Streetcar in Melbourne

Straßenbahnen: Vorfahrt für die Tram

About: Renaissance of streetcars – new tramways around the world
Pri: Renaskiĝo de tramoj ĉirkaŭ la mondo
Published, Aperis: Südwestpresse, 15.12.2007


Weltweit erfährt die Straßenbahn eine Wiedergeburt

Umweltfreundlich, effizient und beliebt: im Großstadtverkehr sind moderne Trams unschlagbar. Rund um die Erde werden stillgelegte Strecken neu belebt und bestehende Netze ausgebaut. Metropolen nutzen den Schienenbonus, um heruntergekommene Stadtviertel zu sanieren.

Modebewusste Stadtväter haben es nicht leicht. Ständig plagt sie die Frage, ob sie noch an der Spitze des Fortschritts dahineilen oder nicht dem Trend hinterherhinken. Die Haltung zur Straßenbahn ist dafür ein gutes Beispiel: Gerade als in Kiel und Wuppertal die letzten deutschen Stilllegungen durchgezogen wurden, gerade da wurden auf der anderen Seite des Atlantiks schon wieder neue Tramways eröffnet. Den Anfang machten vor gut 30 Jahren in Kanada Edmonton und Calgary, beeindruckt von der ersten Ölkrise. In den USA folgten San Diego und Buffalo, Portland und Sacramento, Denver und Dallas und andere Städte, denen man allenfalls ein neues Parkhaus zugetraut hätte. Sogar Los Angeles hat zwischen all den Autobahnen wieder ein kleines Tram-Netz. Der Rest der Welt will da nicht zurückbleiben. Von Buenos Aires bis Tunis, ob in Istanbul, Mexico-Stadt, Manila oder Sydney: überall gleiten nigelnagelneue Bahnen über die Gleise.

Falls man ein Datum für die Renaissance der Elektrischen in Europa sucht, könnte man Zürich im Jahr 1973 nehmen. Verkehrsplaner, meistens Männer, wollten damals der größten Schweizer Stadt eine U-Bahn verpassen, weil die schnell und modern und zur Entlastung der Autostraßen unbedingt notwendig sei. Die Passagiere, überwiegend Frauen, hatten aber keine Lust, Kilometer zur nächsten Haltestelle zu stiefeln und dann noch in den dunklen Untergrund hinab. Eine Volksabstimmung entschied, bereits gebuddelte Tunnel Investitionsruinen sein zu lassen und lieber „das Tram“ flächendeckend zu verbessern. Eine vergleichsweise simple Maßnahme brachte einen ersten durchschlagenden Erfolg: Vorrangschaltung an den Ampeln verringerte die Reisezeit der Straßenbahn um bis zu 30 Prozent. Heute sind zwei Drittel des Zürcher Stadtverkehrs mit Bahn, Bus und Schiff unterwegs – das ist Weltspitze. Und ein Schaufensterbummel per Tram durch die noble Bahnhofsstraße hat schon so manche auswärtige Stadtrat-Delegation bekehrt.

Schienen-Innovationen sind aber selbst aus dem Auto-begeisterten Deutschland zu vermelden. „Man muss die Bahn zu den Menschen bringen und nicht die Menschen zur Bahn“, predigte in Karlsruhe der „Nahverkehrspapst“ und KVV-Geschäftsführer Dieter Ludwig. Er entwickelte ab 1979 den Zweisystem-Betrieb: Trams, die nicht nur mit den gewohnten 750 Volt Gleichstrom, sondern auch mit 15.000 Volt Wechselstrom auf Eisenbahnstrecken fahren können. Sie bringen Pendler aus dem Umland ohne Umsteigen direkt ins Stadtzentrum. Das „Karlsruher Modell“ ist nun von Chemnitz bis zum portugiesischen Coimbra ein echter Exportschlager. Im Elsass starten nächstes Jahr gleich zwei Tram-Trains; Bremen und Luxemburg planen noch. Die neue Linie in Saarbrücken kommt sogar mit drei Systemen zurecht: Sie flitzt mit 80km/h über Gleise der deutschen Bahn, bummelt im Schritttempo durch die Fußgängerzone und rollt dann mit den 25.000 Volt der französischen Eisenbahn über die Grenze. Die Zahl ihrer Fahrgäste wuchs seit der Eröffnung im Jahr 1997 von täglich 8.000 auf über 30.000.

Auch anderswo ziehen Straßenbahnen deutlich mehr Passagiere an als Busse oder U-Bahnen. Stadtplaner sprechen vom „Schienenbonus“. Westberlin zum Beispiel war einmal sehr stolz darauf, 1967 die altmodische Tram restlos stillgelegt zu haben. Als aber 1995 eine der Linien, die in Ostberlin überlebt hatten, nach Westen in den Wedding verlängert wurde, verdoppelte sich umgehend die Zahl der Fahrgäste – und das, obwohl diese Strecke zunächst mit klapprigen Tatra-Garnituren aus DDR-Zeiten bedient wurde, also noch ohne Niederflur-Eingänge und Klimaanlagen. Mittlerweile hat die deutsche Straßenbahn-Hauptstadt wieder ein Netz von 181 Kilometern. Das ist zwar weit entfernt von den 643 Kilomtern des Jahres 1929, aber immerhin geht es vorwärts.

Am meisten neue Schienen werden derzeit in Frankreich verlegt. Präsident Georges Pompidou hatte dort 1969 eine Autobahn an das Seine-Ufer mitten in Paris geklotzt und gefordert: „Die Stadt muss sich dem Auto anpassen.“ An ihren alten Straßenbahnen hielten damals nur Marseille, St.Etienne und Lille fest. Diese Zeiten sind vorbei. Nun kommt „le tramway“ mit Macht zurück: Mehr als ein Dutzend Städte hat wieder neue Strecken eröffnet. Allein 2006 gingen in Nizza, Valenciennes und Mulhouse 85 Kilometer in Betrieb; Grenoble sprengte für eine dritte neue Straßenbahn-Linie eine aufgeständerte Schnellstraße aus den 1960ern weg. Im Dezember wurde „T3“ als „Symbol der Zukunft“ gefeiert: das erste Teilstück eines neuen Tram-Rings rund um Paris. Kombiniert mit Grünanlagen, Fußgängerzonen und Fahrradwegen gilt die Straßenbahn in Frankreich als Instrument der Stadt-Erneuerung. Großer Wert wird auf das Design gelegt: Lyon lässt Seidenraupen fahren, Marseille setzt auf Schiffslook, Montpellier auf Blümchen, und die neue Tram in Reims soll an Champagner-Kelche erinnern. Um das ehrwürdige Stadtbild nicht mit Oberleitungen zu verschandeln, leistet sich Bordeaux teure Stromschienen im Boden, die erst beim Überfahren aktiviert werden.

Tram in Helsinki
Die neue Tram in Helsinki ist eine Spezialanfertigung für die besonderen Bedingungen der finnischen Hauptstadt

Straßenbahnen verleihen nicht nur urbanes Flair und beruhigen das Umwelt-Gewissen ihrer Nutzer. Bei genügend Nachfrage rentieren sie sich sogar. In Deutschland liegt der Schwellenwert bei etwa 5.000 Fahrgästen pro Tag und Linie, rechnete im Juni der Fachredakteur Thomas Naumann bei einer Tram-Konferenz in Berlin vor: Bei größerem Verkehrsaufkommen sei der Einsatz von Bussen Unfug. U-Bahnen sind im Schnitt zehnmal teurer als Straßenbahnen, lohnen sich erst ab 20.000 Passagieren und sind wegen der längeren Zuwege zu den Haltestellen unbequemer und kaum schneller. Die Tram-Leistungsfähigkeit braucht keinen Vergleich zu scheuen: Auf dem Budapester Ring sind mit extralangen Zügen Tag für Tag fast 250.000 Menschen unterwegs, zur Rush-hour im Vier-Minuten-Takt. Naumanns Fazit: „Richtig geplant, richtig gebaut und effizient eingesetzt, sind Straßenbahnen innerhalb ihres Kapazitätsspektrums wirtschaftlicher zu betreiben als jedes andere System.“ Wenn Tram-Projekte scheitern, „sind fast immer Populismus und fehlende Sachorientierung das Problem, nur selten zum Beispiel die Finanzierung.“

Wenn überhaupt, klagen Straßenbahn-Anwohner über Lärm. Zwar kann ein Tramzug ganz ohne Abgase drei durchaus nicht lautlose Busse oder 215 durchschnittlich besetzte Privatautos ersetzen, das ändert aber nichts daran, dass er zuweilen doch unangenehme Geräusche verursacht. Schuld sind daran, abgesehen von zu engen Kurvenradien, meist Rillen auf den Gleisen. Zum Glück kann man dagegen etwas unternehmen: Die Berliner Verkehrsbetriebe haben einen neuen Schienenschleif-Zug angeschafft, der mit Tempo 30 Unebenheiten auf der Strecke beseitigt und selbst fast nicht zu hören ist. Eine sanfte Fahrweise der Trambahnführer schont ebenfalls die Ohren. Rasengleise schlucken nicht nur Lärm, sondern mildern auch die Feinstaub-Misere in den Innenstädten. Das Institut für Akustik der TU-Berlin tüftelt an lärmmindernden Schürzen für Bahnräder.

Seit man mit Straßenbahnen wieder Geld verdienen kann, wetteifern auch die Herstellerfirmen um Verbesserungen. Präsentiert werden sie auf der Berliner Fachmesse InnoTrans. Gut im Geschäft sind zum Beispiel Alstom, Stadler aus der Schweiz oder Ganz aus Ungarn. Siemens hatte mit seiner 1996 begonnen „Combino“-Reihe etwas Pech: Von den visionären Leichtbau-Vehikeln aus Alu wurden zwar 500 Stück in alle Welt verkauft – mussten aber wegen Materialschäden wieder zurückgerufen werden. Billig sind die schnittigen Großraumwagen von heute mit ihren tief runtergezogenen Seitenfenstern und Teppichböden nicht: Für das Modell „Flexity“ des Marktführers Bombardier, das beim Bremsen Strom ins Netz zurückspeist, muss man mehr als zwei Millionen Euro hinlegen. Vielleicht könnte nach der Weltraumfahrt auch der Nahverkehr dadurch saniert werden, dass vermögende Reisende exklusive Privatfahrten ersteigern?

Wahrscheinlicher ist, dass weitere Schienenfahrzeuge der Vergangenheit wiederbelebt werden: Güter-Straßenbahnen. In Dresden sind schon „CarGoTrams“ unterwegs; zweimal pro Stunde fahren sie Autoteile quer durch die Innenstadt zu einer VW-Fabrik. Amsterdam möchte mit ähnlichen Zügen ab nächstem Jahr sein Zentrum vom Lieferverkehr entlasten. Die „Güterbim“ in Wien ist bislang nur ein Experiment. Der „Österreichische Gewerbeverein“ bangt aber bereits um das Auskommen der Spediteure und versucht vorsorglich, das Projekt madig zu machen mit Erinnerungen an die schwarze „Leichentram“, die einmal Särge zum Zentralfriedhof karrte. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen: Die Auto-Lobby nimmt die Straßenbahn wieder ernst.

Tram in Linz
Straßenbahn auf dem Hauptplatz in Linz, Österreich

Bewegte Geschichte

In New York fuhr 1832 die erste Pferde-Tram. Andere Städte experimentierten mit Dampf- oder Druckluft-Antrieb. Als erste elektrische Straßenbahn gilt der Fünf-PS-Versuchswagen, den Werner von Siemens am 16. Mai 1881 in Lichterfelde bei Berlin loszuckeln ließ. Leistungsfähiger als Pferde und lange billiger als Autos oder Lastwagen, eroberten die ratternden Vehikel rasch die Metropolen, aber auch viele Kleinstädte. Ihre goldene Ära waren die 1920er, als rund um die Erde über 3.000 Straßenbahn-Betriebe gezählt wurden. Besonders in den USA wurden damals Tramnetze zu Überlandbahnen verbunden, die sogar Schlafwagen anboten. Allein in Los Angeles gab es 2.000 Kilometer Tram-Linien. Dass die US-Straßenbahnen Privatunternehmen waren, wurde ihnen ab den 1930ern zum Verhängnis: Weil der Absatz von Autos nicht gut lief, kauften Fahrzeughersteller, Reifenproduzenten und Ölkonzerne die Aktien auf und legten die Konkurrenz still.

Da sie nach Bombenschäden schnell wieder zusammengeflickt werden konnte, brachte es die Straßenbahn in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal kurz zum Massenverkehrsmittel Nr. 1. Die Züge blieben aber immer öfter in Auto-Staus stecken. Da Trams als „veraltete Verkehrshindernisse“ galten und möglichst durch U-Bahnen und Busse ersetzt werden sollten, erhielten sie in den 1960ern kaum noch Investitionen – und waren bald tatsächlich schrottreif. Fast nur der Ostblock, der sich Massenmotorisierung und Zersiedelung nicht leisten konnte, hielt an dem effizienten Verkehrsmittel fest. Um 1980 gab es weltweit bloß noch 300 Trams. Seither geht es wieder aufwärts: In mehr als 80 Städten sind ganz neue Straßenbahnen oder Stadtbahnen auf eigenen Trassen abseits von Straßen unterwegs, über 200 weitere Projekte sind im Bau. Vielerorts werden bestehende Linien erweitert, zum Beispiel die Ulmer von 5 auf 10 Kilometer.

Martin Ebner


 


Foto: Tram stop in Melbourne, Australia. Tramhaltejo en Melbourne Aŭstralujo. Straßenbahn-Haltestelle in Melbourne, Australien

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