EU "ice cream man" in history museum Zagreb

„Entwicklungshilfe“: Wer schützt die Welt vor ihren Helfern?

About: Book by Linda Polman against the development aid business
Pri: Libro de Linda Polman kontraŭ „evoluhelpo“
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 10.012.2010


Die Journalistin Linda Polman will Hilfsorganisationen die Sammel-Laune verderben

 

In Haiti beschuldigen aufgebrachte Demonstranten UN-Blauhelm-Soldaten, Cholera einzuschleppen. In Afghanistan und Irak können Entwicklungshelfer froh sein, wenn sie nur mit Steinen beworfen werden. Dabei meinen sie es so gut: Unermüdlich jetten die Vertreter humanitärer Organisationen um die Erde, bauen Kliniken und Straßen, bekämpfen Armut und Frauendiskriminierung, lehren Mülltrennung und nachhaltige Entwicklung. Die Dankbarkeit der umsorgten Menschen scheint sich aber in Grenzen zu halten. Die Helfer haben wohl nicht nur ein Image-Problem.

An sich floriert das Spenden-Business. Zugegeben: die Märkte für Hundefutter oder Schönheitsoperationen sind größer. Die rund 120 Milliarden US-Dollar, die von den reichen Ländern derzeit pro Jahr für Katastrophen- und Entwicklungshilfe ausgegeben werden, sind aber doch ein beachtlicher Batzen. Und weil es ja um gute Zwecke geht, wird nicht so genau kontrolliert, was dabei herauskommt. Allerdings balgen sich nicht nur ein Dutzend UNO-Einrichtungen, sondern auch immer mehr nichtstaatliche Organisationen um den Wohltätigkeitskuchen. Über 37.000 dieser NGOs gibt es bereits; allein die US-Behörden registrieren jeden Tag im Schnitt 80 neue. Im verzweifelten Kampf um lukrative Hilfsprojekte bleiben gute Sitten und Wahrheit öfters auf der Strecke, beobachtet die holländische Journalistin Linda Polman, die seit 20 Jahren UN-Friedensmissionen in Afrika, Afghanistan und Haiti begleitet: „Hilfsorganisationen sind Wirtschaftsbetriebe. Doch sie sind getarnt als Mutter Teresa.“

Wozu die Helfer-Szene fähig ist, bewies sie zum Beispiel 1984 in Äthiopien. Das Regime dort „säuberte“ den Norden des Landes und internierte die Überlebenden in KZs. Von westlichen Journalisten wurde das als „Dürre-Katastrophe“ verkauft; Bob Geldofs Hit „Do they know it’s Christmas“ rührte die Menschheit. Dass die aufgepäppelten „Flüchtlinge“ dann zur Zwangsarbeit auf Staatsgüter im Süden abgeführt wurden, kümmerte niemanden. Dank der „Live-Aid“-Konzerte verdoppelte die Hilfsorganisation Oxfam ihren Umsatz. Die äthiopische Regierung war vom Erfolg des Dürre-Schmähs so begeistert, dass sie 1999 die gleiche Nummer noch einmal durchzog und mit freundlicher Unterstützung der Weltgemeinschaft den Osten Äthiopiens entvölkerte.

Linda Polman empört vor allem die unheilige Allianz von NGOs und Militärs: „Hilfe ist ein fester Bestandteil der Kriegsstrategien geworden.“ In der Spenden-Werbung wird das nicht so thematisiert – aber wer Flüchtlinge füttern, Witwen und Waisen trösten will, der muss in Krisengebieten fast immer Schutzgeld zahlen an Soldaten, Guerillas oder wer sonst gerade das bewaffnete Sagen hat. Die Tarife sind Verhandlungssache: In Liberia begnügte sich Machthaber Taylor mit 15 Prozent der Hilfsgüter, auf Sri Lanka nahmen die Tamil Tigers ein Viertel der Tsunami-Spenden, die serbischen Streitkräfte in Ex-Jugoslawien bekamen ein Drittel der UNO-Hilfe, in Somalia kassieren Warlords schon mal 80 Prozent.

Manchmal landen die guten Gaben überhaupt nicht bei Bedürftigen. Die „totale ethische Katastrophe“ war Goma im Jahr 1995, berichtet Polman: In den Flüchtlingslagern im Kongo versammelten sich Regierung, Armee und Milizen der Hutus – sprich: die Täter des Völkermords in Ruanda. Gut ausgeruht, genährt und geimpft von rund 250 internationalen Hilfsorganisationen setzten sie von dort ihre Mord- und Raubzüge in Ruanda fort. Nach einem Jahr konnte dann eine Tutsi-Armee die Lager erobern und die NGOs verjagen. Etwa 600.000 Hutus kehrten nach Ruanda zurück, 200.000 zogen tiefer in den Kongo und mischen dort bis heute im Bürgerkrieg mit. Die NGOs haben mittlerweile andere „Projektgebiete“.

Darf man Lebensmittel-Pakete verteilen, wenn sich Krieger den Löwenanteil unter den Nagel reißen? Soll man Verbände legen und Spritzen geben, wenn das im Endeffekt Kriege und Grausamkeiten verlängert? Das Dilemma ist so alt wie die humanitäre Bewegung selbst. Geschockt von seinen Erlebnissen auf dem Schlachtfeld von Solferino gründete Henri Dunant 1863 in Genf das Rote Kreuz, das unparteiisch und unabhängig menschliches Leid lindern soll. Dunant betonte die Vorteile, die eine neutrale Hilfsorganisation den Staatskassen bringt. Die Krankenschwester Florence Nightingale, die ungefähr zur gleichen Zeit im Auftrag der britischen Regierung die Sterblichkeit in Lazaretten senkte, war dagegen erbost, als geheilte Soldaten zurück an die Front geschickt wurden. Sie kam zu dem Schluss: ohne Hilfe würde sich der Krieg viel schneller totbluten.

Ist es manchmal besser, nicht zu helfen? Aber was würde dann aus den durchaus attraktiven Gehältern, Tagespauschalen und Gefahrenzulagen, die etablierte NGOs zu bieten haben? „Die humanitäre Hilfsgemeinschaft hat keinerlei Hemmungen, sich als internationaler Jetset im Urlaub zu präsentieren“, stellt Polman fest: Restaurants, Swimming-Pools und Golfplätze für Helfer sind häufig das Erste, was in zerbombten Gegenden aufgebaut wird. „Wo die weißen Land-Cruiser hinkommen, blüht umgehend die Prostitution auf. Auf den Barhockern in Krisengebieten sitzen oft blenden bezahlte Diplomlandwirte, Fachleute für Milleniumsziele oder Gender-Experten mit heimischen Teenager-Mädchen auf dem Schoß.“

Wenn man dazu noch den Zirkus der Geber-Konferenzen, das Übereinanderstolpern der NGOs, die alle zur selben Katastrophe eilen, die Business-Class-Tickets für „Berater“ und das Fehlen von Resultaten nehme, dann werde verständlich, warum immer mehr westliche Bürger Hilfsaktionen selbst in die Hand nehmen, findet Polman. Ob die zahlreich gegründeten MONGOs (My Own NGO) die Sache wirklich besser machen, sei aber fraglich: „Gut gemeinte, aber sinnlose Schenkungen verstopfen die Flughäfen.“ So wurden Tsunami-Opfer mit Wintermänteln verwirrt, über Goma warfen Privathelfer Skifäustlinge ab. Ein pensionierter Verwaltungsangestellter aus USA zog eine Blutspur durch Westafrika, weil er sich von Gott persönlich zum Chirurgen berufen fühlte, trotz fehlender medizinischer Ausbildung. „So weit ich weiß, hat man noch nie einen humanitären Helfer vor Gericht gestellt, weil man ihm Versagen vorwirft“, bedauert Polman, „geschweige denn wegen Mitverantwortung an den Verbrechen von Rebellen und Regimen“.

Was also tun, wenn wieder einmal eine Sammelbüchse vor der Nase scheppert? Polman plädiert nicht dafür, gar nichts mehr zu tun. Ihre Empfehlung: „Wagt es, die Stimmung während der Sammelaktionen zu verderben – stellt den humanitären Helfern Fragen!“ Zum Beispiel, wem geholfen werden soll – unschuldigen Opfern, Warlords oder beiden? Wer entscheidet vor Ort über die Verteilung der Hilfsgüter? Wieviel verdienen „Berater“ an einem Projekt? Werden die lokalen Mitarbeiter geschützt, während die Direktoren im Bunker sitzen? Die Versprechungen und Geschäftsberichte der NGOs sollten genau geprüft werden, fordert Polman: „Nein sagen ist immer noch eine Option.“

Martin Ebner

Link (last update: 05.05.2014):
Linda Polmans Buch „De Crisiskaravaan“ wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Die deutsche Ausgabe, „Die Mitleidsindustrie. Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen“, ist im Campus-Verlag erschienen: www.lindapolman.nl


 


Foto: History museum in Zagreb, Croatia: During the yugoslav wars the representatives of the European Union were called „ice cream men“ by the locals. Because they were so white and „useful“. Historia muzeo en Zagreb, Kroatujo: Dum la milito en Jugoslavujo kroatoj nomis la „utilegajn“ reprezentantojn de la EU „vendistoj de glaĉiaĵo“. Geschichtsmuseum in Zagreb, Kroatien: In den jugoslawischen Nachfolgekriegen wurden die Vertreter der EU von den Kroaten „Eismänner“ genannt. Weil sie so weiß und nützlich waren.

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