About: History of natural stimulants, from pharmaceutical to illegal drugs
Pri: Historio de leĝaj kaj malpli leĝaj drogoj
Published, Aperis: DAAD Letter 02/2000
Verboten, verfolgt und geliebt: Genussmittel waren immer schon viel mehr als reine Gaumenfreuden
Kann man ohne Bier, Zigaretten und Schokolade leben? Können schon – aber warum sollte man? Wenn es um Genussmittel ging, konnten Ärzte, Pfarrer und Politiker mit Predigten noch nie viel ausrichten, bloß allerhand anrichten. Um an „psychoaktive Substanzen“ zu kommen, wurden Kriege geführt, weltweite Handelswege erschlossen und neue Industriezweige aus dem Boden gestampft. Und die entsprechenden Konsumsteuern finanzierten ganze Staaten.
Trotz ihrer Bedeutung für den Alltag wurden Genussmittel von den Geisteswissenschaftlern lange nicht beachtet. Viel zu lange haben dabei die Historiker den Naturwissenschaftlern und Medizinern eine „nahezu uneingeschränkte Deutungsmacht“ überlassen, meinen Thomas Hengartner von der Uni Hamburg und Christoph Maria Merki von der Uni Bern. Wenn man aber zum Beispiel Tabak nur als Gesundheitsrisiko sehe, vernachlässige man „zentrale Aspekte des Konsums“ – einmal ganz abgesehen davon, dass Tabak bis ins 17. Jahrhundert als Heilmittel galt.
Um mit der langen und verschlungenen Geschichte der Genussmittel vertraut zu machen, haben sich Hengartner und Merki zusammen mit sieben weiteren Historikern die Mühe gemacht, das weit verstreute Wissen zu einem Handbuch zusammenzufassen. Es geht der Geschichte von solchen Stoffen nach, die auch heute noch in unserem Kulturraum anzutreffen sind, längere Zeit nicht als „reine“ Nahrungs- oder Suchtmittel, sondern explizit als Genussmittel betrachtet wurden und ursprünglich auf pflanzlicher Basis hergestellt wurden – Heroin und moderne Drogen wie LSD oder Crack wurden ausgeklammert. Gegliedert ist das Buch in „Getränke“, „Rauchwaren“ und „Essbares“.
Besonders ausführlich werden Alkoholika behandelt – kein Wunder, stellte doch schon Tacitus im Jahr 100 fest: „Am wenigsten können die Germanen den Durst ertragen“. Im Mittelalter erhielten auch Spitäler und Universitäten das Braurecht; die Macht der Hanse gründete nicht zuletzt auf dem Export teurer Markenbiere. Wein war außerhalb der Anbaugebiete lange ein sündhaft teures Arznei- und Luxusgetränk. Goethe leistete sich täglich zwei bis drei Flaschen und notierte: „Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern.“
Erst recht international ist die Geschichte des Kaffees. Verbote des islamischen wie des christlichen Klerus scheiterten genauso am Schmuggel wie staatliche Luxussteuern. Auch Friedrich der Große machte sich Sorgen um die Staatseinnahmen und ließ in Berlin 400 Soldaten patrouillieren. Diese „Kaffeeriecher“ waren allerdings ebenso erfolglos wie Friedrichs Versuch, Schokolade zu verbieten und dem Volk „Lindenblüten-Kakao“ als Ersatz zu bieten.
Mit Kommentaren zur heutigen Drogenpolitik halten sich die Autoren zurück – aber Geschichte ist eine subversive Wissenschaft, und wer liest, wie Opium mal bekämpft, dann wieder staatlich gefördert wurde, wird sich seine eigenen Gedanken machen. Auch der Abschnitt zum Zucker bringt ins Grübeln: In der arabischen Medizin war Zucker eine Art Allheilmittel. Im deutschen Mittelalter wurde Zucker zum Luxus-Gewürz, das von den Reichen demonstrativ verzehrt wurde. Als eines der ersten weltweit gehandelten Produkte und industriell hergestellten Lebensmittel wurde Zucker im 19.Jahrhundert Bestandteil der täglichen Nahrung. Heute gilt Zucker als „inferiores Gut“ – aus Gesundheitsgründen geht der Verbrauch des „Dickmachers“ zurück.
Vielleicht wird Zucker eines Tages verboten – so wie Saccharin. Dieser 1878 entdeckte Zucker-Ersatz wurde in Deutschland auf Betreiben der Zuckerindustrie rezeptpflichtig in die Apotheken verbannt. Da Saccharin in der Schweiz weiter frei erhältlich war, blühte der Schmuggel und rasch bildeten sich mafiaähnliche Organisationen. 1913 schätzte die Polizei, dass in Zürich rund 100 professionelle Saccharin-Dealer das illegale Geschäft mit Deutschland kontrollierten. Genuss sei eben „zu weiten Teilen ein soziokulturelles Konstrukt“, erklären Hengartner und Merki: Es wird permanent neu ausgehandelt, was ein Heil-, Nahrungs- oder Genussmittel ist, was legitim oder illegitim konsumiert wird.
Martin Ebner
Buch:
Thomas Hengartner, Christoph Maria Merki (Hrsg.): Genussmittel. Ein kulturgeschichtliches Handbuch. Frankfurt a.M.: Campus Verlag 1999
Foto: Coffee has strong effects: advertising in Auckland, New Zealand. Efiko de kafo: reklamo en Auckland, Novzelando. Kaffee hat starke Wirkungen: Werbung in Auckland, Neuseeland.