About: A private museum near Berlin, Germany, celebrates Prussia
Pri: Privata muzeo apud Berlino solenas Prusujon.
Published, Aperis: taz – die tageszeitung, 03.01.2001
Preußen über alles
Unzufriedenheit mit der Vergangenheit muss nicht sein. Warum nicht die Geschichte zurückdrehen, wenn sie dumm gelaufen ist? „Wiedervereinigung ungültig; Kohl war gedopt!“ blödelt ein Plakat des Satiremagazins „Titanic“. „Auflösung Preußens ungültig; Alliierte waren im Unrecht!“ denkt wohl Ehrhardt Bödecker, ein 75-jähriger Privatbankier aus Berlin – und er scheint es ernst zu meinen. Jedenfalls hat es sich der ehemalige Chef der Weberbank rund 7 Millionen Mark kosten lassen, in dem idyllisch am Ruppiner See gelegenen Dorf Wustrau das „erste Brandenburg-Preußen-Museum Deutschlands“ zu eröffnen.
Preußen wurde schon oft totgesagt, nach dem Ersten Weltkrieg ebenso wie 1932 nach dem Sturz seiner Regierung. Im Februar 1947 wurde es von den Siegern des Zweiten Weltkriegs als „Träger von Militarismus und Reaktion“ aufgelöst. Die Erinnerung an die einstige Großmacht ist aber nicht umzubringen. Assoziationen wie Kadavergehorsam, Obrigkeitsstaat und Kasernenhofmentalität seien jedoch „Mythen, die wir der amerikanischen Umerziehungspolitik verdanken“, erläuterte Bödecker einem bayrischen Nachrichtenmagazin.
Unzufrieden mit dem lästigen Abwägen der Berufshistoriker hat sich der Museumsgründer beim Verfassen der Begleittexte keinen Zwang angetan. Was andere Norddeutsche allenfalls denken, spricht Bödecker offen aus. Entsprechend überschaubar sind die Grundannahmen seines „Lehrpfads durch 500 Jahre brandenburgisch-preußische Geschichte“: Erstens war Preußen der beste Staat aller Zeiten; zweitens ist Preußen identisch mit Deutschland – Bayern, Badner und andere Hiwi-Völker sind nicht der Rede wert; und drittens waren die Franzosen immer schon die Feinde Deutschlands.
Der Rundgang beginnt im Jahr 1415 mit der Belehnung des Nürnberger Burggrafen Friedrich VI von Hohenzollern mit der Markgrafschaft Brandenburg. Ohne sich mit Diskussionen über die slawische Herkunft der Urpreußen aufzuhalten, geht es weiter zur Porträtgalerie der preußischen Herrscher. Schließlich waren es die gekrönten Häupter, die sich den Kunststaat Preußen aus der „märkischen Streusandbüchse“ mit Gewalt und Vernunft geschaffen haben.
Das letzte Porträt zeigt Kaiser Wilhelm II. Ein verantwortungsloser Säbelrassler am Vorabend des Ersten Weltkriegs? Ein reaktionärer Feind der Moderne? Ein bizarrer Herrscher, der zuweilen erwachsene Männer im Ballettröckchen antanzen ließ? Nein, Wilhelm II. war „der größte Bildungspolitiker und Förderer der Naturwissenschaften. Unter seiner Herrschaft erklomm Preußen-Deutschland in der Bildung, in Wissenschaft und Wirtschaft die Spitzenstellung in der Welt.“ So kann man es auch sehen.
Dass Preußen immer schon Spitze war, wollen die anschließenden Abteilungen zeigen: Hat es nicht als erstes europäische Land Religionsfreiheit gewährt (1608), Hexenprozesse und Folter abgeschafft (1728 und 1740), die Freiheit von Forschung und Lehre in der Verfassung garantiert (1850)? Hat nicht der Soldatenkönig für einen „Staatshaushalt ohne Schulden“ gesorgt? „Mit Dienen und Leisten, mit religiöser Toleranz und juristischer Sachlichkeit entstand die über 200 Jahre anhaltende Vertrauensbasis in den preußischen Staat, dem sich Beamte, Richter und Offiziere als Leistungseliten verpflichtet fühlten. Sie waren mit Recht stolz darauf.“
Der „geistige Ursprung der preußischen Tugenden und Beginn der europäischen Aufklärung“ sei an der Universität Halle zu suchen, und zwar 60 Jahre vor der Enzyklopädie in Frankreich. Und während die Engländer das „Monopol im Sklavenhandel“ hatten, sei in Preußen „Sklaverei verboten“ gewesen. Das hat preußische Sklavenhändler zwar nicht gehindert, an die 30.000 Neger in die Karibik zu verhökern – aber mit unguten Details will das Museum seine Besucher nicht verwirren.
Lieber geht es mit preußischer Bescheidenheit in die Neuzeit: „Preußen-Deutschland wurde das führende Land der Chemie, weil es über ein höheres Bildungsniveau als alle anderen Länder verfügte“, die „deutsche optische Industrie dominierte den Weltmarkt“, Preußen führte auch „auf allen Anwendungsgebieten der Elektrizität“, außerdem baute es „die größten Schiffe auf den Weltmeeren“ und den „meistbefahrenen Seekanal der Welt“ und mehr Spielzeugpuppen als alle anderen. Da konnten die Franzosen „wühlen“, so viel sie wollten.
Der preußische „Rechtsstaat mit dem freiheitlichsten Wahlrecht in Europa“ habe eine erstklassige Verwaltung gehabt, nach den Worten des SPD-Politikers Otto Braun „die beste, die die Welt je gesehen hat“. Und während anderswo noch Manchester-Kapitalismus wütete, habe Preußen „den ersten modernen Sozialstaat“ errichtet. „Bis auf die USA, die noch heute nichts Gleichwertiges aufzuweisen haben“, seien alle anderen Länder zum Nachziehen gezwungen worden. „Für diese bedeutende sozialpolitische Leistung haben alle Arbeiter der Welt Bismarck zu danken.“ Was soll also das Gejammer über Dreiklassenwahlrecht, Sozialistenverfolgung, Ausgrenzung von Katholiken und anderen Minderheiten?
Zum jämmerlichen Ende Preußens kneift das Museum. Zu sehen sind zum Schluss nur Fotos von Widerstandskämpfern gegen die Nazis. „Nicht jeder Deutsche, der für sein Vaterland kämpfte, war ein Anhänger Hitlers. Kann das die heutige Generation nach 50 Jahren Medienbeeinflussung noch verstehen?“ Daneben hängt eine Standarte von dem Auto, in dem Kaiser Wilhelm II. im November 1918 nach Holland ins Exil fuhr, um dort den Rest seines Lebens mit Holzfällen zu verbringen. Die Fahne sei ein Symbol für „den beklagenswerten Abschluss einer erstaunlichen Dynastie“.
Die meisten der Besucher, die aus ganz Deutschland zum Brandenburg-Preußen-Museum pilgern, sind mit dieser Sicht der Geschichte zufrieden: „Lebendig“ loben sie die Schau im Gästebuch, „selten so ein liebevoll eingerichtetes Museum gesehen“. Überhaupt: „Es erfreut das Herz eines alten Preußen.“
Martin Ebner
Link (last update: 06.05.2014):
www.brandenburg-preussen-museum.de
Zum ehemaligen Ostpreußen siehe auch meine Artikel:
- Russland: Kein Heimweh nach Kaliningrad? (Kommune)
- Vogelforschung in Rybatschij: Paßkontrolle für Buchfinken (taz)
Foto: Prussian eagle: fence of Charlottenburg Castle in Berlin, Germany. Prusa aglo, barilo de kastelo Charlottenburg en Berlino, Germanujo. Preußenadler spiegelt sich in einer Pfütze vor Schloss Charlottenburg, Deutschland.