The Swiss canton Thurgau attempted to rebaptize names of local places in Swiss German. However, giving up standard German proved to be more difficult than patriots had thought.
Sperto en la svislanda kantono Thurgau: Se oni ŝanĝas loknomojn pro patriotaj kialoj, oni perdas la orientiĝon.
Ortsnamen kann man nicht einfach so auf Schweizerdeutsch umstellen. Diese Erfahrung mussten Patrioten im Schweizer Kanton Thurgau machen:
1. d’Lëtzebuerger Land: Verlaufen im Wortwald. Der Kanton Thurgau chrampft mit deutschen Ortsnamen
2. Südwestpresse: Alles klar in Hääwiile. Im Thurgau wird die Verschweizerdeutschung der Ortsnamen gestoppt
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 22.01.2010
Verlaufen im Wortwald
Der Kanton Thurgau chrampft mit deutschen Ortsnamen
Wer aus Deutschland kommt, hat oft keine Augen für die sanften Hügel des Thurgaus; viele Touristen fahren lieber in die „richtige“ Schweiz zu schroffen Bergen. Es ist allerdings auch nicht einfach, im Thurgau anzukommen: Auf der Landkarte steht Matzenrein, aber der Wegweiser zeigt Maazerooa; wer nach Holzmannshaus will, muss Holpmishus suchen; den Campingplatz Leutswil findet das Navigationsgerät vielleicht in Lütschwiil. Radikal wie in keinem anderen Kanton werden im Thurgau Orts- und Flurnamen extremmundartlich geschrieben. Nun geht das Hardcore-Schweizerdeutsch sogar Einheimischen zu weit: Massive Proteste zwangen im Sommer die Kantonsregierung zu einer Denkpause. Für die neue Landeskarte müssen bis nächstes Jahr möglicherweise Tausende Bezeichnungen wieder geändert werden.
Als Geometer ab dem 17. Jahrhundert die Schweiz kartierten, tauften sie Weiler, Wege und Wiesen auf hochdeutsche Namen. Die einst von Ort zu Ort höchst unterschiedlichen Akzente und Nuancen würden aussterben, dachte man – Wyfelde, Wifälde, Wiifelde oder Wynfälde werde bald nur noch Weinfelden sein. Das änderte sich im Zweiten Weltkrieg: Zur Abgrenzung von Nazi-Deutschland planten Dialektforscher eine schweizerdeutsche Schriftsprache. Die Berner Regierung ordnete 1938 im Rahmen der „geistigen Landesverteidigung“ an, die Landkarten mundartnah zu beschriften. Nach heftigen Streitereien, was das genau heißen soll, wurde 1948 ein Kompromiss gefunden: Überregional bekannte Ortsnamen sollten standardsprachlich bleiben, Toponyme von lediglich lokaler Bedeutung könnten der ortsüblichen Aussprache folgen. Vor rund 30 Jahren beschloss die Thurgauer Regierung, diesen Spielraum strikt mundartgetreu zu nutzen.
Schreib’, wie du sprichst! Vielleicht Albanisch oder Türkisch? Von den 240.000 Thurgauern sind über 20 Prozent Ausländer. Allein im vergangenen Jahr wanderten mehr als 2.000 Deutsche ein; die Apfelplantagen tendieren ins Polnische. Bei der Umbenamsung wurde allerdings nicht das ansässige Volk befragt, sondern die Wissenschaft: Im Auftrag der Kantonsregierung erforschte Eugen Nyffenegger die Geschichte und Bedeutung von rund 30.000 Orts- und Flurnamen. Er fand zum Beispiel, dass Rheinklingen nicht von Rhein kommt, sondern von der Siedlung des Richilo – daher im Dialekt Riichlinge. Als vor zwei Jahren der sechste und abschließende Band des „Thurgauer Namensbuchs“ herauskam, wurde Nyffenegger sehr gelobt: Da sich Flurnamen oft wiederholen, sei das über 3.000 Seiten starke Werk für den ganzen deutschen Sprachraum von Bedeutung. „Wie wir Schlösser und Klöster pflegen, sollten wir auch unser Namensgut achten“, plädierte ein Kantonsrat.
Gesagt, getan: Nyffenegger bildet zusammen mit dem Kantonsgeometer die Thurgauer Nomenklatur-Kommission. Die hat bislang rund 10.000 Toponyme rechtskräftig festgesetzt, also zur Einschweizerung stumme -n weggelassen, Vokale verdoppelt und -e zu -ä gemacht. Wahrenberg wurde offiziell zu Woorebärg, Herderen zu Häädere, Westerfeld zu Wösterfäld. Gemeindenamen mit Postleitzahl blieben dabei verschont: Sie werden vom Bundesamt für Statistik in einem eigenen Verzeichnis geführt, und Statistiker sind gegen Änderungen von Ortsnamen, weil man sonst Daten nicht mehr wieder findet. Für Bahnhöfe und Haltestellen ist das Bundesamt für Verkehr zuständig, das auf sprachgeschichtliche Überlegungen grantig reagiert. Straßennamen und Wegweiser wiederum sind oft Sache der Gemeinden, die meist andere Probleme haben. Nun liegt das Aussichtsrestaurant Thurberg, das laut Besitzern seit mindestens 1741 so heißt, nach wie vor an der Thurbergstrasse, ist aber auf Landkarten nur in Tuurbärg zu finden. Hoffentlich wissen das auch Feuerwehr und Rettung.
So lange der Wirrwarr verwaltungsintern wucherte, nahm davon kaum jemand Notiz. Seit aber die amtlichen Schreibweisen auf neuen Wegweisern sichtbar werden, empören sich die Thurgauer über „unnötige Umstellungskosten“. Viele Namen seien auch falsch: Sie hätten nie in Roopel gewohnt, immer nur in Rotbühl, motzen Rentner. Andere erbost, dass die gleiche Regierung den Dialekt aus dem Schulunterricht verbannt und die Kinder ermahnt, auch untereinander gehoben zu sprechen. Was ist nun mit Schulausflügen?! „Wir wandern von Tüüffetaal über Groossrüüti nach Bir Heejen Schirr…“
Man könnte Hochdeutsch in Klammern dazusetzen, etwa „Zigeze (Sigensee)“, versuchte die Regierung zu besänftigen – man könnte auch abwaschbare Wegweiser nehmen, ätzte es aus dem Volk zurück. Abgeordnete wurden aufsässig. Als dann die Thurgauer Zeitung das „Leserbriefthema Nr. 1“ aufgriff und eine „Notbremsung“ forderte, damit man nicht „als kauziges Land mit exotischen Namen“ dastehe, ruderten die Kantonsräte zurück. Für die noch nicht bearbeiteten fünf Gemeinden ist die Umbenennung vorerst gestoppt. Bis zum April soll jetzt eine Arbeitsgruppe einen Ausweg finden. Voraussichtlich werden zumindest die Siedlungsnamen gemildert. Da am Rhein Bunker und Drahtverhaue weitgehend abgebaut wurden, bliebe dann zur Abwehr von Eindringlingen nur noch der Rundfunk. Den Wetterbericht gibt es nämlich bloß auf Schweizerdeutsch: „Deet, wo tzunä tuät fürägüxlä, ischäs mäischt sunnig…“
Published, Aperis: Südwestpresse, 11.07.2010
Alles klar in Hääwiile
Im Thurgau wird die Verschweizerdeutschung der Ortsnamen gestoppt
Die heimatliche Mundart ist schön – aber muss sie sich auf der Landkarte austoben? Die Thurgauer revoltierten gegen die Umbenennung ihrer Fluren. Jetzt werden am Südufer des Bodensees die Ortsbezeichnungen wieder von Dialekt auf Schriftdeutsch umgestellt.
Selbst große Staatsaktionen können an einem kleinen Hügel scheitern: Die Thurgauer Kantonsregierung fand, eine Ansiedlung im Hinterthurgau müsse Roopel heißen. Einheimische Rentner aber stellten sich neben ihr altes Ortsschild und erklärten, sie hätten zeitlebens niemals in Roopel gewohnt, sondern immer nur in Rotbühl, und das solle auch so bleiben. Eine Bauersfrau kramte eine Milchrechnung von 1879 hervor, auf der stand – Rotbühl. Roopel wurde zum Inbegriff des Thurgauer Ortsnamendesasters. Nun werden Hunderte Bezeichnungen wieder geändert.
Radikal wie in keinem anderen Schweizer Kanton werden im Thurgau Orts- und Flurnamen extremmundartlich geschrieben. Maßgeblich ist dabei nicht der örtliche Sprachgebrauch. Von den 240.000 Thurgauern sind ohnehin über 20 Prozent Ausländer; allein im vergangenen Jahr wanderten mehr als 3.000 Deutsche ein. Befragt wurde vielmehr die Wissenschaft: Im Auftrag des Kantons erforschte Eugen Nyffenegger die Geschichte und Bedeutung der Thurgauer Toponyme. Für sein „Thurgauer Namensbuch“ wurde Nyffenegger sehr gelobt. Da sich Flurnamen oft wiederholen, sei das über 3.000 Seiten starke Werk für den ganzen deutschen Sprachraum von Bedeutung. „Wie wir Schlösser und Klöster pflegen, sollten wir auch unser Namensgut achten“, plädierte ein Kantonsrat.
Gesagt, getan: Nyffenegger bildete zusammen mit dem Kantonsgeometer die Thurgauer Nomenklatur-Kommission. Die machte sich an die rechtskräftige Einschweizerung: Wahrenberg wurde offiziell zu Woorebärg, Höhwilen zu Hääwiile, Westerfeld zu Wösterfäld. Je mehr aber auf den Landkarten stumme -n verschwanden, Vokale sich verdoppelten und -e zu -ä mutierten, desto größer wurde der Unmut über „unnötige Umstellungskosten“.
Das Hardcore-Schweizerdeutsch ist nicht nur schwer zu lesen. Es zerstört auch die von Topografen geforderte „eindeutige Objektidentifikation“, weil nun trotz jahrelanger Arbeit nicht alle Bezeichnungen einheitlich sind: Auf der Landkarte steht Matzenrein, aber der Wegweiser zeigt Maazerooa; wer den Krankenwagen nach Holzmannshaus lotsen will, sollte Holpmishus sagen; den Campingplatz Leutswil findet das Navigationsgerät vielleicht in Lütschwiil…
Gemeindenamen mit Postleitzahl blieben von vornherein verschont: Sie werden vom Bundesamt für Statistik in einem eigenen Verzeichnis geführt, und Statistiker sind gegen Änderungen von Ortsnamen, weil man sonst Daten nicht mehr wieder findet. Für Bahnhöfe und Haltestellen ist das Bundesamt für Verkehr zuständig, das auf sprachgeschichtliche Überlegungen grantig reagiert. Straßennamen und Wegweiser wiederum sind oft Sache der Gemeinden, die meist andere Probleme haben. Nun ist das Aussichtsrestaurant Thurberg nach wie vor an der Thurbergstrasse, aber auf dem Tuurbärg.
Man könnte Hochdeutsch in Klammern dazusetzen, etwa „Zigeze (Sigensee)“, versuchte die Regierung zu besänftigen – man könnte auch abwaschbare Wegweiser nehmen, ätzte es aus dem Volk zurück. Abgeordnete wurden aufsässig. Als im vergangenen Sommer die Thurgauer Zeitung das „Leserbriefthema Nr. 1“ aufgriff und eine „Notbremsung“ forderte, damit man nicht „als kauziges Land mit exotischen Namen“ dastehe, ruderten die Kantonsräte zurück. Für noch nicht bearbeitete fünf Gemeinden wurde die Umbenennung gestoppt.
Diesen Mai gab nun Regierungsrat Kaspar Schläpfer zu, man sei „übers Ziel hinausgeschossen“ und habe „die Auswirkungen auf unterschiedliche Lebensbereiche unterschätzt“. Bis Mitte 2011 soll eine Arbeitsgruppe die Ortsnamen wieder ins Schriftsprachliche „bereinigen“, vor allem für Siedlungen und bekannte Ausflugsziele. Der Namenswirrwarr wird aber noch eine Weile bleiben: Für die frisch gedruckte Landeskarte 2010 kommt die Kehrtwende zu spät. Bis zur nächsten Aktualisierung im Jahr 2016 wird sie Roopel verzeichnen, obwohl die Rentner dort schon längst wieder ganz amtlich in Rotbühl wohnen.
Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs
Als Geometer ab dem 17. Jahrhundert die Schweiz kartierten, tauften sie Weiler, Wege und Wiesen auf hochdeutsche Namen. Die alten Dialekte würden aussterben, dachte man. Das änderte sich 1938: Zur „geistigen Landesverteidigung“ gegen Nazi-Deutschland wurde angeordnet, die Landkarten mundartnah zu beschriften. Nach heftigem Streit, was das heißen soll, wurde 1948 ein Kompromiss gefunden: Bekannte Ortsnamen sollten standardsprachlich bleiben, Toponyme von nur lokaler Bedeutung der „ortsüblichen Aussprache“ folgen.
Das Schweizer Bundesamt für Landestopografie, das sinnigerweise den englischen Namen „Swisstopo“ trägt, schaffte es nie, für diese alte Vorschrift einheitliche Ausführungsbestimmungen durchzusetzen. Die Thurgauer Regierung entschied sich vor rund 30 Jahren für strikte Mundarttreue. Von circa 18.000 Toponymen im Thurgau wurden bis zum Stopp der Umbenennungsaktion im Sommer 2009 über 17.000 eingeschweizert. Für die 1.265 Siedlungen des Kantons kursieren derzeit 2.178 verschiedene amtliche Schreibweisen.
Martin Ebner
Links (last update: 29.04.2014):
- Blog „Wenn aus Rotbühl Roopel wird…“: http://roopel.blogspot.de
- Geometer Paul Märki kämpft für fixe Ortsnamen: www.lokalnamen.ch
Zu den deutsch-schweizerischen Beziehungen siehe auch:
- Schweizerkrieg: Schwaben keulen (Stuttgarter Nachrichten)
- Schweizer vs. Deutsche: Haben Sie einen Kuhschwanz dabei?
Zur Sprache in Mostindien siehe auch:
Schweizerdeutsch: Exotik des Thurgauer Dialekts
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