Rich and poor in Bucharest

Reichtumsforschung: Die in der Villa sieht man nicht

About: The rich are difficult research objects, because they are too discreet.
Pri: Riĉuloj estas malfacilaj objektoj por esploro.
Published, Aperis: d’Lëtzebuerger Land, 03.12.2004


Verschämt oder unverschämt? Millionäre machen es der Forschung schwer

Ein heiteres Gemüt, sauberes Trinkwasser, schönes Herbstlaub: Reichtum kann so vielfältig sein. Richtig nett wird er aber erst, wenn dazu eine Million auf dem Konto und ein Aktienpaket gehört. Zumindest haben materielle Güter den Vorteil, dass sie sich exakt bewerten lassen. Wird im Kapitalismus nicht alles auf Heller und Pfennig berechnet? Schön wär’s! Gehobener Wohlstand ist eines der letzten Geheimnisse. Erst seit kurzem versuchen Wissenschaftler, seine Verteilung genau zu erfassen.

Die reichsten der Reichen bleiben kaum unentdeckt – dafür sorgen Wirtschaftsmagazine. „Forbes“ zum Beispiel hat sich auf Dollar-Milliardäre spezialisiert und davon heuer weltweit 587 gezählt. An der Spitze stehen Bill Gates, auf 46,6 Milliarden geschätzt, US-Investor Warren Buffett (42,9 Mrd.) und Karl Albrecht, Herr der Aldi-Supermärkte (23 Mrd.). In den USA wurden 275 Milliardäre registriert, mit deutschem Pass 52. Drittgrößter Superreichen-Standort ist Russland. Die Veröffentlichung scheint dort die 26 Oligarchen erbost zu haben: Der „Forbes“-Vertreter in Moskau wurde im Juli erschossen. Die Redakteure des „manager magazin“ berichten ebenfalls von schwierigen Recherchen: Das Mitteilungsbedürfnis der „reichsten 300 Deutschen“, die sie im Oktober porträtierten, sei minimal; von viele gibt es keine Fotos.

Diese Rankings sind grobe Schätzungen auf der Basis von Aktienkursen und der optimistischen Annahme, dass sich Villen und Gemälde wieder zum Einkaufspreis verscherbeln lassen. Sie zeigen nur die Spitze des Goldbergs: Der „Welt-Reichtumsreport 2004“ der „Capgemini“-Finanzberater zählt 7,7 Millionen „High Net Worth Individuals“ mit einem liquiden Vermögen von mindestens einer Million Dollar, „500.000 wohlhabende Privatanleger mehr als im Vorjahr“. In Asien vermehrten sie sich rasant; in Deutschland stagniere die Zahl der Millionäre bei 756.000.       

Für Hab und Gut interessieren sich nicht nur Banken. In Deutschland fordern Gewerkschaften seit Jahren, das „süße Leben der Kapitalschmarotzer“ müsse aufgeklärt werden. Die beiden großen Kirchen maulten 1997: „Es bedarf eines regelmäßigen Reichtumsberichts. Umverteilung ist häufig die Umverteilung des Mangels, weil der Überfluss auf der anderen Seite geschont wird.“ Die konservativen Parteien wehrten aber alle Ansinnen ab, die amtliche Statistik solle nicht nur den Schweinebestand, sondern auch die Reichtumsverteilung erfassen. Ernst-Ulrich Huster, Professor in Bochum, forschte lange fast allein und argwöhnte: „Es drängt sich der Verdacht auf, dass Unkenntnis über hohe Einkommen eine ihrer Grundvoraussetzungen darstellt.“

Das änderte sich mit dem Regierungswechsel 1998: Rot-Grün verpflichtete sich, in jeder Wahlperiode einen „Armuts- und Reichtumsbericht“ vorzulegen. Eine Umfrage bei den deutschen Botschaften im Ausland ergab, dass man damit Neuland betrat. Der erste Bericht von 2001 bot zur Haben-Seite nur wenig: Die Ungleichheit habe in der Ära Kohl zugenommen, aber das werde unter Schröder besser. Genaueres wisse man noch nicht, denn die vorhandenen Zahlen seien entweder nicht aktuell oder nicht vollständig, oder sie seien nicht aussagekräftig oder nicht nach West- und Ostdeutschland getrennt oder alles zusammen. Deshalb hat das Bundes-Sozialministerium dazu ein halbes Dutzend Forschungsprojekte gestartet.

Bislang gibt es zu den irdischen Gütern der Deutschen vor allem vier Datenquellen, deren Zahlen auch in die 2003 gestartete „Luxembourg Wealth Study“ und die für 2005 geplante „EU-Statistics on Income and Living Conditions“ eingehen werden. Da ist zum einen die  Bundesbank, die ausweist, was der „private Sektor“ insgesamt besitzt: 1999 waren es netto 7,4 Billionen Euro. Als „privat“ gelten allerdings auch „Organisationen ohne Erwerbszweck“, also Gewerkschaften, Kirchen, Vereine und Parteien.

Für die „Einkommens- und Verbrauchsstichprobe“ (EVS) lässt das Statistische Bundesamt alle fünf Jahre 70.000 Haushalte Buch führen. Nicht dabei sind Obdachlose, Ausländer und die „Anstaltsbevölkerung“ in Gefängnissen, Altersheimen oder Flüchtlingslagern. Da die Teilnahme freiwillig ist, Besserverdienende aber meist nicht wollen, werden auch Haushalte mit einem Nettoeinkommen von mehr als 17.900 Euro nicht befragt. Die Ärmsten und die Reichsten tauchen also in der Statistik nicht auf! Nach der EVS kamen 1998 alle Privathaushalte auf ein Gesamtvermögen von 4,2 Billionen Euro – im Vergleich zur Bundesbank 3 Billionen weniger. Damit könnte man die Ex-DDR aufkaufen, wo laut EVS alle Haushalte zusammen 341 Milliarden besitzen.   

Eine weitere Fundgrube sind Steuerstatistiken, mit jahrelanger Verspätung. Die Zahlen zur Einkommenssteuer hat der Wirtschafts-Sachverständigenrat 2003 erstmals ausgewertet: Haupteinnahmequelle sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, 1998 im Schnitt 29.086 Euro; Selbständige kamen auf 35.366 Euro. Sinnvoll ist das nicht: „Abhängig“ ist auch ein Vorstandsvorsitzender und „selbständig“ kann ein kleiner Hausierer sein. Interessant aber: die Steuerprogression wirkt nur bis zu einer Million Euro – je reicher man ist, desto weniger wird man belastet. Und kann mehr abschreiben: 1998 wurden ganz legal 160 Milliarden Einkünfte nicht versteuert. Weniger legal wurden 1992 bis zu 40 Mrd. Euro Kapitalerträge verheimlicht. Und zur Zeit des Börsenbooms deklarierten bei 13 Millionen Wertpapierdepots nur 70.000 Steuerpflichtige Spekulationsgeschäfte. Verdacht: reich macht nicht nur Leistung, sondern auch Steuergestaltung.

Schließlich gibt es das „Sozioökonomische Panel“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das jährlich 13.000 Haushalte befragt. 2002 wurde – „weltweit einzigartig“ –
erstmals eine „Hocheinkommensstichprobe“ gezogen. Der erste Anlauf scheiterte, da die „Reichtumspopulation“ keine Lust auf Fragebögen hatte. Mit einer Telefonumfrage konnten dann aber doch 1200 Teilnehmer gefunden werden. Die Antwortbereitschaft sei sogar hoch gewesen, selbst zu Themen wie Schwarzarbeit und Korruption. „Aus wissenschaftlicher Sicht hilfreich, politisch jedoch höchst alarmierend“, finden die Forscher: „eine starke Abnahme der Steuermoral“.

Da die EU die Armutsgrenze bei der Hälfte des Durchschnittseinkommens sieht, definieren die meisten Wissenschaftler „Reichtum“ als das Doppelte: brutto 6.000 Euro monatlich. Das haben 5% der deutschen Haushalte, 2 Millionen Personen. Laut dem Ökonomen Dierk Hirschel ist der typische Einkommensreiche um die 50 Jahre alt, hat studiert, lebt in Süddeutschland mit seiner Ehefrau, hat ein bis zwei Kinder und arbeitet in einem Konzern, pro Woche sieben Stunden länger als Nicht-Reiche. Aufsteiger seien rar, die soziale Mobilität „äußerst eingeschränkt“. Während die ärmsten Haushalte im Schnitt 5.000 Euro Schulden haben, können die reichsten zu ihrem Vermögen von durchschnittlich 547.000 Euro im Monat 2.200 Euro dazusparen.

Die reichsten zehn Prozent der Deutschen haben ein Viertel aller Einkommen, aber die Hälfte des Vermögens. Der relative Abstand arm-reich blieb erstaunlich lange stabil: Obwohl sich die Armen zunehmend Zucker, Autos und andere Dinge leisten konnten, die früher Luxus waren, lag der Vermögensanteil des reichsten Prozents ziemlich konstant bei 23%. In letzter Zeit machen sich Kürzungen der Sozialleistungen bemerkbar: Die Distanz von der Mittel- zur Oberschicht erhöht sich kaum, die Ärmsten aber schmirgeln ab.

Die Verteilung ist schwer zu veranschaulichen. Holger Stein von der Uni Frankfurt versucht es mit dem Bild einer „Vermögensparade“: In einer Stunde marschieren die personifizierten Haushalte der Bundesrepublik vorbei, wobei ein 1,75-Meter-Mann für ein durchschnittliches Vermögen steht. Die ersten sechs Minuten sieht man bei diesem Gedankenspiel gar nichts – nur Habenichtse. Nach 30 Minuten hätten die Defilierenden eine Größe von 60 Zentimetern erreicht, erst nach 40 Minuten kämen durchschnittliche Erwachsene und würden bald von Gestalten der doppelten Größe abgelöst. In den letzten Sekunden: 41 Kilometer hohe Giganten.

Erforscht wird auch die „ambivalente Gefühlslage“ der Reichen. Ihr Glücksempfinden wachse nicht mit den Einnahmen, hat der Soziologe Gerhard Schulze herausgefunden: „Woher Geld  nehmen?“ werde abgelöst von „Was will ich überhaupt?“ Viele würden gar nichts wollen, sondern einfach weiterraffen – Reichtum als Selbstzweck. Trotzdem wollten sie nichts abgeben. Die „Erklärung für die oft absurde Panik der Reichen, sobald auch nur marginale Verschlechterungen drohen“: Da ihnen die praktische Intelligenz der Armen fehle, hätten die Reichen keine Ahnung, wie man mit weniger auskommen könne – und deshalb Angst.
 
Diese Sorge will das Sozialministerium lindern und lässt untersuchen, wie gemeinnützige Stiftungen angeregt werden können. Bei der Vorbereitung des zweiten „Reichtumsberichts“, der für 2005 geplant ist, zeigte sich aber noch viel mehr Forschungsbedarf. Die Maße „Millionär“ und „200%-Schwelle“ seien viel zu willkürlich, erläutert der Wirtschaftsforscher Jürgen Volkert. Geld allein nütze nichts, wenn man es zum Beispiel für Wachleute wieder ausgeben muss. Besser wäre, Reichtum als „Verwirklichungschancen“ zu definieren und auch an Indikatoren wie Sicherheit, Gesundheit oder Bildung abzulesen. Um nicht an den „Werturteilen“ der Bevölkerung vorbeizuforschen, schlägt Volkert vor, erst einmal eine Umfrage zu machen: Was ist „Reichtum“?

Martin Ebner

Bücher:

  • Dierk Hirschel: Einkommensreichtum und seine Ursachen, Marburg 2004
  • Holger Stein: Anatomie der Vermögensverteilung, Berlin 2004

Links (last update: 05.05.2014):



Foto: Rich and poor in Bucharest, Romania. Riĉa kaj malriĉa en Bukureŝto, Rumanujo. Reich und arm in Bukarest, Rumänien


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Texts of timeless beauty. Or at least some historical interest.