Airport Moscow Domodedovo

Wirtschaftsdiplomatie: Geschäfte mit dem Klassenfeind

About: History of West German economic diplomacy during the Cold War
Pri: Historio de okcidentgermana ekonomia diplomateco dum malvarma milito
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 05.11.2004


Die Geschichte der westdeutschen Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg

Profitgierige Vaterlandsverräter oder friedensstiftende Brückenbauer? Westdeutsche Unternehmer, die über den „Eisernen Vorhang“ hinweg mit kommunistischen Staaten Handel trieben, wurden von allen Seiten misstrauisch beobachtet. Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb von wenigen Jahren politisch und wirtschaftlich nach Westen ausgerichtet, gleichzeitig schotteten sich die sowjetisch besetzten Länder ab. Nicht alle Firmen wollten sich aber mit dem Verlust der Märkte in Osteuropa abfinden, vor allem nicht die Stahl- und Eisenindustrie an Rhein und Ruhr. Zu einer Zeit, als unter Konrad Adenauer die westdeutsche Regierung die osteuropäischen Länder nicht anerkannte und keine diplomatischen Beziehungen mit ihnen unterhielt, starteten verschiedene Konzerne ihre eigene Ostpolitik.

Karsten Rudolph, Geschichtsdozent an der Universität Bochum und SPD-Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, verfolgt in seiner chronologisch aufgebauten Habilitationsschrift das Auf und Ab der kapitalistisch-kommunistischen Kontakte: Nach ersten, heimlichen Treffen mit sowjetischen Delegierten in Dänemark und der Schweiz wurde 1952 der „Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft“ gegründet und ein reger Reiseverkehr begonnen. Ein großes Röhrengeschäft, das dabei herauskam, wurde zur Verbitterung der Konzerne von den USA und der CDU-Bundesregierung verhindert. Mit der Verbesserung der politischen Beziehungen in den 1970er Jahren wuchs der Osthandel explosionsartig und stagnierte dann in den  80ern. Die Auflösung der Sowjetunion brachte das Ende dieser Art von Wirtschaftsdiplomatie, die vor allem von dem Stahlhändler Otto Wolff von Amerongen, dem Krupp-Chef Berthold Beitz und dem Thyssen-Manager Ernst Wolf Mommsen geprägt worden war.

Mit Bewertungen hält sich Rudolph zurück. Immerhin ist zu erfahren, dass einzelne westdeutsche Industrielle persönliche Freundschaften mit Erich Honecker und anderen osteuropäischen Diktatoren gepflegt haben. Die BRD-Großindustrie zeigte nicht viel marktwirtschaftlichen Enthusiasmus: Sie sprach sich gegen eine völlige Liberalisierung des Außenhandels und für Kartelle aus und kam mit den Vertretern der Staatshandelsländer meist gut zurecht. Verschiedene westdeutsche Wirtschaftsdelegationen äußerten Bewunderung für die industriellen Erfolge des „Ingenieurstaats“ Sowjetunion, dessen politisches System „geeignet und zweckmäßig“ sei. Trotz ihrer vergleichsweise intimen Kenntnis der Misere Osteuropas in den 1980er Jahren, wurden die Wirtschaftsdiplomaten nach Rudolphs Darstellung vom Zusammenbruch des Kommunismus überrascht und standen nach der Wende zunächst ohne Ansprechpartner da.

Die „historische Leistung“ der Industriellen, die „im Osten nicht nur Geld verdienen, sondern auch eine politisch-historische Mission erfüllen“ wollten, sieht Rudolph darin, dass sie der deutschen Aussöhnung mit Osteuropa, die von dem SPD-Bundeskanzler Willy Brandt trotz starker Widerstände vorangebracht wurde, den Boden bereitet und damit die Entwicklung Westdeutschlands zur europäischen Mittelmacht befördert haben. Schneller als die westdeutsche Politik sei die Industrie bereit gewesen, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs anzuerkennen, das heißt, die Herrschaft der Sowjetunion über Osteuropa und die Existenz der DDR. Die kapitalistischen Grenzgänger hätten eine „beachtliche spannungsdämpfende Wirkung im Ost-West-Konflikt“ gehabt: „Vor allem förderten sie einen kriegs- und konfrontationshemmenden Optimismus“.

Martin Ebner

Buch:
Karsten Rudolph: Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg. Die Ostpolitik der westdeutschen Großindustrie 1945-1991. Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2004



Foto (28.11.1989): Airport Moscow Domodedovo. Flughaveno Moskvo Domodedovo.Flughafen Moskau Domodedowo


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