About: Should monument protection take care for buildings from the 1950s onwards?
Pri: Ĉu monumentoprotektado devus prizorgi modernajn konstruaĵojn?
Published, Aperis: Badische Zeitung, 23.12.2000
Denkmalschutz-Tagung in Berlin: Dürfen auch ungeliebte Bauten überleben?
Das DDR-Außenministerium wurde geschleift, die Berliner Mauer fast restlos beseitigt und der Betonschalenbau „Ahornblatt“ abgerissen. Sollen jetzt ganze Plattenbau-Viertel platt gemacht werden? Sollen auch in Westdeutschland unbeliebte Neubauten zum Einsturz gebracht werden? Spätestens seit sich die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und den Abriss des „Palasts der Republik“ ausgesprochen hat, tobt ein erbitterter Streit darüber, ob Bauwerke der Nachkriegszeit erhaltenswert sind.
Damit diese Debatte nicht immer nur um die Stadtmitte von Berlin kreist, lud die Friedrich-Ebert-Stiftung zu ihrer Tagung „Kulturerbe – Denkmalpflege – Zeitgeschichte“ auch Fachleute aus anderen europäischen Ländern ein. Die Fronten lockerte das allerdings nicht auf. Jede Seite fühlte sich durch die ausländischen Erfahrungen bestätigt.
Als zum Beispiel berichtet wurde, dass in Holland für den Denkmalschutz nicht nur „historischer Wert“, sondern auch „Schönheit“ zählt und darüber „Schönheitskommissionen“ entscheiden, horchte Sebastian Storz auf; schließlich kämpft der von Baden-Württemberg nach Dresden umgezogene Bauhistoriker für „architektonische Qualität“ und gegen „banale“ Plattenbauten. Lothar de Maizière von der Berliner Stiftung Denkmalschutz protestierte prompt: „Es soll dabei bleiben, dass wir Denkmalschutzbehörden, nicht Schönheitsbehörden haben.“
Dann stellte sich jedoch heraus, dass die holländische „Monumentenzorg“ keine Hemmungen hat, die potthässliche 50er-Jahre-Fussgängerzone in Rotterdam unter Schutz zu stellen, ja sogar die Bunker des verhassten deutschen Atlantikwalls sorgfältig inventarisiert und überhaupt der Ansicht ist: „Man kann die Zeitgeschichte nicht ausradieren.“ Da klatschten die Denkmalschützer Beifall. Mit Jörg Haspel, dem Leiter des Berliner Landesdenkmalamts, waren sie sich einig, dass man sich der Vergangenheit stellen müsse und „Steine des Anstosses nicht wegräumen“ dürfe.
Gerade umstrittene Bauten sollten „grundsätzlich als wichtig gelten“ schlug die Denkmalpflegerin Gabi Dolff-Bonekämper vor. Man solle nicht nur „Kulturwerke unanfechtbaren Charakters für die Ewigkeit“ erhalten, sondern alle Objekte „so lange der Streit dauert“ – danach könne man sie entweder wegschmeissen oder endgültig als historisch bedeutsam anerkennen. Dem vermochte nicht das ganze Publikum zu folgen. Derartige Kompromisse würden bloß „alle Entscheidungen endlos aufschieben“, motzte Wilhelm von Boddien, der Unternehmer, der das Berliner Schloss wiedererrichten will.
Vielleicht haben die Menschen, die moderne Hochhäuser verachten, einen Knick in der Optik? Wenn man genau hinsehe, seien die Plattenbauten „eigentlich gar nicht so hässlich“, fand Dolff-Bonekämper. „Das ist zum Teil verdammt gute Architektur.“ Auch Beton- und Stahlkonstruktionen müssten der Nachwelt erhalten werden, forderte Bernard Toulier, der Chefkonservator des französischen Kulturministeriums, und warb für ein großes europäisches Freilichtmuseum.
Selbst wenn man wollte, könne man viele Bauten der 50er und 60er Jahre nicht im ursprünglichen Zustand erhalten, weil deren Lebenszeit abgelaufen und die Baumaterialien nicht mehr erhältlich seien, gab dagegen der tschechische Architekt Ivan Reimann zu bedenken. Außerdem seien Nachkriegsbauten oft unbrauchbar: „Die Moderne hat zu ihren Bauten einen idealen Menschen mitentworfen. Der neue Mensch ist aber nicht eingetroffen, daher funktionieren die Bauten nicht.“ Die nächsten Generationen hätten das Recht, missratene Häuser abzureißen und sich beim Neubau an bewährter Architektur zu orientieren.
„Die Demokratie muss formensicherer werden“, verlangte auch Antje Vollmer. Es gehe nicht an, dass jedem, der sich für die Tradition einsetzt, reaktionäres Denken unterstellt werde. Eine „Übermoralisierung von Ästhetik“ habe dazu geführt, dass „alles Böse der Geschichte in Bauten des 19. Jahrhunderts, alles Gute irgendwie in die Moderne gewandert“ sei, obwohl die „Ästhetik des Faschismus sicher mehr mit Bauhaus zu tun hat“ als mit preußischem Wilhelmismus.
Den Denkmalschützern warf Vollmer vor, „häufig sehr separiert“ von den Bürgern zu sein. Denkmalschutz für DDR-Schweineställe und andere Nachkriegsbauten sei „nur in Maßen der Gesellschaft zuzumuten“. Ohnehin sei es „extrem schwer“, öffentliche Mittel für alte Bauwerke zu sichern: „Der Denkmalschutz ist in ein grandioses politisches Aus geraten.“
Trost für alle Seiten spendete die Kunsthistorikerin Yvette Fulicea aus Bukarest: „Das Abreissen ist nicht immer billig.“ Daher werde man auf jeden Fall noch eine Weile mit den Nachkriegsbauten leben. Von Zeit zu Zeit gebe es allerdings Großbrände und Erdbeben, dann müsse man neu bauen.
zu Baden-Württemberg, auch für die Badischen Zeitung:
Abreissen oder bewahren: sind Nachkriegsbauten ein Fall für den Denkmalschutz?
Der Denkmalschutz sei zur „Lumpensammlerei“ verkommen und kümmere sich zu sehr um moderne Bauten, schrieb vor einem Jahr der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm in einem Gutachten für die Grünen. Die Denkmalpflege solle deshalb privatisiert werden, Schutz solle es nur noch für Gebäude aus der Zeit vor 1840 geben und auch nur, wenn sie schön seien. Bundestagsvizin Antje Vollmer pflichtete bei: Geld für unpopuläre Häuser auszugeben sei „der Gesellschaft nur in Maßen zuzumuten“; überhaupt müsse man aufhören, „alles Böse in den Bauten des 19. Jahrhunderts, alles Gute in der Moderne“ zu sehen. Seither fliegen die Fetzen. Besonders in Ostdeutschland wird um den Umgang mit Nachkriegsbauten gestritten. Die einen betrauern die Beseitigung der Berliner Mauer, die anderen wollen auch den Rest der DDR-Platten platt machen.
Kommt eine ähnliche Debatte auch auf Baden-Württemberg zu? Für Denkmalschutz sind im Landesbudget statt einst 60 Millionen Mark nur noch 39 Millionen vorgesehen. Liegt es da nicht nahe, sich auf Bauten wie das Ulmer Münster zu beschränken und die billigen Wegwerfhäuser der Wiederaufbauzeit zu vergessen? Mitte des Jahres wird eine Änderung des Denkmalschutzgesetzes in Kraft treten, die statt den Regierungspräsidien den städtischen Bauämtern die Entscheidung über Erhalt oder Abriss gibt. Flachdachriegel und Betonkästen auf Stelzen sind aber schon lange nicht mehr der Stolz der Kommunalpolitiker. Werden nun zum Ärger folgender Generationen die Bauten aus der Zeit nach 1945 genauso flächendeckend beseitigt wie früher die einst als mindestens ebenso hässlich empfundenen Stadttore aus dem Mittelalter, Gründerzeitfassaden und Jugendstilhäuser?
Nach 30 bis 40 Jahren sei Beton sanierungsbedürftig und die Nutzungen der Gebäude hätten sich geändert, kurz: es laste „wirtschaftlicher Druck“ auf den Nachkriegsbauten, sagt Doris Ast vom Landesdenkmalamt. „Der Druck ist bei uns aber nirgends so groß wie in Berlin.“ Überhaupt pflege Baden-Württemberg „einen sehr vernünftigen Umgang“ mit neuen Fällen für den Denkmalschutz: Es werde sehr kritisch geprüft, ob sie vorbildhaft für ihre Zeit, innovativ oder ein Höhepunkt im Werk eines Architekten seien. Zwar seien „moderne Industriebauten der Bevölkerung schwerer zu vermitteln als schnuckelige Fachwerkteile“, aber mit den Kommunen und Landratsämtern werde meist problemlos Einvernehmen erzielt.
Laut Gesetz sind Denkmale Sachen, „an deren Erhaltung aus wissenschaftlichen, künstlerischen und heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht“. Sie sind auch ohne Eintrag in eine Denkmalliste geschützt. Während sie in Bayern „aus vergangener Zeit“ stammen müssen und in anderen Bundesländern ein Mindestalter von 30 Jahren gilt, gibt es in Baden-Württemberg keine Zeitgrenze. Theoretisch können also auch ganz neue Bauten überprüft und sofort unter Schutz gestellt werden.
Bisher sind jedoch nur Bauten bis zum Ende der 1950er Jahre „weitgehend vollständig inventarisiert“, sagt Christoph Schindelin vom Stadtplanungsamt Stuttgart. „Von den rund 5000 Stuttgarter Kulturdenkmalen sind ein bis zwei Prozent nach 1945 entstanden, es handelt sich also um maximal 100 Gebäude. Einige davon sind Wiederaufbauten mit Anteilen aus den 50er Jahren, die Kulturdenkmaleigenschaft aufweisen, zum Beispiel die Stiftskirche oder der Wiederaufbau des Kursaals in Bad Cannstatt.“
Nun gelte das Hauptaugenmerk den 60er und 70er Jahren: „Es werden derzeit weitere Nachkriegsbauten geprüft. Bereits aufgenommen in die Liste der Kulturdenkmale wurden das SWR-Funkhaus von Rolf Gutbrod und das Hallenbad und die Louis-Leitz-Schule von Manfred Lehmbruck in Stuttgart-Feuerbach.“ Aus der Nachkriegszeit stammen sogar zwei „Kulturdenkmale von besonderer Bedeutung“, bei denen nach §12 Denkmalschutzgesetz auch die Umgebung nicht ohne weiteres verändert werden darf: der 1954 bis 1956 ohne Vorbild in der Architekturgeschichte errichtete Fernsehturm und die zur gleichen Zeit gebaute Liederhalle.
Aus Sicht der Denkmalschützer hat „der Erhalt der originalen Bauteile Vorrang“, erläutert Schindelin. „Allerdings weisen die vorgefundenen Konstruktionen häufig deutliche Mängel auf, etwa Tauwasserbildung an Fassaden oder Betonschäden. Daher ist ein Nachbau mit neuen Materialien häufig unumgänglich. Beim Gebäude der Firma Porsche von Rolf Gutbrod in Zuffenhausen war zum Beispiel ein Fensteraustausch in den Büroräumen unumgänglich. Das Ziel ist dabei aber der Erhalt des Erscheinungsbildes.“
Nicht nur bei Hausbesitzern und Investoren, auch bei öffentlichen Trägern „muss immer eine gewisse Überzeugungsarbeit geleistet werden“, schildert Schindelin seine Erfahrungen, „aber Streit über Nachkriegsbauten gibt es in Stuttgart derzeit nicht“. Und falls es doch einmal Streit geben sollte, „einigt man sich auf eine einvernehmliche Aussage, bevor damit an die Öffentlichkeit gegangen wird“.
Martin Ebner
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Foto: No mercy: demolition of the former Southern Station in Vienna, Austria; Ne trovis indulgon: malkonstruo de la eksa suda stacidomo en Vieno, Aŭstrujo; Keine Gnade: Abriss des ehemaligen Südbahnhofs in Wien, Österreich (Foto vom 13.02.2010)