About: Theft of cultural goods, mainly in poor countries
Pri: Rabo de arto, precipe en malriĉaj landoj
Published, Aperis: Südwestpresse, 09.07.2005
Die Industriestaaten plündern die armen Länder aus. Leere Tempel, durchwühlte Gräberfelder, geplünderte Museen: besonders die armen Länder leiden unter dem zunehmenden Kunstraub. Vermarktet wird das unersetzliche Diebesgut vor allem in den Industriestaaten. Die halten sich mit Gegenmaßnahmen vornehm zurück. Unrühmliches Schlusslicht ist dabei Deutschland: Es hat die einschlägigen internationalen Abkommen immer noch nicht unterzeichnet.
Beim Spazieren über den Ulmer Friedhof findet ein Inder Gefallen am Grabmal der Familie Müller. Er besorgt sich einen Lastwagen und nimmt es mit. Empört protestieren die Müllers, die einen Turban haben verschwinden sehen, bei der indischen Botschaft. Sie bekommen den Bescheid, sie sollten sich nicht so anstellen: Es gebe kein Gesetz, das den internationalen Handel mit gestohlenen Grabsteinen verbieten würde. Das Artefakt befinde sich nun im Museum von Mumbai, wo es nicht nur besser konserviert, sondern auch von viel mehr Menschen gesehen werde. Überhaupt seien – bei allem Respekt für Eingeborene – christliche Grabriten sowieso nicht mehr zeitgemäß.
So etwas kann nicht passieren? Das geschieht jeden Tag! Meist allerdings in der Gegenrichtung: in Entwicklungsländern mit reicher Vergangenheit, aber miserabler Gegenwart hacken Geschäftemacher Köpfe von alten Statuen, räumen Grabbeigaben ab oder heuern unwissende Kinder an, die für ein Butterbrot die Kultmasken ihrer Vorfahren verscheuern. In Kriegsgebieten haben die Menschen ohnehin andere Sorgen als ihr Kulturerbe. Falls es einmal lästige Behörden gibt, findet sich bestimmt ein Diplomat, dessen Koffer vom Zoll nicht kontrolliert werden…
Nicht nur der Drogenhandel, auch der Kunstmarkt boomt. Lange wurde die Nachfrage besonders von US-Museen angefeuert, die dank spendenfreundlicher Steuergesetze über gigantische Ankaufsetats verfügen. Mittlerweile suchen selbst russische oder koreanische Investoren nach gediegenen Anlageobjekten. In Südamerika sind gerade Marienstatuen aus Bayern „in“, warnt der Internationale Museumsrat, der „Rote Listen“ besonders diebstahlgefährdeter Kunstwerke veröffentlicht. Längst erzielen nicht mehr nur Picasso oder Rembrandt Spitzenpreise: Im vergangenen Jahr wurde in Stuttgart eine chinesische Vase für 1,065 Millionen Euro versteigert, in Köln brachte ein japanischer Gürtel-Netsuke 154.000 Euro.
Kein Wunder, dass auch die Unterwelt kulturelle Werte entdeckt. Man kann mit einem Porträt von Metsu durchaus in der Türkei Heroin bezahlen oder sich mit einem Vermeer-Gemälde in eine karibische Briefkastenfirma einkaufen, um zwei neuere Fälle zu nennen. Der Umsatz des legalen Kunsthandels wird auf weltweit 27 Milliarden Euro geschätzt, der des illegalen auf fünf Milliarden. Auf diesem Schwarzmarkt wird das Geld leicht verdient, denn zu den Eigenarten des Kulturbetriebs gehört, dass für spektakuläre Ankäufe Millionen ausgeben werden, für Museumswärter oder Alarmanlagen aber selbst in reichen Gegenden keine Mittel übrig sind.
Besonders verheerend ist die Plünderung von archäologischen Funden, die noch nicht dokumentiert sind. Die „Himmelsscheibe von Nebra“, vor drei Jahren von der Basler Polizei beschlagnahmt, wäre ein schönes Bronzeobjekt, aber für immer rätselhaft geblieben, wenn nicht die Langfinger die Fundstelle gestanden hätten. So konnten Wissenschaftler herausfinden, dass die 3600 Jahre alte Scheibe die Sterne von Sachsen-Anhalt aus zeigt. Meist sind Raubgräber aber nicht so kooperativ. Wo sie mit Baggern und Metalldetektoren anrücken, bleiben Kraterlandschaften zurück. Auf der Suche nach Gold zertrampeln sie den archäologischen Befund, zerstören absichtlich jeden Hinweis auf den Ausgrabungsort und vernichten so alle Informationen über die Vergangenheit, die man aus dem Boden hätte gewinnen können.
Werden religiöse Objekte gestohlen, die noch im Gebrauch sind, gehen lebendige Kulturen zugrunde. Wie weit der Identitätsverlust gehen kann, zeigen gründlichst ausgebeutete Ex-Kolonien: Die Bewohner von Bangladesch müssen nach London oder Paris, wenn sie Musselin-Stoffe oder bestickte Steppdecken sehen wollen, für die ihr Land einmal berühmt war. Dort treffen sie auch die Handschriften ihrer Ahnen. Nur nicht ihre ältesten Malereien – die sind in Russland gelandet.
Zum kulturellen Schaden kommt der ökonomische: Grabräuber und bestochene Polizisten erhalten nur einen kleinen Bruchteil des Gewinns, den der „seriöse“ Kunsthandel einsteckt. Beziehungsweise der Einnahmen, die sich durch touristische Vermarktung erzielen lassen. Für die unlängst in Basel gezeigte Tutanchamun-Ausstellung zum Beispiel bekam Ägypten immerhin 3,3 Millionen Euro Leihgebühr.
Während die Zerstörung des Welterbes rasend schnell fortschreitet, kommen Gegenmaßnahmen unendlich langsam in Gang. Nur nach großen Desastern raffen sich die Regierungen ein bisschen auf: Nach dem Weltkrieg wurde 1954 die „Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ verabschiedet. England und die USA sind allerdings bis heute nicht beigetreten, und während Kriegs in Jugoslawien waren die blau-weißen Schutz-Schildchen beliebte Zielscheiben.
Unter dem Eindruck der Plünderungen im Gefolge des Irak-Kriegs haben nach den USA und Frankreich auch England und die Schweiz die bereits 1970 (!) verabschiedete „Unesco-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut“ ratifiziert. Die Unterschrift der Schweiz ist geradezu sensationell, denn bei allen großen, in den letzten Jahren aufgeflogenen Schiebereien war sie die Drehscheibe. Da Helvetien keinerlei Gesetze zu Ein- oder Ausfuhr von Kulturgut hatte, funktionierte das so: Schöne, aber „unsaubere“ Dinge wurden in eines der vier eidgenössischen Zollfreilager gebracht, dort aufbewahrt und dann, nach Ablauf der Schweizer Verjährungsfrist von fünf Jahren, frisch „gewaschen“ ganz legal verkauft.
Wegen diverser Raubgold- und Nazi-Geschichten in der Defensive, haben aber Regierung und Parlament in Bern trotz des Aufheulens von Kunst- und Antiquitätenhändlern der Unesco-Konvention mit einem „Kulturgütertransfergesetz“ Folge geleistet, das seit 1.1.2005 in Kraft ist. Jetzt verjährt Kunstraub in der Schweiz erst nach 30 Jahren und die Einfuhr von Kulturgütern in die Zollfreilagern ist deklarationspflichtig.
Im Wesentlichen ist die Unesco-Konvention eine nette zwischenstaatliche Absichtserklärung, die – ähnlich wie die entsprechenden EU-Vorschriften – nur „national bedeutsames Kulturgut“ schützt und erst in nationales Recht umgesetzt werden muss. Trotzdem hat sie Signalwirkung. An ihr orientieren sich zum Beispiel die „Selbstverpflichtungen“ diverser Museen und Berufsvereinigungen. Aber auch Richter: In New York verknackten sie im Juni 2002 den Händler Frederick Schultz, der einen Pharaonenkopf aus Ägypten geschmuggelt und für 1,2 Millionen Dollar verkauft hatte, zu 33 Monaten Haft und 50.000 Dollar Strafe. Die Antiquitäten-Szene wertete das Urteil als schockierenden Präzedenzfall: Wo ist nur das gute alte Faustrecht geblieben?!
Da die Unesco-Konvention nicht das Privatrecht betrifft, also zum Beispiel Rückgabeforderungen von Einzelpersonen ausschließt, beauftragte die Unesco das „Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts“ in Rom mit der Erarbeitung eines ergänzenden Übereinkommens. Diese „Unidroit-Konvention über gestohlene und illegal exportierte Kulturgüter“ wurde 1995 verabschiedet. Sie regelt die Rückgabe von Raub- und Schmuggelgut, auch von Raubfunden.
Deutschland hat die Unidroit-Konvention nicht unterzeichnet, ja – als letzte der großen Kunsthandelsnationen – noch nicht einmal das eher symbolische Unesco-Abkommen. Im Koalitionsvertrag von 2002 hatten Rot und Grün angekündigt: „Die Unesco-Konvention bzw. das Unidroit-Übereinkommen soll ratifiziert werden.“ Die Kulturstaatsministerin sagte damals im Bundestag: „Das Auswärtige Amt wird das Ratifizierungsverfahren umgehend einleiten.“ Das ist jetzt auch schon wieder Jahre her. Die Pressestelle der Bundes-Kulturbeauftragten teilt nun mit, dass sich das Unesco-Abkommen „im Abstimmungsverfahren“ befinde und „in dieser Legislaturperiode“ ratifiziert werde, was „als ausreichend angesehen“ werde, da eine Unterzeichnung von Unidroit „derzeit nicht beabsichtigt“ sei.
Der Grund für diesen Eiertanz: Die Lobby der Kunst- und Antiquitätenhändler läuft Sturm. Die Branche hängt an Traditionen, zum Beispiel daran, dass Kunstwerke auch schon mal ohne Papierkram verkauft und ohne Einmischung ignoranter Finanzbeamte mit Schwarzgeld bezahlt werden. Besonders erbost sie, dass sie wegen Unidroit wie jeder Metzger oder Autohändler anständige Herkunftsnachweise und Ausfuhrbescheinigungen für ihre Ware vorlegen soll. Sorgfaltspflichten? Internetdatenbanken nach verdächtigen Objekten abfragen? Wozu soll das gut sein?!
Die nonchalante Haltung der Regierung mag den Händlern nützen, kann aber den Sammlern schaden, denn sie stehen unter Umständen ohne den Schutz der internationalen Abkommen da. Wie das ausgehen kann, zeigt dieser Fall: In London wurden 1976 Holzschnitte gestohlen, dann in Italien verkauft. Ein Jahr darauf wurden sie in London vor den fassungslosen Augen des Bestohlenen versteigert – legal, denn nach dem Grundsatz „lex rei sitae“ ist der letzte Aufenthaltsort ausschlaggebend, und das italienische Recht erlaubte den „gutgläubigen“ Erwerb von Hehlerware.
Da die Konventionen nicht rückwirkend gelten, betreffen sie nicht die Rückgabe der Nofretete-Büste und anderer Kostbarkeiten, die zu Kolonialzeiten entwendet wurden. Da haben die Entwicklungsländer nur moralische Ansprüche. British Museum, Louvre & Co. lehnen sie ab, weil die Objekte bei ihnen besser aufgehoben seien. Manchmal stimmt das: Während die Taliban Afghanistans Vergangenheit kleinschießen, überlebt die eine oder andere baktrische Figur im Westen. Richtig überzeugend ist es trotzdem nicht. Im Zweiten Weltkrieg, einer Veranstaltung der „Kulturnationen“, wurden zum Beispiel die deutschen Völkerkundemuseen mitsamt dem Erbe ganzer Pazifik-Völker in Schutthaufen verwandelt.
Heute platzen die Depots der großen Weltmuseen aus allen Nähten – könnten da nicht wenigstens Dubletten in ihre alte Heimat zurück? Unwahrscheinlich. Als Nigeria ein Nationalmuseum eröffnete und darum bat, wenigstens eine der berühmten Benin-Bronzen als Leihgabe dem restlos ausgeraubten Ursprungsland zu überlassen, wurde diese Zumutung weltweit freundlich, aber entschieden überhört. Es klappt ja nicht einmal innerhalb eines reichen Staates: Bern lehnt die Rückgabe des 1536 geraubten Kathedralschatzes von Lausanne ab, da das Historische Museum Berns um die Wertstoffe herumgebaut wurde; Zürich rückt Bücher, die 1712 in St. Gallen gestohlen wurden, nicht heraus, da die Ostschweizer zur Konservierung nicht fähig seien.
Die Raubtierinstinkte erfordern wahrscheinlich ganz neue Wege für den Kulturgüterschutz. Vielleicht die Marktkräfte kanalisieren? Der Ökonom Edward Krowitz schlägt vor, Grabungsrechte zu versteigern – mit Bedingungen: Die Funde dürfen frei verkauft werden, wenn die Grabung sauber dokumentiert wird. So kämen die Archäologen zu Befunden, die Händler zu Geld und alle wären glücklich. In diese Richtung geht ein italienisches Gesetz, das vorsieht, Funde gegen eine geringe Registrierungsgebühr zu „legalisieren“. Wenn Raubgrabungen schon nicht zu verhindern sind, soll die Menschheit wenigstens erfahren, was alles ausgegraben wird.
Eine andere Möglichkeit wäre, den Markt kaputt zu machen und den preistreibenden Kult um einzigartige Kunstwerke durch Fälschungen zu ruinieren. Auch damit experimentiert Italien: Begnadete Künstler fabrizieren dort nicht nur „original antike“ Vasen samt amtlicher Herkunftsbescheinigung, sondern ganze „original antike“ Grabkammern, die nie leer werden. Das ist für alle Beteiligten bequem, und die echten Gräber bleiben vielleicht unangetastet.
Martin Ebner
Zeitlose Bücher zum Thema, traurig aktuell:
- Karl E. Meyer: „Geplünderte Vergangenheit. Der illegale Kunsthandel – Fälscher, Diebe und Bewahrer“, Zug 1977
- Gert von Paczensky und Herbert Ganslmayer: „Nofretete will nach Hause. Europa – Schatzhaus der ‚Dritten Welt'“, München 1984.
- Nora und Stefan Koldehoff: „Aktenzeichen Kunst. Die spektakulärsten Kunstdiebstähle der Welt“, Köln 2004.
Links (last update: 06.05.2014):
www.interpol.int/Crime-areas/Works-of-art
www.savingantiquities.org
www.museum-security.org
Fremde Heimatschützer – das gibt es auch: Afghanistan / Schweiz: Asyl für Fliegenwedel und Buddha-Statuen
Foto: Fresco in Herculaneum, Italy. Fresko en Herculaneum, Italujo. Fresko in Herculaneum, Italien. Auch bei den Ausgrabungen am Vesuv wurden oft Teile von Wandbildern einfach ausgeschnitten und mitgenommen.