About: The „Mainz Impulse“ is an initiative for the preservation of Gutenberg’s printing technology.
Pri: Iniciato el Majenco, Germanujo, volas savi tradician presadon.
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 30.10.2020
Das Gutenberg-Museum und die Stadt Mainz rufen dazu auf, die traditionelle Drucktechnik für künftige Generationen zu erhalten
Im Haus für Industriekultur in Darmstadt hütet Rainer Gerstenberg einen raren Schatz: Matrizen, Stempel, Schablonen und Maschinen der D. Stempel A.G., einer einst berühmten, 1985 untergegangenen Schriftgießerei. Der 73-Jährige ist aber kein gewöhnlicher Museumswärter; er nimmt die Anlagen immer wieder in Betrieb und gießt Lettern aus einer klassischen Blei-Antimon-Zinn-Legierung. Gerstenberg stellt sich als „letzter gelernter Schriftgießer Europas“ vor: „Ich halte die 570-jährige Tradition aufrecht, die mit Johannes Gutenberg begann.“
Die „letzten Wissenszentren“ des historischen Buchdrucks seien bedroht, warnt Annette Ludwig, die Direktorin des Gutenberg-Museums in Mainz: „Noch gibt es einige wenige Druckwerkstätten, die im Handsatz und Pressendruck Bücher herstellen und dieses Wissen auch weitervermitteln.“ Diese traditionellen Berufe würden aber nur noch von wenigen Spezialisten ausgeübt: „Die authentischen Informationsquellen der Handwerksbetriebe gehen verloren, wenn diese letzten noch tätigen Fachleute in den Ruhestand gehen. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen würden in Vergessenheit geraten, ebenso wie die zahlreichen Maschinen und Werkstatteinrichtungen, die niemand mehr bedienen oder deren Bedeutung und Funktion keiner mehr kennen könnte.“
Ludwig will auf den „bevorstehenden Verlust dieser so bedeutenden Handwerkstechniken aufmerksam machen“. Bei Reisen nach Ostasien habe sie immer wieder gesehen, dass dort die Geschichte des Buchdrucks als nationales Erbe betrachtet und lebendig gehalten werde. Europa habe da Nachholbedarf. Unter dem Titel „Mainzer Impuls“ hat die Museumsdirektorin deshalb einen Aufruf zur „Rettung der ‚Ingenieursleistung‘ von Gutenberg“ initiiert: „Wir fordern den umfassenden Schutz der historischen Technologie des Buchdrucks, vom Stempelschnitt über den Schriftguss und den Bleisatz bis zum Pressendruck.“
Konkret seien dazu diese Maßnahmen erforderlich:
– Der Buchdruck solle in die UNESCO-Liste des dringend erhaltungsbedürftigen Immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden.
– Die noch aktiven Betriebe im analogen Druckbereich und künstlerisch-handwerklich arbeitende Druckwerkstätten sollten gezielt unterstützt werden.
– Vorhandene Netzwerke, zum Beispiel die Europäische Route der Industriekultur, sollten ausgebaut und finanziell gestärkt werden.
– Mehr Geld brauche es für viele kleine Museen, die in ihrer Existenz bedroht seien, aber auch für das Gutenberg-Museum samt Werkstatt und Spezialbibliothek in Mainz, das „Weltmuseum der Druckkunst“.
– Druck- und Mediengeschichte sollten in den Lehrplänen von Schulen und Berufsschulen verankert werden.
– Die Aus- und Weiterbildungskapazitäten an Berufs- und Hochschulen sollten für „Medientechnologien Druck“ mit dem Schwerpunkt „künstlerische Druckverfahren“ vergrößert werden.
– Vor allem aber sollte eine „internationale Arche Noah für die Gutenbergsche Technik“ gegründet werden: „Dort sollen die noch wenigen praktizierenden Fachleute ihr Wissen an jüngere Interessenten weitergeben, um das praktische, immaterielle Wissen lebendig zu halten.“
Die Idee zu diesem Appell war Ende 2018 bei einer Konferenz in Mainz entstanden: Es sei „ein breites Bewusstsein dafür zu schaffen, den Fortbestand des Erbes Gutenbergs und damit einer der wichtigsten Kulturleistungen der Menschheit zu sichern“. Den „Mainzer Impuls“ haben am 30. September 2020 als erste Michael Ebling, der Oberbürgermeister, und Marianne Grosse, die Kulturdezernentin von Mainz, unterschrieben. Immerhin versteht sich die Stadt Mainz als „Wiege des europäischen Buchdrucks“. Seither haben den Aufruf 35 weitere Unterzeichner signiert: Politiker, Verleger, Bibliotheksdirektoren, vor allem aber Vertreter von Museen, die sich ebenfalls für den Erhalt historischer Drucktechnik engagieren.
Das Deutsche Zeitungsmuseum in Wadgassen bei Völklingen zum Beispiel hat zusammen mit dem Internationalen Arbeitskreis für Druck- und Mediengeschichte ein „Webarchiv Schwarze Kunst“ aufgebaut, das aus ganz Europa Einrichtungen verzeichnet, die sich der Druck- und Papier-Geschichte widmen. Aus Luxemburg ist ein Eintrag dabei: Im Kulturhuef Grevenmacher ist die Ausstellung „Gutenberg Revisited“ zu sehen; Besucher können dort auch selbst aktiv werden und mit einer historischen Handpresse Weinetiketten oder andere kleine Souvenirs drucken.
Staatlich geregelte Ausbildungsgänge für Berufe wie Schriftgießer oder Schriftsetzer gibt es schon seit den 1990er Jahren nicht mehr. Der Heidelberger Verein für die Schwarze Kunst vergibt aber Walz-Stipendien: Nächstes Jahr sollen sieben junge Leute jeweils zwei Monate zu traditionellen Druckerwerkstätten „wandern“. Der Verein vermittelt außerdem Setzer und Drucker für Blockunterricht in Schulen, in denen noch Bleisatz und Druckmaschinen vorhanden sind. Der „praktische Umgang mit dem begreifbaren, dreidimensionalen Medium“ soll nicht nur zu einem „erweiterten Verständnis für Schrift und Typographie“ führen. Die alten Handwerkstechniken seien von „grundlegender zivilisatorischer Bedeutung“ und Teil unseres Kulturerbes: „Der Buchdruck ist das Fundament für die Medienrevolution, die wir mit der Digitalisierung heute erleben.“
Martin Ebner
Der „Mainzer Impuls“ kann ganz traditionell per E-Mail unterschrieben werden: www.gutenberg-museum.de
Das Deutsche Zeitungsmuseum hat ein Internet-Verzeichnis mit mehr als 150 europäischen Museen, Sammlungen und Werkstätten zusammengestellt, die sich mit den Themen Buch, Papier und Druck beschäftigen: www.arbeitskreis-druckgeschichte.de/europeguide/
„Werkstätten der Schwarzen Kunst“ in aller Welt verzeichnet die Landkarte des Vereins für die Schwarze Kunst: www.verein-fuer-die-schwarze-kunst.de/freunde/
Zu den „Europäischen Routen der Industriekultur“ gehören auch die Themen „Kommunikation“ und „Papier“: www.erih.de
Foto: Ancient paper factory in Bischofszell, Switzerland. Malnova paperfabriko en Bischofszell, Svislando. Maschine in der alten Papierfabrik Bischofszell, Schweiz.