About: Last print edition of Germany’s railway timetable
Pri: Lasta presita eldono de germana fervoj-horarlibro
Published, Aperis: Stuttgarter Nachrichten (†), 06.12.2008
Nach 75 Jahren wird die Printausgabe des deutschen Kursbuchs eingestellt
„Ein Mensch ist der Bewundrung voll: Nein, so ein Kursbuch – einfach toll!“ dichtete Eugen Roth: „Mit wieviel Hirn ist es gemacht: An jeden Anschluss ist gedacht.“ Was für eine Fülle an Informationen: Wann fährt welcher Zug wo? Die Details sind allerdings tückisch. „Schon fährt der Mensch nach Osnabrück und möchte am Abend noch zurück. Und sieht, gedachten Zug betreffend, erst jetzt ein kleines f, ihn äffend; und ganz versteckt steht irgendwo: ‚f) Zug fährt täglich außer Mo’…“ Da blieb Roths Menschen nur wütendes Geschimpfe im Wartesaal.
Der Kampf mit rätselhaften Symbolen, seltsamen Zackenlinien und vertrackten Fußnoten, aber auch das reisefreudige Blättern im großen Wälzer voller Ziffern gehört bald der Vergangenheit an – jedenfalls auf dem Papier: Zum Fahrplanwechsel am 14. Dezember gibt die Deutsche Bahn zum letzten Mal ein gedrucktes Kursbuch für alle deutschen Verbindungen heraus. Und auch das ist keine reguläre Ausgabe mehr, sondern eine „limitierte Sonderedition“ von vier Bänden mit hochwertigem Einband und Silberschnitt zum Sammlerpreis von 99 Euro plus 6 Euro Versandkosten. In Zukunft sind die DB-Fahrplan-Tabellen bloß auf CD oder im Internet unter www.bahn.de/kursbuch zu finden. Lediglich der Kursbuchteil „G – Baden-Württemberg“ wird weiter gedruckt, weil das Land das im Verkehrsvertrag so bestellt hat.
„Das Edelkursbuch für Liebhaber drängt alle Käufer in die Ecke der Traditionalisten und verkennt die praktische Bedeutung, die ein Kursbuch und seine Karten für viele Fahrgäste auch heute noch hat“, erbost sich Christfried Tschepe vom Berliner Fahrgastverband. In Internet-Foren klagen Eisenbahnfans über den „Abbau der Reisekultur“: Mit einem Kursbuch könne man sich seine Verbindungen nach Lust und Laune selber heraussuchen – und das mit etwas Übung oft besser und schneller als per Computer. Ein Kursbuch brauche keinen Handy-Empfang, keinen geladenen Akku und dürfe auch mal auf den Boden fallen. Von der „unpraktischen Zettelwirtschaft“ der nach wie vor erhältlichen Streckenfahrpläne oder Ausdrucke vom Automaten halten sie nichts. Manche argwöhnen gar, die Deutsche Bahn wolle mit den Online-Informationen Reisende auf teure Umwege schicken oder Züge von Konkurrenten verschweigen – sie fordern, die Fahrpläne müssten von einer neutralen Stelle schwarz auf weiß gedruckt werden.
Historiker weinen den Printausgaben ebenfalls hinterher. Sie sind nicht nur zur Geschichte von Bahnlinien eine gute Quelle. Alte Ausgaben zeigen zum Beispiel, wie Europa zu einer einheitlichen Zeitgebung fand: Bevor ab 1891 – auf Antrag der ungarischen Eisenbahn – die Mitteleuropäische Zeit eingeführt wurde, hatte jedes Land und oft genug auch einzelne Verkehrsunternehmen eigene Zeiten.
In Deutschland kam 1844 der erste gedruckte Fahrplan für Reisende heraus, nämlich für die Ludwigs-Süd-Nord-Bahn von München nach Hof. Die ersten Bahnen waren privat; sie dachten nicht daran, Gesamtübersichten mit Angeboten und Preisen auch von Wettbewerbern zu veröffentlichen. Postverwaltungen waren dagegen auf der Suche nach günstigen Verbindungen für ihre Briefe und Pakete. Daher stellte 1845 in Frankfurt ein Thurn- und Taxis-Postler die Fahrpläne für über 500 Orte zusammen. Das Königliche General-Post-Amt Berlin brachte 1850 ein „Eisenbahn-, Post- und Dampfschiff-Cours-Buch“ für ganz Deutschland heraus.
Die verschiedenen Bahnverwaltungen konnten sich dagegen lange nicht einigen. Erst ab 1933 erschien zweimal jährlich das „Amtliche Kursbuch für das Reich“. In den Ausgaben der Kriegsjahre waren auch alle von Nazi-Deutschland eroberten Strecken von Paris bis Kiew zu finden; 1944 galten die Fahrpläne „vom 3. Juli an bis auf weiteres“. Danach war Schluss mit Reich und Reichsbahn.
Die drei westdeutschen Besatzungszonen brachten 1947 wieder gemeinsame Fahrpläne heraus. Ab 1954 erschien das „Amtliche Kursbuch der Deutschen Bundesbahn“. Das „amtlich“ wurde 1971 gestrichen, gleichzeitig nahm die Bundesbahn die Existenz der DDR zur Kenntnis und gab die alte Nummerierung der Strecken auf. Das ab 1991 wieder gesamtdeutsche Kursbuch war dann mit über 5 Zentimeter Dicke etwas unpraktisch. Die Aufteilung in acht einzelne, sich inhaltlich überschneidende Teilhefte A bis H war auch kein Hit: Oft wurden die Reisezentren der Bahnhöfe die über 6 Kilo schweren Schuber nicht einmal gratis los. Die Auflage des Kursbuchs sank von einst über 100.000 auf zuletzt noch 20.000. Die Zeiten, da Reisebüros Hunderte Exemplare orderten, sind vorbei.
„Der Verkauf ist bei uns in den letzten vier Jahren um 95 Prozent zurückgegangen“, bestätigt Egon Minikus von der Schweizer „Verkaufsstelle für ausländische Kursbücher“ im Hauptbahnhof St. Gallen den Trend. „Die Sache mit den Kursbüchern ist eine ganz Leidige. Früher war es sehr schwierig, osteuropäische zu beschaffen, heute bereiten die westeuropäischen Mühe.“ Nach Spanien, Portugal, Frankreich, Griechenland und nun Deutschland würden wohl bald auch Belgien und Dänemark keine Gesamt-Fahrpläne mehr auf Papier liefern. „Eingefleischten Individualtouristen“, die nicht ohne auskommen, empfiehlt Minikus das weiter erscheinende „DB-Kursbuch Europa“, eine Lizenzausgabe, oder das teurere, dafür monatlich aktuelle Original „Thomas Cook European Timetable“, das schon seit 1873 weiterhilft.
Für Regionen mit einheitlichem Tarif und leicht zu merkendem Taktfahrplan brauche es herkömmliche Kursbücher gar nicht mehr, findet Minikus, der gerade an einer neuen Darstellung für die Schweiz arbeitet. Ansatzweise gibt es das schon in Vorarlberg: Der Fahrplan zeigt nur die Taktzeiten der jeweiligen Linien an, dafür aber die Vernetzung von Bahn/Bus/Schiff und die Umsteigemöglichkeiten. Das Kursbuch ist tot – es lebe das Taktbuch!
Martin Ebner
Link (last update: 23.01.2020):
In Winterthur verkauft Samuel Rachdi Kursbücher: www.fahrplancenter.com
Foto: Train near Plzeň, Czech Republic. Used to be in the German timetable; Trajno apud Plzeň, Ĉeĥio; Zug bei Pilsen, Tschechien. Schon lange nicht mehr im deutschen Kursbuch.