About: Anti-communist „orange revolution“ in Wroclaw (German name: Breslau), Poland, in the 1980s. It was not staged by the CIA, but by local artists – therefore much funnier than its successors.
Pri: „Oranĝa revolucio“ en la pola urbo Wroclaw (germana nomo: Breslau) dum la jaroj de Solidarnosc movado.
Sponsor, Sponsoro: Bundeszentrale für politische Bildung
Published, Aperis: Neue Zürcher Zeitung, 20.12.2005
Mit Parolen wie „Freiheit und Wasser“ oder „Keine Freiheit ohne Zwerge“, Streiks in Telefonzellen und der Verteilung von Mangelwaren an Passanten hat eine Spassguerilla namens „Orange Alternative“ in den achtziger Jahren in Breslau die Staatsmacht verhöhnt. Zu ihrem 25. Geburtstag erhielt die Bewegung vier Denkmäler.
Dass Graffiti-Sprayer von einer Stadtverwaltung gewürdigt werden, kommt nicht oft vor; dass für sie Bronze-Statuen aufgestellt werden, dürfte einmalig sein. „Wir wollen, dass Breslau mit freundlichen Zwergen in Verbindung gebracht wird“, erklärt Pawel Romaszkan, der Promotionsdirektor der südpolnischen Provinzhauptstadt, den Sinn der ungewöhnlichen Monumente. „Zwerge sind eine positive Ergänzung für das Stadtbild.“
Breslau, nach dem Weltkrieg und der Vertreibung der Deutschen ein liberaler Schmelztiegel für Zuwanderer, tanzte immer schon aus der Reihe. Als sich im übrigen Polen in den 1980er Jahren Solidarnosc-Aktivisten Strassenschlachten mit der Polizei lieferten und das kommunistische Regime sich auf Bürgerkrieg vorbereitete, gründete in Breslau der Künstler Waldemar Fydrych die „Orange Alternative“, die das Rot der Kommunisten mit dem Gelb der Vatikanfahne mischte. Damals waren regelmässig Streichtrupps unterwegs, die regierungskritische Parolen an den Wänden mit grauer Farbe überpinselten – auf diese Flächen malte Fydrych orange Zwerge, was er als „Synthese im Sinne Hegels“, beziehungsweise „sozialistischen Surrealismus“ verstanden haben wollte.
Ab 1986 organisierte Fydrychs orange Spassguerilla eine endlose Abfolge von Happenings. Mal versammelten sich sieben Mann in einer Telefonzelle zum „Streik“; mal patrouillierten 100 Breslauer mit langen Mänteln, Sonnenbrillen, Schlapphüten und Spielzeugpistolen zum „Internationalen Tag des Spitzels“ durch die Strassen und kontrollierten Ausweise; dann wieder wurde auf dem Marktplatz die Oktoberrevolution nachgespielt – ganz in Rot, weshalb der Verkauf von Borschtsuppe verboten wurde und die Miliz unbeteiligte Ketchup-Esser verhaftete. „Die Opposition reagiert auf die lächerlichen Reden von General Jaruzelsky mit todernsten Demonstrationen. Und nichts verändert sich. Wir dagegen reagieren einfach genauso lächerlich“, erläuterte Fydrych seine Strategie.
Das Ziel, Strassenaktionen zur alltäglichen Selbstverständlichkeit zu machen und den Menschen die Angst vor der Polizei zu nehmen, wurde erreicht. Die Behörden waren völlig überfordert von der unberechenbaren Bewegung, die mit Parolen à la „Freiheit und Wasser!“ oder „Lasst die Weltkräfte des Friedens blühen im Schatten des Kampfsports!“ die Kommunisten, aber auch die Solidarnosc verulkte. Anrückende Einsatzkräfte wurden mit Applaus empfangen und nach Möglichkeit geküsst; gegen ironische Transparente, die „Acht-Stunden-Tag für Geheimpolizisten!“ forderten, fand der Staatsanwalt schlechterdings keinen Paragraphen. Meist beschränkte sich die Repression daher auf milde Schläge und 48 Stunden Untersuchungshaft. Nur einmal wurde Fydrych zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er an Passanten Mangelwaren wie Toilettenpapier und Tampons verschenkt hatte.
Im Sommer 1988 zogen 15.000 Bergmännchen mit orangen Zipfelmützen durch Breslau, riefen „Keine Freiheit ohne Zwerge!“, tanzten Ringelreihen und sangen „Wo ist die Miliz?“. Bis auf ein paar hilflos grinsende Uniformierte, die nicht rechtzeitig verschwunden waren, hatte nämlich die Polizei das Stadtzentrum dem Karneval überlassen, der Besucher aus ganz Polen, aber auch zahlreiche Hörer von „Radio Free Europe“ in den Nachbardiktaturen inspirierte. Beeindruckt waren zum Beispiel die Hippies der ukrainischen Friedensbewegung; die ungarische Jugendbewegung Fidesz (heute als konservative Partei auch im Europaparlament vertreten) taufte ihre Zeitschrift „Ungarische Orange“.
Zuweilen gaben die Breslauer auch auswärts Gastspiele. So bauten sie in der bestreikten Danziger Leninwerft Panzer aus Styropor oder führten in Warschau „Manöver“ durch unter dem Motto „Der Warschauer Pakt – eine Avantgarde des Friedens“. Zum „Jubiläum“ der Niederschlagung des Prager Frühlings stürmten 200 Aktivisten mit der Parole „Lang lebe die brüderliche Hilfe!“ einen Berg an der tschechischen Grenze; Waldemar Fydrych dabei vorneweg als Samurai mit grossem Schwert.
Nach 1989 zerbröselte die „Orange Alternative“. Fydrych kandidierte für den Senat, konnte aber nur ein einziges Stadtviertel gewinnen – angeblich die Kaserne der Breslauer Bereitschaftspolizei. Der guruhafte Künstler scheiterte 2002 auch bei der Oberbürgermeisterwahl in Warschau gegen den Nationalisten Lech Kaczynski; immerhin gehörten seine Auftritte mit oranger Zipfelmütze zum Lächerlichsten, was das Genre „TV-Diskussionen mit Politikern“ bislang hervorgebracht hat. Im vergangen Winter aber war Fydrych wieder in seinem Element: Zusammen mit Studenten tourte er in einem orangen Bus durch die Ukraine und unterstützte mit Happenings die „Orange Revolution“. Die Polen fabrizierten zum Beispiel den 15 Meter langen Schal, der auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew Präsident Juschtschenko überreicht wurde.
Im Westen ist „Pomaranczowa Alternatywa“ noch kaum bekannt, einmal abgesehen davon, dass 1989 ein Film über ihre Aktionen in Oberhausen ausgezeichnet und Fydrych diesen Sommer im EU-Parlament Brüssel mit einer Ausstellung gewürdigt wurde. Breslau aber ist stolz auf seine jüngste Vergangenheit: Die Touristeninformation verkauft orange Männchen, und in der Altstadt wurden heuer den lachenden Zipfelmützenträgern zum 25. Geburtstag ihrer Bewegung vier Denkmäler errichtet, jeweils etwa 35 Zentimeter hoch. In der Swidnicka Strasse zum Beispiel, wo die meisten Happenings stattgefunden hatten, rollen nun kleine Kobolde einen Globus: Orange Zwerge bewegen die Welt.
Martin Ebner
Link (last update: 27.04.2014):
Orange Alternative Foundation
Foto: Monument to the „Orange Alternative“ in Wroclaw, Poland; Monumento por la „oranĝa alternativo“ en Wroclaw, Polujo; Denkmal für die „Orange Alternative“ in Breslau, Polen.