ausgerottet, wäre er nie als Getreideart entdeckt worden. Was heute noch als unnütz erscheint, kann morgen gebraucht werden.
Martin Ebner
Link (last update: 28.04.2014):
Unkräuter, Wildkräuter und seltene Pflanzen aus der Bodensee-Region gehören zu den Schwerpunkten des Botanischen Gartens der Universität Konstanz: www.uni-konstanz.de/botanischergarten
N.B. (07.03.2016):
Wer sich für die Pflanzenwelt des Bodensee-Ufers interessiert, wird fündig bei der Arbeitsgruppe Bodenseeufer: www.bodensee-ufer.de
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