Löwenzahn

Autoreifen vom Acker

About: First rubber products are made from dandelion
Pri: Unaj gumaj produktoj faritaj de leontodo
Published, Aperis: Südwestpresse, 06.05.2017


Aus Löwenzahn können Kautschuk und ein Zucker-Ersatz gewonnen werden. Erste Produkte aus Pusteblumen-Gummi werden bereits getestet.

Kautschuk ist ein Indio-Wort, es bedeutet „Tränen von Bäumen“. Zum Weinen, jedenfalls zum Grübeln bringt das zähe Material die Hersteller von Reifen, Handschuhen, Kondomen, Förderbändern und anderen Gummi-Produkten: Bisher wurde kein Kunststoff gefunden, der auch bei tieferen Temperaturen so strapazierfähig, so elastisch ist wie natürlicher Latex, also geronnene und getrocknete Pflanzenmilch. Kautschuk wird zwar mittlerweile überwiegend aus Erdöl gefertigt. Auf Pflanzensaft kann aber zumindest als Beimischung nicht verzichtet werden. Und von fossilen Rohstoffen will man ja wegkommen.

Nur ein Gewächs lässt sich derzeit kommerziell dafür anzapfen: Hevea brasiliensis, vulgo Kautschukbäume. Diese 20 bis 40 Meter hohen Stämme wachsen nur in feuchtheißen Gebieten am Äquator. In Südamerika verhindern Pilze den Anbau in Plantagen. In Südostasien, wo derzeit 90 Prozent des weltweit verbrauchten Naturkautschuks produziert werden, konkurrieren sie mit Ölpalmen oder verdrängen Urwälder. Preise und Qualität von Naturkautschuk schwanken so stark wie die Ernte, die Versorgungssicherheit aus Ländern wie Malaysia oder Indonesien ist zweifelhaft, die Transportwege sind lang, auch Proteste von Umweltschützern und Freunden der Orang-Utans können lästig werden.

In einem Auto-Reifen stecken an die 3 Kilo, in einem Lastwagen-Reifen bis zu 25 Kilo Naturkautschuk – besonders in Winterreifen gut ein Drittel der Masse. Pro Jahr werden weltweit mehr als 1 Milliarde Reifen verkauft, Tendenz steigend. Daher wird intensiv nach Alternativen zu Hevea gesucht, zum Beispiel in dem EU-Forschungsprojekt „Drive4EU“. Mehr als 2.000 verschiedene Pflanzenarten enthalten in ihrem Saft ebenfalls Kautschuk. Bislang wurden aber bloß zwei gefunden, die wirtschaftlich aussichtsreich sind: Guayule und Russischer Löwenzahn. Beide könnten auch Menschen helfen, die auf Hevea-Latex allergisch reagieren.

Guayule ist ein holziger Zwergstrauch, der in den Wüsten von Mexiko und Texas wächst, aber auch in trockenen Gebieten Südeuropas angebaut werden könnte. Die Reifen-Hersteller Bridgestone, Pirelli und Apollo-Vredestein haben daraus bereits erste Prototypen gefertigt. Cooper-Tire will nächstes Jahr in Arizona eine Pilotfabrik eröffnen. Serienreifen aus Guayule-Gummi könnten ab 2020 auf den Markt kommen.

Deutschland setzt dagegen auf eine besonders kautschukhaltige Löwenzahn-Art, die in unserem Klima und sogar auf Brachland wachsen kann. Bereits 1931 hatten sowjetische Biologen diese Pflanze in Kasachstan entdeckt und auf den Namen Taraxacum koksaghyz („Gummiwurzel“) getauft, weil vor allem die Wurzel die begehrte Milch liefert. Während der Milchsaft des bei uns heimischen Gewöhnlichen Löwenzahns nur 10 Prozent Kautschuk enthält, sind es bei dieser Variante mehr als 30 Prozent.

Im Zweiten Weltkrieg produzierte die Sowjetunion aus Löwenzahn bis zu ein Drittel ihres Gummis; westliche Forscher experimentierten damit ebenso wie deutsche Nazis, die beim Konzentrationslager Auschwitz Versuchsfelder anlegten. Nach 1950 wurde der Anbau aber überall wieder aufgegeben: Mischungen von Hevea-Latex und Erdöl-Kautschuk waren unschlagbar billig. Immerhin erbrachten große Felder im Süden Schwedens den Nachweis, dass der Russische Löwenzahn nicht auswildert und in der benachbarten Natur auch sonst keinen Unfug anstellt.

Seit 2012 tüfteln die deutschen Forschungsprojekte „Tarulin“ und „Takowind“ wieder an Löwenzahn-Gummi. Allein die Bundesregierung fördert diese Arbeiten im Rahmen der „Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ mit mehr als 5 Millionen Euro. Wissenschaftlern der Universität Münster ist es gelungen, den Kautschuk-Gehalt von Löwenzahn zu erhöhen, die Gewinnung und Verarbeitung zu verbessern: Dirk Prüfer und Christian Schulze Gronover hatten zunächst untersucht, welche Gene die Kautschukproduktion fördern und welche sie behindern. Weil gentechnisch veränderte Pflanzen in Deutschland nicht besonders beliebt sind, haben sie dann mit klassischen Züchtungsmethoden den Gewöhnlichen Löwenzahn mit der russischen Pusteblume gekreuzt – also lange Pfahlwurzeln mit hohem Kautschuk-Gehalt kombiniert. Das Ziel sind Löwenzahn-Pflanzen gleichbleibender Qualität, deren Wurzeln so dick und schwer sind, dass sie mit herkömmlichen Karotten-Erntemaschinen geerntet werden können.

Während Kautschukbäume erst nach 7 bis 10 Jahren Erträge bringen, kann Löwenzahn schon nach wenigen Monaten und mehrmals im Jahr geerntet werden. Für die industrielle Verarbeitung ist auch wichtig, dass der Kautschuk flüssig bleibt. Wenn Löwenzahnsaft mit Luft in Berührung kommt, wird er zäh und verfärbt sich braun – das wehrt gefräßige Insekten ab. Professor Prüfer und seine Mitarbeiter haben jedoch das Enzym identifiziert, das für die Verklebung verantwortlich ist. So konnten sie Löwenzahn züchten, dessen Milch nicht gerinnt und aus angeritzten Pflanzen ungehindert ausläuft. Die Forscher entwickelten auch ein umweltfreundliches Extraktionsverfahren: Die Wurzeln werden zermahlen, der Kautschuk dann mit Wasser herausgelöst.

Löwenzahn Radolfzell

Bei Straubing wird bereits versuchsweise auf 8 Hektar Russischer Löwenzahn angebaut. Continental hat daraus erste Kleinserien von Winterreifen für PKW und LKW, aber auch Lager für Motoren und Gelenkwellen gefertigt. Bei Versuchen schnitten die Prototypen tadellos ab und brauchten den Vergleich mit Hevea-Kautschuk nicht zu scheuen. Als Vorstufe zur Serienproduktion, die in fünf bis zehn Jahren anlaufen soll, baut der Konzern gerade im vorpommerischen Anklam eine Testanlage für Löwenzahn-Gummi. Der Betrieb soll mehr als 20 Angestellte beschäftigen. „Im Laufe der nächsten fünf Jahre wollen wir 35 Millionen Euro investieren, um die Prozesse, die wir bisher nur im Labormaßstab etabliert haben, nach dem Motto ‚von Gramm über Kilo zu Tonnen‘ in einen Industriemaßstab zu transformieren“, sagt Burkhardt Köller, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Continental Reifen Deutschland. In Anklam soll Russischer Löwenzahn vorerst auf 800 Hektar angebaut werden.

Als Nebenprodukt fällt dabei Inulin an. Diesen Zucker- und Fett-Ersatz, der zum Beispiel Wurst oder Schokolade beigemischt wird, gewinnt die Lebensmittelindustrie bisher vor allem aus Chicorée-Wurzeln. Forscher des Fraunhofer-Instituts IGB und der Universität in Stuttgart haben die Extraktion des kalorienarmen Süßungsmittels aus den Wurzeln von Pusteblumen verbessert. Die Inulin-Gewinnung aus Löwenzahn wäre sogar billiger als die heutigen Verfahren; zu Einsatzmöglichkeiten forscht die Mannheimer Südzucker AG. Es könnte sogar ein Hauptprodukt daraus werden: 1 Hektar Russischer Löwenzahn liefert pro Jahr rund 1 Tonne Naturkautschuk und 2 Tonnen Inulin. Leider arbeitet aber wohl niemand an einer Kombination davon: Fahrzeug-Reifen, die man nach Gebrauch einfach aufessen kann, würden Umweltschutz populär machen.

Martin Ebner

Infos:
Löwenzahn-Reifen von Continental: www.taraxagum.de
Pflanzenbiotechnologie in Deutschland: www.pflanzenforschung.de


Saftige Köpfchenblütler

Gelb ist nicht gleich gelb: mehrere Tausend verschiedene Arten gehören zur Pflanzengattung Löwenzahn (Taraxacum). Die krautigen Gewächse können leicht verwechselt werden mit Milchkraut (Leontodon), das ebenfalls einen weißen Milchsaft enthält und auch zur Familie der Korb-, bzw. Köpfchenblütler zählt. Löwenzähne leben weltweit von den Tropen bis zu den Polargebieten; als Pionierpflanzen besiedeln sie gerne Schutthalden, Brachflächen und noch die kleinsten Ritzen. Es sind aber nicht alle robust: Allein am Bodensee-Ufer sind neun Arten des schmalblättrigen Sumpf-Löwenzahns vom Aussterben bedroht.

Bei uns ist vor allem der Gewöhnliche Löwenzahn (Taraxacum officinale) verbreitet. Seine bis zu zwei Meter langen Pfahlwurzeln mögen Gärtner und Bauern nicht immer. Im Frühjahr ist Löwenzahn aber eine wichtige Bienen-Weide. Praktisch die ganze Pflanze lässt sich verarbeiten: die Blüten zu Gelee, die Blätter zu Salat, Suppe oder Tee, die Wurzeln zu Kaffee-Ersatz. Während die Pusteblume für die einen nur ein hartnäckiges Unkraut ist, liefert sie anderen Stärkungsmittel und Arznei: appetitanregend, harntreibend, abführend und entzündungshemmend, aber auch zum Beispiel Saft gegen Warzen und Hühneraugen.


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-> siehe auch: Blumen statt Erdöl: die Chemiewende kommt langsam in Gang

 

Foto: Dandelion. Leontodo. Löwenzahn

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