Paritätischer Taufstein aus der Kirche St. Martin in Arbon

Paritätische Kirchen im Bodenseeraum: 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden

About: Common churches shared by different Christian denominations. In Thurgau some remnants of the Augsburg Peace Treaty survive to the present day.
Pri: En la regiono de Konstanca Lago supervivis kelkaj komunaj kristanaj eklezioj kaj por katolikoj kaj por protestantoj
Published, Aperis: Südwestpresse, 03.12.2005


Jubiläum / 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden

Gleichberechtigtes Nebeneinander


Seit 1555 dulden sich Katholiken und Evangelische. Im Bodensee-Raum benutzen sie zum Teil bis heute gemeinsame, paritätische Kirchen.

Können Menschen verschiedener Glaubensrichtungen miteinander leben, ohne dass sie sich die Kutschen anzünden und die Köpfe einschlagen? Im Prinzip nein, meinten die Politiker, die nach diversen Religionskriegen den Augsburger Frieden aushandelten. Ein halbwegs gewaltfreies Nebeneinander sollte aber trotzdem möglich sein, fanden sie und beschlossen deshalb am 25. September 1555: „Cuius regio, eius religio“ – wer ein Gebiet beherrscht, bestimmt, ob es katholisch oder protestantisch sein soll; und die Untertanen, denen das nicht passt, können auswandern.

Im deutschen Südwesten, damals ein bunter Flickenteppich von 600 Kleinstaaten, führte diese Regelung allerdings nicht unbedingt zu einer klaren Trennung der Religionen. Schon gar nicht, wenn sich verschiedene Herrschaftsrechte überlappten: Tigerfeld auf der Schwäbischen Alb zum Beispiel wurde vom evangelischen Württemberg, aber auch von einem katholischen Reichsritter regiert. In diesem „Kondominatsdorf“ gab es sogar ein konfessionell geteiltes Bauernhaus; je nachdem in welcher Gebäudehälfte die Kinder geboren wurden, erhielten sie die passende Taufe.

Vier freie Reichsstädte, die sich nicht entscheiden wollten, bekamen 1555 einen in Deutschland einmaligen Sonderstatus: In Augsburg, Dinkelsbühl, Biberach und Ravensburg wurden Katholiken und Lutheraner gleichberechtigt. Pfründe und Kirchen wurden aufgeteilt, manchmal aber auch gemeinsam verwaltet. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde numerische Parität in den Stadtverfassungen festgeschrieben, das heißt, vom Bürgermeister bis zur Hebamme wurden alle Posten doppelt mit Vertretern beider Lager besetzt. Dieser Proporz war nicht billig, hielt aber lange. In Ravensburg, wo gerade eine Veranstaltungsreihe das Jubiläum des Religionsfriedens feiert, gab es noch in den 1930er Jahren einen Kindergarten mit konfessionell getrennten Toiletten.

Von Historikern wird die Parität unterschiedlich beurteilt: Einerseits habe sie dafür gesorgt, dass es nur noch kleinere Reibereien gab – etwa, wenn in Ravensburg die im Chor der Kirche sitzenden Katholiken auf die unten im Langhaus betenden Protestanten Nachttöpfe ausleerten. Andererseits habe die starre juristische Abgrenzung aber auch eifersüchtige Besitzstandswahrung und kaum innovationsfähige Verkrustungen bewirkt. In Biberach jedenfalls wird in der gemeinsam genutzten „Simultankirche“ St. Martin bis heute der Stromverbrauch getrennt abgerechnet.

Während in Deutschland die paritätischen Verhältnisse in der Neuzeit meist aufgelöst wurden, sind sie in der sparsamen Schweiz noch öfters anzutreffen, besonders im konfessionell gemischten Thurgau. In Uesslingen zum Beispiel ist auf die Minute festgelegt, wer wann mit welcher Glocke für das „paritätische Geläute“ zu sorgen hat. Im Unterseedorf Ermatingen, das einmal zur Reichenau gehört hatte, steht in der paritätischen Kirche ein Taufstein mit zwei Wannen. Beim Beten wechselt man sich ab: Die evangelischen Sonntagsgottesdienste beginnen in den ungeraden Monaten um 9, in den geraden um 10:30 Uhr – die katholischen Andachten genau umgekehrt. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte wird sich vielleicht auch für moslemischen Zuwanderer ein Termin finden.

Martin Ebner


Lindau St. Stephan Grabstein

Grabstein in der evangelischen Pfarrkirche St. Stephan in Lindau, Deutschland: Die protestantische Magdalena Juliana Gräfin von Waldburg-Wolfegg, Gattin des katholischen Festungskommandan-ten von Lindau, starb bei der Geburt ihres jüngsten Kindes. Bis zum Jahr 1700 rechneten in Lindau die Evangelischen  nach dem julianischen Kalender, die Katholiken nach dem gregorianischen – mit 10 Tagen Differenz. Daher sind auf dem Grabmal zwei Todesdaten  angegeben: 11. und 21. November 1645.

Lindau Grabsteindaten


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Foto: For both catholics and protestants: bireligious baptistery in Arbon, Switzerland. Baptujo por kaj katolikoj kaj protestantoj en Arbon, Svislando. Paritätischer Taufstein mit katholischem und evangelischem Becken, 1863 vom Konstanzer Steinmetz Egger gefertigt für die Kirche St. Martin in Arbon, Schweiz (im Historischen Museum Schloss Arbon).

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