Schwabenspiegel in modernem Deutsch: Ausflug ins Mittelalter

About: Medieval Swabian law book published in modern German
Pri: Mezepoka sudgermana jura libro aperis en moderna germana lingvo
Published, Aperis: Südwestpresse, 20.04.2003


Bis an den Ellenbogen in kochendes Wasser greifen

Ein paar abfällige Bemerkungen, mehr hatten Historiker für den Schwabenspiegel nie übrig. „Weitschweifig, unkritisch, unklar“ fanden sie das Rechtsbuch, das um 1275 im Augsburger Franziskanerkloster verfasst worden war, Jahrhunderte in ganz Süddeutschland Geltung hatte und heute noch in fast vierhundert Handschriften erhalten ist. Es fehle „die rechtsschöpferische Kraft“. Wegen römischer Einflüsse bemängelten in der Nazizeit Forscher, der Schwabenspiegel sei „nicht von der den Sachsenspiegel auszeichnenden rein deutschen Art“. Andere störte die „Freude an Verstümmelung und an Quälerei“.

„Der Schwabenspiegel ist vielleicht das detaillierteste und farbigste, sicherlich aber das Rechtsbuch des hohen Mittelalters, welches am gründlichsten unterschätzt wird“, meint dagegen der Konstanzer Geschichtswissenschaftler Harald Rainer Derschka. „Durch ihn wird ein Teil der mittelalterlichen Welt vor unseren Augen lebendig. Er verrät uns, welche Ereignisse und Konflikte im Leben unserer Vorfahren von Belang waren.“

Weil der Schwabenspiegel „einen respektablen Versuch darstellt, das menschliche Zusammenleben zu ordnen“ und „mehr Aufmerksamkeit verdient“, hat Derschka die 377 Artikel Landrecht und 159 Artikel Lehnrecht in modernes Deutsch übertragen und durch ein Register erschlossen. Grundlage für die Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen sind vor allem die Donaueschinger Handschrift, die im 19. Jahrhundert Joseph von Lassberg in Weinfelden erworben hatte und jetzt in Karlsruhe aufbewahrt wird, und die Zürcher Handschrift, daneben aber zum Beispiel auch der altfranzösische „Miroir de Souabe“ aus Fribourg.

Nun finden sich auch fachfremde Wissenschaftler und Laien zurecht in der Mischung von Verfassung, Straf- und Zivilrecht und Exkursen zu Gott und der Welt. Ausserdem veröffentlicht Derschka zum ersten Mal 92 Illustrationen aus Schwabenspiegel-Handschriften, vor allem einer Bilderhandschrift aus dem Elsass, die sich heute in Brüssel befindet.

Da im mittelalterlichen Gericht keine Studierten sitzen, sondern „ehrbare Männer“, die durch Lebenserfahrung qualifiziert sind, hält sich der Schwabenspiegel nicht lange mit Theorien auf. „Herr, Gott, himmlischer Vater. In deiner freundlichen Güte erschufst du den Menschen“, beginnt das Vorwort und legt dar, dass der Papst das weltliche Gerichtsschwert dem Kaiser leihe und „der Kaiser dem Papst den Steigbügel halten“ solle. Dann geht es gleich zu Erbschaftsfragen.

Wenn „ein Sohn seinen Vater einfängt, und der Vater stirbt in der Gefangenschaft, so hat der Sohn sein Erbe verloren“. Dito, wenn der Sprössling seinen Papa auf die Wange geschlagen hat oder „die Türe zuschloss, als er auf dem Sterbebett lag“ oder „wenn er wissentlich mit bösen Leuten, die nicht rechtschaffen sind, zusammen wohnt“. Wenn „eine Tochter so ungeraten ist, dass sie ohne den Willen des Vaters Männer zu sich legt, solange sie unter fünfundzwanzig Jahre alt ist“, erbt sie nichts. Andererseits dürfen Jungfrauen mit 12 und Knaben mit 14 Jahren ohne Einwilligung des Vaters heiraten.

Vor Gericht aussagen darf nicht jeder: Kinder, Weiber, „und Menschen, die so dumm sind, dass ihr Gut ihren Verwandten übertragen wurde; Blinde und Irre, die auf nichts hören; und Stumme und Geächtete und Ketzer und meineidige Leute: Die alle können keine Zeugen sein“. Angeklagte, die keine Zeugen finden, sollen zum Beweis der Unschuld „bis an den Ellenbogen in einen Kessel mit kochendem Wasser greifen“.

Das altschwäbische Recht ist pragmatisch: Bestechung von Richtern ist „sündlich und schändlich“, wenn der Kläger aber ohne Schmiergeld gar nicht weiterkommt, „so raten wir ihm folgendes: Bevor er sein Recht verliere, gebe er sein Gut. Es ist besser, ein wenig zu geben, als viel zu verlieren.“

Die Strafen folgen dem Resozialisierungsgedanken kaum: Hängen, Rädern, das Haupt abschlagen – „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Wissenschaftler werden nicht alt: „Ist ein Christenmensch ungläubig oder geht mit Zauber oder Gift um, soll man ihn auf einem Scheiterhaufen verbrennen.“

Zwischenrein wird die Strassenverkehrsordnung verkündet („Der Reiter weiche dem Wagen, der Fussgänger dem Reiter“), das Baurecht (Was dem Nachbarn das Licht verbaut, wird „zurecht abgebrochen“) und das Ladenschlussgesetz (Wer am Sonntag ein Geschäft öffnet, „ist dem Priester fünf Schilling schuldig und dem Richter ebenso viel“). Dann wieder Grundsätzliches: Frauen haben nichts zu melden, weil „der Mann der Vogt des Weibes ist und ihr Meister“.

Rechtsfähigkeit haben Frauen nicht, denn die „verlor für sie alle eine Römerin, die hiess Kaefurnia. Die betrug sich folgendermassen schlecht: Als ihr Wille nicht geschah, geriet sie in so grossen Zorn, dass sie den König beschimpfte; und sie liess den König ihre hintere Scham sehen. Da schaffte der König die Gewohnheit ab, dass Frauen vor Gericht ohne ihren Vormund klagen.“

Vergewaltigung aber ist verboten. Werden dabei in einem Haus die Hilferufe des Opfers ignoriert, dann  soll man den Täter „lebendig begraben“, das Haus „auf die Erde niederbrechen“ und „alles töten, was im Haus ist: Rinder und Rösser, Katzen und Hunde, Hühner und Gänse und Enten, und Schweine und Leute, Jung und Alt, und alles, was darin lebt.“

Zuweilen mutet der Schwabenspiegel modern an: Keine Sippenhaft und keine Todesstrafe für Kinder, Schwangere und Geistesgestörte. Das erste Jugendschutzgesetz: „Schlägt ein Mann sein Lehrkind zu Tode, muss er büssen. Niemand soll seinem Lehrkind mehr Schläge geben als zwölf aufrichtige.“

Ansonsten ist die Welt schlecht und der Schluss des Gesetzbuchs ohne Illusionen: „Wer zu aller Zeit gerecht urteilt, bekommt viele Feinde. Der aufrichtige Mann mag sich mit Gott und mit seiner Ehre dafür trösten, dass er die Feindschaft durch das Recht bekommen hat.“

Martin Ebner

Buch:
Harald Rainer Derschka: Der Schwabenspiegel übertragen in heutiges Deutsch mit Illustrationen aus alten Handschriften, Verlag C.H. Beck München 2002


 


⇑ up ⇑ supren ⇑ nach oben ⇑

Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.