Old signs in streetcar museum Zurich

Die Neue Welt wird immer älter

About:Books by René Oth on American prehistory
Pri: Libroj de René Oth pri amerika prahistorio
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 02.06.2006


Vielleicht waren die Indianer gar nicht die ersten Amerikaner

Das Schöne an der Geschichte ist, dass sie sich dauernd ändert. Archäologen graben ein paar Pfostenlöcher oder versteinerte Kuhfladen aus – schon müssen alle Lehrbücher neu geschrieben werden. Besonders spannend ist die amerikanische Historie: Die Urgeschichte der Neuen Welt wird derzeit komplett umgekrempelt. Der Luxemburger Amerikanist René Oth gibt in dem Sachbuch „Bevor Kolumbus kam“ einen Überblick zu neuen Thesen von Geschichtsforschern und Genetikern, Linguisten und Privatgelehrten.

Seit 1932 zuerst in New Mexiko, dann in ganz Nordamerika Speerspitzen der „Clovis-Kultur“ gefunden worden waren, hatte die lange gängige Lehrmeinung angenommen, die ersten Amerikaner seien vor ungefähr 13.000 Jahren aus Sibirien über die damals trockene Beringstraße nach Alaska eingewandert. Funde der letzten Jahre belegen aber: Amerika ist viel früher und von verschiedenen Völkern besiedelt worden. Möglicherweise kam Homo sapiens sogar eher in die Neue Welt als nach Europa.

Unstrittig ist, dass die heutigen Indianer aus Sibirien kamen. Biologen und Sprachforscher gehen mittlerweile aber von drei Einwanderungswellen seit 36.000 Jahren aus. Dem Paläontologen Timothy Heaton zufolge sind die Vorfahren Winnetous nicht marschiert, sondern im Kanu die Pazifikküste entlanggepaddelt – was aus Forschersicht allerdings den Nachteil hat, dass ihre ehemaligen Lagerstätten am Strand heute meist unter Wasser liegen. Bewiesen ist dagegen, dass die Indianer schon vor Ankunft der Weißen nicht im Paradies lebten, sondern unter zahlreichen Krankheiten und Würmern litten und nur selten alt wurden.

Für die Ureinwohner, die heute politisch korrekt „First Nations“ genannt werden und ihr Land zurückbekommen wollen, ist noch ärgerlicher, dass seit 1996 eine Reihe kaukasoider Steinzeit-Skelette gefunden wurde. Waren Europäer vor ihnen da? Der Weg über den zugefrorenen Nordatlantik sei auch nicht anstrengender gewesen als der Treck durch Asien und Alaska, vermuten Anthropologen, denen Ähnlichkeiten von Clovis-Spitzen und Steinen der Solutréen-Kultur in Spanien und Südfrankreich auffallen.

Und wer sagt, dass der Doppelkontinent nur vom Norden her besiedelt wurde? In Südamerika sind mehrfach Schädel und Knochen aufgetaucht, die an australische Aborigines erinnern. Die Archäologin Niède Guidon tippt eher auf Schiffbrüchige aus Afrika. Sie hat in Brasilien Feuerstellen und Höhlenbilder von Jagdszenen, Gruppensex und Hinrichtungen gefunden, die sie auf 50.000 Jahre datiert. US-Kollegen sehen dort allerdings nur einfache Felsbrocken und Reste natürlicher Waldbrände ohne Spuren menschlichen Einwirkens.

Weniger umstritten ist, dass Amerika nach der ersten Besiedlung nicht – wie lange angenommen – vom Rest der Welt isoliert war. Zum regen Austausch von Nutzpflanzen und Kulturgütern über die Meere hinweg sollen Polynesier, Phönizier, alte Römer, irische Mönche und Wikinger beigetragen haben. Und Chinesen: das Reich der Mitte feiert im Juli mit einem „Tag der Ozeanfahrt“ die Riesenflotte, die Kaiser Zhu Di im Jahr 1421 „ans Ende der Welt“ geschickt hatte. Sie soll Lacktechnik und asiatische Hühner nach Mexiko, Kokosnüsse nach Ecuador und Mais zurück nach China gebracht haben. Die Seekarten von Admiral Zheng He sollen später über Venedig in die Hände von Kolumbus und Magellan gelangt sein.

Keine Bestätigung gibt es bislang für Kontakte zu Außerirdischen. Erich von Dänikens rätselhafte „Landebahnen“ in der Nazca-Wüste werden von Wissenschaftlern als Pilgerwege, Markierungen für Grundwasserströme oder auch als Startplätze für Heißluftballone aus Baumwollstreifen gedeutet. Luxemburger werden noch gar nicht verdächtigt, Amerika entdeckt zu haben. Wer findet passende Pfeilspitzen?

Martin Ebner

Bücher:
René Oth: „Bevor Kolumbus kam. Die frühen Entdecker Amerikas“, 192 Seiten, Theiss Verlag, Stuttgart. Mit Bildern des Luxemburger Fotografen Paul Thibor ist bereits 2005 erschienen: „Völker der Sonne. Versunkene Kulturen Südamerikas“, 160 Seiten.

Link (last update: 06.05.2014):
Haben sich Alte und Neue Welt getrennt voneinander entwickelt oder gab es Kontakte? Die einzigartige „Sammlung Ebnöther“ in Schaffhausen stellt antike Objekte aus dem Mittelmeerraum und Amerika gegenüber: www.allerheiligen.ch



Foto: New World vs. Old World: Mexico’s embassy to Switzerland vividly protested against this prohibition of „Mexican“ musicians in Zurich’s streetcars. Nova Mondo kontraŭ Malnova Mondo: en Svislando la meksika ambasado protestis  kontraŭ malpermeso de „meksikaj“ muzikistoj en tramoj de Zuriko. Neue Welt vs. Alte Welt: Mexikos Botschaft in der Schweiz protestierte energisch gegen das Verbot „mexikanischer“ Musiker in Zürichs Straßenbahnen.

⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑

Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.