Knitted tank

Geschichte: Fern- gesteuerte Friedensbewegung?

About: Historians in Berlin investigate the relations between the West German peace movement and the communist regimes in Eastern Europe during the Cold War.
Pri: Historiistoj en Berlino esploras la rilatojn de la okcidentgermana pacmovado kaj la orienteŭropaj ŝtatoj dum la malvarma milito.
Published, Aperis: taz – die tageszeitung, 02.10.1999


 Friedliche Kollateralschäden


Wer selbst Raketen aufstellt, sollte seinen Feinden keine Pazifisten auf den Hals hetzen: Sowjetunion und DDR konnten die westdeutsche Friedensbewegung für ihre Propaganda einspannen – brachten aber damit die eigenen Bürger auf oppositionelle Gedanken. Berliner Historiker erforschen, wie der kommunistische „Friedenskampf“ gegen die NATO erfolgreich scheiterte.

„Besuchen Sie Europa, solange es noch steht!“ Zu Beginn der 80er Jahre war dieser Slogan populär. Deutschland hatte gute Chancen, zum Schlachtfeld zu werden: Die Sowjetunion stellte „SS-20“-Raketen auf, um Westeuropa bedrohen zu können, ohne die USA zu einem Gegenschlag zu provozieren. Die NATO wollte diese Auflösung des transatlantischen Bündnisses verhindern und konterte mit dem Beschluss, US-Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren.

Die „Cruise Missiles“ und „Pershing II“-Raketen wiederum hätten das Kräftegleichgewicht zu Ungunsten der kommunistischen Staaten verändert. Daher beauftragte die KPdSU ihre DDR-Bruderpartei SED, aus der entstehenden westdeutsche Friedensbewegung eine  „Anti-NATO-Bewegung“ zu machen, die nur gegen US-Raketen auf die Straße gehen, über die Waffen des Ostblocks aber hinwegsehen sollte.

Wie erfolgreich die Kommunisten dabei die verbreitete Angst vor einem Atomkrieg ausnützten, zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Plan und Realität: Die westdeutsche Friedensbewegung im politischen Kalkül der SED-Führung“, das im „Forschungsverbund SED-Staat“ der Freien Universität Berlin kurz vor dem Abschluss steht. Der „Krefelder Appell“ wurde von 800.000 Menschen unterschrieben – der größte Erfolg kommunistischer Agitation in Westdeutschland. Hunderttausende nahmen an Ostermärschen teil. „Die DKP konnte die Kommandohöhen der Friedensbewegung besetzen“, erläutert Prof. Manfred Wilke, der Leiter des Projekts. „Ihr Antiamerikanismus wirkt heute noch in der deutschen Gesellschaft nach. Die Vorstellung, die ganze Friedensbewegung sei von Moskau initiiert und gesteuert worden, ist aber zu einfach und falsch.“

Immerhin gab sich die SED große Mühe, den „Friedenskampf“ zu koordinieren. Für die „Anleitung“ der DKP und ihrer diversen Frontorganisationen, wie des „Bunds der Antifaschisten“ oder des  Marxistischen Studentenbunds, war der „Friedensrat“ zuständig. Diese Organisation arbeitete eng mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammen und unterstand im zentralen SED-Apparat der Abteilung „Auslandsinformation“, die von Honeckers Schwiegersohn Manfred Feist geleitet wurde.

Für das Jahr 1978 verzeichnet die Statistik des „Friedensrats“ den Versand von 25.800 Anstecknadeln, 1500 Plakaten, 7 Filmen und hunderten Broschüren in die BRD. Der Verkauf des Agitprop-Materials diente auch zur Finanzierung der Kampagne. Die Ortsgruppe Niederkassel der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinte Kriegsdienstgegner) beispielsweise meldete stolz nach Ostberlin, 3.000 Westmark erwirtschaftet zu haben. „Auf den ersten Blick sind das Peanuts“, sagt Manfred Wilke. „Für die devisenarme DDR waren das aber schon recht ordentliche Beträge. Was an sonstiger Subventionierung gelaufen ist, wissen wir nicht genau. Die DKP hat pro Jahr rund 100 Millionen Mark bekommen. Von der ‚Abteilung Verkehr‘, dem Kurierdienst für Geldübergaben an die DKP, ist aber im Parteiarchiv nichts überliefert.“

Auf Akten sind die Forscher jedoch  angewiesen. Viele Veteranen der Friedensbewegung leben zwar noch und könnten interviewt werden – nach Ansicht der Historiker seien von ihnen aber nur „geschönte Darstellungen ihrer Tätigkeit“ zu erwarten: „Die gleichen Verdrängungsmechanismen wie nach dem Weltkrieg bei NS-Tätern, die Argumentationsmuster gleichen sich bis in die Wortwahl“. Außerdem ist Manfred Wilke nicht unbedingt ein Gesprächspartner, der von Altkommunisten gesucht wird: Als ehemaliges Mitglied des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“ hatte er schon früh den Kontakt zu osteuropäischen Dissidenten gesucht und die Öffentlichkeit der BRD mit Warnungen vor wachsendem DKP-Einfluß genervt.

Für die DKP lief es in den 80er Jahren zunächst sehr gut. Klaus Mannhart, der Vorsitzende der DFG-VK, konnte in Ostberlin rapportieren, von den rund 180 Organisationen der westdeutschen Friedensbewegung würden nur 5 nicht von der DKP kontrolliert. „Das eigentliche Ziel der Anti-NATO-Kampagne, die Beeinflussung der westeuropäischen Sozialdemokraten, wurde weitgehend erreicht“, meint der Historiker Michael Ploetz. „Mit der Friedensbewegung gelang es der Koalition von Kommunisten und SPD, die Massen zu mobilisieren – konnte sie dann aber nicht unter Kontrolle halten. Ab 1982 wurde der ‚Friedenskampf‘ der DDR zunehmend defensiv und führte zu immer mehr ‚Kollateralschäden‘. Aus DDR-Sicht ist das Ganze blamabel nach hinten losgegangen.“

Von Großbritannien und Holland ausgehend engangierte sich nämlich die „Kampagne für nukleare Abrüstung in Europa“ (END) für eine blockübergreifende Friedensbewegung und wagte, einen Zusammenhang zwischen Frieden und der Beachtung der Menschenrechte zu sehen. In der BRD zog Bundeskanzler Helmut Kohl die Nachrüstung durch – und die neue Bewegung der Grünen trat mit einer „Supermacht-Theorie“ auf, die USA und Sowjetunion die Schuld an der Aufrüstung gab. Schlimmer noch: in der DDR entstand eine eigene, von der SED unabhängige Friedensbewegung. Die Stasi beobachtete erschreckt „Jungerwachsene mit feindlich-dekadentem Äußerem“, die gegen Aufrüstung und Wehrerziehung protestierten. „Wir haben die Fernsehbilder von den großen Demonstrationen im Westen gesehen“, erinnert sich Pfarrer Rainer Eppelmann. „Da haben wir uns gefragt: Wieso können wir das nicht?“

Die Stasi bemühte sich verzweifelt, Kontakte von westlichen und osteuropäischen Friedensaktivisten zu verhindern – trotzdem gelang es zum Beispiel im Mai 1983 den Teilnehmern des „END-Konvents“ sich in Ostberlin mit DDR-Pazifisten zu treffen. Petra Kelly, Gert Bastian und andere Grüne entrollten auf dem Alexanderplatz Transparente mit den Aufschriften „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Abrüstung in Ost und West“.

Die Grünen überforderten das „schlichte Schwarz-Weiss-Denken“ der SED-Apparatschiks, sagt Michael Ploetz: „Sie waren eine oppositionelle Kraft in der BRD – gehörten aber nicht zur Arbeiterklasse.“ Die Stasi behalf sich damit, die Grünen nach DKP-Nähe den „Guten“ oder den „Bösen“ zuzuordenen. Petra Kelly etwa war definitiv böse: Stasi-Chef Erich Mielke überzeugte seine KGB-Genossen davon, die prominente Pazifistin sei eine CIA-Agentin. „Man kann sich diese Leute und ihre Verschwörungstheorien nicht primitiv genug vorstellen“, erklärt Ploetz. „Die Idee, daß Menschen aus eigenem Antrieb handeln, zum Beispiel von sich aus Angst vor dem Atomtod haben könnten, war den Kommunisten völlig fremd. Für sie war alles entweder ‚von uns gesteuert‘ – oder vom Feind.“

Was mit ihren „Freunden“ nach einem Durchbruch der sowjetischen Panzer geschehen wäre – darüber kann spekuliert werden. Ob die Harmonie der West-Wehrdienstverweigerer mit den Stasi-Offizieren wohl lange gehalten hätte? „Viele Linke hätten sich in einem Gulag wiedergefunden“, vermutet Ploetz. „Jedenfalls hat das Ministerium für Staatssicherheit von sämtlichen Briefen an den Friedensrat Kopien gemacht.“ Häretiker wie Trotzkisten, Maoisten oder Sympathisanten der „imperialistischen amnesty international“ wurden ohnehin auf den Listen über „Feindorganisationen“ erfasst. Das MfS sammelte umfangreiches Adressmaterial über die unabhängige Friedensbewegung in ganz Westeuropa.

Gebracht hat die Fleißarbeit nichts. Als Gorbatschow an die Macht kam, war die SED-Diktatur verloren. „Der offensive  ‚Friedenskampf‘ wirkte der Selbstisolierung der Kommunisten entgegen“, erklärt Michael Ploetz: „Sie mussten ihr System ein Stück weit öffnen – und haben so eine Selbstbeeinflussung erzielt.“ Viele Aktivisten der Perestroika waren vorher im „Friedenskampf“: Georgi Arbatow zum Beispiel, der Leiter des Moskauer Instituts für USA-Forschung, saß in der „Palme-Kommission“, um die Sozialdemokraten zu lenken – später machte er sich für die Veröffentlichung des sowjetischen Militärbudgets stark. Daniel Proektor verhinderte 1982 als Delegierter der UdSSR auf dem „2. Nürnberger Tribunal gegen Massenvernichtungswaffen“ Debatten über Menschenrechtsverletzungen im Ostblock – später legte er sich mit den sowjetischen Militärs an.

In der Aufklärung der sowjetischen Eliten sieht Michael Ploetz den bleibenden Erfolg der Friedensbewegung. Die Hardliner um Breschnew hätten Atomwaffen zunächst einfach als eine Art bessere Artillerie betrachtet und über ihren Einsatz nachgedacht. Die Katastrophenszenarien der Pazifisten hätten ihnen dann klar gemacht, was Atomwaffen wirklich sind: „Auf verrückte Weise wirkte die Friedensbewegung im westlichen Sinne“.

Martin Ebner

Buch:
Ploetz, Michael; Müller, Hans-Peter: Ferngelenkte Friedensbewegung? DDR und UdSSR im Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss. Münster 2004

N.B. (04.05.2014):
Laut Konrad-Adenauer-Stiftung gibt es irgendwo als „Unveröffentlichten Forschungsbericht“ zu lesen: „Hannemann, Simone / Müller, Hans-Peter / Ploetz, Michael / Wilke, Manfred: Plan und Realität: Die westdeutsche und westeuropäische Friedensbewegung im politischen Kalkül der SED-Führung 1978 bis 1983. – Berlin, 2000. – S. 123.“



Foto: Tank, treated by peace activists, in front of the German army museum in Dresden; Pacmovadaj trikistoj traktis tankon antaŭ la germana armea muzeo en Dresden; Panzer vor dem Militärhistorischen Museum in Dresden, Deutschland, nach Bearbeitung durch Friedensaktivisten.


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