About: How to stop the loss of biodiversity and the extinction of species? Eco-optimists and apocalypticist don’t agree.
Pri: Diskutoj pri formorto de bestoj kaj plantoj
Published, Aperis: Südwestpresse, 14.02.2004
Vertrackter Artenschutz: Wissenschaftler und Naturfreunde streiten, wie sich das Aussterben von Tieren und Pflanzen verlangsamen lässt. Die einen hoffen auf die Wirkung von Moralpredigten, die anderen glauben an die freie Marktwirtschaft. Wie viele Arten es auf der Erde gibt und wie schnell sie wirklich verschwinden, ist dabei noch weitgehend unbekannt.
Pandabären, Nashörner, Elefanten und viele andere Geschöpfe sterben aus! Vor 25 Jahren rüttelte Norman Myers‘ Buch „Die sinkende Arche“ die Weltöffentlichkeit auf. „Global 2000“, ein Bericht an den US-Präsidenten, warnte: „Vor allem wegen der Abholzung und Urbarmachung unberührter Gebiete ist bis zum Jahr 2000 ein Verlust von annähernd einem Fünftel aller biologischen Arten unseres Planeten zu erwarten. Das sind mindestens 500.000 Pflanzen- und Tierarten.“ Die Tropenwälder, die lebendigsten Biotope der Welt, würden vernichtet, bevor ihre natürlichen Reichtümer erforscht seien. Die Zerstörung der Ökosysteme gefährde letztlich auch uns. Seither bangt die Menschheit um die Biodiversität, um die Mannigfaltigkeit der Arten und ihren Gen-Pool.
Als 2002 die Umweltschutzorganisation der UNO einen „Atlas der Artenvielfalt“ vorlegte und andeutete, dass sich das Aussterben verlangsame und die Verlustrate so gering sei wie nie seit dem 16. Jahrhundert, vor allem, weil die moderne Landwirtschaft immer weniger Flächen benötige – da widersprach das derart dem gängigen Weltbild, dass die meisten Medien nicht einmal darüber berichteten. Tatsächlich aber ist das Artensterben unter Wissenschaftlern mindestens so umstritten wie die „Bevölkerungsexplosion“, die „Erschöpfung der Rohstoffe“ und die anderen Katastrophenszenarien des letzten Jahrhunderts.
Der US-Ökonom Julian Simon widersprach als erster den Endzeitpropheten: Umweltschützer seien eine Lobby-Gruppe wie jede andere; ihr Anliegen müsse mit anderen wertvollen Aktivitäten konkurrieren, etwa dem Heilen von Krankheiten oder dem Bau von Einkaufszentren. Bevor man Geld für biologische Vielfalt ausgebe, sollten erst einmal Nutzen und Bedrohung nachgewiesen werden. Den Einwand von Biologen, die Beweislast müsse umgekehrt werden, da die meisten Arten unbekannte Insekten in unzugänglichen Urwäldern seien, konterte Simon: „Wer teure Naturschutzprogramme fordert, weil wir nicht wissen, wie viele Arten aussterben, könnte mit der gleichen Logik auch Maßnahmen zum Schutz von Engeln fordern, weil wir nicht wissen, wie viele Engel auf der Nadelspitze aussterben.“
Ähnlich argumentiert Björn Lomborg, ex-Greenpeace-Mitglied und Statistik-Professor in Dänemark: Die vorliegenden Daten erlaubten nicht den oft gezogenen Schluss, bis zum Jahr 2050 werde die Hälfte aller Arten aussterben – realistischer sei ein Verlust von 0,7 Prozent. In Deutschland treten Dirk Maxeiner und Michael Miersch, einst Chefredakteure des Magazins „Natur“, als „Öko-Optimisten“ auf: „Monat für Monat wurde auf den Seiten unserer Zeitschrift der dräuende Weltuntergang beschworen, der Tod war unser ständiger Begleiter. Waldsterben und Robbensterben, Insektensterben und Vogelsterben, ja sogar ein Spermiensterben schien unmittelbar bevorzustehen.“ Dann aber erkannten sie: „Es ist höchste Zeit, mit dem ‚Fünf-vor-Zwölf‘-Gedröhne aufzuhören.“
Wie schlimm steht es um Kräuter und Getier wirklich? Dazu wäre hilfreich, wenn man wüsste, wie viele Arten es gibt. Eine „Art“ wird von Biologen als Gruppe von Individuen definiert, die unter „natürlichen Bedingungen“ fortpflanzungsfähige Nachkommen hervorbringen können. Bei Säugetieren ist das einigermaßen überschaubar, bei Insekten und Pflanzen schon weniger. Die Abgrenzung von Arten und Unterarten ist selbst beim Menschen schwierig: Gibt es 6 oder 60 Rassen? Dank Genforschung werden zuweilen auch alte Bekannte neu klassifiziert. Orang-Utans zum Beispiel zählen seit ein paar Jahren in der „Roten Liste“ doppelt, weil zwei Unterarten dieser Affen zu Arten aufgewertet wurden.
Während die weitgehend nutzlosen Sterne der Milchstraße beinahe durchnummeriert sind, ist die Zahl der irdischen Tier- und Pflanzenarten nach wie vor ein Rätsel. „Wir kennen nicht einmal die annähernde Größenordnung. Es könnten zehn Millionen, aber auch 100 Millionen sein“, sagt Edward Wilson, Biologe in Harvard und zu diesem Thema häufig zitierte Autorität. Derzeit sind rund 1,75 Millionen Arten bekannt. „Bekannt“ heißt in den meisten Fällen, dass irgendwo ihr wissenschaftlicher Name auf einer Karteikarte notiert ist. Auf der Basis von Studien zur Habitatzerstörung auf Inseln und in Regenwäldern kommt Wilson „vorsichtig geschätzt“ zu dem Schluss, dass gegenwärtig 27.000 Arten pro Jahr aussterben. „Das sind 74 Arten pro Tag und drei Arten pro Stunde.“ Fossilienfunde zeigten, dass in Urzeiten pro Jahr eine Art ausgestorben sei: „Der Mensch hat diese natürliche Extinktionsrate um den Faktor 1.000 bis 10.000 erhöht. Wir befinden uns somit zweifelsfrei inmitten eines der größten Massensterbens der Erdgeschichte.“
Für Umweltverbände sind diese Hochrechnungen mit mehreren unbekannten Variablen quasi amtlich. Es gibt aber auch Zweifler: Die Daten von Inseln könne man nicht ohne weiteres auf Kontinente übertragen, auch sei der Zusammenhang von Entwaldung und Artensterben nicht so eindeutig. An der Küste Brasiliens seien die Urwälder abgeholzt worden – gleichzeitig aber „nur“ eine Handvoll Vogelarten abhanden gekommen. Der Biologe Ariel Lugo fand, dass in Puerto Rico seit Kolumbus der Primärwald vernichtet, die Zahl der Vogelarten aber wegen eingeschleppter Exoten von 60 auf 97 gestiegen sei. Es sei riskant, Arten zu verpflanzen, man denke nur die Verheerungen, die Ratten anrichten. Wenn es aber um Vielfalt als solche gehe, gebe es keinen Grund, „fremde“ Spezies für minderwertiger als „einheimische“ zu halten.
So umstritten wie der Artentod ist auch die Abhilfe. Die „Pessimisten“ sehen den Menschen als Schädling: 1872 wurden für das erste moderne Schutzgebiet 300 Indianer abgeknallt, sie waren dem Yellowstone-Nationalpark im Weg. 1992 wurden in Uganda für einen Elefanten-Weg 30.000 Menschen vertrieben, Polizisten fackelten ihre Behausungen ab. Staatliche Verbote sollen die Natur unberührt halten, gegen hungernde Wilderer ebenso verteidigen wie gegen reiche Kakteensammler. Die Zollbehörden registrieren aber immer mehr Verstöße gegen das Washingtoner Artenschutzabkommen, das den Handel mit bedrohter Wildnis unterbinden soll: Vogelspinnen sind bei Schmugglern fast so beliebt wie Drogen.
Wo Gesetze nicht helfen, sollen Predigten das Bewusstsein der Menschen ändern und sie vom Eigenwert der Natur überzeugen. Die Weltbank, die auch Umweltprojekte finanziert, hat gerade ein Buch mit dem Titel „Glaube an die Bewahrung“ herausgebracht: Besonders die armen Menschen würden religiösen Führern vertrauen, Medizinmänner und Priester könnten sie daher zum Umweltschutz bekehren. Im reichen Abendland galt Luxus den Gläubigen schon immer als Sünde – aber leider kennt niemand das gottgefällige Konsum-Niveau. Den Lebensstandard von „Naturvölkern“ anzustreben, würde nur bedingt helfen: Steinzeitmenschen rotteten das Mammut aus, Maori machten die Vögel Neuseelands nieder und in Nordamerika wurden die Indianer mit immerhin 30 Arten fertig.
Für „Öko-Optimisten“ dagegen kann der Mensch so gierig bleiben wie er ist; eine friedliche Koexistenz mit der Natur sei möglich. Biber in der Kläranlage, Wildschweine in der Großstadt und Adlerhorste auf Hochspannungsmasten beweisen dem Zoologen Josef Reichholf: „Die wenigsten Arten brauchen einen ganz bestimmten Biotop“ – sie bräuchten nur Ruhe vor Jagd und Verfolgung. Anstatt auf Staat und Bürokratie zu vertrauen, sollten Naturschützer besser über Marktwirtschaft nachdenken, meint Michael Miersch: „Ein kontrollierter Markt mit Elfenbein, Walfleisch, Pelzen, Krokodilleder, Tropenholz und anderen Naturprodukten ist weder grundsätzlich unmoralisch noch grundsätzlich unökologisch.“ Seit zum Beispiel in Namibia Antilopen und Zebras privatisiert wurden, sei ihr Bestand stark gewachsen. Könnte nicht Ruanda die letzten Gorillas an die Walt-Disney-Corporation verpachten? „Die Tiere wären sicher wie in Abrahams Schoß, die Menschen hätten Jobs und ein warmer Dollarregen würde über dem Regenwald niedergehen.“
Dass „nachhaltige Nutzung“ der Natur nützt, ist auch die Grundannahme der vor zehn Jahren in Kraft getretenen UNO-Konvention zur Biodiversität. Dieser bisher umfassendsten internationalen Vereinbarung zum Artenschutz sind außer Andorra, Irak, USA und Vatikan alle Staaten beigetreten. Im Februar beraten 188 Regierungen in Kuala Lumpur auf der siebten Vertragsstaatenkonferenz über die Artenvielfalt in Bergregionen, die Rolle von Schutzgebieten und den Technologietransfer in Entwicklungsländer. Malaysia ist als Treffpunkt gut gewählt: kein anderes Land exportiert so viel Tropenholz. Da Malaysia – im Gegensatz zum Amazonasgebiet – nährstoffreiche Vulkanböden habe, sei Waldbewirtschaftung kein Problem, meint die Regierung in Kuala Lumpur. Wenn der Tropenholzboykott der „Öko-Imperialisten“ nicht aufhöre, werde man den Dschungel komplett durch Plantagen ersetzen.
Immerhin hat Debatte dazu geführt, dass die Erforschung der Artenvielfalt vorangetrieben wird. Die amerikanische „All Species Foundation“, die innerhalb von 25 Jahren alle noch unbekannten Lebewesen erfassen wollte, musste zwar nach zwei Jahren schon wieder aufgeben, weil es an Sponsoren mangelte. Internationale Organisationen und Staaten aber wollen nun traditionelle Biologen doch nicht zugunsten von Gentechnikern aussterben lassen. Die Initiative „Global Biodiversity Information Facility“ zum Beispiel will weltweit Datenbanken zur biologischen Vielfalt über das Internet vernetzen. Vielleicht haben die Apokalyptiker Glück und es stellt sich dabei heraus, dass die Arten doch rasend schnell verschwinden.
Vom Aussterben bedroht
Die Weltnaturschutzunion IUCN veröffentlicht seit 1963 jedes Jahr eine „Rote Liste“ der bedrohten Spezies. Die neuste [der Artikel erschien 2004, mte] stuft von rund 1,5 Millionen bekannten Tier- und Pflanzenarten 12.259 als gefährdet ein. Nämlich: 1130 Säugetiere (23 % aller bekannten Arten), 1194 Vögel (12 %), 293 Reptilien (4 %), 157 Amphibien (3 %), 750 Fische (3 %); 1959 Insekten und andere Wirbellose (0,2 %); 6774 Pflanzen (2 %) und – erstmals – auch zwei Flechten (0,02 %). Seit dem Jahr 1500 seien 762 Arten ausgestorben; 53 weitere, zum Beispiel Ginkgo-Bäume, überleben nur noch in Gärten und Zoos.
Die deutsche Rote Liste wird vom Bundesamt für Artenschutz in Bonn geführt. Von den heimischen rund 45.000 Tierarten wurden bisher 16.000 untersucht – und davon 40 % als gefährdet eingestuft; 3% sind seit 1850 ausgestorben oder verschollen. Von den 28.000 in Deutschland vorkommenden Pflanzenarten wurden 13.835 untersucht – rund 40 % davon wurden auf die Rote Liste gesetzt; knapp 4% sind ausgestorben.
Martin Ebner
Weiterlesen (last update: 16.04.2023):
Die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten ist hier zu finden: www.iucnredlist.org/
Auf eigene Faust den freien Welthandel für Naturprodukte einführen zu wollen, empfiehlt sich nicht, denn es drohen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Eine Datenbank der von Artenschutzabkommen und Zoll bewachten Kreaturen ist hier zu finden: www.wisia.de
Wer selbst aktiv werden will, sollte nicht Elfenbein schmuggeln, sondern lieber „Naturgucker“ werden. Oder (in der Schweiz) sich an der „Mission B“ beteiligen. Oder zoologische Gärten unterstützen: www.stiftung-artenschutz.de
Was Regierungen und Ökologisten zum Thema Biodiversität einfällt, zeigen die UNO-Konferenzen: www.cbd.int/ Viel Arbeit macht die Artenvielfalt auch den Forschern, die dazu ein weltweites Informationsnetz aufbauen: www.gbif.org
Wenn die „Naturkatastrophe Mensch“ nicht umkehre, werden Arten, Völker und Sprachen massenhaft untergehen, mahnt Franz Wuketits in seinem Buch „ausgerottet – ausgestorben“ (Hirzel-Verlag, Stuttgart 2003). Speziell mit gefährdeten Tieren beschäftigt sich Wolfgang Engelhards „Das Ende der Artenvielfalt“ (Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1997).
Unverbesserliche Optimisten sind dagegen Dirk Maxeiner und Michael Miersch. Zu ihren Literaturtipps gehört „Comeback der Biber. Ökologische Überraschungen“ von Josef Reichholf (Beck-Verlag, München 1993).
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Foto: Wombat in the Queensland Museum in Brisbane, Australia. Vombato en la muzeo de Queensland en Brisbane, Aŭstralujo. Wombat im Queensland Museum in Brisbane, Australien