About: Consequences of the strong Swiss franc for the Swiss-German border region
Pri: Konsekvencoj de la forta svislanda valuto en la svislanda-germana limregiono
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 02.09.2011
Der starke Schweizer Franken lässt die einen aufblühen, die anderen untergehen
An der deutschen Grenze zur Schweiz lässt sich der Wertverlust des Euros an den Autokennzeichen ablesen. Als im Jahr 2007 ein Euro noch 1,70 Schweizer Franken kostete, waren vor allem Vehikel aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu sehen. Als der Kurs diesen April unter 1,30 sank, verstopften Luzerner und andere Innerschweizer die Straßen. Seit Euro und Franken 1:1 stehen, drängen auch Bergler aus abgelegenen Alpentälern in den Dauerstau.
Ein Lieblingsziel der Einkaufstouristen ist Konstanz: Diese deutsche Stadt liegt auf der Schweizer Rheinseite, von Zürich nicht einmal eine Stunde entfernt. In den Konstanzer Supermärkten schaufeln Förderbänder Berge von Nudeln und Brot zu den Kassen. Von Franken leben in dem 80.000-Einwohner-Städtchen Dutzende Schuhhändler und Reisebüros, drei Schokolade-Geschäfte und wohl auch der englische Buchladen. Die Schweizer kaufen ein, als ob es kein Morgen gäbe. Es kostet ja alles nur die Hälfte: Der Preisunterschied beträgt derzeit durchschnittlich 90 Prozent. Babywindeln sind in der Schweiz gar 240 Prozent teurer. Neuerdings lohnt selbst das Tanken in Deutschland.
Das Volksfest in der Konstanzer Fußgängerzone und die menschenleeren Geschäfte auf der anderen Seite der Grenze sind nicht nur dem Wechselkurs zu verdanken: Deutschland verlangt – anders als Frankreich oder Italien – für die Erstattung der Mehrwertsteuer keinen Mindesteinkauf. Ungerührt von den Warteschlangen fordern Schweizer Kunden auch für ein Tütchen Backpulver eine Ausfuhrbestätigung. Das Abstempeln der grünen Formulare verleiht den seit Schengen weitgehend überflüssigen Zollbeamten neue Daseinsberechtigung.
Prostitution, sonst immer zur Stelle, wenn Arm auf Reich trifft, scheint dagegen nicht zu boomen. Noch in den 1970er Jahren war die Schweizer Grenze mit Sexshops und Nachtclubs gepflastert. Seit einschlägige Gesetze liberalisiert wurden, wirkt dieses Gewerbe aber lieber direkt in Zürich. Im ehemaligen Konstanzer Rotlichtviertel floriert eine neue Geschäftsidee: Annahmestellen für Schweizer Internet-Bestellungen. Die Käufer tragen die Amazon- oder Ebay-Päckchen dann selbst über die Grenze, wobei sie die Verzollung schon mal vergessen.
„Die Schweiz kann das nicht lange durchstehen“, fürchtet Rudolf Minsch, der Chefökonom des Verbands Economiesuisse. Nicht nur Einzelhandel und Tourismus leiden unter dem starken Franken: Im ersten Halbjahr 2011 wuchsen die Exporte, die mehr als ein Drittel zum Schweizer BIP beitragen, zwar noch um 4,3 Prozent auf rund 100 Milliarden Franken; die Preise sanken aber um 6,6 Prozent. Die Umsätze von Roche, Schindler, Nestlé & Co. sind noch recht ordentlich – aber die Gewinne schmelzen. „Unser Haus steht in Flammen“, jammerte Hans Hess vom Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie bereits im Juni. Seine Branche exportiere zwei Drittel ihrer Erzeugnisse in den Euro-Raum; schon jeder dritte Betrieb mache Verluste.
Von Entlassung bedroht sind in der Schweiz vor allem die rund 240.000 Grenzgänger, die Hälfte davon Franzosen. Vorerst behelfen sich die Unternehmen mit Lohnkürzungen. Die Verpackungsfirma Mopac zum Beispiel verringerte die Gehälter um 10 Prozent und koppelte sie an den Euro-Kurs. Beim Chemiekonzern Lonza sind ab September 43 statt 41 Wochenstunden zu arbeiten, bei gleichem Gehalt. Die Gewerkschaften machen sich auch Sorgen um die Pensionskassen: Ein Drittel ihrer Gelder ist in Fremdwährungen angelegt.
Die Schweizer Nationalbank verweigert bislang ein festes Wechselkursziel. Von März 2009 bis Juni 2010 kaufte die SNB über 170 Milliarden Euro auf, was aber nur einen Zentralbankverlust von mehr als 30 Milliarden Franken einbrachte. Seit 3. August erhöhte nun die SNB zur Schwächung des Frankens die Geldmenge, indem sie die Sichteinlagen der Banken von 30 auf 200 Milliarden Franken steigen ließ. Devisenhändler beeindruckte das allerdings nicht. Um vor der Parlamentswahl im Oktober wenigstens etwas zu unternehmen, kündigte die Schweizer Regierung jetzt niedrigere Zölle für Online-Shopping und verschärfte Kartellgesetze gegen überhöhte Importpreise an. Außerdem sollen Exportindustrie und Tourismus Hilfen von zwei Milliarden Franken bekommen.
Während Konstanzer Geschäftsleute beten, dass der Franken stark bleibt, zittern in Osteuropa Hausbesitzer. Die Österreicher etwa haben sich pro Kopf mit 4.500 Franken verschuldet, weil die Zinsen so niedrig waren. Allein die ausstehenden Franken-Kredite von Privaten belaufen sich auf 14 Prozent des österreichischen BIPs.
Dass schon viel kleinere Summen die Welt bewegen, bewies Mitte August das Seenachtsfest am Bodensee: Am deutschen Ufer kostete das Spektakel 16 Euro Eintritt. Das bezahlten aber nur Touristen. Die Einheimischen wanderten geschlossen auf die Schweizer Seite. Dort gab es die Aussicht aufs Feuerwerk ganz umsonst, und für einen Moment konnte man die Euro-Pleite vergessen.
Martin Ebner
Foto: Shopping in Constance, Germany. Placo en Konstanz, Germanujo. Marktstätte in Konstanz, Deutschland